aus Tagesspiegel.de, 29.10. 2019
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stellt
den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Frage.
„Wenn wir es ernst meinen mit der gemeinsamen europäischen Verteidigung,
dann müssen alle Beteiligten bereit sein, die eigenen, althergebrachten
Positionen zu hinterfragen und ein Stück weit davon abzurücken. Das
gilt auch für uns Deutsche, etwa bei der Frage der Rüstungsexporte und
beim Parlamentsvorbehalt“, bekräftigte Schäuble eine Forderung aus früheren Jahren in einer Grundsatzrede zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik am Dienstagabend in Bonn.
Er unterstützte den Vorschlag der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, eine Schutzzone in Nordsyrien einzurichten, und übte indirekt Kritik an Außenminister Heiko Maas (SPD).
Schäuble fordert die Deutschen und ihre Politiker dazu auf, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen und die Erwartungen ihrer Verbündeten ernster zu nehmen. Die Bündnisfähigkeit hänge davon ab.
Angesichts
der Krise der bisherigen Weltordnung müssten sich die Deutschen auf
„unbequeme Debatten und unpopuläre Entscheidungen“ einstellen, sagte
Schäuble. „Die USA ziehen sich zurück, die Europäer stecken in einer
Dauerkrise.“ Diese Krise gefährde Deutschland besonders, weil es mehr
als andere Staaten „angewiesen ist auf den Austausch von Gütern,
Ressourcen und Daten mit anderen Staaten und Gesellschaften“ und auf
eine „stabile, normengestützte globale Ordnung“. Deutschland sei
„verwöhnt von Frieden und Wohlstand“ und daran gewöhnt, von anderen
geschützt zu werden.
Als bevölkerungsreichstes Land der EU und viertstärkste Wirtschaftsmacht der Erde werde Deutschland nun jedoch mehr Verantwortung für den Schutz anderer übernehmen müssen. „Haben wir wirklich ausreichend begriffen, dass unsere Freiheit und unser Wohlstand nicht voraussetzungslos sind?“, fragte Schäuble. „Dass Deutschland keine Trauminsel ist, die mit der rauen globalen Wirklichkeit nichts zu schaffen hat? Sind wir bereit, unsere Macht einzusetzen, um zu schützen und zu fördern, was die Grundlage unseres Lebensmodells ausmacht? Und: zu welchem Preis?“
Kramp-Karrenbauers „Vorschlag für eine internationale Schutzzone in Nordsyrien ist richtig“. Dort seien „europäische und damit deutsche Sicherheitsinteressen massiv berührt“. Deshalb „können wir uns nicht guten Gewissens darauf beschränken, den Konfliktparteien Mahnungen von der Seitenlinie aus zuzurufen, oder bloß zuschauen, wie die Türkei und Russland gemeinsam ihren Machtbereich ausweiten“, sagte Schäuble. Dies klang wie eine Kritik an Maas, der den Vorschlag in der Türkei als „nicht realistisch“ abgetan hatte. Es genüge auch nicht, Ideengeber für eine europäische Initiative zu sein, fuhr Schäuble fort. Vielmehr „müssten wir Deutschen bereit sein, selbst einen Beitrag vor Ort zu leisten“ und „materielle und moralische Kosten zu übernehmen“.
Schäuble
warnte davor, US-Präsident Donald Trumps Vorgehen pauschal abzulehnen.
Nicht alles, was Trump sage, „entbehrt ja vollkommen der sachlichen
Grundlage“. Viele Partner hätten „gelegentlich den Eindruck, Deutschland
ducke sich weg“. Als Beispiele nannte Schäuble die „Debatte um die Sicherheit in der Straße von Hormus oder die Frage unseres Beitrags zur Nato“.
Auch
hier flocht er eine Bemerkung ein, die sich als Kritik an der SPD und
Außenminister Maas verstehen ließ, die sich gegen einen gemeinsamen
Geleitschutz für Handelsschiffe im Persischen Golf ausgesprochen hatten.
„Bestimmte Optionen von vornherein auszuschließen, schwächt die eigene
Verhandlungsposition, wie jeder Taktiker weiß – übrigens auch die von
Partnern und Verbündeten.“
Es
gebe durchaus Unterstützung in der Bevölkerung für mehr deutsche
Verantwortung, betonte der Bundestagspräsident. „Eine Mehrheit will,
dass Deutschland sich nicht nur für die eigene Sicherheit, sondern auch
die seiner Verbündeten und bei der Terrorismusbekämpfung engagiert.“ Und
ebenso gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel. Weniger Zuspruch gebe
es, sobald daraus konkrete Maßnahmen abgeleitet werden: die
Verteidigungsausgaben zu erhöhen oder die Lebensverhältnisse in
Entwicklungsländern zu verbessern.
„Beginnen
wir damit, die Welt so zu sehen, wie sie ist – und nicht, wie wir sie
gerne hätten“, forderte Schäuble. „Heraushalten ist keine Option.“ Zum
Schutz der internationalen Ordnung „gehört in letzter Konsequenz auch
die Bereitschaft, militärische Gewalt anzuwenden“. Zur Realität zähle
auch: „Auf absehbare Zeit wird Deutschland, wird Europa für seine
Sicherheit nicht ohne die USA auskommen.“ China und Russland seien keine
alternativen Partner. Ihnen gegenüber müsse Deutschland „die richtige
Balance aus Zusammenarbeit und Druck“ finden. „Es geht um unsere Ideale
und unsere Interessen.“
Der zentrale Pfeiler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sei Europa. „Souverän sein können wir nur gemeinsam.“ Die EU sei heute weit davon entfernt, „weltpolitikfähig“ zu werden. Die Regel, dass die EU grundlegende außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen einstimmig treffen müsse, „ist wenig hilfreich“.
Der zentrale Pfeiler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sei Europa. „Souverän sein können wir nur gemeinsam.“ Die EU sei heute weit davon entfernt, „weltpolitikfähig“ zu werden. Die Regel, dass die EU grundlegende außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen einstimmig treffen müsse, „ist wenig hilfreich“.
Wenn
Deutschland die Handlungsfähigkeit voranbringen wolle, müsse es seine
Haltungen zu Rüstungsexporten und zum Parlamentsvorbehalt hinterfragen,
sagte Schäuble. „Wir müssen begreifen, dass es nicht allein um unsere
innenpolitische Sicht geht, sondern auch um unsere Bündnisfähigkeit.
Darum, dass nicht nur wir von unseren Partnern abhängen, sondern unsere
Partner und Verbündeten umgekehrt auch von uns.“ Das
deutsch-französische Abkommen über gemeinsame Regeln für Rüstungsexporte
„ist ein wichtiger Schritt“.
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