Samstag, 5. März 2016

Politische Korrektheit ist eine Contradictio in adiecto.


Ein Gemeinwesen – Gemeinde, Gemeinschaft, Gesellschaft, Staat – ist als ein solches bestimmt durch seine Selbst-verständlichkeiten: Bedeutungen, die außer Frage stehen. Shared significations mögen einen Kulturraum bezeichnen; ein politisches Gebilde zeichnet sich aus durch geteilte Bedeutungen, die unbestritten sind. (Zum Beispiel – und vor allem andern – die Legitimität der Herrschaft.)

Das ist die Voraussetzung des Politischen; der Boden, auf dem es Statt findet: Die Legitimität ist gesichert.

Das Politische in specie ist eben das, was nicht festgestellt ist: das, worüber man legitimer Weise geteilter Meinung sein darf. Es ist das, worüber man argumentieren kann; und worum, wenn die vernünftigen Argumente erschöpft sind, die Meinungen kämpfen müssen.

Solange Argumente ausgetauscht werden, kann von Selbstverständlichkeit nicht die Rede sein. Sobald Meinungen gegen einander kämpfen, schon gar nicht. Dann geht es darum, was von nun an legitim sein und sich von selbst verstehen soll. Mit andern Worten, am Kämpfen führt am Ende kein Weg vorbei.


(Und dies schon gar, wenn die Legitimität selbst in Frage gestellt würde. Aber davon ist derzeit ja nicht die Rede.)*

*) Nachtrag 23. 10. 216:

So wie Böhmermann demonstriert hat, was eine Schmähkritik und daher verboten ist, so hat der oben Abgebildete demonstriert, was in einem demokratischen Rechtsstaat wirklich nicht korrekt ist: Er hat die Legitimität der Wahlen angezweifelt, in denen er selber kandidiert. Ja wie wollte denn so einer regieren, wenn er, Gott behüte, tatsächlich gewählt würde?  








Mittwoch, 2. März 2016

Die Gutmenschen sind eine Belastung.


Es ist eine große Belastung der aktuellen Flüchtlings-Debatte, dass die, von denen man Vernunft verlangen darf, zugelassen haben, dass das Thema weltanschaulich aufgeblasen wurde: Da standen sich Weltoffenheit und Wagen-burg-Mentalität gegenüber, Willkommenskultur und Identität, Gutmenschelei und Rechtsstandpunkt, Multikulti und Leitkultur, Humanitätsduselei und nüchterner Pragmatismus, Kategorischer Imperativ und wohlverstandenes Eigen-interesse. 

Das alles sind Gesichtspunkte von Neigungen, Vorlieben, persönlichen Dogmen und Temperamenten, kurz: Mei-nungen. Um die geht es in der politischen Auseinandersetzung erst ganz am Ende, nämlich wenn die Vernunfturteile ausgeschöpft sind und mit Wissen allein eine Entscheidung nicht herbeizuführen war. 

Das ist hier aber noch lange nicht der Fall. Von den unpatriotischen Gartenzwergen, die Deutschland kleinhalten wollen und sich im Mief ihrer Provinz am wohlsten fühlen, war ja groß Argumentieren nicht zu erwarten, die kön-nen nur Gesinnungen bekennen. Doch gerade dazu wurden sie eingeladen und herausgefordert, als am Anfang die Masse der politisch korrrekten Bigotten ihrerseits so ohrenbetäubend mit ihrer Gesinnung prahlen musste; was die vielen Helfer, die wirklich Hand angelegt haben, unverdient kompromittiert hat und die Argumente der politischen Vernunft nachträglich wie verlegene Ausflüchte erscheinen lässt.

Das soll Euch eine Lehre sein! Wenn die Merkel nicht so völlig unverhofft Rückgrat gezeigt hätte, säßen wir ganz schön in der Tinte.




Dienstag, 1. März 2016

Öffnen oder verschanzen?

aus Die Presse, Wien, 1. 3. 2016

Innovation durch (etwas) Isolation
Grenzenloser Informationsfluss ist der Problemlösungskapazität von Organisationen eher abträglich.

Von Jürgen Langenbach

Wenn man etwas immer schon so gemacht hat, dann ist das eine zweischneidige Sache: Es hat sich bewährt, aber es kann auch lähmen bzw. den Blick verstellen. Wie vermeidet man das, wie fördert man die Fähigkeit zu Innovation und zum Reagieren auf neue Herausforderungen? Manche sehen die Lösung in der schieren Größe und der breiten Kommunikation der jeweiligen Einheit – sei es eine Gesellschaft, sei es eine Firma –, aber 1991 kam Widerspruch von James March, einem einflussreichen Organisationstheoretiker: Zu große Einheiten tendierten zu „exploitation“, der Nutzung bekannter Problemlösungen, sie kümmerten sich zu wenig um Erkundung neuer, um „exploration“.

