Freitag, 31. Dezember 2021

Am besten nichts Neues.

 

aus welt.de, 31. 12. 2021

Man gewinnt den Eindruck, Scholz lebt in einem parallelen Deutschland
In der traditionellen Neujahrsansprache betet der neue Bundeskanzler Olaf Scholz die gewohnten Floskeln herunter. Und dennoch gewinnt man den Eindruck, dass Scholz bei zentralen Fragen mehr als nur ein Plan fehlt. Das ist äußerst bedenklich. 
 
Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen hatte Olaf Scholz versprochen, nicht Angela Merkel, sondern er werde die traditionelle Neujahrsansprache des Regierungschefs halten. Das Versprechen immerhin hat er eingelöst. Noch besser wäre es gewesen, Scholz hätte versprochen, die Ansprache abzuschaffen. Was soll denn in einer solchen Rede schon Neues stehen?

Wäre Scholz länger Kanzler, er würde das wiederholen, was er in diversen Bundestagsreden gesagt hat; da er eigentlich noch gar nicht angefangen hat zu regieren, kann er nur wiederholen, was im Ampelkoalitionsvertrag steht.

Und so kommt dabei eine Rede heraus, die man als Langeweile, mit Floskeln garniert bezeichnen kann. Die Floskeln sind: „Herausforderungen entschlossen annehmen, alle zusammen anpacken, riesige Solidarität, überwältigende Hilfsbereitschaft, neues Zusammenrücken, starke Gemeinschaft, Respekt voreinander, schnell und entschlossen reagieren, Jahrzehnt des Aufbruchs, ehrgeizige Ziele, massive Investitionen neuen Wohlstand, gute Arbeitsplätze, Gemeinschaft, Respekt, Anerkennung und gute Lebenschancen für alle, Fortschritt für eine bessere Welt, Europa, gemeinsame Werte, Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, eine neue Zeit, aktiv gestalten, unser Schicksal entschlossen selbst in die Hand nehmen, zusammen bleiben.“

Hier wird ein Plan verlangt. Und der fehlt.

Die Langeweile lautet im ersten Teil der Rede: Lassen Sie sich bitte impfen. Im zweiten Teil die Kurzfassung des Ampelprogramms: Deutschland Klimaneutral bis 2045, 12 Euro Mindestlohn, souveränes Europa, transatlantische Partnerschaft. Wir schaffen das. Ach nein, das war die vorige Amtsinhaberin.

Wir werden es aber nicht schaffen, wenn wir uns an das halten, was Scholz sagt. Nehmen wir die Ankündigung eines fossilfreien Energiesektors bis 2045: „Wir werden uns in diesem Zeitraum unabhängig machen von Kohle, Öl und Gas“, so Scholz. „Und gleichzeitig mindestens doppelt so viel Strom als heute aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energien erzeugen.“

Heute decken diese erneuerbaren Energiequellen etwa 45 Prozent unseres Strombedarfs. Eine Verdoppelung würde bedeuten, dass sie im Jahre 2045 90 Prozent unseres jetzigen Strombedarfs decken. Dabei steigt der Strombedarf nach Expertenberechnungen um 50 Prozent. Aus welchen Quellen will Scholz diese Lücke schließen? Gut, das kann ihm egal sein, er wird dann nicht mehr Kanzler sein.

Uns kann das aber nicht egal sein. Neujahr hin und her: Hier wird mehr verlangt als „alle gemeinsam miteinander zusammen geschlossen anpacken“. Hier wird ein Plan verlangt. Und der fehlt.

Das Land ist nicht gespalten? Wo lebt Scholz denn?

Ebenso wie ein Plan fehlt, wie man die Impfquote steigert. Einfach einen General einsetzen, um die Kampagne zu managen, reicht nicht. Man führt ja keinen Krieg gegen das Virus. Man muss ja die Menschen überzeugen.

Wenn Scholz fast beschwörend meint, das Land sei nicht gespalten, das Gegenteil sei richtig, er erlebe überall „eine riesige Solidarität, überwältigende Hilfsbereitschaft, ein neues Zusammenrücken und Unterhaken“, dann lebt er, wie bei der Energieerzeugung, in einem parallelen Deutschland.

 
Das ist aus verschiedenen Gründen bedenklich. Denn in Sachen Corona wird es wohl diese Regierung sein, die nach dem Abebben der Pandemie mit den tatsächlichen Rissen in der Gesellschaft und der Entfremdung eines zwar nicht riesigen, aber doch großen Teils der Bevölkerung von den Regierenden zu tun haben wird. Pfeifen im Wald ist da eher kontraproduktiv.

Zu sagen, Scholz habe eine Gelegenheit versemmelt, etwas Gehaltvolles zu sagen, wäre unfair. Er hatte die Gelegenheit gar nicht. Die Neujahrsansprache soll ja möglichst nichtssagend sein und niemandem die Stimmung verderben.

Wer, wie wir Journalisten, genau hinhört und sich über Ungereimtheiten ärgert, ist selber schuld. Ja, aber wenigstens ein paar neue Floskeln hätten es sein können, oder? Andererseits: Wieso? Wir gucken auch jedes Jahr „Dinner for One“ und verlangen auch nicht, dass Freddie Frinton über etwas anderes stolpert als einen Tigerkopf. Also: Same procedure as every year. Skol! 

 

Nota. - Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich auf meinem Blog einmal den Leitartikel aus Axel Springes Welt wiedergeben würde. Aber dass Scholz einmal Bundeskanzler würde, habe ich mir auch nicht träumen lassen. Doch nachdem sich die Union als gestaltende Kraft aus dem politischen Geschäft genommen hat, kann eine scharfe Mitte nur noch von dieser Koalition erhofft werden. Muss man wohl auch dafür in einer Parallelwelt spinnen?

