Das war die Weltrevolution.


Man versteht gar nichts vom 20. Jahrhundert, solange man es nicht auffasst als die Geschichte vom Scheitern der Weltrevolution.


"Revolution ist heute ein seltsam farbloser Begriff geworden. Die Emphase, mit der dieser Begriff einmal verbunden war, ist verschwunden. Die Revolution steht nicht mehr auf der Tagesordnung - weder in der Theorie noch in der Politik noch in der Kunst." So sprach Konrad Paul Liessmann auf dem NZZ-Podium Revolution während des diesjährigen Lucerne-Festivals, und illustrierte gleich, wie das kam - durch inflationären, konturlosen Gebrauch des Wortes, das längst aufgehört hat, ein Begriff zu sein.

Unter Revolutionen verstand das 18. Jahrhundert vornehmlich die Umdrehungen der Gestirne, bis das Wort 1789 eine politisch-weltanschauliche Bedeutung annahm, die ihm zwei Jahrhunderte lang erhalten blieb, undvon ihr konnte man nicht nüchtern abwägend sprechen, sondern nur mit Leidenschaft. Das ist vorbei, Liessmann beweist es.

Zunächst hatte das Wort noch einen guten Klang; nicht bei den Vertretern des Ancien Régime, aber wohl in den Ohren der aufstrebenden neuen herrschenden Klasse, der Bourgeoisie. Doch damit war schlagartig Schluss am Tag der Pariser Juniinsurrektion 1848. Von nun an kam die Revolution nur noch als die soziale, die rote in Frage. Als proletarische Weltrevolution, wie es im Kommunistischen Manifest hieß. Sie warf ihren Schatten aufalles, was seither auf Erden geschah. Und alle revolutionären Nebenströmungen in Kunst, Wissenschaft, Architektur und Lebensführung verdankten ihr Für und Wider ihrer jeweiligen Stellung zu ihr. Wo nicht seit der Pariser Commune, so spätestens seit dem Oktober 1917.

Das frühe zwanzigste Jahrhundert war die Epoche der Weltrevolution. Der Kriegsausbruch 1914 formalisierte nur, was sich seit 1905 angebahnt hatte: Der Weltmarkt, der unter britischer Hegemonie entstanden war, geriet aus dem Gleichgewicht. Ob der Neuankömmling Deutschland nun den ersten Schuss abgab oder nicht - er war der Störenfried, er war schuld an der Existenzkrise. 

Wäre die Weltrevolution möglich gewesen? Das ist eine Frage, die aus dem Begriffsistrumentarium der Marx'schen Theorie stammt, und nur in ihrem Rahmen ist sie diskutierbar. Wer das anders sieht, sollte nicht weiterlesen.

Die Geschichte ist keine nomothetische, keine Gesetzeswissenschaft. Wer sollte da Gesetze erlassen haben? Kein intelligenter Designer hat für uns ein Stufenmodell entworfen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Die Menschen machen ihre Geschichte wenn schon nicht unter frei gewählten Voraussetzungen, so doch letzten Endes selbst. Dass etwas nicht geworden ist, beweist nicht, dass es nicht werden konnte. Möglich, notwendig und unmöglich sind keine Kategorien der Wirklichkeit, sondern der reflektierenden Logik. In der Wirklichkeit kommt es auf den Versuch an.

Ist der Versuch gemacht worden? Im Oktober 1917 in Russland, im Januar 1919 in Deutschland und dann in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder mal hier mal da. Denn der Krieg hatte ein neues Gleichgewicht auf dem Weltmarkt nicht geschaffen. Deutschland lag darnieder, aber England war den Amerikanern in die Schulden- falle gelaufen, Geld musste her. Aus dem ausgebluteten Deutschland? Darauf konnte ein neues Gleichgewicht nicht gegründet werden, und am Pazifik zeichnete sich schon der Konflikt zwischen dem japanische Tigerstaat und den Vereinigten Staaten ab. Nicht zu reden von der unaufhaltsamen Revolution in den Kolonien...

Mindestens vom Anfang des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war die Revolution aktuell. Den Auftakt zum Zweiten gab die Revolution in Spanien, und wem bis dahin die stalinistische Leitung der Kommunistischen Internationale lediglich als ein Bremsklotz und Hindernis der Revolution vorkam, musste nun zusehen, wie sie zur aktiven Vorhut der Konterrevolution geworden war. "Die Sowjet- bürokratie ist endgültig ins Lager der Konterrevolution übergelaufen", hatte Trotzki vorhergesagt.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg? Ja, wann war er eigentlich zu Ende? War der Korea-Krieg nur ein Nachwehen des Zweiten oder schon der Vorläufer des Dritten Weltkriegs? War ein neues Gleichgewicht auf dem Weltmarkt geschaffen? Osteuropa war herausgefallen und auch das riesige China, in den Kolonien nahm die Unruhe noch zu, und Europa lag in Trümmern.

Es war gerade das Ungleichgewicht auf dem Weltmarkt und die unermesslichen Kriegsschäden, die den langan- haltenden Boom im Westen möglich machten; und den unvorhergesehenen Wiederaufstieg Westdeutschlands, den der neue Hegemon Amerika nie geduldet, geschweige denn gefördert hätte ohne den inzwischen eingetretenen Kalten Krieg! Der Kalte Krieg war der Garant des internationalen Status quo, der die Wiederherstellung des Weltmarkts überhaupt erst möglich gemacht hat, und die Amerikaner respektierten ihn gewissenhaft, wie im Juni 1953, im Oktober 1956 und noch im August 1968 augenfällig wurde. Nur Chruschtschows Abenteuer in Kuba war ein Ausreißer, und er hat es nicht lange überlebt.

Welchen Sinn hätte es, darüber zu streiten, an welchem Tag die Epoche der Weltrevolution abgeschlossen wurde? Zur Jahreswende 1989/90 war sie es gewiss. Hat sie im Mai 1968 oder während der Nelkenrevolution in Portugal 1974 nochmal kurz ein Chance gehabt? 

Das hätte man damals theoretisch diskutieren können, aber nur, um es praktisch zu erproben. Da es heute nichts mehr praktisch zu erproben gibt, ist auch für theoretische Retroflexion kein Anlass. Umso weniger, als im Verlauf der digitalen Revolution sich das Proletariat rein physisch auflösen wird, nachdem die Arbeiterbewegung politisch längst im Reich der Schatten versunken ist.

Mit der Folge, dass beim Wort Revolution keiner mehr eine Gänsehaut kriegt und sein Bedeutungsfeld bis ins Reich der Nachtwäsche ausgeweitet werden kann.
 


***

Auf meiner Homepage www.jochen-ebmeier.de habe ich eine Zeitungskontroverse dokumentiert, deren Anlass ein Beitrag von mir im war und in dem ich meinen Abschied von dem und von denen öffentlich machte, die sich, aller historischen Zäsuren unerachtet, weiterhin als “Linke” in Szene setzen. Klaus Lederer, inzwischen Berliner Landesvorsitzender einer Partei, die, obwohl sie aus der stalinistischen Tradition stammt, sich ebenfalls dieses Etiketts bemächtigt, hat mich damals in jünglingshafter Unart angegriffen. Meine Entgegnung auf meiner Homepage sei hier ergänzt durch drei Zeitdokumente.

Deutsche Frage 
und abendländische Leitkultur


Der Berliner PDS-Politiker Klaus Lederer veröffentlicht im Internet (www.Torpedokäfer.de / Verfassung Demokratie) eine Polemik gegen einen Artikel von mir, den sein Parteiblatt Neues Deutschland am 30./31. Januar 1999 gedruckt hatte. Unter dem Titel  Die Linke und neue Leitkultur? wurde Lederers Entgegnung damals vom Neuen Deutschland auszugsweise wiedergegeben (ebd. 13./14. 2. ´99), aber das hat ihm nicht gereicht. Also ging er ins Internet. Das missfällt mir, denn ich würde gern durch intelligentere Beiträge der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Ich kann es aber nicht ändern. Doch kann ich die Dinge ins rechte Lot bringen, indem ich den Originaltext dagegensetze – das ND wird es erlauben. Ich versage mir auch nicht, meine Antwort auf Klaus Lederers Antwort anzufügen – die hat das Neue Deutschland damals nämlich abgelehnt. Sie sei „zu lang“, hieß es; man bot mir an, meinen Text zu kürzen – gerademal (aber ausgerechnet) um denletzten Absatz!
                                                                                     

                                                  

Schily, Walser, Enzensberger und... 
...das Ende des deutschen Jahrhunderts

Ein Essay von Jochen Ebmeier 

 Als im November '89 in Berlin die Mauer fiel, da hieß es, nun sei die Nachkriegszeit endlich vorbei. Das ist fast ein Jahrzehnt her, und doch zeigt uns manche Meldung des Tages, daß zumindest die deutsche Frage immer noch ein kleines bißchen offen ist. Sind wir nun wohl ein Volk "wie alle andern"? Oder dürften wir es nicht - wenn wir es wollten? Und eigenartig: Nirgends zeigt sich krasser, daß doch manch ein Linker nicht mehr ist, was er war.

                          
  Schily...

