Donnerstag, 16. Dezember 2021

Was alles soll Rassismus heißen?

 

aus FAZ.NET, 24. 12. 2021      Diesen Potsdamer erwartet ein gewisses Diskriminierungsrisiko. Aber ist er dann ein Opfer von Rassismus?

Was ist eigentlich Rassismus?
Von positiven und negativen Akzeptanzwerten: Eine soziologische Untersuchung widerspricht einer beliebten Vorstellung darüber, was Rassismus sei. 

Von Gerald Wagner 

Stellen Sie sich vor, ein Versuchsleiter würde Ihnen acht Fotos vorlegen. Vier Frauen, vier Männer. Jedem Bild sind ein paar knappe Informationen zu der abgebildeten Person beigefügt: Der Vorname, die religiöse Bindung, das Alter und der Ge­burtsort. Alle sind in Kassel geboren, aber sie heißen Emma, Simon, Asilah oder Aqil. Die Angaben zur Religion le­gen nahe, dass man die Person als christlich, muslimisch oder konfessionell ungebunden einschätzen kann. Sie sollen jetzt entscheiden, ob sie diese Personen gern zum Nachbarn hätten, als Arbeitskollegen oder gar als enges Mitglied Ihrer Familie. Sie blicken in acht freundliche Gesichter junger Er­wachsener. Und jetzt ist es die Absicht des Versuchsleiters, dass Ihnen noch etwas auffällt. Die acht Menschen verfügen über leicht erkennbare äußerliche Merkmale, die ihre Zuordnung zu vier Phänotypen ermöglicht: Nordeuro­päisch beziehungsweise weiß, südeuropäisch beziehungsweise aus dem Mittleren Osten stammend, asiatisch und schwarz. Denn darum geht es in diesem Versuch: Herauszufinden, ob Menschen rassistisch diskriminieren.

Durchgeführt hat die Studie Ruud Koopmans vom Berliner Wissenschaftszentrum Anfang des Jahres. Er wendet sich damit gegen die in der Rassismusforschung mittlerweile vorherrschenden „intersektionellen“ Theo­rien. Darin werden die Begriffe „Rasse“ und „Rassismus“ nicht mehr notwendigerweise an körperlichen Ei­genschaften wie der Hautfarbe festgemacht, sondern beziehen sich auf be­stimmte Kombinationen von Un­gleichheiten bezüglich Kultur, Ethnizität und Religion. Das schlägt sich dann etwa in Konzepten wie einem „anti-muslimischen Rassismus“ nieder. Hier bezögen sich solche Labels wie „weiß“ oder „schwarz“ nicht mehr auf physische Merkmale einer Person, sondern bedeuteten nun zwei Gruppen: Jene, die nicht diskriminiert würden und solche, die unter Diskriminierung litten.

Auch wer ablehnen will, sollte differenzieren

Koopmans hält von solchen ganzheitlichen Konzepten nichts. Sie verwischten entscheidende Unterschiede darin, wer aufgrund welcher ihm zu­geschriebenen Eigenschaften diskriminiert werde. Das bedeutet nicht, dass Koopmans menschliche „Rassen“ für eine Realität hält. Aber sie sind wirkmächtige Vorstellungen, die – und das unterscheidet sie eben von Ei­genschaften wie der Religionszugehörigkeit – äußerliche Merkmale mit be­stimmten kulturellen Zuschreibungen verbinden. Koopmans veranschaulicht das mit seinem Experiment von den acht Bildern, die er einer repräsenta­tiven Auswahl von Teilnehmern vorlegen konnte.

Es zeigte sich, dass ein ausländischer Vorname die Akzeptanz einer Person als Familienmitglied re­duzierte, nicht aber als Nachbar oder Arbeitskollege. Besonders bemerkenswert: Von allen „Rassen“ erfuhr „südländisch“ die schwächste Akzeptanz, während die als „schwarz“ oder „asiatisch“ wahrnehmbaren Personen als willkommene Nachbarn und Familienmitglieder sogar den „weißen“ vorgezogen wurden. Dieses Muster unterscheide sich kaum zwischen Männern und Frauen und auch nicht zwischen Teilnehmern mit und ohne Migrationshintergrund. In der Tendenz zeigten solche mit Migrationshintergrund allerdings eine insgesamt geringere Akzeptanz von Muslimen. Diese wiederum erfuhren die stärkste Abneigung als Nachbarn von Teil­nehmern, die sich bei der Frage nach ihrer politischen Präferenz der AfD zuordneten. Deren Anhänger äußerten auch eine entschiedene Ablehnung schwarzer Personen als potenzielle Nachbarn. Diese wiederum werden von Wäh­lern der Grünen und der Linken bevorzugt.

Aber wer wird nun eigentlich grundsätzlich abgelehnt? Bei Koopmans sind es eindeutig die Muslime, die in allen drei Sparten (Familie, Nachbarschaft, Arbeit) die negativsten Akzeptanzwerte bekamen. Umgekehrt drückten die meisten Teilnehmer eine generelle Vorliebe für re­ligiös ungebundene Personen auf den ihnen vorgelegten Bildern aus, eingeschlossen jene christlicher Konfession. Die Ergebnisse zeigten also, so Koopmans, dass man genau unterscheiden müsse, wer aufgrund seiner „Rasse“ und wer aufgrund von Herkunft und Religion diskriminiert werde. Sie in einem ganzheitlichen „intersektionellen“ Konzept von Rassismus aufgehen zu lassen, verwische diese Unterschiede. Für das Verständnis und auch die Bekämpfung von Rassismus sei es wenig hilfreich, alle nicht-diskriminierten Gruppen in den Container „weiß“ zu werfen und alle an­deren in jenen der „Diskriminierten“. Die deutliche Ablehnung von Mus­limen in dieser Studie zeigt ja, dass die stärkste Diskriminierung sich an einer bestimmten Religionszugehörigkeit festmacht, aber eben nicht an äußer­lichen körperlichen Merkmalen.

Ruud Koopmans: Decomposing Discrimination: Why a Holistic Approach to Racism Hides More Than It Re­veals. WZB Discussion Paper SP VI 2021-103. Oct. 2021

 

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