Donnerstag, 31. Oktober 2019

Es riecht nach Mottenpulver.

aus Tagesspiegel.de, 30. 10. 2019 
 
CDU-Abgeordnete tadeln Angriffe auf Merkel und AKK
Mit klaren Worten wenden sich 15 führende CDU-Parlamentarier gegen die interne Personaldebatte – ohne Friedrich Merz und weitere beim Namen zu nennen. 

von

Eine Partei zum Putsch aufzurufen, die den Putsch gewöhnlich scheut, ist kein leichtes Unterfangen. Der letzte Versuch fand 2002 statt. Er kostete Angela Merkel die Kanzlerkandidatur. Damals war ein Großteil der Führungsriege der CDU fest entschlossen, die Vorsitzende bei der Klausur zum Jahresauftakt vor die Wahl zu stellen: Verzicht oder Sturz. Merkel kam dem in letzter Minute zuvor und servierte Edmund Stoiber selbst die Kandidatur zum Frühstück.

Friedrich Merz saß seinerzeit als Fraktionschef im Magdeburger Hotel „Herrenkrug“, als Merkel den verblüfften Putschisten ihren taktischen Rückzug verkündete, der später ihn das Amt kosten und ihr das Kanzleramt verschaffen sollte. Die alte Geschichte ist vor allem wegen ihrer Unterschiede zur heutigen Lage instruktiv.

Damals schwamm Merz im Mainstream der Spitzenfunktionäre, der Roland Koch, Christian Wulff oder Günther Oettinger. Die CDU Baden-Württemberg hatte sich offen gegen eine Kanzlerkandidatur Merkels gestellt.

Diesmal folgt dem Schlachtruf des Ex-Fraktionschefs und Ex-Vorsitzkandidaten so recht keiner. Die meisten Top- Amtsträger schweigen. Schützenhilfe bekam er von den üblichen Verdächtigen, den Merz-Fans im Wirtschaftsflügel und der Jungen Union.

Einen Tag später melden sich die Kritiker des Kritikers.

„Debatte von älteren Männern“

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ätzt als erster über eine „Debatte von älteren Männern, die ihr Karriereziel nicht erreicht haben“. Das sollten die bitte mit sich ausmachen, statt es in die Partei zu tragen.

Eine Gruppe führender CDU-Abgeordneter um den Außenpolitiker Norbert Röttgen wirft Merz und anderen – ohne Friedrich Merz oder andere Kritiker beim Namen zu nennen – geradezu parteischädigendes Verhalten vor. „Das Verhalten Einzelner war extrem schädlich für die CDU und selbstzerstörerisch“, heißt es in einer Erklärung, die unter anderem die Fraktionsvizes Johann Wadephul und Katja Leikert, die Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker und ein Dutzend weiterer Abgeordneter unterzeichneten.

„Die vorgebrachten Attacken waren ebenso politisch kopflos wie maßlos in Stil und Inhalt“, schreiben sie. Und weiter: „Wir fordern als Bundestagsabgeordnete der CDU, die ihr Mandat verantwortungsvoll durch konkrete Arbeit wahrnehmen, alle in der Partei auf, dieses Verhalten sofort einzustellen.“ Die Partei müsse ihren Kurs der inhaltlichen Erneuerung ohne Zweifel „entschlossener und grundlegender“ angehen. Aber irgendeinen „substanziellen Vorschlag“ zur Erneuerung der CDU habe man nicht gehört. ...


Nota. - Ein substanzieller Vorschlag zur Erneuerung der CDU könnte, wie die Dinge in Deutschland liegen, nut heißen: Vorstoßen in die Mitte, ohne nach links und rechts zu schauen. Das würden nicht alle mitmachen wollen, der Gartenzwerge und frustrierten älteren Herren gibt es zu viele. Die heben die Nasen immer wieder mal in den Wind, los wird man sie nicht, das verhindern die Strukturen.

Aber loswerden müsste man sie, notfalls um den Preis der Strukturen.
JE


Mittwoch, 30. Oktober 2019

"Heraushalten ist keine Option."

bureaudesmetiers
aus Tagesspiegel.de, 29.10. 2019



Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stellt den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Frage. „Wenn wir es ernst meinen mit der gemeinsamen europäischen Verteidigung, dann müssen alle Beteiligten bereit sein, die eigenen, althergebrachten Positionen zu hinterfragen und ein Stück weit davon abzurücken. Das gilt auch für uns Deutsche, etwa bei der Frage der Rüstungsexporte und beim Parlamentsvorbehalt“, bekräftigte Schäuble eine Forderung aus früheren Jahren in einer Grundsatzrede zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik am Dienstagabend in Bonn.

Er unterstützte den Vorschlag der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, eine Schutzzone in Nordsyrien einzurichten, und übte indirekt Kritik an Außenminister Heiko Maas (SPD).

Schäuble fordert die Deutschen und ihre Politiker dazu auf, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen und die Erwartungen ihrer Verbündeten ernster zu nehmen. Die Bündnisfähigkeit hänge davon ab.

Angesichts der Krise der bisherigen Weltordnung müssten sich die Deutschen auf „unbequeme Debatten und unpopuläre Entscheidungen“ einstellen, sagte Schäuble. „Die USA ziehen sich zurück, die Europäer stecken in einer Dauerkrise.“ Diese Krise gefährde Deutschland besonders, weil es mehr als andere Staaten „angewiesen ist auf den Austausch von Gütern, Ressourcen und Daten mit anderen Staaten und Gesellschaften“ und auf eine „stabile, normengestützte globale Ordnung“. Deutschland sei „verwöhnt von Frieden und Wohlstand“ und daran gewöhnt, von anderen geschützt zu werden.

Als bevölkerungsreichstes Land der EU und viertstärkste Wirtschaftsmacht der Erde werde Deutschland nun jedoch mehr Verantwortung für den Schutz anderer übernehmen müssen. „Haben wir wirklich ausreichend begriffen, dass unsere Freiheit und unser Wohlstand nicht voraussetzungslos sind?“, fragte Schäuble. „Dass Deutschland keine Trauminsel ist, die mit der rauen globalen Wirklichkeit nichts zu schaffen hat? Sind wir bereit, unsere Macht einzusetzen, um zu schützen und zu fördern, was die Grundlage unseres Lebensmodells ausmacht? Und: zu welchem Preis?“

Kramp-Karrenbauers „Vorschlag für eine internationale Schutzzone in Nordsyrien ist richtig“. Dort seien „europäische und damit deutsche Sicherheitsinteressen massiv berührt“. Deshalb „können wir uns nicht guten Gewissens darauf beschränken, den Konfliktparteien Mahnungen von der Seitenlinie aus zuzurufen, oder bloß zuschauen, wie die Türkei und Russland gemeinsam ihren Machtbereich ausweiten“, sagte Schäuble. Dies klang wie eine Kritik an Maas, der den Vorschlag in der Türkei als „nicht realistisch“ abgetan hatte. Es genüge auch nicht, Ideengeber für eine europäische Initiative zu sein, fuhr Schäuble fort. Vielmehr „müssten wir Deutschen bereit sein, selbst einen Beitrag vor Ort zu leisten“ und „materielle und moralische Kosten zu übernehmen“.

Schäuble warnte davor, US-Präsident Donald Trumps Vorgehen pauschal abzulehnen. Nicht alles, was Trump sage, „entbehrt ja vollkommen der sachlichen Grundlage“. Viele Partner hätten „gelegentlich den Eindruck, Deutschland ducke sich weg“. Als Beispiele nannte Schäuble die „Debatte um die Sicherheit in der Straße von Hormus oder die Frage unseres Beitrags zur Nato“.

Auch hier flocht er eine Bemerkung ein, die sich als Kritik an der SPD und Außenminister Maas verstehen ließ, die sich gegen einen gemeinsamen Geleitschutz für Handelsschiffe im Persischen Golf ausgesprochen hatten. „Bestimmte Optionen von vornherein auszuschließen, schwächt die eigene Verhandlungsposition, wie jeder Taktiker weiß – übrigens auch die von Partnern und Verbündeten.“

Es gebe durchaus Unterstützung in der Bevölkerung für mehr deutsche Verantwortung, betonte der Bundestagspräsident. „Eine Mehrheit will, dass Deutschland sich nicht nur für die eigene Sicherheit, sondern auch die seiner Verbündeten und bei der Terrorismusbekämpfung engagiert.“ Und ebenso gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel. Weniger Zuspruch gebe es, sobald daraus konkrete Maßnahmen abgeleitet werden: die Verteidigungsausgaben zu erhöhen oder die Lebensverhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern.