Voran Otto Schily. I wo, "das Boot ist voll" hat er niemals gesagt, wo denkst du hin, deutscher Wähler! Er hat lediglich gemeint, ein Einwanderungsgesetz sei gegenwärtig nicht vordringlich, denn 
zur Zeit müßten wir ja ohnehin "die Zuzugsrate gleich Null setzen". Ach so, das Boot ist nur "zur Zeit" voll! (Ob aber Schily während seiner Amtszeit den Tag erlebt, wo...?) Und überhaupt ginge es ja nicht darum, was er sich wünscht, sondern, wie es fauldeutsch heißt, um die "Akzeptanz in der Bevölkerung". Ja, er selber wäre schon für die multikulturelle Gesellschaft, aber wenn die "Bevölkerung" (wo sonst läßt sich ein Staatsvolk wohl so nennen?) sie nicht will, dann... geht's nicht. Schau einer an! Das nenn' ich einen kühnen Entwurf.


                  

Als Programmlosung war " Multikulti " eine Lüge, und zwar unabhängig von Stimmungen. Die europäische Zivilisation ist universalistisch, weil sie... abendländisch ist. Die normative Idee der Person - und, als ihre Rückansicht, die von einem geordneten öffentlichen Raum als dem Ort ihrer Anerkennung - ist der Grund der abendländischen Kultur. Es ist die Scheidung der Lebenswelt in einen öffentlichen und einen privaten Bereich, die bürgerliche Freiheit möglich macht - und damit die Pluralität der Lebensstile. Das setzt freilich voraus, daß im öffentlichen Raum die abendländische Prämisse gültig bleibt: der normative Rang der Person. Diese Prämisse macht die westliche Kultur zwar einerseits universalistisch, aber unterscheidet sie andererseits von allen anderen. Sicher war sie immer wieder in Gefahr und muß verteidigt werden. Eben! Die Menschenrechte sind westliche Kultur, und sie gelten entweder universell, und also in China, Chile oder Kurdistan, oder sie gelten gar nicht. Das heißt, neben ihnen kann nichts anderes gelten. Und wie im Großen, so im Kleinen. Der öffentliche Raum gehört allen zugleich, und nicht stückweise diesen oder jenen, und seien die Stücke noch so launig oder bunt.
                               

Das Lügenwort von der multikulturellen Gesellschaft dient der Heuchelei. Das Problem in Deutschland sind gar nicht die Ausländer. Etwa Italiener, Spanier, Griechen? Oder Franzosen und 
Holländer? Man tut so, als handle es sich um Verfassungsfragen, die grundsätzlich und gesinnungshaft zu erörtern wären - um sich an konkreten Aufgaben

vorbeizudrücken. Es geht um die Türken. Eine millionenköpfige nationale Minderheit, deren Einführung in die deutsche Kultur auch in der dritten Generation noch keine vorzeigbaren Fortschritte gemacht hat. "Multikulti" bedeutet nur: Man darf den Türken gar nicht zumuten, sich in die deutsche Kultur hinein zu begeben. (Daß das Schlagwort bei den meisten Repräsentanten der türkischen Gemeinden in Deutschland weniger populär ist als bei der rhetorischen  Linken, läßt aber hoffen.)

                  
Richtig ist freilich dies: Für die Integration einer Minderheit in ein fremdes Wertgefüge wäre deren Selbstgewißheit sicher eine günstigere Voraussetzung als ihr Zweifel an der eigenen Identität. Mit ihrer Identität haben es die Türken allerdings schwerer als andere Völker. Eine türkische Nationalkultur gibt es eigentlich erst seit Kemal Pascha. Ihr Rahmen ist die zentralistische weltliche Republik, und ihr Gründungsakt war der Völkermord an den Armeniern und die Vertreibung der griechischen Urbewohner von der ionischen Küste vor einem dreiviertel Jahrhundert. Der Versuch, diese dünne Basis historisch zu fundieren, führte entweder in die islamistische oder in die rassistische,"panturanische" Richtung der Grauen Wölfe. In beiden Fällen rührte er an die Grundlage der modernen Türkei. Kein Wunder, daß Türken sich in fremder Umgebung unwohl fühlen. Und wenn dann noch die Kurden dazu kommen...


Auch sonst ist die türkische Volksgruppe in Deutschland ein Unikum. In keinem andern Land der Welt lebt eine nationale Minderheit, die mit ihrem Gastland historisch überhaupt nichts zu tun hat! Reden wir nicht von den Afrikanern in Amerika. Die Inder in Ostlondon und die Algerier in der Pariser Banlieue verbindet mit ihrem Gastland - im Bösen wie im Guten - eine gemeinsame koloniale Vergangenheit. Die kulturellen Eliten Indiens und Nordafrikas hatten in England und Frankreich studiert und fanden ihren Stolz darin, beide Kulturen gegenüber der jeweils anderen Seite zu repräsentieren. Eine ähnlich vermittelnde Elite haben die deutschen Türken noch nicht hervorgebracht. Nicht zuletzt wohl aus dem genannten Grund - aber umso nötiger wäre es.

Wer sagt den Kindern der dritten Generation, wie sie sich benehmen sollen? Wie sie sich in der Türkei benehmen müßten, wissen ihre Eltern auch nur aus Erzählungen; wie sie sich in Deutschland benehmen sollen, können sie ihnen überhaupt nicht sagen. Das müßten schon die Deutschen selber tun. Und das ist der springende Punkt. Die Deutschen, die, aller „geistig-moralischen Wende“ unerachtet, seit '68 den öffentlichen Ton angeben, können den Satz wie man sich in Deutschland benimmt ja gar nicht aussprechen, ohne zu stottern! Schon wenn sie "Deutschland" sagen sollen, müssen sie husten. Da konnte man im Sommer 1990 auf dem bröckelnden Hausputz in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzelberg die kecke Losung "Nie wieder Deutschland!" finden. Doch so anarchistisch radikal, wie es klang, war es nicht gemeint. Es sollte nur heißen: In unsern Nischen war's doch recht bequem.

Und so kommen wir zu

...Walser

Also wir sind jetzt wieder eine Nation - wie alle anderen. Nicht trotz Auschwitz sind wir es, sondern wegen Auschwitz sind wir es mehr als die anderen. Nicht, weil wir uns, qua Sippenhaft, mit allen Deutschen schuldig fühlen müßten. Sondern schlicht und einfach, weil wir dazugehören: Mit Auschwitz verbindet mich so viel und so wenig, oder so wenig, aber auch so viel wie mit Goethe, Beethoven und Kant; und mit den Juden Marx und Luxemburg. Alles in allem ist es viel. So viel, ach, wie kaum eine andere Nation zusammenhält.

Die deutsche Teilung bot die Gelegenheit, sich nach Auschwitz aus der Nation heraus zu stehlen. Da folgte aus dem völkerrechtlichen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik einerseits die sogenannte"Wiedergutmachung", andererseits eine postume innere Emigration der (damals) 

heimatlosen Linken; recht eigentlich eine Komfortversion davon, denn sie fand coram

 publico statt. Dann kam das Jahr '68 und die Abrechnung mit der Generation der Väter. "Wo warst Du eigentlich damals?" hieß es in vielen Wohnzimmern, und in noch mehr anderen blieb es ungesagt in der Luft hängen, was die Sache nur schlimmer machte. Das war wohlbemerkt nicht bloß ein - wiewohl allgemeines - Familienproblem. Die (wenigen) Kinder aus den Familien der Opfer hatten es nicht besser: Wohin wir blickten, zum Nachbarn, zum Straßenbahnschaffner, auf unsre Lehrer oder auch die nette Verkäuferin im Spielzeugladen - wir waren von Erwachsenen umgeben, die alle in unfaßlicher Weise Schuld hatten. Und das Schlimmste: die meisten nicht einmal aus Verblendung, sondern aus gewöhnlicher Feigheit. Also die sollten uns zeigen, wie es in der Welt ist? So war die Grundstimmung einer ganzen Generation, und im Jahr '68 kochte sie über. Nicht in Frankreich oder USA, sondern in Deutschland fand in jenem Jahr eine Kulturrevolution statt.

Freilich auch nur im Westen. Die eigentliche Teilung Deutschlands geschah 1968. Die DDR nahm sich aus dem nationalen Erbe, was ihr paßte. Sie hatten Weimar; sollten sich die andern mit Auschwitz plagen! Ein alter Nazi mit neuem Parteibuch war nie ein Nazi gewesen. Es gab nichts zu bewältigen. So brauchte denn die NVA auf Stechschritt und Präsentiermarsch nicht zu verzichten. Und der bequemere Teil der Linken im Westen mußte nicht lange heimatlos bleiben. Sie waren gleich zweimal zuhause. Den Kühlschrank im Westen und das beruhigte Gewissen drüben im Friedenslager: damit "von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht". Nur in dieser Verneinung durfte Deutschland noch vorkommen. Im übrigen ;aber waren "die Nation historisch überlebt" und die Deutschen nur noch Bevölkerung... Und gegen die Zweifler in jenem Landesteil, wo Zeitungen schreiben konnten, was sie dachten, schwangen die Gerechten ihre Moralkeule: Auschwitz als Erpressung!

Walser weiß, von wem er redet. Aber Bubis hat ihn mißverstanden. Der dachte, er redet von Geld. Doch warum hat Walser nicht gesagt, wen er meint? Weil noch nicht so lange her ist, daß er selber dazu gehörte. Es ist ehrbarer, daß einer seine Meinung ändert, als wenn er den Torheiten seiner Jugend eitel Treue hält. Doch glaubwürdig wird es, wenn er uns wissen läßt , welcher Weg hinter ihm liegt. Stattdessen redet Walser von seiner Befindlichkeit - daß ihm die Augen weh tun und daß er wegsehen muß.
                                

