aus FAZ.NET, 24. 12. 2021 Diesen Potsdamer erwartet ein gewisses Diskriminierungsrisiko. Aber ist er dann ein Opfer von Rassismus?
Von Gerald Wagner
Stellen Sie sich vor, ein Versuchsleiter würde Ihnen acht Fotos vorlegen. Vier Frauen, vier Männer. Jedem Bild sind ein paar knappe Informationen zu der abgebildeten Person beigefügt: Der Vorname, die religiöse Bindung, das Alter und der Geburtsort. Alle sind in Kassel geboren, aber sie heißen Emma, Simon, Asilah oder Aqil. Die Angaben zur Religion legen nahe, dass man die Person als christlich, muslimisch oder konfessionell ungebunden einschätzen kann. Sie sollen jetzt entscheiden, ob sie diese Personen gern zum Nachbarn hätten, als Arbeitskollegen oder gar als enges Mitglied Ihrer Familie. Sie blicken in acht freundliche Gesichter junger Erwachsener. Und jetzt ist es die Absicht des Versuchsleiters, dass Ihnen noch etwas auffällt. Die acht Menschen verfügen über leicht erkennbare äußerliche Merkmale, die ihre Zuordnung zu vier Phänotypen ermöglicht: Nordeuropäisch beziehungsweise weiß, südeuropäisch beziehungsweise aus dem Mittleren Osten stammend, asiatisch und schwarz. Denn darum geht es in diesem Versuch: Herauszufinden, ob Menschen rassistisch diskriminieren.
Durchgeführt hat die Studie Ruud Koopmans vom Berliner Wissenschaftszentrum Anfang des Jahres. Er wendet sich damit gegen die in der Rassismusforschung mittlerweile vorherrschenden „intersektionellen“ Theorien. Darin werden die Begriffe „Rasse“ und „Rassismus“ nicht mehr notwendigerweise an körperlichen Eigenschaften wie der Hautfarbe festgemacht, sondern beziehen sich auf bestimmte Kombinationen von Ungleichheiten bezüglich Kultur, Ethnizität und Religion. Das schlägt sich dann etwa in Konzepten wie einem „anti-muslimischen Rassismus“ nieder. Hier bezögen sich solche Labels wie „weiß“ oder „schwarz“ nicht mehr auf physische Merkmale einer Person, sondern bedeuteten nun zwei Gruppen: Jene, die nicht diskriminiert würden und solche, die unter Diskriminierung litten.
Auch wer ablehnen will, sollte differenzieren
Koopmans hält von solchen ganzheitlichen Konzepten nichts. Sie verwischten entscheidende Unterschiede darin, wer aufgrund welcher ihm zugeschriebenen Eigenschaften diskriminiert werde. Das bedeutet nicht, dass Koopmans menschliche „Rassen“ für eine Realität hält. Aber sie sind wirkmächtige Vorstellungen, die – und das unterscheidet sie eben von Eigenschaften wie der Religionszugehörigkeit – äußerliche Merkmale mit bestimmten kulturellen Zuschreibungen verbinden. Koopmans veranschaulicht das mit seinem Experiment von den acht Bildern, die er einer repräsentativen Auswahl von Teilnehmern vorlegen konnte.
Es zeigte sich, dass ein ausländischer Vorname die Akzeptanz einer Person als Familienmitglied reduzierte, nicht aber als Nachbar oder Arbeitskollege. Besonders bemerkenswert: Von allen „Rassen“ erfuhr „südländisch“ die schwächste Akzeptanz, während die als „schwarz“ oder „asiatisch“ wahrnehmbaren Personen als willkommene Nachbarn und Familienmitglieder sogar den „weißen“ vorgezogen wurden. Dieses Muster unterscheide sich kaum zwischen Männern und Frauen und auch nicht zwischen Teilnehmern mit und ohne Migrationshintergrund. In der Tendenz zeigten solche mit Migrationshintergrund allerdings eine insgesamt geringere Akzeptanz von Muslimen. Diese wiederum erfuhren die stärkste Abneigung als Nachbarn von Teilnehmern, die sich bei der Frage nach ihrer politischen Präferenz der AfD zuordneten. Deren Anhänger äußerten auch eine entschiedene Ablehnung schwarzer Personen als potenzielle Nachbarn. Diese wiederum werden von Wählern der Grünen und der Linken bevorzugt.
Aber wer wird nun eigentlich grundsätzlich abgelehnt? Bei Koopmans sind es eindeutig die Muslime, die in allen drei Sparten (Familie, Nachbarschaft, Arbeit) die negativsten Akzeptanzwerte bekamen. Umgekehrt drückten die meisten Teilnehmer eine generelle Vorliebe für religiös ungebundene Personen auf den ihnen vorgelegten Bildern aus, eingeschlossen jene christlicher Konfession. Die Ergebnisse zeigten also, so Koopmans, dass man genau unterscheiden müsse, wer aufgrund seiner „Rasse“ und wer aufgrund von Herkunft und Religion diskriminiert werde. Sie in einem ganzheitlichen „intersektionellen“ Konzept von Rassismus aufgehen zu lassen, verwische diese Unterschiede. Für das Verständnis und auch die Bekämpfung von Rassismus sei es wenig hilfreich, alle nicht-diskriminierten Gruppen in den Container „weiß“ zu werfen und alle anderen in jenen der „Diskriminierten“. Die deutliche Ablehnung von Muslimen in dieser Studie zeigt ja, dass die stärkste Diskriminierung sich an einer bestimmten Religionszugehörigkeit festmacht, aber eben nicht an äußerlichen körperlichen Merkmalen.
Ruud Koopmans: Decomposing Discrimination: Why a Holistic Approach to Racism Hides More Than It Reveals. WZB Discussion Paper SP VI 2021-103. Oct. 2021
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