astrid.guth
aus derStandard.at, 16. April 2018, 08:00
Philosoph Robert Pfaller:
"Moralisieren ist immer eine Verfallserscheinung"
Robert Pfaller über den Verlust der Erwachsenensprache in Politik und Kultur,
die nur noch sprachliche Sozialpolitik der "Pseudolinken" und die bloß
symbolische "Volksnähe" der neuen Rechten
Schon vor fünf Jahren
war er von der "gouvernantenhaften Politik", die ihm nicht nur das
Rauchen verbieten wollte, so genervt, dass der Wiener Philosoph Robert
Pfaller die Initiative "Mein Veto – Bürger gegen Bevormundung" (unter
anderem von der Tabak- und Bierindustrie unterstützt) und gleich auch
noch "Adults for Adults" mitinitiierte, eine Gruppe europäischer
Intellektueller sowie Künstlerinnen und Künstler, die sich gegen
bevormundende Politik, die die [Wählerinnen und] Wähler "wie Kinder
behandelt", einsetzen. Sein jüngstes Buch heißt Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur.
Aber wem nützt die Infantilisierung? Antworten darauf gibt Pfaller am 25. April (17 Uhr, Hörsaal 3D, NIG, Universitätsstraße 7) im Rahmen der von Konrad Paul Liessmann in Kooperation mit dem STANDARD organisierten Vortragsreihe "Fachdidaktik kontrovers" – und vorab hier:
STANDARD:
Haben Sie Ihre Sprache im Lauf der jüngeren Zeit verändert? Gendern
Sie? Schreiben Sie das Binnen-I? Gibt es Wörter, die Sie nicht mehr
sagen, weil "man" sie heute nicht mehr sagt?
Pfaller:
Natürlich versuche ich andere Menschen beim Sprechen nicht ungewollt zu
kränken oder zu beleidigen. Das Beste, was man meiner Ansicht nach dazu
tun kann, ist, wie ein vernünftiger Mensch zu ihnen zu sprechen. Eine
Kunstsprache zu verwenden, also zu "gendern" oder ein Binnen-I
einzufügen, scheint mir dabei eher hinderlich. Man klingt dabei schnell
nicht mehr wie ein vernünftiger Mensch. Und man wirkt auf ungute Weise
bemüht oder sogar ein wenig aggressiv – so, als ob man Peinlichkeit
vermeiden müsste oder den anderen belehren wollte. Diese Sprachtricks
dienen ja nicht so sehr dazu, Dritte zartfühlend zu benennen. Sie haben
in erster Linie die Funktion, die Zweiten, also die, zu denen man
spricht, sozial zu überbieten und sie pädagogisch zu unterwerfen.
STANDARD: Sie kritisieren die politisch korrekte Sprache als Symptom einer zunehmenden Infantilisierung der Gesellschaft. Warum?
Pfaller:
Das Zartsprechen ist das kulturelle Symptom eines ökonomischen
Politikversagens. Man hat Probleme, die in der Ökonomie zu erledigen
gewesen wären, in die Kultur verlagert und sie dort zu behandeln
versucht. Wenn man das aber tut, dann löst man die Probleme nicht nur
nicht, sondern man produziert sogar neue. Nun werden die Menschen
nämlich von ihren Interessen abgelenkt auf ihre Empfindlichkeiten. So
werden sie un- fähig, ihre wichtigsten Interessen wahrzunehmen und sich
dafür mit anderen, ungeachtet von deren Identitäten oder
Empfindlichkeiten, zusammenzuschließen.
Die Propaganda der
Empfindlichkeit entsolidarisiert. Und sie zerstört den öffentlichen
Raum. Denn wo sie herrscht, kann niemand mehr mit anderen unter Absehung
von der jeweiligen Person sprechen. Britische Studierende sagen etwa
nicht mehr "Ich stimme nicht zu", sondern ein- fach nur "Was Sie sagen,
verletzt mich". Da hört sich jeder Diskurs unter vernunftbegabten,
politikfähigen Menschen auf. Das ist ein perfektes neolibera- les
Ergebnis.
STANDARD: Was ist für Sie eigentlich "Erwachsenensprache"?
Pfaller:
Erwachsen zu sprechen heißt, unter Absehung von der eigenen Person zu
sprechen – also die eigenen Besonderheiten, Empfindlichkeiten,
Befindlichkeiten und Macken hinter sich zu lassen, um sowohl in sich
selbst als auch im Gegenüber das Allgemeine – etwa der besseren
Begründung oder des besseren Arguments – zum Vorschein zu bringen.
