Freitag, 30. April 2021

Was auch denkbar wäre.

Gletscherzunge

Es ist auch denkbar, dass die Unionsparteien bei der Ausbildung einer offensiven Mitte in Deutschland keine bestimmende Rolle spielen werden. Sie müssten nur weitermachen wie bisher.

 

 

Mittwoch, 28. April 2021

Ein ganz anderer Stil.

manus manum lavat

Jetzt ist es amtlich, Laschet holt Merz in sein Wahlkampfteam. Vielleich haben Sie sich gefragt, wie so ein getreuer Merkelianer wie Altmaier für Söder stimmen konnte; hier sehen Sie's: Laschet kann Merz den Posten des Wirtschaftsministers kaum abschlagen, aber Söder wird den Merz nicht nah an sich heran lassen wollen. Was also täten Sie, wenn Sie Altmaier wären?

Mit Roettgen sieht's ein klein wenig anders aus. Söder hat letzthin markige Töne gegen China und Russland angeschlagen, während Laschet zulässt, dass ihn die Medien unter der Hand als einen Putin-Versteher dastehen lassen. Doch Söder kann so und auch anders: Zugleich will er Putin seinen Sputnik-V-Impfstoff abkaufen.

Insgesamt aber nur ein bisschen anders. Wenn Söder Kanzler würde, müsste er das Außen-ministerium "einer andern Partei" überlassen. Es ließe sich denken, dass das nicht die Grünen zu sein bräuchten, sondern die mit den meisten Mandaten.

So oder so - mit solchen Sympathisanten kann Söder kaum glaubhaft machen, dass unter ihm in der Politik alles neu würde. Mancher hat das noch nie geglaubt.

 



Montag, 26. April 2021

Ich bereue zutiefst.

de la Tour, Büßende Ma. Magdalena

aus derStandard.at, 25. 4. 2021

#AllesDichtmachen
"Ich bereue": Was darf Satire tun, um keinen Anstoß zu erregen?
Das Hin und Her rund um die Videoaktion #AllesDichtmachen belegt die neue Lust an der öffentlichen Selbstzerknirschung
 
 von Ronald Pohl
 
Es hätte ein Hochamt des deutschsprachigen Witzes werden sollen: der sorgsam gebündelte Ausdruck von Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung. Endlich, nach endlosen Monaten der erzwungenen Stillstellung, hätte es dank #AllesDichtmachen Funken des Witzes regnen sollen. Geplant war von den rund 50 Schauspielerinnen und Schauspielern nichts Geringeres als die machtvolle Demonstration von Geistesgegenwart, von überlegener Haltung angesichts leerer Kassen und Säle.

Die Crème des Schauspielberufs verpackte ihr hehres Anliegen – endlich wieder spielen zu dürfen – in ein Paradoxon. Für die Angemessenheit des Wollens sollte ausgerechnet die heikelste aller Satiretechniken einstehen: die wollüstig funkelnde Kunst der Übertreibung.

"Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte", forderte etwa Ulrich Tukur per Video. An der Maßlosigkeit einer solchen Übertreibung findet Geschmack, wer meint, das Regierungshandeln aus genau dem entgegengesetzten Grund verhöhnen zu müssen: wegen seiner Unentschlossenheit. Wegen seiner viel zu vielen kleinen Schritte, die in Summe ein Ganzes ergeben, das angeblich jeder Verhältnismäßigkeit spottet.

Das muss nun keineswegs bedeuten, die Satiriker hätten mutwillig auf die Corona-Toten vergessen, auf die in Tiefschlaf Versetzten, auf die verzweifelten Angehörigen der Pandemieopfer. Allerdings lebt das Geschäft des Übertreibungskünstlers von der Einseitigkeit seiner Behauptungen. Er bringt diese gegen Mächtigere, Stärkere vor, als er selbst ist. Er muss das Schwert, das er gegen letztere führt, scharf halten und einseitig gebrauchen.

Die immer selbe Floskel

Doch was passierte? Eine Menge Beteiligter an #AllesDichtmachen ließ nach Veröffentlichung der Clips den Mut sofort sinken. Am Ende wollten nicht mehr alle dabei gewesen sein. Vielleicht hätten Ulrike Folkerts, Heike Makatsch, Manuel Rubey und Co. sich an dem Mimen und Autor Hanns Zischler ein Beispiel nehmen sollen. Dessen satirischer Protest bestand aus nichts anderem als der ungerührten Wiederholung der immer selben hohlen Floskel.