In seiner Argumentation berief sich March auf einen ganz anderen Bereich, die Evolutionstheorie. In dieser hatte Sewall Wright 1932 vorgerechnet, dass eine Population verloren ist, wenn sie in einer einzigen Einheit existiert, sie kann genetisch nicht genug experimentieren. Sewall fasste das in die Metapher der „Fitness-Landschaft“: Das Lösen einfacher Probleme sei wie das Begehen einer milden Landschaft mit einer leichten Erhebung, die von allen Seiten gleich gut bewältigbar ist. Komplexe Probleme ragen schroff hinauf, mit Bergen unterschiedlicher Höhe, und wenn eine Population zu groß und eng miteinander verzahnt ist, kann sie auf einem Berg mittlerer Höhe hängen bleiben, weil alle die gleichen Problemlösungen – in diesem Fall: Gene – teilen.

Von Stufe zu Stufe hinauf

Ob das auch bei Organisationen so ist, hat nun Robert Boyd getestet – er arbeitet an einer Institution, die biologischen und sozialen Wandel zusammen denken will, der School of Human Evolution and Social Change der Arizona State University –, er hat Probanden in sein Labor geladen und sie gebeten, etwas zu erfinden, am PC, ein virtuelles Medikament gegen Viren: Dazu erhielten die Teilnehmer sechs Ingredienzien (aus zwei Gruppen: A und B), die in Dreiergruppen kombiniert werden konnten. 56 Kombinationen sind möglich, und zwei brachten eine ganz neue Entwicklungsebene ins Spiel (A1, B1). Unter den neuen Kombinationen waren wieder zwei, die eine Stufe höher führten (A2, B2) usw.

Gespielt wurde in Gruppen von sechs Personen, sie waren entweder vollständig miteinander verbunden – alle Mitglieder teilten die gleiche Information – oder nur partiell, in Zweierteams unterteilt, in denen bei fortgeschrittenem Entwicklungsstand manche das Team wechselten. Das bewährte sich: Von den Sechserteams erreichten zwar 50 Prozent A3 und 33,3 Prozent B3, aber zu beiden zugleich fand keines von ihnen. Bei den segregierten Gruppen gelang das hingegen 58,3 Prozent, und manche stiegen weiter auf die vierte Ebene (Pnas 29. 2.). „Die Diversität partiell verbundener Gruppen erlaubt die Entwicklung komplexer Lösungen, die von voll verbundenen Gruppen nie erreicht werden“, schließt Boyd.


Nota. - Der tagespolitische Bezug liegt auf der Hand; allerdings viel zu flach. Es ist eine schwere Belastung der aktuellen Flüchtlings-Debatte, dass die, von denen man Vernunft verlangen darf, zugelassen haben, dass das Thema weltanschaulich aufgeblasen wurde: Da standen sich Weltoffenheit und Wagenburg-Mentalität gegen-über, Willkommenskultur und Identität, Gutmenschelei und Rechtsstandpunkt, Multikulti und Leitkultur, Huma-nitätsduselei und nüchterner Pragmatismus, Kategorischer Imperativ und wohlverstandenes Eigeninteresse. Obi-ger Artikel setzt eins drauf: Die biologische Auslese funktioniert am Besten bei ein klein bisschen Isolationis-mus...

Das alles sind Gesichtspunkte von Neigungen, Vorlieben, persönlichen Dogmen und Temperamenten, kurz: Meinungen. Um die geht es in der politischen Auseinandersetzung erst ganz am Ende, nämlich wenn die Vernunfturteile ausgeschöpft sind und mit Wissen allein eine Entscheidung nicht herbeizuführen war.

Das ist hier aber noch lange nicht der Fall. Von den unpatriotischen Gartenzwergen, die Deutschland kleinhalten wollen und sich im Mief ihrer Provinz am wohlsten fühlen, war ja groß Argumentieren nicht zu erwarten, die können nur Gesinnungen bekennen. Doch gerade dazu wurden sie eingeladen und herausgefordert, als am Anfang die Masse der politisch korrrekten Pharisäer ihrerseits so ohrenbetäubend mit ihrer Gesinnung prahlen musste; was die vielen Helfer, die wirklich Hand angelegt haben, unverdient kompromittiert hat und die Argu-mente der politischen Vernunft nachträglich wie verlegene Ausflüchte erscheinen lässt. 

Das soll Euch eine Lehre sein! Wenn die Merkel nicht so völlig unverhofft Rückgrat gezeigt hätte, säßen wir ganz schön in der Tinte. 
JE