Aber immerhin: Er hat nicht bis zum Mauerfall gewartet, um zu sagen, es eine deutsche Frage gab, die offen war. Das war ein Geschrei, damals! Irr' ich mich, oder war da von geistiger Brandstiftung die Rede? Heut sagt er, er kann's nicht mehr hören. Es klang aber so, als sollten wir nicht länger davon reden. Was wäre das überhaupt - ein Schlußstrich ? Der Mantel des Vergessens? Ein Mahnmal wäre kein Schlußstrich, sondern ein Ausrufzeichen. Auch ein solches markiert den Abschluß einer Periode. Es zeigt an, daß Auschwitz nun Geschichte ist. Aber eben unsere Geschichte. Neben den Dicherfürsten vorm Weimarer Theater und dem Hermann im Teutoburger Wald noch ein nationales Monument; es würde sonst etwas fehlen.

Der hervorragende Zug im deutschen Nationalcharakter ist, spätestens seit dem 30jährigen Krieg, seine Zerrissenheit. Was "das Deutsche" sei, war daher immer umstritten. Doch daß es seit Auschwitz gar nichts mehr sein sollte, war faul und feige. Unter solchen Vorzeichen nun die türkische Minderheit bei uns aufzunehmen, wäre ein Kraftakt, auf den sich unsere gezeichnete Nation wieder etwas einbilden dürfte. Allerdings müßte die Herausforderung dazu als eine nationale erkannt werden. Die doppelte Staatsbürgerschaft würde sie eher vertuschen. Wie sollte es unter der Hegemonie des gemeinlinken Diskurses aber auch anders gehen?

Enzensberger...


Auch Enzensberger hat einen Preis bekommen und eine Rede gehalten. Aber er sprach weniger von seinem Befinden als von Sachverhalten. Das hat zwar nicht so viel Betroffenheit berührt, hat dafür aber mehr allgemeine Bedeutung. Verknappt kann man ihn so wiedergeben: "Links" ist nur noch der gemeinsame Nenner aller Zukurzgekommenen; und er ist gar nicht so klein. Und es geht ihnen gar nicht so schlecht. Für den zeitgenössischen Linken besteht die Welt zuerst einmal aus Opfern - und daher muß es zweitens auch Täter geben: die Andern. Täter wird man auch durch Nichttun; also durch falsche Gesinnung ("fehlendes Bewusstsein"). Ein Linker wird man aber durch das Outen von Opfern und die Bereitschaft, für sie ein-, d. h. aufzutreten - sowie durch Namhaftmachung von Tätern. Der Auftritt, die Pose: das nennt Walser die "Instrumentalisierung von Auschwitz".






Historisch hat "links" mit Caritas und Sorge für die Bedürftigen gar nichts zu tun. Der Ausdruck stammt aus der Sitzordnung der französischen Abgeordnetenkammer unter der bourbonischen Restauration. Rechts saßen die Vertreter der dynastischen Legitimität, links saßen die, die (noch) der Revolution anhingen. Und so blieb es. Links und rechts definierten sich durch Nähe oder Ferne zur Revolution. Zur demokratischen zunächst. Dann, mit der Pariser Juniinsurrektion 1848, zur sozialen, "roten". Hatte sich nicht im Proletariat, wie es in dem eben erschienenen Kommunistischen Manifest beschrieben stand, ein besonderer Stand herangebildet, der schon keiner mehr war, der in sich die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft darstellte, und dessen partikulare Interessen daher in eins fielen mit dem Freiheitsinteresse "des" Menschen? Seither datiert das besondere Verhältnis der Linken zur Arbeiterschaft. Aber nicht, weil sie bedürftig, sondern sofern sie revolutionär war.

Sofern!


Die Aktualität der Revolution war nach der Pariser Kommune die stille, nach dem Oktober 1917 die  ausdrückliche Prämisse aller Politik. Das 20. Jahrhundert kündigte sich an als "Epoche der Weltrevolution". Daraus ist dann nichts geworden. Die Arbeiterbewegung beschied sich nach ihrem revolutionären Fehlstart in Rußland mit dem ihr Nächstliegenden, der Versorgung der dringendsten Not und der Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse. "Hineinwachsen" in die Marktwirtschaft, durch die regulierten Kanäle von Gewerkschafts- und Parteiapparaten und eines aufnahmefähigen Öffentlichen Diensts - das war der wirkliche Ausgleich der Klassengegensätze, war der realexistierende Sozialismus. Mit dem Untergang der Sowjetunion ist das Ende der Weltrevolution dann gewissermaßen auch amtlich geworden.

Gemeinsam mit der revolutionären Prämisse entfällt das privilegierte Verhältnis der Linken zur Arbeiterschaft. Ohne Revolution keine "Bildung des Proletariats zur Klasse", und ohne diese kein Klassenkampf. Die Interessen der Arbeiter sind ständische Interessen und so gut oder schlecht wie die andern. Der Ruf nach Gerechtigkeit allein macht noch keine Linke. Denn die beansprucht jeder, doch meint nicht jeder dasselbe damit. Daß allen dasselbe zukommt, meinen nur die Zukurzgekommenen - bis sie selber mehr haben. Mit der Revolution ist der Linken ihr logischer Grund verloren gegangen. Daß Enzensberger einen Schlußstrich zieht und mit den Phraseuren nicht länger zu tun haben will, ist die richtige Konsequenz eines, der es ernst gemeint hat.

...und das System von Jalta                                   
 
Mußte aber die russische Revolution scheitern? Ist die Weltrevolution an innerer Schwäche versandet oder an Widersprüchen zerbrochen - und an welchen? Nach den Wirkungen kennt man, mit Nietzsche zu reden, andere Ursachen als davor. Daß dies und jenes geschehen ist, besagt ja nicht, daß nichts anderes hätte geschehen können. Daß in Rußland eine Weltrevolution begonnen hatte, stand jahrzehntelang nicht in Zweifel, den einen zur Hoffnung, den andern zum Greuel.

Die deutsche Novemberrevolution sollte das zweite Kapitel werden, aber sie kam zum Stillstand. Und nach ihr die russische: Der Sozialismus in einem Land kam auf die Tagesordnung, die Weltrevolution wurde vertagt. Ohne Stalin wäre Hitler nicht an die Macht gelangt. "Der Schlüssel zur internationalen Lage liegt in Deutschland", schrieb Leo Trotzki unmittelbar vor Hitlers Sieg, und behielt recht bis zur Neige des Jahrhunderts. Denn ohne Hitler hätte sich Stalin nicht gehalten. Gemeinsam haben sie der Weltrevolution den Garaus gemacht, übers Grab hin-aus. Die Spaltung der Welt in zwei Blöcke, der Eiserne Vorhang, die Aufteilung Europas und die "deutsche Zweistaatlichkeit" waren beider Erbe. Die Fellow travellers im literarischen Salon wußten es zu danken: reinen Gewissens immer auf der richtigen Seite, ohne je ernst machen zu müssen. 
                                           
Das System von Jalta war die Grundlage für das Parteiengefüge in Nachkriegs-Europa. Als Kriterium für rechts und links war anstelle der Revolution ihre Kümmerform, der "Wettbewerb der Systeme" getreten. Gegenüber standen sich Atlantiker und Friedensfreunde. Populistisch waren sie alle: Es galt, Wahlen zu gewinnen. Unser soziales Netz, das wir heut kaum noch bezahlen können, wurde unter Adenauer und Erhard geknüpft. (Der Liberalismus überlebte als Mehrheitsbeschaffer.) 

Und das ist mit dem Fall der Berliner Mauer alles vorbei: In ihr war der "Sozialismus in einem 
Land" concrete geworden. Mit der Spaltung Europas verfiel die deutsche Teilung, die krampfhaft geleugnete deutsche Frage löste sich „wie von selbst“. Im mühsam vereinten Europa werden sich die Parteien neu gruppieren müssen. Und will es Bestand haben, muß es mehr werden als ein Binnenmarkt mit Schengener Außengrenze; nämlich Abendland - als der Raum, in dem die Briten Briten, die Franzosen Franzosen, die Italiener Italiener und die Deutschen Deutsche sein können, ohne einander zu nahe zu treten. Ironischerweise ist es die Überwindung des Nationalstaats, die den Deutschen erlaubt, eine Nation zu sein, ohne es rechtfertigen zu müssen. Es wurde auch teuer bezahlt. Ohne Übertreibung wird man das zu Ende gehende Jahrhundert, als Epoche der gescheiterten Weltrevolution, ex negativo das deutsche Jahrhundert nennen können.

                     
Und stiftet das etwa keine Identität?                                           


Zwiespalt ist unser Nationalcharakter    

[vom "Neuen Deutschland" abgelehnt]                                                                             

  "Der hervorragende Zug im deutschen Nationalcharakter ist, spätestens seit dem 30jährigen Krieg, seine Zerrissenheit. Was 'das Deutsche' sei, war daher immer umstritten." Klaus
Lederer ist anderer Meinung. Er weiß genau, was typisch deutsch ist: "Konformität, Treue, Rechtschaffenheit und Anständigkeit". Allerdings handle sich's dabei um "Sekundärtugenden", mit denen wir uns zur "Aufklärung und der mit ihr verbundenen Individualität" in einen Gegensatz stellen. Bei anderer Gelegenheit wolle er uns erklären, was Anständigkeit mit Konformität zu tun hat und inwiefern sie mit Individualität unvereinbar sei (mit meiner ist sie's nicht). An dieser Stelle bestreite ich ihm nur die Befugnis, das "typisch Deutsche" in drei Worten zu erschöpfen. Was hat nicht alles schon - und mit demselben Recht! - als "typisch deutsch" gegolten: Pedanterie und Überschwang, Plumpheit und Poesie, Innerlichkeit und Aggression, gemütliches Selbstgefallen und himmelstürmender Größenwahn, Tiefsinn und Technik, Dumpfheit und Dialektik, Romantik und Realpolitik, der gottergebene Fleiß des Ackerviehs ebenso wie faustisches Genie; Beamtendünkel und versonnene Philosophen, Kunst und Ursprung, Dämon und Philister; Weltanschauung und Schrebergarten, Todesverachtung und Vollwertkost. Aber alles gründlich!