Zischler distanziere sich, und zwar nicht nur von regierungsamtlich verfügten Lockdown-Maßnahmen, sondern "ebenso entschlossen" von buchstäblich allem. Und so brachte er nicht nur einen Abstand zwischen sich und die "arithmetische Politik der exakten Zahlen", wie sie in Deutschland angeblich das Robert-Koch-Institut verfolgt. Zischler distanzierte sich ausdrücklich von sich selbst. Er verhalf damit der Schlüsseleinsicht der Moderne – ich ist ein anderer – zu neuer Bedeutung. Und nahm damit auch gleich die Flut der Selbstbezichtigungen vorweg, die auf den Proteststurm folgte wie das Amen im Gebet.

Nichts erweckt verlässlicher den Eindruck von Ohnmacht als Satire, die, weil unzureichend, ihr Anliegen verfehlt. Tatsächlich bekundeten Corona-Leugner und digitale Aluhutträger ihre diebische Freude an der Forderung, ein Leben, das heruntergefahren angeblich zu nichts führt, besser ganz sein zu lassen. Sinnlos, die applaudierenden AfD-Granden alle aufzuzählen, die vermeintliche Verfehlungen der Corona-Politik geißeln. Das erlöst sie von der Verlegenheit, grundsätzlicher werden zu müssen und zu sagen, dass sie die parlamentarische Demokratie ohnehin rundheraus ablehnen.

Dennoch wurde man bereits am Freitag Zeuge eines bestürzenden Vorgangs. Der Reihe nach distanzierten sich Schauspielerinnen von ihren Aussagen. Der erwartbar losbrechende Sturm der Entrüstung verschaffte Persönlichkeiten wie Heike Makatsch und Ulrike Folkerts ausreichend Gelegenheit, sich in Zerknirschung zu üben. Makatschs Entschuldigung ist ein denkwürdiges Dokument der Selbstbezichtigung. Das eigene Talent zur Bußfertigkeit harmoniert auf das Prächtigste mit der Allgemeinheit des Anliegens: "Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst."

Prozesse des Gewissens

Ganz gleich, wie satirisch armselig eine Vielzahl der Videos gewesen sein mag: Der vorauseilende Gehorsam vor der aggressiven Cancel-Kultur hat die Intimität des persönlichen Gewissens in einen Prozessort verwandelt, eine peinigende Stätte der öffentlichen Zurschaustellung. Die Sorge, vor dem Gericht der digitalen Ankläger nicht zu bestehen, verleitet zu offensiver Selbstkritik. Tatsächlich kursieren im Netz frei flottierende Ängste: Unmengen von Bissigkeit, von kinderleicht zu weckender Aggression.

Allmählich gibt #AllesDichtmachen gerade deshalb zu denken. Wer, wie in den Wirren der Chinesischen Kulturrevolution, von den Roten Garden eine Eselsmütze aufgesetzt bekommt, wird sich irgendwann nur noch auf die Lippen beißen. Nach dem Tod Gottes wird aus Religion Religiosität, ein zusehends sinnentleertes Ritual, das heuchlerische Schauspiel der Gewissenserforschung. Und bald werden sich immer mehr Moralisten nur noch auf der sicheren Seite aufhalten wollen: schon allein aus Bequemlichkeit. Und wegen ihres Seelenheils.

 

Nota. - Ich habe eine schlichte Erklärung: In der Pandemie sind Gelegenheiten für einen Auftritt rar, da muss man nicht lange zögern. Noch rarer sind aber Gelegenheiten für einen doppelten Auftritt. Doch wer was will gelten, kommt selten.

JE 

 

 

Samstag, 24. April 2021

Hasch-Tag.


Falls Sie's interessiert: Das Video von Jan Josef Liefers find ich ganz witzig. Die andern habe ich nicht gesehen. Unvermeidlich, dass da Schrott drunter ist: So viele Leute mit Humor, die sich auf Ironie verstehen, gibts ja nicht.  

Ja wenns nur um die einzelnen Beiträge ginge... Es ist wohl aber ein halbes Hundert. Das muss schon jemand eingefädelt haben - in einer Absicht, die ich nicht teile. Aber dürfen darf ers.