Erwachsenheit ist die Fähigkeit zu solcher Distanznahme gegenüber sich
selbst. Sie setzt die Einsicht voraus, dass bestimmte Widrigkeiten Teil
des Lebens sind – dass also zum Beispiel, wie die amerikanische
Feministin Laura Kipnis bemerkt, nicht alle Liebesgeschichten immer ganz
wunschgerecht verlaufen, was aber nicht bedeutet, dass sie deshalb
schon als "traumatisch" gewertet werden müssten. Erwach- sene können mit
so etwas rechnen, und sie können es verkraften, weil sie wissen, dass
sie keine Mikroorganis- men sind, die schon durch Kleinstes, etwa durch
sogenannte Mikroaggressionen, aus der Bahn geworfen werden können.
STANDARD: Wann wurde denn aus dem Erwachsensein eine Form intellektualisierter Hyperempfindsamkeit?
Pfaller:
Meine These lautet, dass diese postmoderne Propaganda der
Empfindlichkeit und der exzessiven Behutsamkeit im Sprechen die
Begleiterscheinung und Komplizin der brutalen, raubtierhaften
neoliberalen Ökonomie ist. In dem Moment, ungefähr um 1980, als auch die
Sozialdemokratien der westlichen Länder nicht mehr an der so
erfolgreichen keynesianischen Ökonomie festhielten, die in den ersten
drei Nachkriegsjahrzehn- ten für Wohlstand, soziale Sicherheit und
zunehmende Gleichheit gesorgt hatte, verlagerten sie ihre Engage- ments in
die Kultur. Statt Gleichberechtigung und Kinderbetreuungseinrichtungen
bekam man nun "Diversity" oder Binnen-Is.
STANDARD: Sie
vermissen erwachsene Sprache auch in der Politik. Ist die von Politikern
gern geäußerte Phrase, man wolle "die Sorgen der Bürger ernst nehmen",
schon so eine sprachliche Präparierung des potenziell immer besorgten,
verletzten, schutzbedürftigen Wesens, das man dann "Bürger" nennt?
Pfaller:
Mir scheint eher, dass diese Phrase ein anderes Versäumnis bezeichnet:
die Vernachlässigung der unteren Hälfte der Gesellschaft. Diese hat in
den letzten 30 Jahren massive Einkommensverluste erleiden müssen. Dazu
kommt noch der Verlust an Sozialprestige. Durch Political Correctness
und ähnliche Kultur- programme hat man die weniger Gebildeten zusätzlich
deklassiert und auch das Leid und seine Anerkennung nach oben, zu den
Eliten, umverteilt. Die Unteren dagegen sind nicht verletzlich oder
empfindlich. Die haben wirkliche Sorgen; sie sind wütend und fürchten
weiteren sozialen Abstieg. Darum wählen sie nun oft rechts: weil das am
ehesten ihre Wut ausdrückt und weil sie hoffen, dadurch die ganz Unteren
auf Abstand halten zu können.
STANDARD: Was bedeutet die
von Ihnen konstatierte "Politik der Verletzlichkeit" für die Politik?
Dass poli- tisch inkorrekte "Locker-Room-Talker" wie Donald Trump oder
Rechtspopulisten zum Zug kommen, weil es der Linken, nachgerade
buchstäblich, die Rede verschlägt vor lauter Ringen um die feinsten,
empfindsamsten Worte?
Pfaller: Da das Zartsprechen
der Pseudolinken als etwas Elitäres wahrgenommen wird, reden die
Rechtspopuli- sten ihrerseits nun vulgär: Dadurch können sie sich als
"Vertreter der einfachen Leute" aufführen. Auch wenn sie das in ihrer
ökonomischen Politik natürlich nicht sind. Aber so, wie die Linke nur
noch sprachliche Sozial- politik betreibt, genügt es der neuen Rechten,
bloß auf der symbolischen Ebene "volksnah" zu sein. Der Rechten diese
billige erfolgbringende Möglichkeit eröffnet zu haben ist einer der
größten strategischen Fehler der linken Sprach- und Kulturprogramme.
STANDARD: In welchem Ton würden Politikerinnen und Politiker mit uns reden, wenn sie wieder "Erwachse- nensprache" nutzen würden?