„Beginnen wir damit, die Welt so zu sehen, wie sie ist – und nicht, wie wir sie gerne hätten“, forderte Schäuble. „Heraushalten ist keine Option.“ Zum Schutz der internationalen Ordnung „gehört in letzter Konsequenz auch die Bereitschaft, militärische Gewalt anzuwenden“. Zur Realität zähle auch: „Auf absehbare Zeit wird Deutschland, wird Europa für seine Sicherheit nicht ohne die USA auskommen.“ China und Russland seien keine alternativen Partner. Ihnen gegenüber müsse Deutschland „die richtige Balance aus Zusammenarbeit und Druck“ finden. „Es geht um unsere Ideale und unsere Interessen.“

Der zentrale Pfeiler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sei Europa. „Souverän sein können wir nur gemeinsam.“ Die EU sei heute weit davon entfernt, „weltpolitikfähig“ zu werden. Die Regel, dass die EU grundlegende außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen einstimmig treffen müsse, „ist wenig hilfreich“.

Wenn Deutschland die Handlungsfähigkeit voranbringen wolle, müsse es seine Haltungen zu Rüstungsexporten und zum Parlamentsvorbehalt hinterfragen, sagte Schäuble. „Wir müssen begreifen, dass es nicht allein um unsere innenpolitische Sicht geht, sondern auch um unsere Bündnisfähigkeit. Darum, dass nicht nur wir von unseren Partnern abhängen, sondern unsere Partner und Verbündeten umgekehrt auch von uns.“ Das deutsch-französische Abkommen über gemeinsame Regeln für Rüstungsexporte „ist ein wichtiger Schritt“.

Dienstag, 29. Oktober 2019

Minister fürs Äußere.








Was allenfalls noch links heißen kann.


Wenn das Etikett links noch einen Sinn haben kann, dann ist es die kompromisslose Festlegung auf die Freiheit, und zwar in jedem Lebensbereich. Und weil sie nicht allezeit auf das freie Spiel der Kräftigsten schielt, ist sie nicht liberal, sondern libertär.* Weil aber zur Freiheit die Freisetzung der Talente und Intelligenzen gehört, setzt sie weiterhin auf den Fortschritt. Und das gilt heute als konservativ. Das darf aber nur Ideologen irritieren.  

*) im alten, kontinentalen Sinn. In Amerika ist liberal seit Dewey und Roosevelt ein Synomym für sozialdemokra- tisch. Die staatsfeindlichen Götzendiener des freien Wettbewerbs nennen sich seither dort libertarians; das ist der äußerste rechte Flügel der Tea Party Bewegung.




Montag, 28. Oktober 2019

Warum die deutsche Linke keine ist.


"Linksparteien haben überall stets davon gelebt, dass sie sowohl die Arbeiter als auch die Intellektuellen um sich vereinigen konnten."
Barbara Coudenhove-Kalergi  in Der Standard, Wien,  24. Oktober 2019

Ich frage Sie: Wo sind in der Sozialdemokratie Arbeiter? Und wo Intellektuelle?!
Und ist es in der Partei, die sich ausdrücklich links nennt, besser?

*
 

Das war ja kein Zufall. dass aus dem Zusammentreffen von Intellektuellen und Arbeitern eine politische Linke entstand. Diese Verbindung geschah im Vorfeld der Revolution von 1848, als gebildete Bürgerliche - Rober Owen in England, Pierre Joseph Proudhon in Frankreich und Marx und Engels in Deutschland - Anschluss an die eben entstehende Arbeiterbewegung suchten, um die Umwälzung der sich formierenden kapitalistischen Ordnung zu betreiben. Pläne zu einer sozialen Reform scheiterten an den verschreckten Repräsentanten der bürgerlichen Demokratie, und  es bildete sich das Projekt der proletarischen Weltrevolution aus, das ein Jarhundert lang die politischen Kämpfe der industriellen Welt bestimmte.

Die Weltrevolution wurde verpasst, der Sozialismus ist real geworden in den Wohlfahrtsstaaten des Westens, die Arbeiterbewegung zerlief sich in der Angestelltenzivilisation und ließ sich absorbieren von ihren bürokratischen Blähungen. Die politische Linke hat ihren Grund verloren, und wer unter den Intellektuellen noch radikal sein will, dem bleibt wie vor '48 nur das Gesundbeten. Der Kreis hat sich geschlossen, muss man leider sagen. 





Sonntag, 27. Oktober 2019

Ein Reisender in Konfirmandenanzügen.



Zu sagen hat er nichts, aber hält auch nicht den Mund.





Auch die Ostler werden mit der Generation der Väter*innen abrechnen müssen.

Der Nischel in Chemnitz
aus nzz.ch, 26. 10. 2019

Wollen die Ossis an den Westen anschließen, müssen sie sich für die Welt öffnen
Die gegenwärtige Lage Ostdeutschlands ist paradox. Es geht den Ostdeutschen materiell so gut wie nie zuvor, und dennoch ist die Unzufriedenheit gross. Es zeigen sich gesellschaftspolitisch die Folgen einer Politik der Wohlstandssicherung, wo der ubiquitäre Primitivmarxismus ins Leere läuft.

von Mathias Brodkorb


Der Untergang der DDR kam mir vor wie eine Science-Fiction-Serie. Das lag an einer privilegierten Situation. Im Jahr 1977 in Rostock geboren, wanderte ich 1987 gemeinsam mit meinem Bruder zu meinem Vater nach Österreich aus. Wir verfolgten das Geschehen also bloss vom Fernseher aus und konnten es nicht fassen. Gebannt starrten wir jeden Tag nach der Schule stundenlang auf den Bildschirm und versuchten zu verstehen, was sich in der Heimat gerade abspielte. Es roch nach Freiheit. Die verschaffte sich für uns seit zwei Jahren vor allem in Unmengen an Haribo-Goldbären, Mamba-Kaubonbons und Tic Tac ihre kindliche Geltung.

Erst, als ich 1992 in meine Heimatstadt zurückkehrte, fielen mir die mentalitätsgeschichtlichen Parallelen zwischen Ostdeutschland und Österreich ins Auge. So, wie die Alpenrepublik mit dem Nazismus nichts zu tun gehabt haben wollte, hatte auch die DDR den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhoben. Es war das reinge- waschene Deutschland, während in der Bundesrepublik NSDAP-Altkader über Jahrzehnte hinweg in Spitzen- positionen aufrücken konnten. Um die Wiedervereinigung herum wollten die meisten Ostdeutschen nichts Besonderes, sondern wollten einfach nur Deutsche in einem freien Land sein und vor allem eines: dazugehören. Das änderte sich blitzschnell.


Die Gründe hierfür sind vielfältig: Über Nacht brach die zwar gehasste, aber gewohnte gesellschaftliche Ordnung zusammen. Der Konsumrausch der Ossis erzeugte dabei nicht nur im Westen eine Goldgräberstim- mung – immerhin konnten nun alle möglichen Güter zu überhöhten Preisen in die Zone verklappt werden –, sondern zog die einheimische Wirtschaft erst richtig in den Keller. Der Arbeitsmarkt kollabierte. In zahlreiche frei gewordene Schlüsselpositionen rückten westdeutsche Eliten auf. Unter ihnen fand sich auch ein erheblicher Teil der dritten Garde Westdeutschlands, aus der jenseits der Grenze nicht ohne Grund bisher nichts geworden war.

Und schliesslich wurde das einst volkseigene Vermögen privatisiert. Von diesem Ausverkauf der ostdeutschen Heimat profitierte vor allem Westdeutschlands Mittel- und Oberschicht. Denn wovon hätten sich die Ossis Mehrfamilienhäuser in städtischer Bestlage oder Betriebsanlagen leisten können? Dass diesem Vermögen auch gigantische Schulden gegenüberstanden, die gesamtdeutsch sozialisiert wurden, wird in der ostdeutschen Opferperspektive dabei gerne übersehen. 

Die neuen Nehmerländer

Erst in dieser Gemengelage wurde aus dem Ostdeutschen mit gesamtdeutscher Sehnsucht der «Ossi». Die 1990er Jahre waren voll von antiwestdeutschen Emotionen. Diese Antipathie war personifiziert und nahm bisweilen ethnokulturelle Züge an. Ein Teil dieser Stimmung entlud sich in regelmässig steigenden Wahlergebnissen der SED-Nachfolgepartei. Auch ich wurde für ein paar Jahre ihr Mitglied. Für die heranwachsende Generation gab es unter diesen Voraussetzungen nur zwei Möglichkeiten: Entweder man packte nach der Schule seine Klamotten und ging in den Westen. Oder man quälte sich durchs Abitur. Nicht, weil man studieren wollte, sondern, weil auch einfachste Ausbildungsberufe anders nicht zu haben waren. In meiner Abiturientengeneration standen nur für die Hälfte der Schulabsolventen Ausbildungsplätze zur Verfügung.