 

Mittwoch, 21. April 2021

Durch Stahlgewitter.

elektrospieler
 
"Langfristig könnte dieses Stahlbad Laschet sogar stärken", schreibt heute die Wiener Presse. Ein nicht unerheblicher Grund für seine schlechten Umfrageergebnisse ist ja, dass er bislang dem Publikum "kein Begriff" gewesen ist - im Vergleich nämlich mit dem lautstarken Söder; und was man während der Pandemine von ihm erfuhr, markierte ihn als einen wankelmütigen und willensschwachen Provinzpolitiker, dem's um seine Stellung in Düsseldorf mehr zu tun war als um die Macht in Berlin.

Das ist nun nicht mehr der Fall, das muss er Söder danken. Jetzt kennt ihn jeder, und alle wissen, dass er Wind und Wetter beinhart standzuhalten versteht, wenn's darauf ankommt. Das hätte ihm keine PR-Agentur bieten können. Und dass noch vor Beginn des Wahlkampfs die ganze Christenunion bis ins Markt erschüttert wurde, ist die optimale Voraussetzung für ihre Mobilisierung auf der Zielgeraden.
 
Dass Meinungsumfragen im übrigen oft nur die Konkurrenz einlullen und ein böses Erwachen heraufbeschwören, wissen wir spätestens seit Donald Trump und Brexit. 
 
Die Älteren unter uns erinnern sich auch noch gut daran, wie sehr und wie lange Angela Merkel unterschätzt wurde.
 
 

Montag, 19. April 2021

Wars das mit der Union?

Éclatement, Judit Reigl 

aus nzz.ch, 18. 4. 2021

Historiker Rödder: 
«Das Fundament der CDU hat Risse, der unkontrollierte Einsturz droht»
Das Duell zwischen dem «professionellen Opportunisten» Söder und dem «Herzland-Christdemokraten» Laschet um die Kanzlerkandidatur sei ein Einschnitt für Deutschland, sagt Andreas Rödder. Die Union könne ebenso kollabieren wie das Modell Volkspartei.
 
von Christoph Prantner, Berlin

Herr Rödder, die Union hat die schwierigsten Tage seit langer Zeit hinter sich. Blickt man darauf zurück, gleicht die Szenerie fast einem Shakespeare-Drama: Am Schluss finden sich nur noch Versehrte oder Leichen auf der Bühne.

Wir erleben tatsächlich einen brutalen Machtkampf auf offener Bühne, der den Vergleich mit den ganz grossen Auseinandersetzungen der deutschen Regierungspolitik wie Adenauer gegen Erhard, Kohl gegen Strauss oder Schröder gegen Lafontaine nicht zu scheuen braucht.

Ist für beide Widersacher noch so etwas wie ein guter Ausweg denkbar?

Der Phantasie und Kreativität von Politikern sind ja keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Dinge schönzureden. Insofern muss man sich überraschen lassen, was den Kontrahenten einfällt. Aber beide sind einander sehr hart angegangen. Es ist kein Konflikt über Themen, sondern über Persönlichkeiten. Der eine hat den anderen als charakterschwach dargestellt, der andere den einen für leichtgewichtig erklärt. Hinter solche Anfeindungen kommt man nicht so leicht zurück.

Herr Söder hat erklärt, dass Personen gewählt würden und nicht Programme. Ist das die inhaltliche Bankrotterklärung der Union?

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass dies eine Konsequenz der inhaltlichen Entkernung der Union in den vergangenen Jahren ist, die nicht mehr weiss, wofür sie steht und wohin sie will und sich deshalb ganz an eine Person bindet – wie sie es auch schon mit Angela Merkel getan hat. Zugleich beobachten wir aber einen Trend in ganz Europa, der sich in so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Emmanuel Macron, Sebastian Kurz oder Boris Johnson ausdrückt. Söder rekurriert auf diese Art des populären Politikertypus in den westlichen Gesellschaften. Er setzt die Person nicht nur über das Programm, sondern auch die Institutionen der Partei. Insofern hat sein wiederholter Verweis auf die Umfragen und auf die Wirkung im Volk – und das sage ich nicht abwertend, sondern analytisch – etwas Populistisches an sich. Und da geht um mehr als nur eine Personalie, da geht es um einen systemischen Politikansatz.

Söder stellt das gesamte Modell der Volkspartei und ihrer Gremienorganisation fundamental infrage, so wie es in der Union noch nie geschehen ist.

Ist diese Auseinandersetzung eine Zäsur für Deutschland? Sie haben die Bewegungen etwa von Kurz und Macron angesprochen. Haben sich interessenskatalytische Volksparteien wie die CDU und die CSU auch hier überlebt?