JE

Dienstag, 28. Dezember 2021

Unsensibel.

betroffen

Sensibilität darf man erbitten im privaten Umfeld von Menschen, die einem nahestehen. De-nen kann und darf man dort bei Nichtgefallen aus dem Weg gehen. Wer einem im öffentlichen Raum begegnet, kann man sich nicht aussuchen, den muss man nehmen wie er ist; und vice versa. Dort muss man sich mit Korrektheit zufriedengeben. Wenn nicht, muss man eben zu-hausebleiben.

 

 

Dienstag, 21. Dezember 2021

Das allererste Netzwerk?

aus derStandard.at, 21. 12. 2021                   Diese "Perlen" aus Straußeneierschalen lieferten dem Forschungsteam neue Informationen über prähistorische Netzwerke in Afrika.

Ältestes Netzwerk
Schmuck aus Straußeneiern zeigt, wie vernetzt Menschen vor 50.000 Jahren waren
Aus der Analyse von Perlenscheiben geht hervor, dass starke Regenfälle womöglich den kulturellen Austausch zwischen Bevölkerungsgruppen in Afrika einschränkten

Kultureller Austausch und der Handel mit Ressourcen prägen den Menschen schon seit geraumer Zeit. Das ist durch archäologische Forschung bekannt: Sie rekonstruiert mögliche Handelsrouten und Zusammenhänge anhand von Artefakten. Sie sind zwar nicht so gesprächig wie schriftliche Aufzeichnungen, liefern aber dennoch wertvolle Indizien. Ihr Material kann verraten, aus welcher Region ein Rohstoff stammt. Bernstein beispielsweise ist typisch für den Bereich rund um die Ostsee. Und gewisse Techniken und Abbildungen lassen sich ebenfalls lokal eingrenzen.

In diesem Kontext liefert eine aktuelle Studie spannende Neuigkeiten über den großflächigen Austausch von Schmuckobjekten – oder ihrer Herstellungstechnik – vor 50.000 Jahren. Das dokumentieren die Forscherinnen Jennifer Miller und Yiming Wang vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena in ihrer aktuellen Studie im Fachjournal "Nature".

Das Objekt ihrer Analyse sind scheibenförmige Perlen, die aus den Eierschalen von Straußenvögeln hergestellt wurden. Sie sind unmissverständlich menschengemacht; dass sie zufällig entstehen, ist – im Gegensatz zu anderen Objekten aus Stein, Holz oder Muscheln, die vermutlich von Menschenhand bearbeitet wurden – ausgeschlossen. Außerdem unterscheidet sich der Straußenschalenschmuck stilistisch, wenn man etwa Durchmesser des Lochs und der ganzen Scheibe vergleicht oder die Dicke des Objekts. So lassen sich relativ gut auch kulturelle Verbindungen nachvollziehen.

Eierschalendatenbank

Auf dieser Grundlage berichten Miller und Wang von einer Verbindung zwischen Populationen im Süden und im Osten des afrikanischen Kontinents. "Es ist, als würden wir einer Spur von Brotkrumen folgen", sagt Jennifer Miller. "Die Perlen sind Indizien, die über Raum und Zeit verstreut sind und nur darauf warten, bemerkt zu werden."

In der Studie wurden verschiedenartige Schmuckfragmente verglichen, die in Süd- und in Ostafrika gefunden wurden.

Diese Arbeit kostete sie mindestens zehn Jahre des Zusammentragens von Forschungsergebnissen. Die Forscherinnen stellten die bisher größte Datenbank zu diesen besonderen Anzeichen für Schmuck zusammen. Mehr als 1.500 Eierschalenscheibchen wurden an 31 Orten in Afrika entdeckt und in die Analyse einbezogen.

Austauschrouten über 3.000 Kilometer

Der Vergleich zeigte, dass im südlichen und östlichen Bereich des Kontinents im Zeitraum von vor 50.000 bis vor 33.000 Jahren offenbar eine sehr ähnliche Kultur und ein Austausch vorherrschte. Man könnte also von einem sozialen Netz oder Handels- und Austauschrouten sprechen, die eine Strecke von mehr als 3.000 Kilometern überwanden. Hier stießen Forschende auf quasi identische Perlenscheiben.

"Das Ergebnis ist überraschend, aber das Muster ist klar", sagt Yiming Wang. "Im Zeitraum von 50.000 Jahren, den wir untersuchten, ist das die einzige Periode, in der die Charakteristika der Perlen gleich sind." Man könnte die betreffenden Regionen in dieser Phase also als ältestes erwiesenes soziales Netzwerk bezeichnen.

Eine moderne Kette mit münzenförmigen Perlen aus Straußeneierschalen, die in Ostafrika hergestellt wurde.

Interessanterweise gibt es weitere Merkmale, die in diesem Zeitraum vorherrschten, wie ein Blick auf die Klimabedingungen zeigt. Damals dürfte es in Ostafrika besonders feucht gewesen sein – danach gingen die Niederschlagsmengen aber stark zurück. Der tropische Regengürtel wanderte in Richtung Süden.

Überschwemmungen mit sozialen Folgen

Welche Konsequenzen hatten diese Veränderungen des Klimas? Der Studie zufolge war vor allem das Verbindungsgebiet zwischen Ost- und Südafrika betroffen, in dem sich auch das Einzugsgebiet des Sambesi-Flusses befindet. Der Sambesi ist der viertlängste Fluss Afrikas, heutigen Ländergrenzen entsprechend durchfließt oder begrenzt er die Länder Sambia, die Demokratische Republik Kongo, Angola, Namibia, Simbabwe und Mosambik.

In dieser Großregion dürfte es damals zu stärkeren Regenfällen gekommen sein, die immer wieder Flussufer überschwemmten. Dies könnte zu geografischen Barrieren geführt haben, die auch Folgen für den sozialen Austausch hatten. Den archäologischen Recherchen zufolge ist im Zeitraum danach jedenfalls nicht mehr dieselbe Ähnlichkeit in Sachen Perlenschmuck zu beobachten.

In der Region rund um die Olduvai-Schlucht in Tansania wurden einige neue Schmuckstücke aufgespürt.