Gegensätze gibt es wohl auch bei den andern. Doch als typischwird dort jeweils nur eins von beiden gelten. Bloß für uns sind die zwei Extreme immer gleich-charakteristisch:"Daß der Deutsche doch alles zum Äußersten treibet / Für Natur und Vernunft selbst, die nüchterne, schwärmt!" heißt es in Goethes Zahmen Xenien, und die zwei Seelen, ach, in seiner Brust kann ein Deutscher gar nicht mehr nennen, ohne daß klingt. 'Das Deutsche' ist immer auch... das Gegenteil; seinem Wesen nach offenbar unbestimmt, aber das mit aller Schärfe. Nein, lieber Klaus Lederer, der deutsche Michel ist nicht das ganze Deutschland. Dazu gehören noch Kant und Fichte, Marx und Engels, Schopenhauer und Nietzsche - lauter, mit Verlaub, radikale Denker! Diese Radikalität ist sicher nicht für jeden Deutschen - Sie, Jörg Schönbohm oder mich - typisch. Aber sie kommt doch nur bei uns vor. Nämlich immer da, wo sich deutscher Tiefsinn mit abendländischem Scharfsinn paart. Auch der Hang zu Endlösungen stammt freilich aus dieser Mischung.


Wär da nicht die "multikulturelle Gesellschaft" das probate Gegenmittel? Doch leider ist das nur eine journalistische Wortblase. Schillernd, aber ohne Inhalt. Wenn in einer Gesellschaft unterschiedliche Wertsysteme nebeneinander bestehen, miteinander konkurrieren und einander womöglich wechselseitig "aufheben" können, dann ist das - und nicht irgendwas sonst - eben ihre Kultur. Eine "ökumenische", alias universalistische Kultur. Die ist aber, nicht wahr, nur möglich unter dieser Voraussetzung: der Scheidung der Lebenswelt in ein öffentliches und ein privates Reich. Nur da wird das Individuum zur Person, wo ihm seine Freiheiten garantiert sind durch einen rechtlich verfaßten öffentlichen Raum. Person wird das Individuum erst durch Anerkennung. Öffentlichkeit ist die Instanz, wo sich die Meinungen aus Gründen rechtfertigen müssen, wenn sie als persönlich gelten sollen; und ist der Platz, wo die Werte - die moralischen wie die ökonomischen - sich im Wettbewerb, in der Krisis vergesellschaften. 



Es ist die Problematizität konkurrierender Werte, die eine Kultur unter Spannung setzt und dem Einzelnen eine Wahl, nämlich eine persönliche Bildung abverlangt. So, und das ist das Kennzeichen des Abendlands. Nicht, dass es immer so war, sonderndaß es schließlich so geworden ist, aber auch nicht erst seit gestern, sondern in einer jahrtausendelangen Geschichte. Konnte das, lieber Klaus Lederer, in Vergessenheit geraten - bloß weil die DDR in dieser Hinsicht, wie André Brie meint, "noch totalitärer" war als der Nationalsozialismus? Der versuchte Ausstieg aus dem Abendland hat sechsundfünfzig Jahre gedauert. Vor knapp zehn Jahren ist er zum zweiten Mal und endgültig gescheitert. Das war doch ein Glück, oder?

                            
Nicht, daß die Türken in Deutschland eine andere, gar eine morgendländische Kultur haben, ist das 

Problem. Die haben die Inder in England und die Algerier in Frankreich auch. Sondern daß sie sich in drei Generationen zu einer nationalen Minderheit stabilisiert haben, deren Integration noch auf sich warten läßt . Die Losung von der multikulturellen Gesellschaft steht im Gegensatz zur Integration - die eine erst noch zu bewältigende Aufgabe wäre. Wenn nach allem, was wir Deutschen uns in diesem Jahrhundert aufgeladen haben, jemand den Mut hat und allen Ernstes einer von uns werden will - das können wir ja nur begrüßen, und selbst die CSU ist, wie ich höre, inzwischen dafür. Wenn er mal nur weiß, worauf er sich da einläßt! Oder wird er uns gar sagen: "Auschwitz? Da will ich nichts mit zu tun haben!"
                                
Ach, dabei fällt mir ein - die "multikulturelle Gesellschaft" haben sich Mitte der achtziger Jahre ein paar ergraute 68er in der Kreuzberger Alternativen Liste ausgedacht. Die meinten auch, die Nation sei "historisch überlebt" und hielten die "deutsche Zweistaatlichkeit" für eine Gewähr, "daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht". Damals kam es auf, von den Deutschen als von der "Bevölkerung" zu reden: Wie nach dem 30jährigen Krieg war Deutschland "nur ein geographischer Begriff" - aber es gab noch Leute, die seinen Boden bevölkerten. Im Ernst: Die "multikulturelle Gesellschaft" wurde nicht um der türkischen Minderheit willen ausgeheckt, sondern damit sich die bequeme Linke, als sie sich aus der deutschen Geschichte davonstahl, dabei auch noch ihrer Kühnheit brüsten durfte: faul und feige!
                              

Vier Jahrzehnte lang haben die Türken in Deutschland in der Vorstellung gelebt, sie wohnten auf gepackten Koffern. Aber jetzt werden Enkel, bald schon Urenkel hier geboren! Eine lebenslange Subkultur in der Schwebe zwischen zwei Welten - das entnervt und demoralisiert. Immer schärfer wird darum in den türkischen Gemeinden der Konflikt zwischen denen, die sich integrieren, und denen, die sich absondern wollen. Das ist ganz normal und völlig in Ordnung. "Schwebende" Staatsangehörigkeiten müssen die Ungewißheit verewigen und das Dilemma vertiefen. Doch jene, die gegen die Integration und für das "Identität wahren" optieren, landen im Lager der islamischen Integristen oder der Grauen Wölfe - weil sie eine andere Alternative nicht haben. Darf ichsnoch einmal sagen? Die abendländische Kultur ist universalistisch, aber gerade darum nicht beliebig. Mit Rassismus und Integrismus verträgt sie sich nicht.
                                 
Klaus Lederer klärt mich auf, daß die westliche Zivilisation nicht gerade ein Produkt deutschen Wesens sei. Ich revanchiere mich mit dem Hinweis, daß nichts desto weniger das abendlän-dische Prinzip nirgends weiter getrieben wurde als bei uns. Nicht durch unser Verdienst, im Gegenteil: als unser Schicksal. Nämlich durch die Erblast der deutschen Zerrissenheit.Nirgend sonst stoßen die gegensätzlichen Elemente der abendländischen Kultur so hart aufeinander wie hier; nicht vermittelt in einem Medium, sondern bei einander gehalten unter einem Spannungsbogen. Die reichste Kultur ist die, wo die Anordnung, die Umordnung der Werte prozessierend immer wieder neu geschieht - in der Öffentlichkeit. Sie ist das Fegefeuer, die Krisis in Permanenz. Öffentlichkeit ist allerdings nicht unsere stärkste Seite. Im Gegenteil. Immer litten wir unterm Provinzialismus und dem Mief unserer "Milieus". Hier die Waldsiedlung Wandlitz, dort das U-Boot Bonn. Doch immer weniger können wir uns das leisten in der neuen Berliner Republik - vom neuen Europa ganz zu schweigen.  
                                  
Ich will auch die Frage beantworten, warum ich Marx und Luxemburg "heranziehe". Da heißt es
 immer, die Idee der Weltrevolution sei eine orientalische Heilslehre gewesen und eigentlich ein Fremdkörper im Abendland. Dabei ist sie in Wahr-heit die abendländische Idee parexcellence: der Jüngste Tag, wo Alles an die Öffentlichkeit kommt und gerichtet wird. Sie ist, als Moment gedacht, das, was die bürgerliche Gesellschaft als Prozeßwirklich ist: Krisis. Eine Welt, eine Öffentlichkeit - und nur noch eine Nation! Nicht zufällig wurde sie von zwei deutschen Emigranten erdacht, dem Sohn eines Pietisten und dem getauften Enkel eines Rabbiners. (Sie ist gelegentlich auch als eine Endlösung aufgefaßt worden.)                  


propos. Auch an dieser Stelle hat Klaus Lederer etwas gelesen, das ich nicht geschrieben habe: Der Linken eine "neue Identität" anzudienen, liegt mir ferne. Im Gegenteil sage ich allen, die es nicht hören wollen: Mit dem Ende der "Aktualität der Weltrevolution" hat die Linke ihre Seinsberechtigung verloren; punctum. KlausLederer gehört zu denen, die es nicht hören wollen. Darum wiederhole ich es. Er gehört zu denen, die auf jeden Fall entschlossen sind, "links zu bleiben". Inzwischen wird ihnen selbst die "Gerechtigkeit" von Leuten streitig gemacht, die meinen, Investitionen in die Zukunft seien eine gründlichere Sozialpolitik als das Bedienen von Bedürftigkeiten. Macht nichts. Wenn Euch alle Gründe "wegbrechen" wie die osteuropäischen
Märkte - es bleiben ja immer noch die Windmühlenflügel des "Nationalismus und Chauvinismus", an denen Ihr Eure papiernen Lanzen brechen dürft: "Nie wieder Deutschland!" Oder auch, wie war's in der Nische doch jemütlich... Tja, Provinzialismus und Mief des Milieus - eine ganze Partei lebt davon. Zum Glück gibt es "Tendenzen", die dagegen unseren Nationalcharakter mobil machen. Sind wir gefährlich? Na, will ich doch hoffen.                           