Ab dem Jahr 2000 entspannte sich die Lage. Nicht, weil sie deutlich besser geworden wäre. Aber man hatte sich an die neue Ordnung und ihre Regeln gewöhnt. Wer etwas werden wollte, ging in den Westen und kam meist auch nicht zurück. So war das eben. Dieser demografische Aderlass verstärkte eine Katastrophe, die sich bereits rund um die Wende abgespielt hatte. Die Zahl der Geburten brach seinerzeit innerhalb weniger Jahre auf bis zu ein Drittel ein und erholte sich davon nur mässig. So etwas hatte es in Europa nicht einmal zu Kriegszeiten gegeben. Während die Wirtschaft in einem Überangebot an gut qualifizierten Nachwuchskräften baden und so die Löhne niedrig halten konnte, verschärfte die dramatische Geburtenentwicklung in Kombination mit Abwanderungswellen die Situation für die öffentliche Hand.

Alle ostdeutschen Länder sind bis heute aufgrund zu geringer eigener Steuereinnahmen «Nehmerländer» im sogenannten Länderfinanzausgleich. Sie erhalten Zuschüsse vor allem anhand der Einwohnerzahl. Ausbleibende Geburten und die Abwanderung von Fachkräften führten folglich zu massiven Finanzverlusten. Als dann Anfang der 2000er Jahre infolge einer Wirtschaftskrise und der rot-grünen Steuerreform die öffentlichen Finanzen kollabierten, leiteten alle ostdeutschen Länder rund zehn Jahre nach der Wende eine zweite Phase der Transformation ein. Während in der ersten Phase durch Etablierung der Marktwirtschaft die gesamte Gesellschaft durcheinandergewirbelt wurde, schnitt nun der Staat nochmals brutal in seine Strukturen ein und passte sie an die neue Realität an. Allein in Mecklenburg-Vorpommern wurde innerhalb weniger Jahre ein Viertel aller Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen. 

«Prekariat» wählt AfD

Im dritten Jahrzehnt nach der Wende allerdings begann sich der Wind zu drehen und die demografische Situation vollständig umzukehren. Nunmehr schieden jährlich weit mehr Menschen aus dem Erwerbsleben aus, als Nachwuchskräfte nachrücken konnten. Heute ist die Zahl der Schulabgänger nicht mehr doppelt so hoch wie die Zahl der Lehrstellen. Es ist genau umgekehrt. Die Folgen davon werden Jahr für Jahr deutlich spürbarer. Es fehlt nicht an Unternehmen, nicht an Kapital – es fehlt an Arbeitskräften. Der in Europa allseits beklagte Fachkräftemangel erreicht im Osten Deutschlands und in Osteuropa aufgrund des Zusammenbruchs der Geburtenzahlen rund um das Jahr 1990 völlig andere Dimensionen.

Der jungen Generation stehen heute alle Türen offen. Wer sich anstrengt und zielstrebig ist, muss nicht mehr in den Westen gehen, sondern kann ebenso gut im Osten seinen Weg machen. Aber nicht alle können das. Ein erheblicher Teil ist in Familien gross geworden, die nach der Wende arbeitslos und gesellschaftlich depriviert waren. Zwar erhielt der Sozialstaat die Konsumströme aufrecht, aber vielen wurde mit ihrem Arbeitsplatz ihre Würde und Selbstachtung genommen. Und dies blieb auch für die Kinder dieser Familien nicht ohne Folgen. Man nennt sie heute das «Prekariat». Und viele von ihnen wählen die AfD.

Die Entwicklungen nach der Wende blieben mentalitätsgeschichtlich nicht ohne Folgen. Zwar gibt es sie noch immer, die Wessi-Witze, aber während sie in den 1990er Jahren von einer geradezu ethnokulturellen Verachtung Zeugnis ablegten, gehören sie heute eher zur Folklore. Die Ostidentität ist keine aggressive Anti-Wessi-Identität mehr. Das sieht man vor allem an den jüngeren Generationen. Wer nach der Wende geboren wurde, weiss ohnehin nicht mehr, wovon eigentlich die Rede ist. Eine repräsentative Umfrage der Otto-Brenner-Stiftung über die Nachwendegeneration belegt dies. Ob wirtschaftliche Lage, Lebensgefühl, politische Orientierung oder Zustimmung zur Demokratie – in allen wesentlichen Fragen sind sich die ost- und die westdeutsche Nachwendegeneration einig.

Wollen die Ostdeutschen weiterhin unter sich bleiben, wird dies nur um den Preis wirtschaftlicher Stagnation möglich sein. Strassenszene in Görlitz. (Bild: Sean Gallup / Getty)
Wollen die Ostdeutschen weiterhin unter sich bleiben, wird dies nur um den Preis wirtschaftlicher Stagnation möglich sein. Strassenszene in Görlitz.

Ostdeutsche Identität

Es gibt nur zwei wichtige Ausnahmen. Die Frage, ob es in der Wende gerecht zugegangen sei, beantwortet die ostdeutsche Nachwendegeneration auffallend häufiger mit einem Nein. Und ihre Identität ist deutlich häufiger «ostdeutsch» geprägt als die der Altersgenossen «westdeutsch». Überraschen kann das allerdings kaum, dürften sich hierin doch vor allem die Erfahrungen ihrer eigenen Eltern widerspiegeln. Dafür spricht, dass in ostdeutschen Elternhäusern Nachwendeerfahrungen deutlich häufiger thematisiert werden als in westdeutschen. Wer allerdings glaubt, dass der Ost-West-Mentalitätsunterschied durch die jüngeren Generationen in überschaubarer Zeit verschwinden werde, irrt. Die nachwachsenden Altersjahrgänge sind zahlenmässig so schwach vertreten, dass noch auf lange Zeit die älteren Generationen das kollektive Gedächtnis dominieren werden.

Auch sollte man die jüngsten AfD-Wahlergebnisse im Osten nicht als Anzeichen für ein Revival des alten Ost-West-Konflikts interpretieren. Es gibt auch westdeutsche Länder, in deren Landtagen die AfD mit Wahlergebnissen von bis zu 15 Prozent vertreten ist. In Wahrheit schlummert hinter den Wahlergebnissen der AfD in Ostdeutschland eine Verachtung des Staates sowie seiner Institutionen und Eliten. Auslöser hierfür war die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 mit der von vielen Menschen empfundenen Unfähigkeit des Staates, der Lage noch Herr zu werden. Und dem AfD wählenden Ossi ist es dabei ganz gleichgültig, aus welchem Landstrich die von ihm verachteten Eliten stammen. Die AfD wird nicht in erster Linie als rechte Partei gewählt, sondern als Partei des Anti-Establishments. Deshalb stört es umgekehrt auch nicht, wenn an der Spitze ostdeutscher AfD-Landesverbände Wessis stehen.

Die heutige Lage Ostdeutschlands ist paradox. Es geht ihm materiell so gut wie nie zuvor, und dennoch ist die Unzufriedenheit gross. Es erweist sich als Fehler, Politik allein oder vor allem als eine Form der Wohlstandssicherung zu praktizieren. Dieser ubiquitäre Primitivmarxismus läuft ins Leere. Der Mensch lässt sich offenbar nicht auf die Funktion eines Konsumautomaten reduzieren. Und dennoch dürfte ausgerechnet die wirtschaftliche Entwicklung zum grössten Hemmschuh des nächsten Jahrzehnts werden. Während die Chancen für diejenigen, die sie wahrnehmen können und wollen, heute grösser sind als jemals zuvor, droht Ostdeutschland insgesamt die wirtschaftliche Schrumpfung.

Lösen lässt sich dieses Problem nicht dadurch, dass die ostdeutschen Länder weitere Almosen vom Bund verlangen und sich im Modus des Jammer-Ossis einrichten. Erforderlich wäre stattdessen eine Modernisierungsstrategie, die sich mit Macht nicht auf die Ausweitung sozialer Wohltaten, sondern auf die Stabilisierung der Fachkräftesituation stürzt. Ohne gezielte Zuwanderung wird sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht stabilisieren lassen. Die Ossis müssen sich also entscheiden: Wollen sie unter sich bleiben, wird dies nur um den Preis wirtschaftlicher Stagnation möglich sein. Wollen sie wirtschaftlich an den Westen anschliessen oder zumindest nicht zurückfallen, müssen sie sich für die Welt öffnen. Die nachwachsende Generation Ostdeutschlands hat die dafür erforderlichen mentalen Voraussetzungen. Aber hat sie auch den Mut, den Konflikt mit den eigenen Eltern und Grosseltern zu suchen?

Mathias Brodkorb (SPD) ist Abgeordneter des Landtages von Mecklenburg- Vorpommern und war 2016–2019 Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern.