Pfaller:
Wie mit vernünftigen, erwachsenen Menschen, die belastbar und klug
genug sind, entscheidende Fragen von unbedeutenden – und wirkliche
Politik von bloß symbolischer Pseudopolitik – unterscheiden zu können.
STANDARD:
Ist dieser immer diffizilere und elaboriertere Sprachdiskurs nicht
eigentlich angesichts der konkreten Lebenslagen von vielen Menschen auch
ein totaler Eliten- oder auch Mittelschichtsluxusdiskurs, den man sich
buchstäblich leisten können muss, weil man mit der Bewältigung des
Alltags nicht wahnsinnig überbeansprucht ist?
Pfaller:
Genau. Um Probleme der angemessenen Bezeichnungen oder der
Geschlechtsidentitäten ganz oben auf der Prioritätenliste zu haben, muss
man zur oberen Hälfte der Gesellschaft gehören, beruflich hauptsächlich
am Computer arbeiten, gebildet sein und mit Konkurrenten in erster
Linie um sogenanntes kulturelles Kapital wett- eifern.
STANDARD:
Sie konstatieren ja auch eine "verblödende Moralisierung der Politik".
Was meinen Sie damit? Hat Politik nicht auch die Aufgabe, bestimmte
Dinge, die mit einigem Recht als richtig oder zumindest richtiger als
andere gelten, zu forcieren und zu unterstützen und das Gegenteil
zurückzudrängen? Sei es zum Beispiel der Nichtraucherschutz oder aber
gegen Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen oder anderen aktiv
vorzugehen?
Pfaller: Politik hat die Aufgabe, Konflikte
zwischen Interessen auszutragen und für Verhältnisse zu sorgen, in denen
Menschen einander als Gleichgestellte gegenübertreten können.
Moralisieren ist dem gegenüber immer eine Verfallserscheinung. Die Moral
romantisiert die Schwäche und erklärt die Schwachen und die Opfer
grundsätzlich zu den Guten, die sie damit über die "Bösen" stellt. Die
Moral entsolidarisiert also und erzeugt neue symbolische Hierarchien.
Sie will, dass es die Schwachen gut haben. Politik dagegen hat dafür zu
sorgen, dass niemand schwach ist. Ebenso verhält es sich übrigens mit
den derzeit beliebten, meist lächerlichen "ethischen" Waren oder
Unternehmensstrategien. Bertolt Brecht hat einmal gesagt: "Wenn der
Pilot eines Verkehrsflugzeugs ein Genie sein muss, dann kann etwas mit
den Instrumenten nicht stimmen." So ist es auch derzeit in der
Wirtschaft: Wenn ein Unternehmen sich tugendhaft wie ein Heiliger
verhalten möchte oder die Bankiers nicht gierig sein sollen, dann kann
etwas mit den Gesetzen nicht stimmen. Politik hat für Verhältnisse zu
sorgen, in denen "Codes of Conduct", also Verhaltenskodizes, überflüssig
sind.
STANDARD: Was bedeutet der Verlust der
Erwachsenensprache eigentlich für die, die tatsächlich infantil, also
kindlich, sein dürfen – die Kinder nämlich –, wenn sie zunehmend von
infantilisierten "Erwachsenen" umzingelt sind?
Pfaller: Ich
fürchte, nichts Gutes. Denn sogar Kinder kann man noch infantilisieren.
Dies scheint mir in vielen aktuellen Pädagogiken der Fall zu sein.
Robert Pfaller
(Jg. 1962) ist Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz,
zuvor lehrte er an der Angewandten in Wien sowie unter anderem in
Amsterdam, Berlin, Chicago, Oslo, Straßburg und Toulouse.
Nota. - Aus dem Herzen spricht mir das ja. Links bedeutete früher Nähe zur Revolution, und das hieß Kampf und Kräfteverhältnisse. Jetzt bedeutet es Empfindsamkeit und Geplärr. Das ist eine ganz heimtückische Art der Unterwanderung.
Aber aus dem Verstand spricht er mir doch nicht. Meint er, um echt links zu bleiben, reicht es aus, "erwachse- ner" zu sprechen? Sympathischer ist er mir dann immer noch, aber wirklich ernst - ich meine: für wirklich er- wachsen könnte ich ihn dann doch nicht nehmen.
Apropos. Kinder sind kindlich, mit allem Recht. Naiv sind Erwachsene, die ein reines Herz bewahrt haben. Kindisch, infantil sind Erwachsene, die sich vor der Verantwortung drücken und das Bett nässen.
JE
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