Die beiden Forscherinnen kombinierten die Information, die indirekte Klimaanzeiger lieferten, mit Klimamodellen und ihren archäologischen Daten. "So können wir die Verbindung zwischen Klimaveränderungen und kulturellem Verhalten erkennen", sagt Wang.

Kleine Perlen, große Zusammenhänge

Die Forschungsarbeit liefert ein wichtiges Puzzlestück zur Frage, wann und wo sich verschiedene Populationen des modernen Menschen zusammengetan und ausgetauscht haben, und wie sich unterschiedliche Kulturen ausbildeten. Aus der Analyse von sehr alten DNA-Spuren konnte bereits geschlussfolgert werden, dass sich verschiedene genetische Linien des Homo sapiens in dieser Region vor 350.000 bis 70.000 Jahren trennten. Es wurden also einzelne genetische Unterschiede aufgespürt. Vor etwa 2.000 Jahren näherten sich die Populationen wieder einander an – gleichzeitig etablierte sich im Süden Afrikas übrigens auch die Viehzucht.

Die Schmuckartefakte deuten allerdings darauf hin, dass dies die Gruppen nicht davon abhielt, in kulturellen oder wirtschaftlichen Austausch zu treten. Die erstellte Straußeneischmuck-Datenbank könnten auch für zukünftige Forschungsprojekte hilfreich sein, sagt Miller: "Diese winzigen Perlen liefern die Möglichkeit, große Geschichten aus unserer Vergangenheit zu enthüllen." (sic.)

Studie

Nature: "Ostrich eggshell beads reveal 50,000-year-old social network in Africa"

Sonntag, 19. Dezember 2021

Sie hat ihr Haus nicht bestellt.


Sie ist gegangen, ohne für Ablösung zu sorgen.

Wissen Sie, was ich glaube? 

Sie hat ihr Päckchen für Deutschland getragen; die CDU hat sie mitgeschleift. Und als es ernst wurde, hat man sie - na, nicht desavouiert, aber auch nicht unterstützt. Schließlich hat sie sich gesagt: Der ...haufen verdient es nicht, sich für ihn ein Bein auszureißen. Solln sie zusehn, wo sie bleiben. Und ganz still hat sie dazugedacht: Die hatten doch wirklich den Merz ver-dient.

 

 

Freitag, 17. Dezember 2021

Von denen ist eine scharfe Mitte nun nicht mehr zu erwarten.

Da gehts lang!

Norbert Röttgen muss überlegen, ob er sich fürs alte Eisen nicht doch noch zu jung fühlt.

 

 

 

Vielleicht ist der ja genau der Richtige.


Ein Untoter als Sargnagel.

 

 

Es - ist - ihnen - nicht - zu - helfen.

franziska nauck

 

 

 

Das ist eine Provokation.

  uacrisis

aus welt.de, 17. 12. 2021

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich dagegen ausgesprochen, die Betriebserlaubnis für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 mit den Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise zu verknüpfen. „Es handelt sich im Hinblick auf Nord Stream 2 um ein privat-wirtschaftliches Vorhaben“, sagte er in der Nacht zu Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel.

Für die Inbetriebnahme sei nun noch in einem Teilaspekt die Übereinstimmung mit europä-ischem Recht zu klären. „Darüber entscheidet ganz unpolitisch eine Behörde in Deutschland“, betonte der SPD-Politiker. Dies sei „eine andere Frage“ als die aktuellen Bemühungen darum, eine Verletzung der ukrainischen Grenzen zu verhindern.  ...

 

Als die neue Außenministerin ankündigte, ihre Regierung werde im Unterschied zur Vorgängerin eine entschiednere Haltung gegenüber China und Russland annehmen, befürchtete mancher, sie nähme den Mund zu voll. Und prompt bekommt Frau Baerbock von ihrem Chef eine Ohrfeige.

Schröder und Putin applaudieren: "Rein privatwirtschaftlich; ganz unpolitisch!"

JE

 

 

Donnerstag, 16. Dezember 2021

Was alles soll Rassismus heißen?

 

aus FAZ.NET, 24. 12. 2021      Diesen Potsdamer erwartet ein gewisses Diskriminierungsrisiko. Aber ist er dann ein Opfer von Rassismus?

Was ist eigentlich Rassismus?
Von positiven und negativen Akzeptanzwerten: Eine soziologische Untersuchung widerspricht einer beliebten Vorstellung darüber, was Rassismus sei. 

Von Gerald Wagner 

Stellen Sie sich vor, ein Versuchsleiter würde Ihnen acht Fotos vorlegen. Vier Frauen, vier Männer. Jedem Bild sind ein paar knappe Informationen zu der abgebildeten Person beigefügt: Der Vorname, die religiöse Bindung, das Alter und der Ge­burtsort. Alle sind in Kassel geboren, aber sie heißen Emma, Simon, Asilah oder Aqil. Die Angaben zur Religion le­gen nahe, dass man die Person als christlich, muslimisch oder konfessionell ungebunden einschätzen kann. Sie sollen jetzt entscheiden, ob sie diese Personen gern zum Nachbarn hätten, als Arbeitskollegen oder gar als enges Mitglied Ihrer Familie. Sie blicken in acht freundliche Gesichter junger Er­wachsener. Und jetzt ist es die Absicht des Versuchsleiters, dass Ihnen noch etwas auffällt. Die acht Menschen verfügen über leicht erkennbare äußerliche Merkmale, die ihre Zuordnung zu vier Phänotypen ermöglicht: Nordeuro­päisch beziehungsweise weiß, südeuropäisch beziehungsweise aus dem Mittleren Osten stammend, asiatisch und schwarz. Denn darum geht es in diesem Versuch: Herauszufinden, ob Menschen rassistisch diskriminieren.