Nota. - Die Quintessenz steht, wie es sich gehört, im Schlusssatz. Die Bundesrepublik ist das geworden, was sie im Moment des Beitritts der Ost-Länder war, im Jahre 1968. Da hat der mehrheitliche Teil der Deutschen mit der Generation der Väter abgerechnet - schlecht und recht, gewiss, aber immerhin. Wenn der beigetretene Teil zur gemeinsamen Nation gehören will, muss er nachholen, was ihre Eltern sich ersparen konnten; und nun fällt's ihnen doppelt schwer, aber da müssen sie durch.
JE


Wie die Bibel entstand.

Rembrandt, Moses, Gesetzestafeln
aus nzz.ch, 27.10.2019


Das Wort Gottes hat eine sehr irdische Geschichte: 
Wie die Bibel entstanden ist 
Von den heiligen Schriften im alten Israel über die ersten Evangelien bis zum Kanon der Bücher des Alten und Neuen Testaments, das ist ein langer Weg. Wann die Bibel so war, wie wir sie heute kennen, ist gar nicht so einfach zu sagen.

von Helmut Zander


Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen. Im Gegenteil, sie hat – was bei fundamentalistischen Juden und Christen die Nerven blank liegen lässt – eine ganz menschliche Geschichte. Diese haben Konrad Schmid und Jens Schröter, protestantische Professoren für die Geschichte biblischer Literatur, rekonstruiert. Wir erfahren, was es bedeutete, den Schritt von einer mündlichen zur einer Schrifttradition zu gehen, eine Entwicklung, die sich im vorexilischen Israel und Juda seit etwa dem 9. vorchristlichen Jahrhundert vollzog.

Ausserdem klären uns die beiden Autoren über die formative Phase intellektueller Literaturproduktion während und nach dem babylonischen Exil seit dem Jahr 597 auf, also zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v. Chr. Dies ist das vielleicht faszinierendste Kapitel des Buches, weil es die Idee eines punktgenauen «Ursprungs» der Bibel auflöst. Vielmehr lässt sich zeigen, wie der Untergang Israels unter den Eroberungsschlägen der Babylonier und die Rückkehr der intellektuellen Priesterschaft nach Jerusalem die Frage freisetzte, was denn die Grundlage der Identität eines jüdischen Volkes sei.

Eine der langfristig wichtigsten Antworten lautete: Schrift. Sie überarbeiteten und fertigten Texte, die schliesslich zur Bibel wurden. Schmid und Schröter beenden ihre Textarchäologie im 6. Jahrhundert n. Chr. mit der Geschichte der christlichen Schriften, die erst langsam zu einem neuen «Testament» wurden, und, besonders verdienstvoll, mit dem Blick auf die parallele Formierung einer jüdischen Bibel. Als exzellente Kenner haben Schmid und Schröter einen verlässlichen Cicerone geschrieben, in einem Gebiet, in dem Laien unter den jahrhundertealten Bergen von Literatur und in den Nahkampfzonen der Textforschung Atemnot bekommen würden. Chapeau!

Der Kern und die Ränder

Gleichwohl hat das Buch seine Tücken. Zum einen schwankt die Darstellung unentschieden zwischen der Interpretation einzelner biblischer Bücher und ihrer Kontexte und dem Versprechen des Titels, über «die Entstehung der Bibel» aufzuklären. Über Dutzende von Seiten wird die Geschichte der vorexilischen Reiche ausgebreitet, die Entstehung des Monotheismus fehlt nicht, ebenso wenig Theologien von Schuld und Sühne, der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien bringt es auf knapp zehn Seiten, die Theologie der Evangelien auf gut das Doppelte.

Man braucht, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, derartige Informationen, aber in der Überfülle des Materials, das die beiden Autoren aus dem Fundus ihres Wissens, welches sie in vielen Publikationen unter Beweis gestellt haben, ausbreiten, geht der rote Faden manchmal verloren.

Das zweite Problem liegt in der Antwort des Buches auf die Frage, wie man sich «die Entstehung der Bibel» bis zu ihrer kanonischen Festlegung vorzustellen habe. Beide Autoren wissen nur allzu gut, dass es zwar einen Kern gab, einen stabilen Bestand von Texten, im Neuen Testament etwa die vier Evangelien und die Paulusbriefe, aber zugleich einen offenen Rand und dauernde Debatten über den Stellenwert einzelner Bücher. «Unschärfe» ist deshalb zu Recht ein Schlüsselbegriff dieses Buches.

Allerdings werden diese Ränder systematisch unterschätzt. Und so erfährt man nicht, dass in allen 17 deutschen Übersetzungen des Neuen Testamentes vor Luther ein Brief an die Laodizäer unter dem Namen des Paulus auftaucht, dass der Hebräerbrief im Westen auch nach der Antike umstritten blieb oder dass die Johannesapokalypse in den östlichen Kirchen noch im 17. Jahrhundert als verbindliches Buch verworfen werden konnte.

Nichts mehr ausser Luthers Bibel

Und nur ganz am Rand kommt die äthiopische Kirche in den Blick, deren neutestamentlicher Schriftenbestand bis heute durchaus das Doppelte des westlichen Umfangs betragen kann und die die Idee eines verbindlichen «Kanons» nicht teilt. Die These, dass «der Kanon des Neuen Testaments seit dem 4. Jahrhundert im Wesentlichen feststand», ist angesichts dieses Befundes ziemlich mutig.

Zu dieser Blickverengung kam es vermutlich, weil beide Autoren Fachleute für die Antike sind und sich entschieden haben, mit dem 6. nachchristlichen Jahrhundert aufzuhören. Und so erfahren wir nichts über die porösen Ränder der mittelalterlichen Bibel, wenig über Schriften wie das Protoevangelium des Jakobus, die auf Augenhöhe mit den «kanonischen» Evangelien gelesen werden konnten.

Und vor allem erfahren wir fast nichts über die Entstehung eines geschlossenen Kanons im 16. Jahrhundert: über die Festlegungen in der katholischen Kirche auf dem Tridentiner Konzil, über die darauf reagierenden Beschlüsse reformierter Synoden in den folgenden Jahrzehnten und die faktische Kanonisierung der sprachgewaltigen Bibel Luthers in den lutherischen Kirchen. Schmid und Schröter erzählen eine dichte Geschichte des Anfangs – aber das (vorläufige) Ende der «Entstehung der Bibel» fehlt. Für die Vorgeschichte allerdings verdient das Buch zweifellos das Prädikat: lesenswert!

Konrad Schmid / Jens Schröter: Die Entstehung der Bibel. Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften. Verlag C. H. Beck, München 2019. 504 S., 52 Abb. Fr. 42.90.

Samstag, 26. Oktober 2019

Konservativ ist, wer auf den Fortschritt setzt.

 
aus Die Presse, Wien, 26.10.2019

Es geht voran – aber keiner glaubt es Die Zahlen zeigen: Noch nie ging es der Menschheit so gut wie heute. Aber wir weigern uns, die frohe Botschaft zu akzeptieren. Die verzerrte Wahrnehmung liegt in Evolution und Psychologie begründet. Können wir uns davon befreien? Sollten wir es überhaupt?

von

Man sollte sich nicht über Kollegen lustig machen. Erst recht nicht, wenn sie vermutlich einen weniger interessanten Job haben. Aber seien wir ehrlich: Was in Gemeindezeitungen und Bezirksblättern steht, ist meistens recht langweilig. Das hat einen Grund: Dort passiert nichts Spannendes, sprich: Schlimmes. Man berichtet über kleine Erfolge, kleine Verbesserungen, rasch gelöste Probleme. Wie öde!

Gottlob wissen wir aus nationalen Medien (und millionenfach geteilten Handyvideos): In der großen weiten Welt geht alles den Bach runter. Es regieren Not und Gewalt. Eine Katastrophe jagt die andere. Dabei picken die Verbreiter aus der Flut von Nachrichten wenige schockierende Abweichungen heraus. Weit akkurater wäre die Lage der Welt beschrieben, würde man die Berichte aller öden Provinzmedien der Welt akkumulieren: Das „Dort“, wo so vieles langsam besser wird, ist unser aller „Hier“. Da uns diese Einsicht fehlt, sehen wir das Ferne seltsam verzerrt: In Umfragen schätzen die meisten die eigene Lage als recht gut ein, die allgemeine aber als miserabel. Die Hölle, das ist überall anders.


Sind nur Journalisten schuld daran, dass es an Optimismus mangelt? Es liegt an uns allen: Wir wollen vom schrecklichen Flugzeugabsturz hören, aber nicht darüber, dass sich die Zahl der Flugzeugabstürze seit den Siebzigerjahren trotz zehnmal so vieler Passagiere halbiert hat. Unsere Sucht nach dem Alarm, auch wenn es meist ein falscher ist, hat evolutionäre Wurzeln: Wer in grauer Vorzeit stets nach neuen Gefahren Ausschau hielt, überlebte eher als jene, die sich entspannt auf die Wiese legten. Die Gene der Sorgenvollen haben sich durchgesetzt und auf uns Heutige übertragen.