Söder stellt das gesamte Modell der Volkspartei und ihrer Gremienorganisation fundamental infrage, so wie es in der Union noch nie geschehen ist. Da dies auf eine inhaltlich entkernte Partei trifft, legt er die Axt an die Wurzeln der Volkspartei CDU, wie man sie bisher kannte.

Diese inhaltliche Sklerose ist über Jahre entstanden und nicht kurzfristig wieder wettzumachen. Selbst wenn die Union die Wahl gewänne – was würde dieser Zustand für Deutschland in den kommenden Jahren bedeuten?

Oft wird gesagt, dass sich Parteien nur in der Opposition rekreieren können. Ob das wirklich zutrifft, ist allerdings fraglich. Der klassische Referenzfall dafür ist der programmatische Neuanfang der Union in den 1970er Jahren. Die Frage ist nur, ob das ein einzelnes politisches Phänomen oder eine allgemeine historische Regel war. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass sich Parteien auch in der Regierung programmatisch erneuern können – vorausgesetzt die handelnden Personen sind dafür offen. Frau Merkel hat das explizit nicht gewollt, und das ist der Grund für den Zustand der Union, nicht ihre lange Regierungszeit an sich. Müsste die Union nach der Wahl tatsächlich in die Opposition, ist nicht gesagt, dass sie sich erholen würde. Sie könnte auch zerbrechen.

Frau Merkel will sich nicht deklarieren und explizit neutral bleiben. Ist das in dieser Situation klug?

Wir wissen alle nicht, was Frau Merkel hinter den Kulissen tut. Sie ist zugleich in einem Dilemma: Wenn sie Partei bezieht, wird man ihr vorwerfen, dass sie parteiisch ist. Wenn sie es nicht tut, dann wird man ihr vorwerfen, dass sie die Dinge laufen lässt. Das Problem liegt weniger in diesen Tagen, als vielmehr in den vergangenen Jahren. Die CDU hat sich einer Politikerin unterworfen, deren Bindungen an die Partei wesentlich schwächer ausgeprägt waren als die der Partei an sie. Während die Beletage durch «Geschlossenheit» und «Alternativlosigkeit» den Machterhalt exekutiert hat, sind im Fundament immer grössere Risse entstanden. Und jetzt treten Erschütterungen auf, die das ganze Gebäude zum Einsturz bringen können. Das kann tatsächlich unkontrolliert passieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie Söder mit einer CDU, die ihn nicht konsequent unterstützt, einen erfolgreichen Wahlkampf führen will.

Sie haben die Auseinandersetzung zwischen Helmut Kohl und Franz Josef Strauss angesprochen. Strauss hat 1979/80 die Kanzlerkandidatur an sich gerissen, das ist ihm im Wahlkampf nicht gut bekommen. Könnte das wieder geschehen?

Natürlich würde Markus Söder das Problem haben, dass er weite Teile der CDU gegen sich aufgebracht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Söder mit einer CDU, die ihn nicht konsequent unterstützt, einen erfolgreichen Wahlkampf führen will – es sei denn, er führt einen Personenwahlkampf ohne die CDU. Umgekehrt wird es auch für Armin Laschet schwer, die nötige Unterstützung im Wahlkampf zu organisieren – zumal er nicht die populistische Karte spielen kann.

Worin unterscheiden sich die beiden in ihrer politischen Haltung?

Söder ist ein professioneller Opportunist, Laschet ein rheinisch-katholischer Herzland-Christdemokrat. Er ist Kohl insofern viel ähnlicher als Angela Merkel, auch in seinem Stil, die Partei in der Breite viel stärker zu integrieren als dies Merkel je getan hat. Zugleich handelt Laschet ganz nach der Logik der Gremien und der Funktionäre. Deshalb war er am vergangenen Montag der Meinung, die Sache sei entschieden. Söder hat sich dieser Logik widersetzt und mit dem Verweis auf die Umfragen das populistische Argument eingebracht. Ironischerweise hat der vermeintlich pragmatische Merkelianer Laschet nun den vermeintlichen früheren Konservativen Söder an die christdemokratischen Prinzipien erinnert.

Sie würden Söder keinerlei programmatischen Kompass oder Prinzipientreue attestieren?

Jedenfalls ist die Geschichte seiner politischen Positionen von einer atemberaubenden Wandlungsfähigkeit geprägt. Das drückt sich am allerstärksten in seinem Verhältnis zu Angela Merkel aus. Er war die treibende Kraft hinter dem Beinahe-Zerwürfnis der Union im Sommer 2018. Und heute triezt er Armin Laschet mit dem Satz, dass man Merkel-Stimmen nur mit Merkel-Politik bekommen könne. Diese Wendung muss man erst einmal aufs Parkett legen.