Durchgeführt hat die Studie Ruud Koopmans vom Berliner Wissenschaftszentrum Anfang des Jahres. Er wendet sich damit gegen die in der Rassismusforschung mittlerweile vorherrschenden „intersektionellen“ Theo­rien. Darin werden die Begriffe „Rasse“ und „Rassismus“ nicht mehr notwendigerweise an körperlichen Ei­genschaften wie der Hautfarbe festgemacht, sondern beziehen sich auf be­stimmte Kombinationen von Un­gleichheiten bezüglich Kultur, Ethnizität und Religion. Das schlägt sich dann etwa in Konzepten wie einem „anti-muslimischen Rassismus“ nieder. Hier bezögen sich solche Labels wie „weiß“ oder „schwarz“ nicht mehr auf physische Merkmale einer Person, sondern bedeuteten nun zwei Gruppen: Jene, die nicht diskriminiert würden und solche, die unter Diskriminierung litten.

Auch wer ablehnen will, sollte differenzieren

Koopmans hält von solchen ganzheitlichen Konzepten nichts. Sie verwischten entscheidende Unterschiede darin, wer aufgrund welcher ihm zu­geschriebenen Eigenschaften diskriminiert werde. Das bedeutet nicht, dass Koopmans menschliche „Rassen“ für eine Realität hält. Aber sie sind wirkmächtige Vorstellungen, die – und das unterscheidet sie eben von Ei­genschaften wie der Religionszugehörigkeit – äußerliche Merkmale mit be­stimmten kulturellen Zuschreibungen verbinden. Koopmans veranschaulicht das mit seinem Experiment von den acht Bildern, die er einer repräsenta­tiven Auswahl von Teilnehmern vorlegen konnte.

Es zeigte sich, dass ein ausländischer Vorname die Akzeptanz einer Person als Familienmitglied re­duzierte, nicht aber als Nachbar oder Arbeitskollege. Besonders bemerkenswert: Von allen „Rassen“ erfuhr „südländisch“ die schwächste Akzeptanz, während die als „schwarz“ oder „asiatisch“ wahrnehmbaren Personen als willkommene Nachbarn und Familienmitglieder sogar den „weißen“ vorgezogen wurden. Dieses Muster unterscheide sich kaum zwischen Männern und Frauen und auch nicht zwischen Teilnehmern mit und ohne Migrationshintergrund. In der Tendenz zeigten solche mit Migrationshintergrund allerdings eine insgesamt geringere Akzeptanz von Muslimen. Diese wiederum erfuhren die stärkste Abneigung als Nachbarn von Teil­nehmern, die sich bei der Frage nach ihrer politischen Präferenz der AfD zuordneten. Deren Anhänger äußerten auch eine entschiedene Ablehnung schwarzer Personen als potenzielle Nachbarn. Diese wiederum werden von Wäh­lern der Grünen und der Linken bevorzugt.

Aber wer wird nun eigentlich grundsätzlich abgelehnt? Bei Koopmans sind es eindeutig die Muslime, die in allen drei Sparten (Familie, Nachbarschaft, Arbeit) die negativsten Akzeptanzwerte bekamen. Umgekehrt drückten die meisten Teilnehmer eine generelle Vorliebe für re­ligiös ungebundene Personen auf den ihnen vorgelegten Bildern aus, eingeschlossen jene christlicher Konfession. Die Ergebnisse zeigten also, so Koopmans, dass man genau unterscheiden müsse, wer aufgrund seiner „Rasse“ und wer aufgrund von Herkunft und Religion diskriminiert werde. Sie in einem ganzheitlichen „intersektionellen“ Konzept von Rassismus aufgehen zu lassen, verwische diese Unterschiede. Für das Verständnis und auch die Bekämpfung von Rassismus sei es wenig hilfreich, alle nicht-diskriminierten Gruppen in den Container „weiß“ zu werfen und alle an­deren in jenen der „Diskriminierten“. Die deutliche Ablehnung von Mus­limen in dieser Studie zeigt ja, dass die stärkste Diskriminierung sich an einer bestimmten Religionszugehörigkeit festmacht, aber eben nicht an äußer­lichen körperlichen Merkmalen.

Ruud Koopmans: Decomposing Discrimination: Why a Holistic Approach to Racism Hides More Than It Re­veals. WZB Discussion Paper SP VI 2021-103. Oct. 2021

 

Dienstag, 14. Dezember 2021

Die menschliche Geschichte der Ozeane.

aus FAZ.NET, 13. 12. 2021       Die englische Flotte zwingt 1588 die spanische Armada vor Gravelines in der Straße von Dover zum Rückzug.
 
Wie sich die Weltmeere auf die Geschicke des Menschen auswirken 
Es geht auch ohne Meistererzählungen: David Abulafia zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass ihm keine Facette der Geschichte der Ozeane fremd ist. 

Von Peter Burschel

Historiker entdecken seit geraumer Zeit das Meer – oder besser vielleicht: Sie entdecken es wieder. Längst ist von einer „ozeanischen Wende“ die Rede, längst von einer „neuen Thalassologie“, längst wird von „historischer Meereswissenschaft“ gesprochen. Kaum ein Meer, das in den vergangenen Jahren ohne Monographie, ja ohne Biographie geblieben wäre. Die Gründe für diesen – immer noch zunehmenden und keineswegs auf die Geschichtswissenschaft beschränkten – Trend sind vielfältig: So spielt ohne Frage das anhaltende Interesse an Globalgeschichte eine Rolle, das in vielen Fällen mit der (nicht nur postkolonialen) Absicht einhergeht, europäische Sichtweisen zu „provinzialisieren“.

Hinzu kommt das Bewusstsein, dass die historische Untersuchung maritimer Räume als Räume ohne Ort und ohne Grenze dazu beitragen kann, methodische Engführungen zu überwinden, nicht zuletzt solche nationaler Provenienz. Ganz zu schweigen von den inter- und transdisziplinären Chancen, die das räumliche und zeitliche „Dazwischen“ des Meeres eröffnet. Schließlich: Es scheint außer Frage zu stehen, dass die Entdeckung beziehungsweise Wiederentdeckung des Meeres als eines historischen (und historiographischen) Möglichkeitsraums auch mit der wachsenden Einsicht in die Gefährdung, wenn nicht in den Verlust des Meeres einhergeht.