Wir Retromanen

Zugleich haben wir eine Tendenz, die Vergangenheit zu verklären. Der Urlaub, das Familientreffen, erst recht die ferne Jugend: Auch wenn sie noch so unerfreulich ausfielen, malen wir sie in der Erinnerung in rosigen Farben. Gerade die 1950er- und 1960er-Jahre gelten als Goldenes Zeitalter, an dem man sich wieder orientieren solle. Das ist kein Zufall: Viele aktuelle Meinungsmacher sind überreife Babyboomer, die damals ihre Kindheit verlebten. Unsere Nostalgie – oder treffender: Retromanie – lässt sich psychologisch erklären. Es ist unserer mentalen Gesundheit abträglich, wenn unsere Erinnerungen widersprüchliche Gefühle hervorrufen. Wir schreiben sie deshalb so um, dass sich alles zusammenfügt – und zwar zum Positiven. Denn die Alternative wäre ein rundum negatives Fazit, an dem wir persönlich verzweifeln müssten. Das wäre keine gute Basis für das Meistern der eigenen Zukunft.

Vom Schlimmsten ausgehen, die Vergangenheit beschönigen: Kombiniert liefert das den populären Seufzer „Früher war alles besser“. Da sich die Klage seit dem alten Babylon in jeder Generation wiederholt, müssten wir nun am vorläufigen Tiefpunkt der Geschichte angelangt sein. Das Gegenteil ist der Fall: Nach fast allen objektiven Kriterien – Wohlstand, Gesundheit, Lebenserwartung, Sicherheit, Freiheit – geht es der Menschheit so gut wie nie zuvor. Aber das wollen wir nicht hören.
 

Auf die Frage „Hat sich die extreme Armut weltweit in den vergangenen 50 Jahren verdoppelt, halbiert oder stagniert sie?“, gibt nur einer von zehn die richtige Antwort (halbiert). Affen würden raten, sie hätten eine Trefferquote von 50 Prozent. Wir sollten aber schlauer sein als Affen. Als rationale, selbstbestimmte Wesen sind wir auch unseren Genen und Instinkten nicht hilflos ausgeliefert. Wir können dem kurzfristigen Aufreger weniger Aufmerksamkeit schenken als der langfristigen Entwicklung, die seriöse Statistiken zeigen.

„Trendlines, not headlines“: Das predigen Autoren wie Steven Pinker, Hans Rosling oder Johan Norberg. Ihre Bücher sind nicht erfolglos, aber im lauten Chor der Schwarzmaler gehen sie unter. Die Reaktion auf ihre frohe Botschaft ist Skepsis. Es klingt ja auch verdächtig nach Werbung oder PR-Aussendung. Man weicht zurück: Da will mir jemand etwas verkaufen. Wer hingehen Missstände anprangert, hat sofort unsere Sympathie: Da will mir jemand helfen. Oft hört man auch: Politik darf sich nie mit dem Erreichten zufriedengeben. Nur: Das macht auch keiner der genannten Autoren. Sie sagen nur, dass sich seit der Aufklärung vieles dramatisch verbessert hat.

Aber schon dieses Vertrauen auf den Fortschritt macht sie gerade Intellektuellen suspekt. Eine lange Reihe von Philosophen, von Rousseau über Spengler bis Heidegger, haben den Lauf der Welt als Verfallsgeschichte gedeutet. Wortgewaltig und wirkmächtig, auch wenn die Basis nur das dumpfe Bauchgefühl von jedermann war. Oder doch Kalkül im Wettstreit der Meinungen? Wir wissen: Ein Rezensent, der Bücher oder Aufführungen verreißt, wird für kompetenter gehalten. Umso mehr gilt das für Analysen von Gesellschaft, Politik, Ökonomie. Wer sich da über Erreichtes freut, kriegt prompt ein „naiver Optimist“ ums Ohr gehauen.

Konservative Aufklärer

Muss das sein, weil nur Kritik etwas bewegt, weil ohne sie nichts weitergeht? Wahre Aufklärer sind heute zwangsläufig konservativ: Sie verteidigen Errungenschaften, die in der Geschichte der Menschheit beispiellos sind. Sie fragen sich: „Wie war das möglich?“, um auf dieser Basis in kleinen Schritten weiter zu verbessern.

Mehr Gehör finden jene, die „unheilbare Missstände“ anklagen und Radikales fordern: autoritäre Führung statt Demokratie, Abschottung statt Kooperation, Knebelung der Marktkräfte. Wir sollten ihnen nicht nur Zahlen entgegenhalten. Sondern auch Stolz im Herzen und Wut im Bauch.


Nota. - Die Etikette konservativ und progressiv sind, wie die entsprechenden Kennzeichnungen links und rechts, Erfindungen des 19. Jahrhunderts. Im Rücken die Große Revolution, deren Erinnerung den einen Angst, den andern Hoffnung machte, im Visier die Industrialisierung, die Freiheit verhieß und doch Elend in Aussicht stellte.

Zwischen den beiden Flügeln die liberalen Fortschrittler, die maßvollen Wandel predigten unter Bewahrung der Ordnung. Das folgende Jahrhundert hat nach zwei Weltkriegen die Industrialisierung im Guten wie im Schlech- ten zu einem Abschluss gebracht. Eine gewaltige Umwälzung bei mehrmaliger katastrophaler Wiederherstellung der Ordnung. Aber die alte Ordnung war es nicht. Die neue Ordnung bestand in stetem Fortschritt unter Bewah- rung des sozialen Gleichgewichts. Je kleiner die wirklichen Gegensätze wurden, umso mehr kam es auf den Ton an. Schließlich wird nur noch um Schlagwörter gefochten - aber so schrill wie nur denkbar. Die Taten bleiben unentschlossen und kleinlich.

Die begonnene digitale Revolution könnte konvulsivische Formen annehmen. Dass man ihr ausweichen kann, mögen reaktionäre Gartenzwerge träumen, doch wer zwei und zwei zusammenzählt, macht sich Gedanken über das zu bewahrende Gleichgewicht. Das heißt, um ein unablässig und gelegentlich gewaltsam zu readjustierendes Gleichgewicht. Verbaler Krawall kann da nur stören.
JE
 

Donnerstag, 24. Oktober 2019

Sie wuchert weiter.


aus Tagesspiegel.de, 23. 10. 2019

Jahresbericht des NKR Normenkontrollrat bemängelt zu viel Bürokratie für deutsche Unternehmen
Regierungsberater kritisieren: Seit 2011 sind Bürokratiekosten für die deutsche Wirtschaft um fast fünf Milliarden Euro gestiegen.

von

Statt ihre wirkliche Arbeit zu machen, müssen Unternehmer immer mehr Zeit am Schreibtisch verbringen, Formulare ausfüllen, Namen und Zeiten ganz genau dokumentieren. Das deutsche Handwerk schimpft regelmäßig über die ausufernde Bürokratie. Industriebetriebe tun es, selbst Kindertagesstätten.

Dass sie alle durchaus Grund zum Klagen haben, zeigen die Gutachten des Nationalen Normenkontrollrates (NKR). Das Beratergremium der Regierung prüft seit 2011 Gesetze auf ihre Folgekosten für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung hin. In den vergangenen zwölf Monaten seien diese Kosten deutlich gestiegen – auf 831 Millionen Euro. Damit seien die Entlastungen des Vorjahreszeitraums, die sich auf 880 Millionen Euro beliefen, „nahezu wieder ausgeglichen“, kritisierte das Gremium. Seit 2011 sind die Bürokratiekosten für die deutsche Wirtschaft um knapp fünf Milliarden Euro gestiegen. 


Der größte Kostentreiber war in den vergangenen Monaten das Gesetz gegen illegale Beschäftigung. Im Bericht werden zudem das Grundsteuer-Reformgesetz und das Starke-Familien-Gesetz genannt. Aus Sicht des NKR-Vorsitzenden Johannes Ludewig sei es jetzt umso wichtiger, dass die Bundesregierung mit dem Bürokratieent- lastungsgesetz III ein „wichtiges Zeichen“ setze. Das im September verabschiedete Gesetz enthält Entlastungen für die Wirtschaft von rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Es muss allerdings noch vom Parlament verabschiedet werden.  