[20. Februar 1999]

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Viele von denen, die im Jahre´68 dem Charme der Weltrevolution erlegen waren, haben in den folgenden Jahren – die einen in der Schmidt-Ära, die andern erst unter Helmut Kohl – nach und nach allerhand Wasser in ihren Wein getan. Ganz bis rechts außen hat’s gottlob nur wenige verschlagen, bekannt  sind eigentlich nur zwei Fälle. Die meisten haben sich grün, alternativ und schadstoffarm ins Reich der besserverdienenden Philister heimgeschlichen.


Ein paar mochten aber trotz Wind und Wetter auf ihre linke Identität nicht verzichten. Die meisten davon sind mittlerweile in den westdeutschen Landesverbänden von Klaus Lederers Partei untergekommen. Ganz wohl wird  keinem dabei gewesen sein, und mancher suchte ganz speziell für sich nach einer brandneuen Rechtfertigung. Für so einen hat mich Klaus Lederer (und wohl auch die Redaktion des ND) gehalten.

Ich bin aber kein Achtundsechziger. Ich war damals fast schon einVeteran der “Alten” Linken und habe der “Neuen” nie getraut. Darum hat mich später die Änderung der Großwetterlage auch nicht beeindruckt. Im Jahr 1990 hat sich dann aber mehr geändert als bloß die Witterung. Mit dem Hinscheiden der letzten verbliebenen formalen Hinterlassenschaften der Oktoberrevolution ward es unübersehbar: Wir leben jetzt nicht mehr in der “Epoche der Weltrevolution”. Über die Welt danach kann man vernünftigerweise nicht dieselben Wörter sagen, wie über die Welt davor. Dem habe ich Rechnung getragen. Und ich wollte mich nicht klammheimlich davonstehlen, als wär nix gewesen. Darum habe ich im Neuen Deutschland jenen Artikel veröffentlicht.


Aber da bin ich auch auf jene gestoßen, die beleidigt sind, weil sie nun doch nicht auf der Siegerseite der Geschichte stehen.


Ihr Dünkel ist freilich ungebrochen: Auf der richtigen Seite stehn sie allemal, schon von Hause aus. Klaus Lederer hat ihnen seine vorlaute Stimme geliehen. Vielleicht ist er zu jung, um 1990 selber auf irgendeiner Seite gestanden zu haben. Dann soll er aber den Mund nicht so voll nehmen und sich fragen, ob die richtige Seite, auf der er heute steht, wohl damals die richtige war! Und ob nicht ihr Los, über das sie laut lamentieren, noch viel besser ist, als sie’s verdienen…



[Unter den Papieren in meinem Schreibtisch fand sich folgende Notiz vom 18. 8. 1988:]

Ist die Epoche der Weltrevolution wiedereröffnet?

Der erste Weltkrieg war nur scheinbar ein Kampf Deutschlands gegen Großbritannien, um dessen Erbe als Hegemonialmacht der Welt anzutreten: den Weltmarkt nach seinen ;Interessen neu aufzuteilen; in Wahrheit – und das Resultat hat es gezeigt – war es (bereits) ein Kampf zwischen Deutschland und… den USA  um dieNachfolge des Britischen Weltreichs.

Warum sonst hätten die USA auch in den europäischen Krieg eingreifen sollen? Es war die Gelegenheit, mit mäßigem Aufwand England zu beerben, das ohne die amerikanische Intervention die deutsche Vormacht auf dem Kontinent – Brest-Litowsk hat es gezeigt – gar nicht hätte verhindern können, und dem damit: mit dem Verlust seiner europäischen Schiedsrichter-Rolle, der “Schlüssel ” zu seinem Weltreich aus den Händen geglitten wäre – was er dann auch so getan hat; aber nun waren es nicht Willem Zwo und Krupp, die ihn aufgefangen haben, sondern die Herren der Wallstreet.


Aber das Entscheidende: Am Ende des I. Weltkrieges stand eben nicht die Ersetzung eines Gleichgewichtssystems – des britischen – durch ein anderes – das amerikanische -, sondern vielmehr der Verlust des Gleichgewichts; wobei die Desorganisation der europäischen Märkte durch die Revolution ausschlaggebend war: die Entstehung des Sowjetstaats und die langandauernde revolutionäre Krise bis 1923.


*

Immerhin war der Versailler Vertrag kein “Friedens”-Regelung, die die neuen, wirklichen Kräfteverhältnisse kodifiziert hätte, sondern beruhte auf der einstweiligen Erschöpfung der kriegführenden Parteien in Europa (aber eben nicht in Amerika und Japan). – Oder sollte man doch eher so sagen: das Versailler System war weniger das Ergebnis eines Sieges der Entente, Sanktion ihres tatsächlichen militärischen Übergewichts, als vielmehr eines Zusammenbruchs der Mittelmächte unter der Revolution? So ist es ja schließlich wirklich gewesen: Die Revolution war in der Tat ein “Dolchstoß” – aber nicht in den Rücken der kämpfenden Truppe, sondern in den Bauch des Militärbonapartismus…

Jedenfalls war der Versailler Frieden nicht die Grundlage für ein neues ‘Gleichgewicht’, weil weder Frankreich noch auch Großbritannien genügend ökono-misches Gewicht hatten, umder Rolle gerecht zu werden, die sie sich in Versailles gegenseitig zugewiesen hatten. Und Amerika hatte sich ja noch vorsichtig aus den europäischen Angelegenheiten wieder zurückgezogen. (Welche Rolle the Red Scare dabei gespielt hat, wäre noch zu untersuchen.)


So war die Zeit 1919 – 1939 nur eine Verschnaufpause, und der “Zweite” Weltkrieg war in Wahrheit nichts als die verzögerteVollstreckung des ‘Ersten’: den Kampf zwischen Deutschland und Amerika zu entscheiden; und das war der Sinn der “Epoche der Weltrevolution”: zu entscheiden, ob der Kampf um die imperialistische Reorganisation des Weltmarkts zu Ende ausgetragen werden würde, oder ob nicht zuvor der Imperialismus selber liquidiert werdenkönnte?! – Nun ist zunächst durch das Tandem Hitler-Stalin die Weltrevolution liquidiert worden, und prompt – nämlich nach Spanien – konnte der Weltkrieg 1939 da weitergeführt werden, wo er 1918 hatte vertagt werden müssen: sogar in Asien. Der Weltmarkt war durch den Krieg ‘14-18 verengt worden – um gut ein Drittel (!) – und hat sich mangels neuem Gleichgewicht bis zum zweiten Waffengang nicht wieder erholen können (Krisen ‘23, ‘29. ‘36); also war es gar nicht möglich für die zu spät Gekommenen – Deutschland, Japan, Italien -, sich einen Platz an der Sonne ohne Krieg, durch friedliche Wettbewerb still und leise zu “erarbeiten”: Das geht nur, solange der Kuchen, der verteilt werden soll, wächst;ansonsten muss er eben neu aufgeteilt werden, und das ging nur global.* Dass der Krieg ein Weltkrieg war, war darum unvermeidlich, und ebenso, dass die Herausforderer ihn unter faschistischen Formen vorbereiten mussten. . *


So inauguriert das Potsdamer Abkommen, an dem die Besiegten nun nicht einmal mehr beteiligt sind, die Neue Epoche: dasamerikanische Zeitalter, abgesegnet durch Bretton Woods und die Ansiedlung der UNO am Hudson River; es ist zugleich aber auch das Zeitalter des Kalten Krieges, der globalen militärischen Rivalität mit der Sowjetunion – spätestens seit der chinesischen Revolution, als der letzten Konvulsion des asiatischen Krieges.


Aber die Voraussetzung dieser prekären Friedlichen Koexistenz war eben… das Ende der Weltrevolution, ihre ‘Vertagung’ ad calendas graecas.
*


Diese Epoche hat nun vier Jahrzehnte gedauert, und jetzt geht sie offenkundig ihrem Ende entgegen. Unterm Schirm der Pax americana hat Deutschland sein altes Programm: die ‘Neuordnung Europas’, ebenso zum Ziel gebracht wie Japan das seine: die Ostasiatische Wohlfahrtszone.


Wo kann das hinführen? Ist denn anzunehmen, dass die Konkurrenten sich in infinitum schiedlich-friedlich immer wieder auf die Umverteilung der Marktanteile werden einigen können – zumal, wenn eine sinkende Profitrate – wie es gegenwärtig den Anschein hat, wie 1913! – den “Verteilungsspielraum” schrumpfen lässt? Die Zeit, wo die gemeinsame Frontstellung gegen den Weltkommunismus die Schäfchen immer wieder zu friedfertigem Blöken unterm Nuclear shield der größten Militärmacht traut vereinigen konnte, sind ja nun wohl vorbei.