Mobilität, Dynamik, Kommunikation

Obwohl auch die neue historische Meereswissenschaft weiß, was sie an Fernand Braudels erstmals 1949 erschienenem epochalen Mittelmeerbuch hat – „Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II.“ –, setzt sie alles in allem doch weniger auf die naturräumlichen Veränderungen langer Dauer als auf die jeweiligen Verbindungen, die das Meer ausmachen und die ein Meer mit anderen Meeren korrespondieren lassen. Verbindungen, die historisch durchaus auch kurze Laufzeiten haben können. Nicht dass dabei die braudelschen Zeitebenen langer und mittlerer Dauer in Vergessenheit geraten wären. Das heutige historische Interesse am Meer aber geht eben in eine andere Richtung. Meer, das ist in den aktuellen Forschungsdiskursen vor allem Bewegung – und damit Begegnung, Beziehung, Netzwerk.

David Abulafia: „Das unendliche Meer“. Die große Weltgeschichte der Ozeane.David Abulafia: „Das unendliche Meer“. Die große Weltgeschichte der Ozeane.

Auch das vorliegende Buch folgt dieser Tendenz. Im Grunde sind Mobilität, Dynamik und Kommunikation seine impliziten Leitbegriffe. 2019 erstmals in Anlehnung an ein Shakespeare-Wort als „The Boundless Sea“ erschienen, bringt der englische Untertitel dieses Programm besser zum Ausdruck als der deutsche: „A Human History of the Oceans“. Der Verfasser, der in Cambridge lehrende Historiker David Abulafia, gliedert sein Buch in fünf Teile, von denen die ersten drei den einzelnen Ozeanen gewidmet sind: dem Pazifik, dem Indischen Ozean und seinen west- und ostasiatischen Nachbarn sowie dem Atlantik. Am Rande nur: Aus historiographischer Perspektive ist diese Reihenfolge eher ungewöhnlich, fand doch der Atlantik deutlich früher die Aufmerksamkeit der historischen Forschung als der Pazifik. Vom Mittelmeer ganz zu schweigen.

Maritime Expansion

In allen drei Teilen geht der Verfasser in prähistorische Zeiten zurück, um sie schließlich jeweils im ausgehenden europäischen Mittelalter enden zu lassen. Während in diesen Teilen die räumlichen Binnenbewegungen und Binnenbeziehungen im Mittelpunkt stehen, die ein Meer zum Meer werden lassen, nimmt der vierte Teil den nachhaltig beschleunigten – und sich qualitativ wie quantitativ erstaunlich rasch intensivierenden – „menschlichen“ Austausch zwischen den Meeren beziehungsweise zwischen den Ozeanen seit der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus in den Blick. Die englische Ausgabe spricht von „Oceans in Conversion“.

Der vierte Teil, mit fast vierhundert Seiten der umfänglichste des Buches, lässt in aller Deutlichkeit erkennen, dass die frühe Neuzeit – und nicht nur die europäische frühe Neuzeit – mit ihrem „langen“ achtzehnten Jahrhundert eine durch und durch maritime Epoche war. Hier ist der Verfasser nebenbei bemerkt ganz bei sich. Der fünfte Teil, der vor allem der maritimen Expansion der Industrienationen seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gewidmet ist, hat im Vergleich dazu eher den Charakter eines resignativen Ausblicks, an dessen Ende das Ende des Meeres steht, wie wir es kennen: „Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat die maritime Welt der letzten vier Jahrtausende aufgehört zu existieren.“

Ein Bewegungs- und Begegnungsraum

Keine Frage, der Verfasser „bevorzugt“ wie schon in seinem Buch über das Mittelmeer die maritime Vormoderne seit dem späten Mittelalter gegenüber anderen Epochen, vor allem gegenüber der maritimen Moderne. Und keine Frage auch, dass ihm dabei kulturgeschichtliche und kulturanthropologische Fragen näher liegen als ökonomische, ökologische oder landläufig politische. Dennoch muss nachdrücklich betont werden: Es gibt kein Feld, kein Sujet, kein Konzept der neuen historischen Meereswissenschaft, das ihm fremd ist, um welche Epoche, um welche Weltgegend es auch geht. Ein Befund, der auch damit zu tun hat, dass er nicht nur englischsprachige Forschungsliteratur zur Kenntnis nimmt.

Gewiss hat David Abulafia hat ein Buch geschrieben, das mit einigem Recht als theoriefern bezeichnet werden kann, fast möchte man sagen: als selbstbewusst theoriefern; ein Buch, das auf „Meistererzählungen“ (welcher Reichweite auch immer) geradezu demonstrativ verzichtet; ein Buch zudem, das keine „große“ These hat. Und doch ist es mehr als die monumentale – und ganz bewusst offen verstandene – Einladung zu einer lehrreich-unterhaltsamen Lektüre, sehr viel mehr. Indem es dem Verfasser gelingt, die Kapitel seines „großen Textes“ als Studien zu konzipieren, die auf der einen Seite eine gewisse Autonomie beanspruchen dürfen, die auf der anderen aber vielfältig (und in vielen Fällen bis ins Detail) aufeinander bezogen und miteinander verknüpft sind, lässt er sein Buch zu einem dynamischen, regelrecht kaleidoskopischen Bewegungs- und Begegnungsraum sui generis werden.

Da der Verfasser zudem bestimmte Themen wie den Sklavenhandel und den damit verbundenen (europäischen) Gewaltexport immer wieder aufruft, schafft er Leitmotive, die jene Struktur schaffen, ohne die Dynamik nicht möglich ist. In anderen Worten: Wenn das Meer Bewegung und Begegnung ist, dann hat es mit diesem Buch ein zugewandtes, ein wunderbares Gegenüber erhalten.