Aufwand durch europäische Regelungen wächst

Eigentlich gibt es in Deutschland seit 2014 die sogenannte One-in-one-out-Regel. Neue Belastungen dürfen danach nur in dem Maße eingeführt werden, wie bisherige Belastungen abgebaut werden. Damit soll besonders der Mittelstand entlastet werden. Während die Wirtschaft durch deutsches Recht tatsächlich entlastet wird, steigt jedoch der Aufwand, der durch europäische Regelungen entsteht, immer weiter. „550 Millionen Euro Aufwand aus der Umsetzung von EU-Recht bleiben außen vor, obwohl er die Wirtschaft genauso belastet“, beklagt das Gremium. Die EU-Kommission müsse deswegen auch die Begrenzung gesetzlicher Folgekosten anstreben, was sie anscheinend vorhat. Das Gremium heißt es gut, dass die Kommissionspräsidentin die Einführung einer europäischen „One-in-one-out“-Regel angekündigt hat.

Der Kontrollrat kritisierte in dem Jahresbericht außerdem, dass die deutsche Regierung bei der Verabschiedung von Gesetzen immer öfter aufs Tempo drücke, was ein Grund für Mehrbelastungen sein könnte. „Binnen weniger Tage, teilweise sogar weniger Stunden komplexe Regelungen sorgfältig zu prüfen, Folgen abzuschätzen und Fehler zu vermeiden, ist unmöglich“, erklärte das Gremium. „Bei allem Verständnis für politische Zwänge – in der Gesetzgebung sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen, ansonsten ist die Gesetzesqualität ernsthaft in Frage gestellt“, sagte der frühere Bahn-Chef Johannes Ludewig.

Kritik: „Wir machen Gesetze wie vor hundert Jahren“

Wie wahr, findet die Wirtschaft. Der DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben kommentierte: „Gerade in der letzten Zeit sind die Stellungnahmefristen frappierend: drei Tage beim dritten Bürokratieentlastungsgesetz, drei Tage über das Wochenende bei der Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, einen Tag für die steuerlichen Regelungen aus dem Klimapaket. Der Eindruck entsteht, dass Beratung zu den politischen Auswirkungen keine Priorität hat.“ Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert mehr Ehrgeiz beim Bürokratie-Abbau. Die bisherigen Maßnahmen kämen – jedenfalls gefühlt – bei den Unternehmen nicht an.

„Wir machen Gesetze wie vor hundert Jahren“, findet Ludewig. Der Normenkontrollrat nennt viele deutsche Gesetze zu komplex, zu schwer verständlich, zu weit weg von der Lebensrealität der Betroffenen. Nach dem Modell „erst der Inhalt, dann die Paragrafen“ sollten besser ganz zu Beginn eines Gesetzgebungsprozesses die Ziele definiert werden.

Auch die Möglichkeiten und Anforderungen der Digitalisierung würden viel zu selten von vornherein mitgedacht. In Dänemark ist es bei der Gesetzgebung bereits zwingend, dass alles, was von der Politik beschlossen wird, digital umsetzbar ist. Ludewig übergab den Jahresbericht an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie verwies auf geplante Entlastungen, sieht allerdings auch noch großen Aufholbedarf in Deutschlands – vor allem bei der digitalen Verwaltung

Mittwoch, 23. Oktober 2019

Hab ich mich vergriffen?

Paul Hampel, MdB, Außenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion,
aus afdkompakt, 23. 10. 2018

Schutzzone in Syrien:
Kramp-Karrenbauer greift drei Jahre alte AfD-Forderung auf
Die AfD hatte bereits 2015 Schutzzonen in Syrien unter UN-Mandat vorgeschlagen und die Einbindung Russlands gefordert.

Der Außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Armin-Paulus Hampel hat die aus dem Verteidi- gungsministerium verlautete Forderung nach Einrichtung einer Schutzzone im Norden Syriens für Binnen- flüchtlinge begrüßt und erinnert dabei auf die gleich lautende Forderung der AfD aus dem Jahr 2015:

„Es ist schon interessant, dass die deutschen Leitmedien mit keinem Wort erwähnen, dass die Syrien-Vorschläge der Verteidigungsministerin eine schlechte Kopie der seit 2015 formulierten AfD-Forderungen zu diesem Thema sind. Immerhin, erstmalig lässt sich die CDU-Vorsitzende und Ministerin konkret auf AfD-Vorschläge ein. Wir begrüßen diesen Schritt. Schon lange fordern wir die Einrichtung einer robusten Schutzzone im Norden Syriens. Im Gegensatz zu Frau Kramp-Karrenbauers Vorstellung, muss diese aber durch ein UN-Mandat gedeckt sein, auf welches Deutschland als derzeitiges Mitglied im Weltsicherheitsrat drängen sollte. Dafür ist wiederum eine Zustimmung des syrischen Präsidenten Assad notwendig, auf den, zum Beispiel durch die Russen, einzuwirken ist.

Es gilt, die 200.000, vornehmlich kurdischen Binnenflüchtlinge jetzt so zu schützen, dass sie weder durch türkisches Militär, den IS oder andere bedroht werden können. Weitere robuste Schutzzonen könnten für rückkehrwillige Syrer in anderen Landesteilen eingerichtet werden. Zu begrüßen ist weiterhin AKKs Vorschlag, dass der derzeit wichtigste Machtfaktor in Syrien, nämlich Russland in die Operation eingebunden werden muss. Die Vereinten Nationen können eben nur gemeinsam mit Russland diese Deeskalationszone verwalten und schützen und dafür sorgen, dass die Menschen dort ausreichend medizinische Versorgung und Tagegeld erhalten. All diese Maßnahmen helfen sowohl den Flüchtlingen, die in direkter Nachbarschaft ihrer Heimatländer leben können und sie helfen auch uns, weitere Flüchtlingsströme nach Deutschland mit ihren schwerwiegenden sozialen Folgen zu verhindern“, sagt Hampel.


Nota. -  Eine Schutzzone haben sie gefordert. Wer kann da schon nein sagen? Nichtmal sie selber. Der sprin- gende Punkt ist aber, wer sie einrichtet und verteidigt. "UN-Mandat", das könnten ja auch mal die andern be- sorgen, wir sind schon reichlich beschäftigt in Afgahnistan, Mali, Horn Afrikas... Und auf jeden Fall könnten wir den Kopf einziehen und in Deckung gehen; Polizisten ausbilden, Software bereitstellen, Sanitätskolonnen...

Aber Kramp-Karrenbauer hat eine europäische Verantwortung vorgeschlagen, und man kann nur hoffen, dass sie sich was dabei gedacht hat. Dass sie nämlich an eine tragende Rolle Deutschlands gedacht hat. Und es sollte mich wirklich überraschen, wenn MdB Hampel da nicht tausend Teufel im Detail fände und Gründe, am Ende... doch dagegen zu stimmen.
JE

Dienstag, 22. Oktober 2019

Deutschland kann sich nicht ewig verstecken.

aus welt.de, 22. 10. 2019

AKK-Vorstoß zu Syrien
Nun gibt die Kanzlerin AKK Rückendeckung
Die Verteidigungsministerin fordert eine international kontrollierte Sicherheitszone im syrischen Grenzgebiet. Das SPD-geführte Auswärtige Amt gibt sich überrumpelt. Nun springt Kanzlerin Merkel Annegret Kramp-Karrenbauer bei

von Robin Alexander
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Kanzlerin Angela Merkel hat sich hinter den Vorstoß ihrer Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) für einen internationalen Stabilisierungseinsatz in Nordsyrien gestellt. Der Gedanke, dort Schutzzonen einzurichten, sei sehr vielversprechend, sagte Merkel nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in der Sitzung der Unionsfraktion. Ein „Versuch ist es allemal wert“, wurde Merkel von Sitzungsteilnehmern mit Blick auf die Vorschläge Kramp-Karrenbauers zitiert. Die Pläne sollten nun in der Koalition besprochen werden. 

Deutschland wolle einen Beitrag „vor unserer Haustür“ leisten, sagte Merkel demnach. Die jetzige Lage in Nordsyrien sei nicht gut. „Wir haben die Pflicht zu schauen, wie man die Dinge dort regeln kann“, sagte Merkel nach den Teilnehmerangaben.

Kramp-Karrenbauer will Verbündete für einen internationalen Stabilisierungseinsatz im umkämpften Nordsyrien gewinnen. Unklar ist noch, ob Partnerländer mitziehen. Ziel müsse es sein, den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) fortzusetzen und mit einem Wiederaufbau zerstörter Regionen die Voraussetzung für eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen, hatte die CDU-Chefin gesagt.

„Von SMS-Diplomatie halte ich wenig“

Der Koalitionspartner SPD reagierte zunächst skeptisch – offenbar fühlte sich besonders Außenminister Heiko Maas (SPD) überrumpelt. Das Auswärtige Amt habe Diskussionsbedarf zu dem Vorstoß, hieß es aus dem Ressort. Kramp-Karrenbauer hatte am Montag gesagt, dass sie mit Maas per SMS in Kontakt war und ihn informiert habe, dass sie „einen Vorschlag machen werde“.