Die reine personality show fährt auf der Achterbahn der Emotionen und Umfragen schnell hinauf, aber genauso schnell auch wieder herunter.

Stösst diese Art der Wendigkeit Wähler nicht irgendwann ab?

Gerade als Historiker habe ich ein grosses Verständnis dafür, dass Politiker wandelbar und flexibel, ja opportunistisch sein müssen, sonst können sie sich im politischen Spiel nicht behaupten. Aber das hat natürlich seine Grenzen. Und es ist auch nicht so, dass charismatische Persönlichkeiten und Inhalte völlig voneinander zu trennen wären. Nehmen Sie zum Beispiel Winfried Kretschmann, der ist ja keine von Inhalten losgelöste Person, sondern gewissermassen ein Gesamtkunstwerk. Es ist gerade die Verbindung zwischen Persönlichkeit und Inhalten, die Authentizität schafft und damit Glaubwürdigkeit und Vertrauen erzeugt. Und das ist die entscheidende Währung. Die reine personality show fährt auf der Achterbahn der Emotionen und Umfragen schnell hinauf, aber genauso schnell auch wieder herunter. ...

 

Nota. - Dass der Bluff mit den "Volksparteien" vom Tisch ist, kann man nur begrüßen, in je-der Hinsicht. Statt Klientelen unter einen Hut zu stecken und Vanillesauce drüber zu gießen, werden programmatische Profile immer dringender, wenn nicht die Showmen das Wahlvolk an der Nase führen sollen.

Und wenn der Weg zu einer Re-Formation oder richtiger: zur endlichen Formation einer of-fensiven politischen Mitte in Deutschland durch das Zerplatzen der Hybride Christenunion führt, dann ist sie den Preis immerhin wert. Dass der Moment nicht der bestmögliche ist, mag schon sein, aber welcher sonst wäre es? Ohne Krise wird's nichts.

 

PS, 19. 4. 21, 15 Uhr: Dem S. traue ich zu, dass er es von Anfang an so ausgeheckt hat: Erst der CDU und dem Rest der Welt zeigen, wo der Hammer hängt, und sich dann eine Sekunde vor zwölf als selbstloser Retter der Union aufspielen. Ich kann nicht glauben, dass die deut-schen Wähler so blöde sind, auf das Theater reinzufallen. Doch ein Kanzler Laschet wüsste nun, worauf er sich eingelassen hat; Frau Merkel kann ihm ein Lied singen.

JE

 

 

 


Sonntag, 18. April 2021

Eine Gesamtgeschichte des Christentums?


aus derStandard.at, 17. 4. 2021

Herrschaft und Christentum: 
Wie wir wurden, was wir sind
Der englische Historiker Tom Holland hat sich viel vorgenommen und erzählt in "Herrschaft" vom Christentum und zeichnet dessen prägendes Vermächtnis nach
 
von Alexander Kluy
 
Erst einmal: Respekt. Es gibt nicht viele Historiker, die sich daran wagen, 2500 Jahre Weltge-
schichte en bloc nachzuzeichnen. Und nicht gerade eines der homogensten historischen Kapitel.

Im Gegenteil. Was sich der 1968 geborene englische Historiker Tom Holland vornimmt, ist nichts Geringeres als die ganze Geschichte des Christentums. Inklusive philosophischer Vorläufer aus vier Jahrhunderten vor der Geburt eines Zimmermanns, der eine von vielen Sekten am Ostrand des römischen Imperiums schuf. Sein Name: Jesus Christus.

Skandalöser Glaube

Die Herausbildung des Christentums ist, so Holland, vielleicht "die transformativste Entwicklung innerhalb der westlichen Geschichte". Denn: "Der Glaube ist sowohl das nachhaltigste Vermächtnis der klassischen Antike als auch der Anzeiger für deren extreme Umwandlung."

Gleich zu Beginn fragt er jedoch verwundert: "Warum übte ein Kult, der von der Hinrichtung eines obskuren Verbrechers in einem längst untergegangenen Reich inspiriert war, einen derart verwandelnden und anhaltenden Einfluss auf die Welt aus?"

Holland will nachzeichnen, wie der Glaube, dass der Sohn des einen Gottes der Juden an einem Kreuz zu Tode gefoltert wurde, so nachhaltig und so weit verbreitet werden konnte, dass heute die meisten Menschen im Westen die Wahrnehmung dafür verloren haben, wie skandalös dieser Glaube zu Anbeginn war.