*


Denn die “Perestroika” hat mit der Allunionskonferenz vom Juli d. J. offenbar ihren Point Of No Return erreicht, anders gesagt: diepolitische Revolution in der Sowjetunion hat nun, endlich, begonnen! Es ist der Punkt erreicht, wo das bürokratische Vergeudungs- und Parasitensystem zum absoluten Hindernis für die weitere soziale und selbst jede ökonomische Entwicklung geworden ist, ja nicht einmal den Status quo gewährleisten kann (mindestens nicht, solange diepolitischen Faux frais: die Überrüstung, drastisch reduziert werden): Sie sagen es ja selbst, es kann nicht mehr so weiter gehen. Die politische Revolution hat begonnen, endgültig. Aber sie ist so ‘permanent’ wie die proletarische Revolution überhaupt: Sie kann auf Zwischenetappen nicht lange anhalten, sie muss weitergehen bis zum Showdown: kapitalistische Restauration oder Kommunismus?


Und dazwischen wird es zweifellos eine ganze Reihe von Perepetien geben, Phasen hemmungsloser Reaktion, die womöglich an die Zeit der Großen Säuberung erinnern werden – aber das werden insgesamt Episoden sein auf dem Weg zur Entscheidung.


Welche Rolle also die Sowjetunion, nach wie vor die andere militärische Supermacht, in den Prozess der Neuaufteilung der Erde zwischen den drei imperialistischen Mächten Amerika, Europa und Japan spielen wird, ist noch gar nicht abzusehen: Wird sie irgendwie Subjekt sein? Oder lediglich Objekt werden? D. h. Feld und Aufmarschgebiet der imperialistischen Rivalen Europa und Japan, die hier ihren Streit um die Erbschaft des amerikanischen Imperiums unter sich ausmachen? Womit dann die Entscheidung für die Restauration gleich mit abgemacht wäre…


Also eigentlich läuft es doch nur auf eines heraus: Die Epoche der Weltrevolution ist wieder eröffnet – die imperialistische Reorganisation des Weltmarkts ist fällig, und der Stalinismus kann dem Imperialismus nun nicht mehr die Kartoffeln aus dem Feuer holen, weil die Sowjetunion – und, zwar sicher verzögert, aber dafür vermutlich umso explosiver, die DDR – selbst in den Strudel der Revolution gerissen sein wird.
Perspektiven, bei denen einem schwindelig werden kann. Dann hieße es ja von nun an wieder, Augen und Ohren offenhalten und sich in Acht nehmen; denn in Ansehung der Verfassung des “subjektiven Faktors” in dieser unserer Zeit ist ja wohl Optimismus über den Verlauf dieser Angelegenheit einstweilen nicht angezeigt. 


Berlin, 18. 8. 1988

*[Nachtrag 2007: Deutschland war zunächst an der ‘Reorganisation’ Europas gelegen; nach dem Erbe der britischen Weltrolle hätte es von sich aus nicht greifen müssen. Und die USA hätten sich an Deutschlands Herrschaft über den Kontinent nicht stören müssen: Ihr unmittelbare Interesse galt Asien, ihr eigener Gegner war Japan. Aber Deutschland konnte Großbritannien nicht besiegen, wenn nicht Japan dessen Vormachtstellung  in Asien übernahm – und den Krieg gegen die USA vorbereitete…]

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Als Denkhilfe für Klaus Lederer und seine “Linke” in der Frage, welche “Seite” wann die “richtige” war, bringe ich ihnen nachstehend eine Flugschrift zur Kenntnis, die zum Jahreswechsel ‘89/90 anonym in den engen Kreisen der ostberliner Linken aufgetaucht, dort aber ohne Resonanz geblieben ist. Vielleicht findet sie ja nachträglich welche – damit sich auch Klaus Lederers erwachsnere Genossen nicht davonstehlen können, als wär nix gewesen…


Einundzwanzig Punkte 
für eine Plattform der revolutionären Sozialisten

1. Die gegenwärtige Lage der DDR ist charakterisiert durchzwei Gefahren: erstens die Restauration der stalinistischen Alten Ordnung im Zeichen von Sicherheit’ und ‚Leistung’; und zweitens die Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse im Zeichen von ‚Wirtschaftlichkeit und ‚Markt’.


2. Keine der beiden Gefahren ist das „kleinere Übel“, das zur Verhinderung der anderen, „größeren“, gegebenenfalls in Kauf zu nehmen wäre. Sie sind auch beide keine Alternativen im Sinne von ‚entweder-oder’. Im Gegenteil: Es war ja gerade das feudal-bürokratische  Vergeudungs- und Verknappungs-System der SED, das uns in eine Situation geführt hat, wo – zwecks ‚Leistung’ und ‚Effektivität’ – das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln ernsthaft in Frage gestellt werden konnte.

3. Die Provisorische Regierung ist alles andere als ein Bollwerk gegen den Ausverkauf des „Volkseigentums“ an private Interessenten. Sie ermutigt im Gegenteil mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Direktoren der „volkseigenen“ Betriebe, sich heute schon wie kapitalistische Privatunternehmer aufzuführen; der Abbau zentralistischer Vorgaben und Kontrollen hat für sie zu allererst den Sinn, den Direktoren freie Hand gegenüber den Belegschaften zu geben. Der Hochmut, mit dem die Direktoren inzwischen ihren bürgerlichen Herr-im-Haus-Standpunkt an den Tag legen, wird zusehends unerträglich. Die beiden Gefahren – stalinistische Restauration und Restauration des Kapitalismus – sind nicht nur keine Gegensätze; sie könnten sich sogar ohne weiteres als komplementär erweisen.

4. Die Wirtschaftspolitik der Regierung Modrig-Luft verfolgt, entgegen öffentlichen Beteuerungen, nicht einmal den Zweck, den „nationalen“ Ausverkauf der DDR an das westliche Kapital zu verhindern. Es geht ihr lediglich darum, eine Schonzeit heraus zu handeln (sic), während derer sie eine Teilsanierung der maroden DDR-Wirtschaft bewerkstelligen will, um den Verkaufspreis in die Höhe zu treiben – und dabei zugleich die anderen kapitalistischen Interessenten gegen die Westdeutschen auszuspielen.


5. Die vorläufige ‚patriotische’ Souveränitäts-Rhetorik der Provisorischen Regierung verfolgt zugleich den Zweck, sich und die restaurierte SED den auswärtigen Kapitalanlegern als Garant von Stabilität und Ruhe, und also als einzig verläßlichen Geschäftspartner anzudienen.


6. Die restaurierte SED ist keine sozialistische Kraft. Sie ist eine Partei von stalinistischem Knochenbau mit neo-sozialdemokratischem Programm. Es geht ihr um den Erhalt und den Neuausbau ihrer bürokratischen Hegemonie über die Gesellschaft der DDR. Dazu ist sie bereit, die Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln hinzunehmen, wenn das ihrem Ziel dient.


7. Die verbliebenen sozialistischen Kräfte in der SED – sofern es sie noch gibt – haben den Kampf gegen den zwiefachen Restaurationskurs des Triumvirats Modrig-Gysi-Berghofer bis heute nicht aufgenommen. Ob sie es tun werden, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die revolutionären Sozialisten die Kraft finden, sich als eigenständige, handlungsfähige politische Kraft außerhalb der SED und gegen sie zu konstituieren.


8. Staatliches Eigentum an den Produktionsmitteln ist noch kein Sozialismus. Gemeineigentum ist kein Selbstzweck: es ist ein ;Mittel. ;Es ;wird dann zu sozialistischem Eigentum, wenn es zu dem Zweck eingesetzt wird, die Volkswirtschaft nach Maßgabe ;gesellschaftlicher Bedürfnisse zu entwickeln. Gesellschaftliches Eigentum bekommt einen sozialistischen Sinn erst durch gesamtgesellschaftliche Planung. In diesem Sinne hat es sozialistisches Eigentum in der DDR ebenso wenig je gegeben, wie es heute in der Sowjetunion besteht.


9. Die bisherige administrative Befehlswirtschaft diente nicht dem Zweck optimaler gesellschaftlicher Entwicklung, oder auch nur der Befriedigung aktueller gesellschaftlicher Bedürfnisse. Sie wurde, ganz im Gegenteil, zum unmittelbaren Hindernis für das Wachstum der Produktion von Gebrauchsgütern. Die systematisch betriebeneVergeudung der materiellen Ressourcen ebenso wie der menschlichen Arbeitskraft hat die Entwicklung der Produktivkräfte direkt gebremst und den Zustand allgemeinen Mangels absichtsvoll immer neu reproduziert. Denn nur unter den Bedingungen verallgemeinerten Mangels kann das Gewähren oder Versagen persönlicherPrivilegien als universelles Korruptionsmittel wirken, das die einzelnen Begünstigten – „besondere Bedarfsträger“ – um das monopolistische Zentrum herum zu einem besonderen gesellschaftlichen „Stand“ zusammenschweißt. Und nur unter den Bedingungen allgemeiner Knappheit wird jenes Millionenheer von Beamten ‚notwendig’, um die Verteilung des Mangels zu… „organisieren“. Die Politik systematischer Vergeudung und Verknappung war – und bleibt – die Voraussetzung der fortwährenden Selbstreproduktion der parasitären stalinistischen Bürokratie. Und die Aussicht auf das Ende der Knappheit stellt sie vor die Alternative: entweder Selbstauflösung in der sozialistischen Demokratie, oder Mauserung zu einer Art Kompradoren-Bourgeoisie neuen Stils. – Daß sie die sozialistische Demokratie gewählt hätte, dafür gibt es einstweilen keinerlei Anzeichen…

10. Insofern gibt es heute in der DDR keine „sozialistischen Errungenschaften“ zu ‚erhalten’, zu ‚bewahren’ oder zu ‚verteidigen’. Das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln ist zwar eine notwendige, aber bei weitem keine ausreichende Bedingung für die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft. Mindestens ebenso ‚notwendig’ ist die Anwendung dieses Instruments im Interesse der Gesellschaft, und das ist schlechterdings nicht anders möglich, als durch kollektive demokratische Verfügung über das Wie und Wozu seiner Anwendung. Sofern also das gesellschaftliche Eigentum nur Mittel zum sozialistischen Zweck ist, kann man sogar sagen, es sei nichts weiter als die radikale Durchführung des demokratischen Prinzips im Prozeß des Wirtschaftens. Verteidigung des öffentlichen Eigentums und Demokratisierung der Gesellschaft sind nicht voneinander getrennte, gar konkurrierende Aufgaben; sondern die erste erhält ihre Rechtfertigung erst durch die zweite.