David Abulafia: „Das unendliche Meer“. Die große Weltgeschichte der Ozeane. Aus dem Englischen von Michael und Laura Su Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 1132 S., geb., 68,– €.

Mittwoch, 8. Dezember 2021

Die Zombie-Mitte von gestern.

velux

aus Der Standard, Wien, 8. 12. 2021

Welche Bedeutung hat die politische Mitte noch?
In vielen Ländern gibt es eine Art Zombie-Zentrismus. Dieses Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges bietet kaum jemandem mehr eine echte politische Orientierung

US-Präsident Joe Bidens ehrgeiziges Infrastruktur- und Sozialprogramm "Build Back Better" wird von zwei regelmäßig als "Zentristen" bezeichneten demokratischen Senatoren – nämlich Kyrsten Sinema aus Arizona und Joe Manchin aus West Virginia – torpediert und behindert. Zahlreiche Beobachter fragen sich, was diese Zuschreibung als Zentristen im Jahr 2021 eigentlich bedeutet. Nicht nur Zyniker vermuten, dass diese beiden Persönlichkeiten weniger zentristisch als vielmehr egozentrisch agieren und nur vom Imperativ der Wiederwahl geleitet sind.

Nach welchen Kriterien sind Zentristen zu beurteilen? Diese Frage ist nicht nur in den Vereinigten Staaten in den Vordergrund gerückt, sondern auch in Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron – der versprach, in der französischen Politik eine neue Mitte aufzubauen – im nächsten Frühjahr seine Wiederwahl anstrebt. Wie im Falle der beiden US-Senatoren betrachten Kritiker Macrons Zentrismus als Deckmantel eines Politikers, der faktisch nach der Pfeife der Rechten tanzt, weswegen die Bezeichnung "der Präsident der Reichen" gerechtfertigt erscheint.

 

 

Die Frage lautet also nicht mehr, ob die politische Mitte halten kann, sondern ob der Zentrismus in der heutigen Politik überhaupt noch irgendeine Bedeutung hat. Der Begriff war im 20. Jahrhundert überaus sinnvoll, also in einer Zeit, die vielfach als Zeitalter ideologischer Extreme verstanden wurde. Die Zugehörigkeit zur politischen Mitte bedeutete, sich im Kampf gegen antidemokratische Parteien und Bewegungen zu engagieren. Aber schon damals wurde selbsternannten Zentristen oftmals Arglist vorgeworfen. Mit der ihm eigenen Ironie zählte sich der Philosoph Isaiah Berlin, ein Liberaler par excellence, zu den "elenden Zentristen, den verachtenswerten Gemäßigten, den kryptoreaktionären skeptischen Intellektuellen".

Während diese früheren selbsternannten Zentristen von den Verdiensten zehrten, die sie sich im Kampf gegen Faschismus und Stalinismus erworben hatten, ist das Vermächtnis der selbstbewusst gemäßigten Politik inzwischen verblasst. In vielen Ländern besteht heute eine Art Zombie-Zentrismus – ein Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges, das seinen Anhängern keine echte politische Orientierung mehr bietet.

Spektakulär gescheitert

Die deutschen Christdemokraten bekamen das kürzlich deutlich zu spüren. Bei den Bundestagswahlen im September scheiterten sie spektakulär mit ihrem Versuch, die politische Mitte gegen eine mögliche Koalition aus Sozialdemokraten und der postkommunistischen Linkspartei für sich zu beanspruchen. Die antikommunistische Kampagne der Christdemokraten, die direkt aus den 1950er-Jahren zu stammen schien, war ganz offensichtlich nicht auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet.

Dennoch bestehen weiterhin zwei Formen des Zentrismus, die sich nicht auf den Zombie-Liberalismus des Kalten Krieges zurückführen lassen. Die eine Form ist prozeduraler Natur: In Systemen mit Gewaltenteilung wie in den USA sind die Politiker gezwungen, sich in der Kunst des Kompromisses zu üben; dies umso mehr in einer Zeit, in der klare Mehrheiten in den Parlamentskammern selten geworden sind.

Ein ähnlicher Imperativ gilt für die zunehmend zersplitterten europäischen Parteiensysteme. Im niederländischen Parlament sind derzeit nicht weniger als 17 Parteien vertreten (oder – je nach Zählweise – sogar mehr). Und nach wochenlangen Verhandlungen hat Deutschland eine Regierung, in der Sozialdemokraten und Grüne eine Ampelkoalition mit den wirtschaftsfreundlichen Freien Demokraten bilden.

Nicht auf Kompromisse erpicht

Die Zersplitterung – ob institutionell oder politisch – zwingt Politiker zu einer vom niederländischen Philosophen Frank Ankersmit so bezeichneten "prinzipiellen Prinzipienlosigkeit", um die Demokratie funktionstüchtig zu erhalten. Die meisten Menschen sind schließlich nicht auf Kompromisse um ihrer selbst willen erpicht, weil niemand das Zweitbeste dem Besten vorzieht.

Die Ausnahmen bilden diejenigen, die die zweite plausible Form des Zentrismus, den positionellen Zentrismus, vertreten. Da sie Äquidistanz zwischen den politischen Polen als Beweis für ihren Pragmatismus und ihre "ideologiefreie" Ausrichtung ansehen, versuchen positionelle Zentristen oftmals von der Wertschätzung zu profitieren, die der Überparteilichkeit (insbesondere in den USA) immer noch beigemessen wird. Sie ziehen einen Nutzen daraus, vernünftig zu erscheinen, wenn die Linke und die Rechte von Scharfmachern beherrscht werden. In seinem ersten Wahlkampf hob Macron immer wieder die Radikalität seiner Gegner – der rechtsextremen Marine Le Pen und des linksextremen Jean-Luc Mélenchon – hervor, um vor Augen zu führen, dass er allein eine verantwortungsvolle Position vertritt.