Laut Maas hat die Syrien-Initiative für Irritationen bei den Bündnispartnern gesorgt: „Die Fragen, die es dort gibt, sind zahlreich“, sagte der SPD-Politiker. Zur Art und Weise, wie er von Kramp-Karrenbauer über den Vorstoß informiert wurde, sagte der Minister: „Von SMS-Diplomatie halte ich wenig. Daraus wird schnell eine SOS-Diplomatie“, so Maas nach einem Gespräch mit seinem Amtskollegen aus Litauen, Linas Antanas Linkevicius.

„Das war mit uns nicht abgestimmt“, sagte zuvor bereits der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Fritz Felgentreu im Deutschlandfunk. „Und ich habe auch eine Menge Fragen in dem Kontext. Dass wir da skeptisch sind, das liegt auf der Hand.“ SPD-Vize-Parteichef Ralf Stegner sagte: „Das scheint ein Alleingang von AKK zu sein. So löst man internationale Probleme gewiss nicht. Vorsicht bei der Verwicklung in militärische Konflikte.“

Felgentreu sagte weiter, der Vorschlag habe ihn „schon ein bisschen überrascht“. Über eine Sicherheitszone sei aber in anderer Form in den letzten Wochen immer mal wieder diskutiert worden, weil die Türkei dies seit längerem gefordert habe. Von einem Affront wollte der Verteidigungsexperte nicht sprechen. „Dass wir hier in Deutschland darüber diskutieren, was können wir selber tun, um die Lage zu stabilisieren, das ist jetzt erstmal nicht illegitim. Und diese Diskussion sollten wir führen, aber es muss natürlich dann auch am Ende etwas Realistisches dabei herauskommen.“

Felgentreu betonte: „Am Ende muss die Bundesregierung geschlossen handeln.“ Ein einzelnes Ministerium könne keine internationale Politik gestalten.
„Noch ist völlig offen, um welche Art von Mission es eventuell gehen soll“

Der Wehrbeauftragte der Bundeswehr, Hans-Peter Bartels (SPD) kritisierte den Vorstoß von Kramp-Karrenbauer vor allem im Hinblick auf die Ressourcen der Bundeswehr. „Die Bundeswehr reißt sich nicht um zusätzliche Aufgaben. Schon jetzt sind 17.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in internationale Einsätze eingebunden, von Afghanistan bis zur Nato Response Force“, sagte Bartels dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Zwar sei es möglich, das Deutschland seine Prioritäten ändere.

Laut Bartels ist es zwar möglich, dass Deutschland andere Prioritäten setzt. „Aber noch ist ja völlig offen, um welche Art von Mission es eventuell gehen soll. Und soll dann die EU aktiv werden, die Nato oder die UNO?“

Über eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr müsse der Bundestag entscheiden, sagte Kramp-Karrenbauer am Montag. Ziel müsse auch ein ziviles Wiederaufbauprogramm sein. Die Türkei hatte am 9. Oktober im Norden Syriens eine Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG gestartet, die von ihr als Terrororganisation angesehen wird.

Die Situation in Syrien beeinträchtige die Sicherheitsinteressen Europas und Deutschlands massiv, sagte Kramp-Karrenbauer. In dieser Situation hätten sich Deutschland und die Europäer bisher zu passiv verhalten, „wie Zaungäste“.

Deswegen „ist ein Impuls und eine politische Initiative von Deutschland ausgehend für einen europäischen Vorstoß in der Nato sinnvoll“, sagte die Ministerin.

„Die Frage, wie diese Lösung aussehen kann, liegt in der Schaffung einer international kontrollierten Sicherheitszone unter Einbeziehung der Türkei und Russlands, mit dem Ziel, die Lage dort zu deeskalieren. Mit dem Ziel, den Kampf gegen den Terror der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) fortzusetzen. Mit dem Ziel, den gerade begonnenen Verfassungsprozess nach der UN-Resolution auch wirklich fortsetzen zu können“, sagte Kramp-Karrenbauer.

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour sagte, Kramp-Karrenbauer widerspreche damit Außenminister Maas. Dieser hatte gesagt, es sei zu früh für solche Überlegungen. „So desavouiert sie mit unabgesprochenen Ansagen nicht nur die Verlässlichkeit Deutschlands in unseren Bündnissen“, erklärte Nouripour.

Sie verfestige auch den Eindruck, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan könne Deutschland mit der Drohung erpressen, Flüchtlinge nach Europa ziehen zu lassen. „Die Angst vor Flüchtlingen hat Teilen der CDU wohl die Sicht auf die Realität vernebelt.“


Nota. - "Das war nicht abgesprochen!" Den Rat hat ihr Frau Merkel gegeben. Wenn sie die Sozis im Kämmer- lein nach ihrer Meinung gefragt hätte, da wäre vor lauter wenn und aber nie was draus geworden. Ralf Stegner hätte gesagt, ja, aber nur mit Gummiknüppel bewaffnet und Platzpatronen und Trillerpfeife, von deutschem Boden darf nie wieder... und so weiter. Sie hat es so gemacht wie Merkel im Herbst 2015, wo sie die europäi- schen Partner in die Klemme genommen hat. Sonst wäre... Ach, das will ich mir lieben nicht ausmalen, was sonst passiert wäre.
 
Echt in der Bredouille sind die völkischen Gartenzwerge. Make deutSchland great again bleibt ihnen im Halse stecken. Den Amis die Kastanien aus dem Feuer holen, es gar mit dem moskowiter Großfürsten verderben? Und am Ende wohl noch für eine Regierungsvorlage stimmen! "Diesem System keinen Groschen und keinen Mann." Friede den Datschen, Kriege mögen andere führen. - Ja, vaterlandslose Gesellen...

Wenn die Bundesregierung Deutschlands Interessen vertreten soll, werden wir uns das was kosten lassen müs- sen. Sonst dürfen (und müssen) wir wieder nur - da hat Nouripour Recht -  die Flüchtlinge aufnehmen.
JE

SED-Nachfolgepartei

- so nannte man früher die PDS.

Und wer bewirtschaftet heute deren Erbe?  


Die Linke wird im Osten bald nicht stärker sein als im Westen.  
Rechts geschiehts ihr.


Montag, 21. Oktober 2019

Außer klagen nichts zu sagen.

aus Tagesspiegel.de, 21. 10. 2019                                                     Osthaus steht noch, Westladen ist schon wieder geschlossen.

Außer Klagen nichts zu sagen?
Was am Opferdiskurs der Ostdeutschen falsch ist 
Die meisten Ostdeutschen sind zufrieden, das geht im 30-Jahre-Wende-Gejammer unter. Eine interessierte Minderheit betreibt diese Opferdebatte. Ein Gastbeitrag. 

von Detlef Pollack
 
Als Ostdeutscher hat man es gerade nicht leicht. Wir werden als Bürger zweiter Klasse behandelt, die Löhne in Ostdeutschland liegen auch 29 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer 17 Prozent unter dem Westniveau, von den 30 Dax-Vorstandsvorsitzenden kommt nicht einer aus den neuen Bundes- ländern. Und sind im Prozess der Wiedervereinigung nicht auch unsere Biografien entwertet worden?

In diesen Tagen werden wieder und wieder Verlustrechnungen aufgemacht, in denen die Ostdeutschen als die Benachteiligten der Einheit dastehen – vor allem von ostdeutschen Intellektuellen. Manche bezeichnen den Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik als „bedingungslose Kapitulation“. Andere in- szenieren Ostdeutschland als das „Land der kleinen Leute“ ohne eigene Stimme und ohne soziale Anerkennung.

Nach drei Jahrzehnten deutscher Einheit scheinen die Wortführer des Ostens vor allem eines gelernt zu haben, wie man sich öffentlichkeitswirksam über eine vermeintliche Dauermisere beklagen und dabei dem Westen weitgehendes Versagen unterstellen kann. Manch einer vermag dabei den „Jammerossi“ sogar noch als Klischee der Westdeutschen auszulagern, von dem sich diese nun endlich einmal lösen sollten.

Der Opferdiskurs lässt die Mehrheit außer acht

Kaum ein westlicher Akteur wagt noch, diesem Opferdiskurs selbstbewusst entgegenzutreten. Er möchte dem naheliegenden Verdacht, dem westdeutschen Überlegenheitsgestus verfallen zu sein, keine neue Nahrung geben. Also werden die Ostdeutschen in ihrem Klagemodus derzeit jovial bestärkt. So etwa wenn jetzt von staatstra- gender Seite die Deutschen in Ost und West dazu angehalten werden, 30 Jahre nach dem Mauerfall „einen ganz neuen Solidarpakt“ zu schließen, einen "Solidarpakt der Wertschätzung".