11. Die demokratische Revolution vom November hat – zum erstenmal – die Möglichkeit eröffnet, der juristischen Fiktion „Volkseigentum“ eine realen Inhalt zu geben: idem es nämlich von der demokratisch vereinten Ganzen Gesellschaft planvoll für ihre Zwecke eingesetzt wird. Zum erstenmal steht die DDR wirklich vor der Frage, ob sie sich auf den Weg zum Sozialismus begeben will. Das „Volkseigentum“ ist nicht zu ‚verteidigen’, sondern allererst herzustellen.


12. Zu verteidigen hat nur die stalinistische Bürokratie etwas: nämlich ihre Pfründe und die ihrer zahllosen großem und kleinen Nutznießer. Daher das plötzliche Geschrei über die „Menschenrechte“ der Stasi-Schnüffler und SED-Goldfasane, nach dem „Rechtsstaat“ – um ihren „Besitzstand“ zu wahren! Nach „Sicherheit und Ordnung“ und – natürlich – nach einem „Verfassungsschutz“, einem neuen Stysi, noch vor den Wahlen; sicher, damit wir nicht vergessen, „richtig“ zu wählen…


Das Schreckgespenst von Chaos und Unordnung ist heute das Banner, um das die Koalition aller Besitzstandswahrer sich wieder einmal schart – als ob wir Deutschen es nicht gerade immer mit unserer Ordentlichkeit übertrieben hätten, die uns heute schon wieder in Verwahrlosung und Ruin gerissen hat!

Das Bewährte bewahren“ ist der gemeinsame Schlachtruf der Provisorischen Regierung, der Kombinatsleiter und der lutherischen Pfaffen. Schluß machen mit der Revolution, am besten noch heute: das ist das gemeinsame Programm  der vereinten Partei der Ordnung, und in dieser Frage hackt heute kein de Maizière einem Gysi ein Auge aus…


13. Das Programm der revolutionären Sozialisten ist es, im Gegenteil, die demokratische Revolution permanent zu machen; vorwärts zu treiben , bis das letzte bürokratische Privileg beseitigt, bis der letzte Winkel des stalinistischen Augiasstallesdurchleuchtet und ausgemistet ist. Man wird sie dabei stets an der Seite all der Kräfte finden, die den Kampf um die radikale, nämlich an die Wurzel gehende Demokratisierung tagtäglich wirklich voranbringen: in den Stadtteilen, in den Verwaltungen, in den Schulen, in den gesellschaftlichen Organisationen und vor allem: in den Betrieben. Sie werden jede Initiative zur selbständigen Organisation der Arbeit unterstützen – sei es in unabhängigen Gewerkschaften, sei es in unabhängigen Räten.


14. Die revolutionären Sozialisten werden sich dabei nicht der Illusion hingeben, sie könnten irgendwie „gleichen Abstand“ halten zwischen den anderen Oppositionsgruppen hie und den Parteien der Alten Ordnung da. Sie würden so lediglich zu diplomatischem Spielmaterial in den Händen der gewendeten SED. Es ist nicht wahr, dass die restaurierte Partei Der Stalinisten doch auch „irgendwie links“ ist; es ist nicht wahr, dass sie doch auch – irgendwie – „den Sozialismus verteidigt“: denn sie hat selbst dafür gesorgt, dass es nichts zu verteidigen gibt.

15. Es ist dagegen wahr, dass es unter den demokratischen Oppositionsbewegungen „bürgerliche Kräfte“ gibt. Aber die sind ‚bürgerlich’ im Sinne einer mehr oder weniger großen ideologischen Affinität zu den Parteien in Westdeutschland. Sie sind nicht ‚bürgerlich’ in dem Sinne, daß sie eine leibhaftige Kapitalistenklasse ‚verträten’ (während aber zugleich Modrig-Luft energisch die Besitzansprüche der Betriebsdirektoren „vertreten“!), und sie sind auch nicht ‚bürgerlich’ in dem Sinne, dass sie es mit dem Ausverkauf von „Volkseigentum“ an  westliche Investoren eiliger hätten als die Provisorische Regierung selbst. 


16. Die ideologische Verwirrung ist – wie kann es nach vierzig Jahren stalinistischen Gebetsmühlen- Kauderwelschs anders sein – auch in der Opposition groß. Daß sich so viele der aktiven Opponenten gegen das stalinistische System von den Sirenenklängen der Sozialdemokratie und der freien Marktwirtschaft betören lassen – wen kann es wundern? Zumal, als das hinterhältige stalinistische Tabu der Deutschen Frage den politischen Parteien Westdeutschlands in der DDR viel mehr moralischen Kredit verschafft, als es anders je geschehen konnte!

Wie stark die bürgerlichen, pro-kapitalistischen Neigungen in der antistalinistischen Opposition noch werden können, hängt in erster Linie davon ab, wie weit gleichzeitig die Restauration der stalinistischen Alten Ordnung vorankommt; und deren  Fortschritte hängen wiederum nicht zuletzt davon  ab, ob die revolutionären Sozialisten stark genug werden, sich ihr in den Weg zu stellen.

17. Die Monate bis zur Wahl werden eine stetige Zuspitzung der politischen Auseinandersetzungen bringen. Die Aufgabe der radikalen Linken ist dabei zuerst, ihren Teil beizutragen, dass diese Zuspitzung auch zugleich zu einer wachsenden Differenzierung, zu einer wachsenden programmatischen Klärung führt, statt zu einem bloßentaktischen Tohuwabohu. Auf allen Seiten sind jeden Tag neue Sprünge, neue „Wenden“, neue Zickzacke möglich. In solchen Zeiten nach „Popularität“ zu schielen, wäre reiner Selbstmord: Was heute ‚populär’ ist, kann sich morgen schon als Nagel zum Sarg erweisen. Die einzige „Taktik“, die für die revolutionären Sozialisten in dieser Situation in Frage kommt, ist die: mit ihrer Radikalität nicht hinterm Berg zu halten. Denn nur so kann eine sozialistische Perspektive für die DDR über den Wahltag hinaus glaubwürdig werden.

18. Die Linke in der DDR ist heute vom Gründungs-Fieber geschüttelt. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass eine neue Partei, Initiative oder Gruppe neu entsteht. Im Unterschied zu den Spießern und Pharisäern sehen die revolutionären Sozialisten darin nichts Lächerliches, sondern ein Zeichen von Kraft und Gesundheit. Oder genauer: Das kann es werden, wenn die Vielfalt auch hier zu einem Moment programmatischer Klärung wird. Das aber kann es nur, wenn sich alle Beteiligten darüber klar werden, daß sie so, wie sie heute sind, samt und sonders nur Vorläufige sind. In den andern oppositionellen Bewegungen werden sich zusehends die Linken von den Rechten scheiden, und – wenn anders die Arbeit der revolutionären Sozialisten nicht ganz fruchtlos bleibt – auch in der SED wird eine revolutionäre Linke zum Kampf antreten. Zugleich werden sich viele Trennungslinien von heute im Verlauf der praktischen politischen Kämpfe als hinfällig erweisen.

Die revolutionären Sozialisten betreiben die Vereinigung aller linksradikalen Kräfte. Aber eine übereilte Vereinigung in programmatischer Konfusion ist eine Zeitbombe. Heute gilt erst recht: Vor der Einheit steht die Klarheit.

19. Die DDR hat im November ihre Februarrevolution erlebt. Ob auf den Februar ein Oktober folgt, oder vielmehr eine schleichende Restauration kapitalistischer Verhältnisse unter der Ägide stalinistischer Konkursverwalter, hängt vor allem von der Herausbildung und Festigung einer handlungsfähigen und zielklaren revolutionären Linken ab – und diese Aufgabe wird sich nach den Wahlen kein bisschen weniger dringlich stellen, als davor.

20.
Wir werden nicht den Sozialismus „in einem Land“ aufbauen – und in einem geteilten Land schon gar nicht. Der Sozialismus ist nur möglich als eine höhere Form der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit, und nur bei höherer Produktivität als auf dem kapitalistischen Weltmarkt; denn wird sich mit dem Mangel auch die stalinistische ganze alte Scheiße wieder einstellen.


Aber wir haben die Chance, das Tor zu öffnen und den Weg frei zu machen für eine sozialistische Entwicklung. Und wen der östliche Teil der Deutschen aus freien Stücken, ohne Mauern und Drahtverhau, energisch daran geht, die Gesellschaft der Freien und Gleichen zu bauen, so wird das auf die Dauer auch die westdeutsche Zitadelle des Weltkapitals nicht unberührt lassen. Vielleicht nicht heute oder morgen – aber übermorgen, wenn sich der „europäische Binnenmarkt“ zwar als Eldorado für die Haifische des großen Kapitals, aber für die Arbeiterklasse nur als eine große Schweißpresse erwiesen haben wird – dann werden sich die Deutschen in der gemeinsamen Arbeit an der neuen Gesellschaft wieder vereinigen können.