Nicht automatisch demokratisch

Unter Berufung auf die – unter Antikommunisten während des Kalten Krieges überaus beliebte – "Hufeisentheorie" unterstellen Zentristen auch oft, dass Links- und Rechtspopulismus letztlich auf denselben antiliberalen Endpunkt zulaufen. Doch ebenso wie die Theoretiker des Dritten Weges in den 1990er-Jahren behaupteten auch Macrons Gefolgsleute, dass es sich bei "links" und "rechts" um überholte Bezeichnungen handle. Das ermöglichte ihnen nämlich, auch ehemalige Sozialisten und Gaullisten in ihre Bewegung aufzunehmen.

Aber Zentrismus ist nicht automatisch demokratisch. Macron, den man als "liberalen starken Mann" titulierte ist ein typisches Beispiel dafür. Seine Weder-links-noch-rechts-Haltung impliziert eine rein technokratische Form der Regierung. Man geht davon aus, dass es auf jede politische Herausforderung stets eine eindeutig rationale Antwort gibt. Kritiker können so per Definition als irrational abgetan werden. Wie Macron bei der Revolte der Gelbwesten im Jahr 2018 feststellte, kann die mit diesem Ansatz einhergehende Verweigerung des demokratischen Pluralismus heftige Gegenreaktionen hervorrufen.

Politische Polarisierung

Sowohl der prozedurale als auch der positionale Zentrismus setzen eine gut funktionierende Demokratie voraus, und beide können gefährlich werden, wenn ein Land unter einer asymmetrischen politischen Polarisierung leidet. So präsentiert sich die Situation heute in den USA, wo die Republikanische Partei grundlegende Merkmale der Demokratie nicht mehr anerkennt. Die Republikaner von heute sind mit einem riesigen Projekt, bestehend aus Wahlkreisschiebungen, Wählerunterdrückung, der Aushöhlung des allgemeinen Vertrauens in Wahlen und der Behinderung der Gesetzgebung, beschäftigt und zeigen kein Interesse an Kompromissen. Nun, da Biden im Weißen Haus waltet, folgt Mitch McConnell – Minderheitsführer im Senat und Donald Trumps widerwilliger, aber trotzdem verlässlicher Ermöglicher – demselben Schema, das er während der Präsidentschaft von Barack Obama perfektioniert hat.

Prozeduraler Zentrismus ergibt keinen Sinn, wenn die politischen Gegner die Verfahren nicht mehr respektieren, wie es jetzt bei den Republikanern der Fall ist. Für den positionellen Zentrismus präsentiert sich die Situation jedoch noch schlimmer. Wenn eine Partei die Demokratie ablehnt, bedeutet Äquidistanz Mittäterschaft. Wenn Sinema und Manchin keine über Zombie-Zentrismus, prozeduralen oder positionellen Zentrismus hinausgehende Erklärung zu ihrem Verhalten anzubieten haben, könnten sie sogar von ihren eigenen Wählern dafür bestraft werden, dass sie politische Initiativen behindern, die in Wirklichkeit überaus populär sind. (Jan-Werner Müller, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 8.12.2021)

Jan-Werner Müller ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Princeton und Fellow am New Institute in Hamburg. Sein jüngstes Buch trägt den Titel "Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit. Wie schafft man Demokratie?".

 

Nota. - Unter Mitte wurde rund zwei Jahrhunderte lang, vom Juste milieu des Bürgerkönigs über Kaiser Willems Fraktion Drehscheibe bis zum westdeutschen Restliberalismus, eine po-litische - ja sollte ich sagen: "Kraft"? Na schön, Saugkraft ist auch eine Kraft - Kraft verstan-den, die parasitär von der gegenseitigen Blockade der äußersten Flügel zehrte. Die wurde im breiten Volk immer verachtet, und die erste katholische Volkspartei in Deuschland nannte sich wohlweislich nicht Mitte, sondern Zentrum. 

In einer Zeit, in der die politischen Flügel nur noch rivalisierende Apparate und durchaus keine alternativen Gesellschaftsentwürfe mehr repräsentieren, ist sie nun auch arithmetisch ganz überflüssig. Stattdessen macht sich bedrohlich der Mangel an einer Kraft fühlbar, die aus einer im Großen Ganzen gar nicht mehr strittigen Gesellschaftsprognose einen Mainstream formt, der die Nachzügler auf beiden Flügeln an der Rand drückt, an den sie gehören, und die vorwärtsdrängenden Kräfte in Konkurrenz zu einander führt.

JE

Montag, 6. Dezember 2021

Da kommt was auf uns zu!

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.
aus Tagesspiegel.de, 6. 12. 2021 

China-Politik der künftigen Bundesregierung  
Warum Scholz eine geheime Botschaft an Chinas Staatschef richtete 
Der künftige Kanzler ließ Chinas Staatschef Xi ausrichten, er werde den bisherigen Kurs gegenüber Peking fortsetzen - obwohl Grüne und FDP das nicht wollen. 

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Die Bundestagswahl war noch keinen Monat vorbei, da erhielt Chinas Staatschef Xi Jinping bereits eine Botschaft des künftigen Kanzlers Olaf Scholz (SPD). Als Überbringer der Nach-richt diente der EU-Ratspräsident Charles Michel, der Mitte Oktober mit Xi telefonierte, um über den nächsten Gipfel zwischen der Europäischen Union und China zu reden.

Michel habe dem chinesischen Staatschef die Botschaft überbracht, dass Scholz die China-Politik von Angela Merkel fortsetzen wolle, berichtete die „Wirtschaftswoche“ unter Berufung auf einen EU-Diplomaten.

Außerdem ließ Scholz ausrichten, er werde seine beiden künftigen Koalitionspartner, die Grünen und die FDP, in Schach halten. Damit droht der neuen Regierung der erste Streit um die Außenpolitik.

Zum Zeitpunkt des Gesprächs von Michel und Xi hatten die Koalitionsverhandlungen in Berlin noch gar nicht begonnen. Doch schon damals war klar, dass sich sowohl Grüne als auch FDP für einen Kurswechsel gegenüber Peking aussprechen würden.

