Samstag, 12. Oktober 2019

Der prompte Schrei nach Verschulen der Heranwachsung.


aus Tagesspiegel.de, 11. 10. 2019

Den gestrigen Eintrag habe ich - ich schwör - gepostet, bevor mir ein Beitrag des Berliner Tages- spiegel unter die Augen kam, der sogleich die gebotenen Lehren aus dem antisemitischen Anschlag in Halle zog. Er setzt nicht erst, ex post, auf Therapie, wenn das Kind schon im Brunnen liegt, son- dern, ex ante, auf lückenlose Immunisierung durch Aufwachsung unter fachlich korrekter Betreuung. Er stammt von dem Psychiatrieprofessor Joachim Bauer, dessen Namen Sie bitte nicht vergessen wollen.

... Hinter der psychopathischen Tat von Stephan Balliet steht ein komplett fehlgeleiteter Wunsch nach Auf- merksamkeit und Anerkennung und der völlig irre, weil irregeleiteten Wunsch, Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Letzteres zeigen die von Hass auf den – so wörtlich – „Feminismus“ zeugenden Selbst-Talks des Täters im Video, in dem die Tat aufzeichnet wurde.

Wir haben in den Nachwendejahren – inzwischen sind es Nachwendejahrzehnte – zugelassen und lassen nach wie vor zu, dass, vor allem im Osten, wo nach der Wende alle Jugendhilfestrukturen zusammengebrochen waren, eine ganze Generation junger Menschen in einem pädagogischen Niemandsland aufwuchs und weiter aufwächst.


Weil sie in personell unterbesetzten Betreuungseinrichtungen, in Kindergärten und katastrophal ausgestatteten Schulen keine hinreichend gute Betreuung und Erziehung erfahren und keine positiven, vor allem keine guten männlichen Vorbilder erleben, gelang und gelingt es den teils halbseidenen, teils verbrecherischen Anbietern der rechten Szene, sich hier als Ersatz-Erzieher und als Ersatz-Vorbilder aufzuspielen.

Wenn wir keine Serie weiterer Schreckenstaten junger Menschen erleben wollen, müssen wir endlich mehr für unsere Kinder und Jugendlichen tun, und das heißt: Wir müssen dringend für personell gut ausgestattete Betreuungseinrichtungen, für attraktiv ausgestattete Schulen und für die bessere Qualifizierung von Erziehern, Erzieherinnen und Lehrkräften sorgen.

Zu den fatalen, impliziten Überzeugungen in diesem Lande gehört, dass Kinder – solange man ihnen nichts in den Weg legt – irgendwie von alleine zu sozial halbwegs verträglichen Erwachsenen werden.

Eltern teilen diese Sichtweise, weil sie ihnen erspart, wegen der Zeit und Zuwendung, die sie ihren Kindern nicht geben oder nicht geben können, ein schlechtes Gewissen entwickeln zu müssen.

Nicht minder sympathisch ist diese Sichtweise den Trägern von Betreuungseinrichtungen und Schulen, weil sie rechtfertig, dass wir uns in den Betreuungseinrichten unseres Landes - insbesondere für Kinder unter drei Jahren - einen skandalös schlechten, unter den Vorgaben liegenden personellen Betreuungsschlüssel leisten. Und Schulen, die sich in einem in jeder Hinsicht beklagenswerten Zustand befinden.

Gegen den Horror von Halle helfen kein Wehklagen und kein Entsetzensschrei. Gegen das Entsetzliche, was in Halle geschah hilft nur eines: Eine massive Investition in Einrichtungen und Personal für unsere Kindern und Jugendlichen.

Selbstverständlich bleiben unsere Polizeien und Dienste weiterhin aufgefordert, die rechte Szene besser als bisher zu durchleuchten, potentiellen Tätern früh auf die Spur zu kommen und sie aus dem Verkehr zu ziehen. Doch das allein wird nicht reichen.


Nota. - Wenn Sie denken, der Mann käm aus dem Osten, wo alles so war, wie er es sich heute wünscht, liegen Sie schief. Er sitzt im siebenten Lebensjahrzehnt in Freiburg i. Br.. Ein glühender Anwalt der Ganztagsschule ist er sowieso (Straf mich einer Lügen!).

Ich darf meinen gestrigen Eintrag zitieren: "Und wenn Sie einer fragt, wie ein Klima entstehen konnte, in dem Trump, Gauland und Höcke möglich sind, geben sie ihm" - dieses Link weiter.
JE



 

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