….
Aber dafür müssen wir heute die Weichen stellen.


21. Und in diesem Sinn wird in diesen Tagen auch – und nicht zuletzt – zwischen Elbe und Oder darüber entschieden, ob die Oktoberrevolution ein Fehlgriff gewesen sein soll oder nicht.


Berlin, den 7. Januar 1990


Das Ende der Wende



Zwei Monate später, anscheinend unmittelbar nach den Volkskammerwahlen am 18. März, ist ein Flugzettel aufgetaucht, der, nach Tenor und Machart zu urteilen, aus derselben Quelle stammen dürfte. Ist der Geist zwar noch ganz derselbe, hat sich doch die Aussage radikal geändert. Von einer Revolution ist nicht einmal andeutungsweise mehr die Rede, gradmal verschämt von einem „Neubeginn“. Schloß der erste Text noch mit dem pathetischen Wort, in Ostdeutschland werde sich entscheiden, ob die Oktoberrevolution am Ende nicht doch ein Holzweg der Weltgeschichte gewesen sein soll, so taucht die Frage hier schon gar nicht mehr auf. Das heißt, die Verfasser halten sie stillschweigend für erledigt. Und in dem Punkt haben sie sich nicht geirrt.

Geirrt haben sie sich über die deutsche Wiedervereinigung. Der Mensch Kohl hat wohl doch ‚wirklich gewollt’, was ein Bundeskanzler mit Verstand tunlichst weit vor sich her geschoben hätte – wie es Oskar Lafontaine damals wohl getan hätte, hätte er gedurft. Die Folgen davon wären freilich noch verheerender gewesen als die hier hellsichtig vorhergesagten Folgen einer raschen Vereinigung. Was dem Verständigen ganz richtig als Fehler erscheint, erkennt der Vernünftige mitunter als einzigen Weg. Insofern ist der folgende Text über das Ende der Wende mit seiner Fehleinschätzung der stilgerechte Schlusspunkt hinter der ‚Epoche der Weltrevolution’ – oder, wie ich es zu Klaus Lederers Unmut nenne: hinter dem deutschen Jahrhundert.




Ein Pyrrhussieg?

Seit November kreißte der Berg, und im März wurde… ein toter Hund geboren. Kanzler Kohl und seine gewendete Ost-CDU werden zu ihrem Schaden lernen müssen, dass es für eine Partei nichts Schädlicheres gibt als einen zu großen Sieg. Nun werden sie die Erwartungen erfüllen müssen, die sie geweckt haben – und werden es nicht können. Sie hatten es ja auch gar nicht so gemeint. Denn natürlich weiß auch ein Kohl, dass sich die Bundesrepublik einen Anschluß der DDR nach Artikel 23 gar nicht leisten kann: Er würde die Staatsfinanzen über Nacht um hunderte Milliarden DM belasten, von denen heute noch gar nicht abzusehen ist, wann sie je wieder reinkommen werden.

Doch diesmal war er zu schlau, und es ist ins Auge gegangen. Jeder zweite Wähler in der DDR ist ihm auf den Leim gegangen, an dem er jetzt selber klebt.

Lafontaine hat ganz recht, Kohl wird seine Versprechungen gar nicht erfüllen können, wenn er selbst wollte. Aber es wird sich bald herumsprechen, dass er nie gewollt hat – vielleicht schon bis zum 6.Mai. Und dann könnte der Triumph des schwarzen Blocks vom 18. März sich als ein Pyrrhus-Sieg erweisen.
Der Artikel 23 des westdeutschen Grundgesetzes ist nämlich nicht das Damoklesschwert, das über der politischen und sozialen Ordnung in Ostdeutschland schwebt – denn die ist ohnehin zum Teufel; er ist ein Damoklesschwert über der politischen und sozialen Ordnung der Bundesrepublik. Wenn sechzehn Millionen DDR-Bürger beschließen, über Nacht Bürger der Bundesrepublik zu werden, so hat der westdeutsche Staat keinerlei legale Mittel, sie daran zu hindern; und er hat kein legales Mittel, ihnen die Rechte zu versagen, die jedem Bundesbürger gesetzlich zustehen. Allein die Leistungen nach der Reichsversicherungsordnung und nach dem Bundessozialhilfegesetz würden die westdeutschen Leistungsträger von einem Tag auf den andern bankrott machen – gar nicht zu reden von den Staatshaushalten derjenige Bundesländer, die heute schon auf den Länderfinanzausgleich angewiesen sind (alles SPDregierte Länder, notabene).

Die Horrorliste ließe sich beliebig fortsetzen. Wenn es also der neuen schwarzen DDR-Regierung ernst wäre mit dem Artikel 23 – wer könnte sie aufhalten? Es ist allein die Angst vor der eigenen Courage, die sie aufhalten wird: die Angst vor einer revolutionären Erschütterung mitten im Zentrum des europäischen Kapitals.

Schon am Tag nach der Wahl – in Wahrheit schon ein paar Tage davor – ist es stiller geworden um den Artikel 23. Man führt ihn wohl noch auf den Lippen – aber mit immer längeren Zähnen.

Der ursprüngliche Plan des westdeutschen Kapitals sah ganz anders aus. Eigentlich hatte man sich die Sache so vorgestellt: Eine von der Deutschen Bundesbank (und von der Deutschen Bank) in Vasallität gehaltene DDR-Regierung unterzieht die ostdeutsche Wirtschaft einer Roßkur, baut Subventionen ab, macht Buna, Leuna und Bitterfeld dicht, während Robotron vom westdeutschen Privatkapital gnädig in Kauf genommen wird: Das niedrige Lohnniveau würde die Errichtung zahlreicher westdeutscher Zweigbetriebe erlauben, die die enorme Arbeitslosigkeit im Zuge des Europa-Booms nach und nach absorbieren könnten – wenn nur die autochthone Verwaltung im Protektorat Ostmark für den erforderlichen sozialen Frieden sorgt. Man hätte sich dieser „Regierung“ erkenntlich gezeigt, hätte die Etikette gewahrt und „Verhandlungen“ geführt; und schließlich Vereinbarungen darüber getroffen, wie man, Schritt für Schritt, die deutsche Wiedervereinigung in Sicherheit und Ordnung über die Bühne bringt.

Sehr viel anders sah übrigens das Programm der Regierung Modrow-Luft noch im Januar auch nicht aus: Der einzige nennenswerte Unterschied war, dass die gewendete SED-Clique lieber ein klein bisschen mehr ‚Souveränität’ gewahrt hätte, als Kohl, Lambsdorff und Haussmann ihnen zugestehen wollten – um nämlich Franzosen, Engländer und… Japaner auch noch ins Geschäft hineinzuziehen und so – die Preise etwas höher treiben zu können.

Eine Hypothek auf diesem Plan war von Anfang an: der anhaltende Ausreisestrom; er war die Zuchtrute, mit der Bonn die DDR-Regierung zur Räson bringen konnte – auf die Gefahr hin, sich selbst daran die Finger zu verbrennen.

Aus all diesen Plänen ist nichts geworden. Der moralische Zusammenbruch des stalinistischen Staatswesens war viel rascher, gründlicher und dramatischer, als irgendwer geahnt hatte. Noch im Januar hatte die SED Morgenluft gewittert und mit Hilfe der bekannten Provokation im Treptower Park geglaubt, ihr Stasi-System restaurieren zu können. Der Schuß ging nach hinten los. Die Stasi wurde gestürmt und zum Teufel gejagt. Vierzig Jahre Stalinismus sind wie vom Winde verweht; doch in der Luft hängt immer noch der alte schweflige Gestank.

Die demokratische Revolution hatte einen entscheidenden Schritt nach vorn gemacht. Sie weitete sich nun zur nationalen Bewegung aus.

Es ist eine Tragödie: Die eben ausgetriebenen stalinistischen Spukgestalten kehren in der Gestalt von an die Wand gemalten großdeutschen Popanzen zurück, und eine kleinbürgerliche Linke, die es nie fertiggebracht hatte, mit den spießig-demagogischen Mythen des ihr stammverwandten Stalinismus zu brechen, ließ sich prompt ins Bockshorn jagen, scheute vor den Konsequenzen und überließ das Feld der schwarzen Reaktion.


Der Stalinismus ist bankrott – und es war höchste Zeit. Es gibt keinen geistigen oder moralischen Wert, der unter seiner Herrschaft nicht korrumpiert, kompromittiert, pervertiert worden wäre. Ein revolutionärer Neubeginn der Arbeiterbewegung ist undenkbar, solange sie nicht alle Lügen, Mythen und Legenden des stalinistischen Parasitensystems aus ihren Reihen restlos ausgeschieden hat. Und ein Neubeginn der deutschenArbeiterbewegung verlangt eine radikale Abrechnung mit dem perfiden Lügengewebe, in das die schmarotzende Bürokratie die deutsche Frage eingehüllt hat – geflissentlich sekundiert von den Friedenspfaffen, westlich-liberaler Journaille und all ihren andern intellektuellen Kostgängern. Freilich: die Kritik muß rücksichtslos sein, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß sie sich nicht vor den eigenen Resultat fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten.




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