Tatsächlich setzten die beiden Parteien gegenüber der SPD sehr deutliche Worte im Koali-tionsvertrag durch: „Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängig-keiten zu reduzieren“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Um in der „systemischen Rivalität mit China unsere Werte und Interessen verwirklichen zu können“, brauche Deutschland eine umfassende China-Strategie. Das wäre eine deutliche Abkehr vom pragmatischen Kurs der Ära Merkel.

Koalitionsvertrag spricht heikle Themen an

Zudem spricht der Koalitionsvertrag Themen direkt an, die Peking stets als Einmischung in innere Angelegenheiten versteht: „Im Rahmen der Ein-China-Politik der EU unterstützen wir die sachbezogene Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen. Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang.“

Außerdem fordert die neue Koalition indirekt mehr Autonomie für Hongkong. Allein die Tatsache, dass Taiwan und die Provinz Xinjiang im Koalitionsvertrag überhaupt erwähnt werden, setzt einen neuen Ton in den Beziehungen zu China. Zu Taiwan unterhält Deutsch-land keine diplomatischen Beziehungen - aus Rücksicht auf die von der Führung in Peking geforderte Ein-China-Politik. Doch in der Ankündigung im Koalitionsvertrag könnte die Volksrepublik eine Aufwertung Taiwans sehen.

Dass die neue Regierung die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang explizit anspricht, dürfte Peking ebenfalls verärgern. In der mehrheitlich von der muslimischen Minderheit der Uiguren bewohnten Region sind mehr als eine Million Menschen in Lagern interniert.

Als sich der Menschenrechtsausschuss des Bundestages im vergangenen Jahr mit der Lage in Xinjiang beschäftigte, reagierte die chinesische Botschaft in scharfer Form. Pekings Diploma-ten sprachen in einer Erklärung von „Verleumdung“ und „ideologischen Vorurteilen“ und warnten die Parlamentarier vor einer Einmischung.

„Deutschland muss Abhängigkeiten von China überprüfen“

Mit seiner Intervention noch vor der Regierungsbildung machte Scholz der chinesischen Führung nicht nur klar, dass er den Kurs seiner Amtsvorgängerin beibehalten will, sondern auch, dass er diesen Kurs ungeachtet der Positionen der kleineren Koalitionspartner durch-setzen will. „Bereits in den vergangenen Jahren ist die China-Politik der Bundesregierung im Kanzleramt bestimmt worden“, sagt Mareike Ohlberg, China-Expertin beim German Marshall Fund.

Allerdings gab es in der großen Koalition keinen grundsätzlichen Dissens in der Frage des Umgangs mit China. Dagegen hat sich die künftige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für einen härteren Kurs gegenüber Peking ausgesprochen, was ihr umgehend offene Kritik aus der Botschaft in Berlin einbrachte. Die chinesische Führung werde nun darauf setzen, dass sich Baerbock und das Auswärtige Amt zurückhalten müssten, sagt Ohlberg.

Eine Fortsetzung von Merkels Politik gegenüber China sei allerdings nicht mehr zeitgemäß, warnt die Expertin. „Selbst Teile der deutschen Wirtschaft dringen mittlerweile auf einen härteren Kurs.“ Die größte Herausforderung für die neue Bundesregierung sei es, „Deutsch-lands Abhängigkeiten von China zu überprüfen und graduell abzubauen, um sich weniger angreifbar zu machen“. Außerdem müsse Deutschland auf europäischer Ebene eine Antwort darauf finden, dass China gegen einzelne EU-Staaten wie derzeit gegen Litauen vorgehe.

 

Nota. - Eine noch so geschickte Europapolitik ist nichts wert ohne den weltpolitischen Rah-men, in den sie gehört. Da hätte Angela Merkel einen besseren Außenminister gebrauchen können als den reisenden Maaßanzug. Doch dass Frau Baerbock genügend Gewicht auf die Waage bringt, um Olaf Scholz den Horizont zu weiten, muss man leider bezweifeln.

JE

 

 

Freitag, 3. Dezember 2021

Zähne zusammenbeißen.


Der ist sicher nicht der schlechteste, den man sich für Deutschland denken kann. Aber er gehört zu der Sie-wissen-schon-Partei. Selbst das ginge noch schlechter, es reicht auch so.

Der Anfang ist erwartungsgemäß stolprig. Als Angela Merkel von sechzehn Jahren anfing, hat ihr keiner viel zugetraut. Da konnte sie nicht viel falsch machen. Doch nach ihrer Vorgabe sind die Erwartungen nun hoch. Es sieht nicht so aus, als könnten die Neuen dem gerecht werden.

Ich habe sie mir nicht gewünscht, aber dass sie die Karre in den Dreck reiten, kann ich mir schon gar nicht wünschen. 


Au weia.

Zuhaus hat sie sich reichlich blamiert. Blamiert sie sich im Amt, blamiert sie uns in der Welt. Einen Schleudersitz hat sie keinen.

 

 

 

 

Mittwoch, 1. Dezember 2021

Eine große Kanzlerschaft -


- so titelt heute die Frankfurter Allgemeine; natürlich nicht ohne das obligate ?ragezeichen. Das lasse ich weg: Keiner hätte sich vor sechzehnt Jahren träumen lassen, dass Deutschland unter Angela Merkel an der Spitze Europas eine Weltmacht werden könnte. Eine Weltmacht, der man zumutet - und zutraut -, an der Stelle Amerikas die Führung des Westens zu über-nehmen.

Dies Kapital auszubauen hat sie nicht mehr geschafft, und angesichts ständiger Sabotage aus den eigenen Reihen wohl auch nicht mehr versucht. 

Und alle deutsche Regierungen nach ihr sind daran zu messen, was sie aus dierer ihre Erb-schaft zu machen verstehen. Bewahren ist das mindeste, was man verlangen darf. Doch schon das könnte versiebt werden.