„Wer seine Arbeit verlor“, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des Mauergedenkens am 13. August diesen Jahres, wer „mehrmals umschulen musste, wer sich an marktwirtschaftliche Logik – und deren Auswüchse – erst gewöhnen musste und gleichzeitig eine Familie zu versorgen hatte, der schaut heute anders auf unser Land als einer, der von solchen Umbrüchen verschont blieb.“

Nach den schockierenden Wahlerfolgen der AfD im Osten kümmert sich nun jedermann um die Abgehängten im Osten, nicht nur der Bundespräsident, sondern auch die Parteien, das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die Tages- und Wochenzeitungen landauf landab. Die Ostdeutschen liegen auf der Couch und lassen sich die ver- letzte Seele streicheln.

Was ist falsch an diesem Opferdiskurs?

Vor allem dies, dass er die Mehrheit der Ostdeutschen außer Acht lässt. Denn diese Mehrheit bekennt, dass sie zufrieden mit ihrem Leben ist, dass es ihr heute besser geht als vor 30 Jahren, dass sie sich sozial anerkannt fühlt. Und sie wählt nicht rechtspopulistisch.

Der für die Bundesrepublik repräsentativen Langzeitstudie Sozio-ökonomisches Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin zufolge nähern sich die Zufriedenheitswerte der Ostdeutschen in den vergangenen drei Jahrzehnten denen der Westdeutschen immer mehr an. Auf einer Skala von 0 (= ganz und gar unzufrieden) bis 10 (= ganz und gar zufrieden) bewerten die westdeutschen Bundesbürger ihre subjektive Lebenszufriedenheit heute durchschnittlich mit einem Wert von 7,6, die ostdeutschen mit einem Wert von 7,35. Zwei Drittel der Ostdeutschen stimmen der Aussage zu, die Wiedervereinigung habe für die Bürger in den neuen Bundesländern mehr Vorteile als Nachteile gebracht. So die Ergebnisse der von Soziologen als äußerst zuverlässig eingeschätzten Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) von 2018.

Ost und West sind ungefähr gleich zufrieden

Und eine Sonderstichprobe des bereits erwähnten SOEP kommt zu dem Ergebnis, dass es, was das Maß der berichteten Wert- und Geringschätzung angeht, zwischen Ost und West keine signifikanten Unterschiede gibt. Auch in anderen Hinsichten erweist sich die Mehrheit der Ostdeutschen weder als abgehängt noch als desin- tegriert. Mit dem Weg, wie sich die Demokratie in Deutschland entwickelt, sind nach den Ergebnissen des Eurobarometers heute 54 Prozent zufrieden – etwa so viel wie auch 1990, als die Euphorie über die Wiederver- einigung noch nicht vom allgemeinen Klagen über sie abgelöst war.

Im Westen sind es zwar immer noch mehr, die sich als zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland bezeichnen, aber der Abstand zwischen Ost und West ist in den vergangenen fünf Jahren kleiner geworden, und er wird noch einmal geringer, wenn man den Anteil der AfD-Wähler herausrechnet. Fragt man die Menschen, ob sie die Demokratie für eine gute Regierungsform halten, so bejahen diese Frage 83 Prozent der Ostdeutschen. In den alten Bundesländern sind es 90 Prozent, so die Daten der Bertelsmann-Stiftung von 2017. Selbst mit der Marktwirtschaft, denen die Ostdeutschen ihr trauriges Schicksal doch vor allem zu- schreiben müssen, sind im Osten immer mehr Menschen zufrieden.

Wie kann das sein? Wie stimmen diese Daten mit der allgemein konstatierten Verdrossenheit der Ostdeutschen zusammen?

Alle diese Daten bewegen sich auf der Individualebene. Wenn sie sich auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, die Vor- oder Nachteile der Wiedervereinigung oder Gefühle der Anerkennung beziehen, handelt es sich um subjektive Einschätzungen der persönlichen Lage. Sofern sie die Beurteilung von Demokratie und Markt- wirtschaft betreffen, stellen sie noch immer subjektive Aussagen dar. Keine von ihnen bezieht sich jedoch auf die Ostdeutschen als kollektive Gruppe oder auf Ostdeutschland als vom Westen zu unterscheidende Region. Und genau darin liegt das Problem.

Das Problem ist die Überlegenheit des Westens

Vergleichen sich die Ostdeutschen mit den Westdeutschen, fühlen sie sich benachteiligt; in den neuen Bundes- ländern haben weitaus weniger Menschen das Gefühl, dass sie im Vergleich zu dem, wie es anderen in Deutsch- land geht, den ihnen zustehenden gerechten Anteil erhalten, als in den alten Bundesländern. Betrachten sie Ost- deutschland als Ganzes, können sie sich über die Kluft zum Westen, die sie an vielen Kennziffern und Erfah- rungen festmachen können, nur beschweren.

Das Problem ist also, könnte man sagen, nicht der Osten, sondern die wahrgenommene und noch immer beste- hende Überlegenheit des Westens. Selbst die selbstbewussten Sachsen denken zwar zu 90 Prozent, dass man auf das, was man in Sachsen seit 1989 erreicht hat, stolz sein kann, und 70 Prozent schätzen die wirt- schaftliche Lage in Sachsen als die beste Ostdeutschlands ein und sogar 75 Prozent als besser als in den Ländern Osteuro- pas, aber im Vergleich zu den Bewohnern der westdeutschen Bundesländer empfinden jedoch nur noch neun Prozent die Situation in Sachsen als besser (Sachsen-Monitor).

Hinzu kommt, dass man das, was es an Erfolgen im Osten gibt, zum großen Teil nur mit westlicher Hilfe erreichen konnte. 2,3 Billionen Euro sind in den Jahren seit der Herstellung der deutschen Einheit von West nach Ost geflossen. Der erreichte Wohlstand ist in einem nicht unbeträchtlichem Ausmaß ein geschenkter. Die Ostdeutschen wissen, dass sie ihn nur zu einem Teil den eigenen Anstrengungen verdanken. Wenn man die ostdeutschen Regionen außerhalb der Großstädte besucht, sieht man auf den ersten Blick, dass sich viele von ihnen in den durchsanierten Städten und Gemeinden wie Fremdkörper bewegen, die das, was sie an glänzenden Stahl-, Glas- und Betonkonstruktionen umgibt, nicht als ihr Eigenes erkennen – sofern sie denn überhaupt außer Haus gehen und nicht im Privaten bleiben.

Der gemeine Ossi ist dreist

Die ostdeutschen Intellektuellen, die die Kolonialisierung des Ostens beschwören, gehen an der Lebenslage der Mehrheit ihrer Landsleute vorbei und machen sich zum Sprachrohr von denjenigen, denen sie doch wohl eher mit Ablehnung gegenüberstehen. Eine Minderheit der Ostdeutschen hat es verstanden, sich zum Opfer der deut- schen Einheit zu stilisieren und mit seinem Wahlverhalten Berücksichtigung einzuklagen. Wählte ein Großteil von ihnen erst die Linke, um die westlichen Eliten herauszufordern, so meint sie jetzt, in der AfD einen noch wirksameren Proponenten ihrer Anliegen gefunden zu haben.

Der gemeine Ossi ist wendig, und er ist dreist. Er hat es geschafft, der westlichen Elite ein schlechtes Gewissen zu verschaffen. Sein Verhalten, auch sein Wahlverhalten ist taktisch und instrumentell, und es ist durchschaubar. Mit seinem Protest will er sich zu unserem Problem machen.

Wir müssen diesen Protest ernstnehmen, aber uns von ihm nicht instrumentalisieren lassen. Wir sollten nicht den Klagegesang einer Minderheit bedienen und uns als ihr verlängertes Sprachrohr missbrauchen lassen, indem wir den Ossi als ein benachteiligtes und entmündigtes Wesen porträtieren, dem die Anerkennung verweigert wird. Wir sollten den Blick frei bekommen und wahrnehmen, dass die Mehrheit der Ossis – unter teilweise erheblichen Anstrengungen und Entbehrungen, das muss man auch sehen – sich in das westliche System eingefädelt hat und in Deutschland angekommen ist.

Ja, wir sind übernommen worden, aber können wir darüber nicht einfach nur froh sein, dass der Westen diese Last auf sich genommen hat? Dankbarkeit schließt natürlich nicht aus, die teilweise erheblichen und teilweise noch immer bestehenden Probleme der Vereinigung zu benennen und auf sie kritisch zu verweisen. Als Ostdeutscher zu einer Gruppe zu gehören, die als ewig klagende Gemeinschaft der zu Kurz-Gekommenen Aufmerksamkeit und Berücksichtigung erzwingen will – das nervt, wie vielleicht der gemeine Wessi sagen würde. 


Nota. - Nestbeschmutzer, sagt der ossische Wutbürger, und macht sein Kreuz Sie-wissen-schon-wo.
Sie wissen nicht, wo? Na, erst bei diesen, jetzt bei jenen.
JE