Neue Zeitordnung

Er schildert, wie "religio" entstand, wie das Christentum "von oben" durchgesetzt wurde, von Kaiser Konstantin, der lange im Glauben diffus blieb und erschüttert war über abseitig lächerlichen Binnenglaubensstreit. Er setzt mit dem ersten großen Kommunikator ein, mit Saulus, der zu Paulus wurde.

Was Paulus predigte, war revolutionär. Es verkehrte die Gesellschaftsordnung. Eine neue Zeitordnung, so Tom Holland arg pathetisch, sei mit ihm und durch ihn entstanden. Paulus’ Botschaft war einfach: "Er war nichts, weniger als nichts, ein Mann, der die Anhänger Christi verfolgt hatte, verblendet und verachtet; und trotzdem war ihm vergeben, war er gerettet worden."

Origenes (185–253/254), der brillante Gelehrte, prägte als Erster den Begriff "Christianis-mos", Christentum. Holland: "Das, was die Christen als ‚Christianismos‘ bezeichneten, war so neuartig, dass es unweigerlich die Art einfärben musste, wie sie den Rest der Welt wahrnah-men." Und es war Origenes, der eine "theologia" entwickelte, eine Wissenschaft von Gott.

Dabei war diese synkretistisch, Origenes führte vieles zusammen, um die Paradoxien der christlichen Lehre aufzudröseln. Zugleich schärfte er sie und befreite sie vom Ruch, das Christentum sei nur etwas für die Ungebildeten und die Tumben.

Das Katholische, von "katholikós", universal, sollte nicht nur geografisch, sondern auch sozio-religiös allumfassend sein: Menschen aller Klassen, Schichten, Bildungsstufen sollten, so der Theo-Philosoph, fürs Christentum reklamiert werden können. Was paradox war, war Philosophie doch ein Privileg der Reichen und elitär. Ein elitärer, Anspruch einfordernder, beeindruckend belesener Mann wie Origenes also, Superstar seiner Zeit, wollte den Anhauch von Elite abräumen.

All you need is love

Das Konzil von Nicaea 325 führte zur Verschmelzung christlicher Theologie mit römischer Bürokratie. Das Nizänische Glaubensbekenntnis war das erste Dokument, das Orthodoxes von Häretischem präzis schied. Umgekehrt war für Kaiser Konstantin die Vereinigung der Gläubigen in einer Religion praktisch, weil Macht sichernd und die Ethnien seines Imperiums zusammenbindend. Dissens wurde weiterhin furios, brutal und sektiererisch ausgefochten.

Davon wie von den Wellenbewegungen zwischen Orthodoxie, Häresie, Macht, Armut, Vision, Purifikation, Verfolgung, Gegenschlag, Aufklärung, Atheismus und Moderne erzählt Holland plastisch, wobei man sich fortschreitend eine stärkere Auseinandersetzung mit Religions- und Hegemoniekritik wünschte.

Der Bogen mit feinen Vignetten von Katharina von Siena oder Franz von Assisi endet mit den Beatles, deren christlicher Botschaft "All you need is love" und mit "woke"-Tugendwächtern, die an rigide altpuritanisch-frühchristliche Bischöfe gemahnen.

Holland weiß plastisch zu erzählen. Er schrieb ja historische Romane, bevor er 2003 Rubikon. Triumph und Tragödie der Römischen Republik veröffentlichte, das, wie auch Persisches Feuer, aber aufschlussreicher ist, pittoresker und nicht gar so feinsinnig überladen wie Herrschaft.

Cover: Klett-Cotta Verlag

Tom Holland, "Herrschaft. Die Entstehung des Westens". Übersetzt von Susanne Held. 28,80 Euro / 624 Seiten. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2021

 

Nota. - Eine Gesamtgeschichte des Christentums könnte doch nur eine abschließende Geschichte sein. Solange aber das Christentums fortbesteht - prekär, aber wann war es das nicht? -, kann man es eigentlich immer nur unter dem einen oder dem andern Gesichtspunkt darstellen; notwendig problematisch, weil eben unvollendet. 

Die beiden Gesichtspunkte, die sich zu allererst als Problem aufdrängen, ist erstens die Frage, wie es sich aus einer jüdischen Minisekte zur größten Weltreligion ausbreiten konnte; und die zweite Frage, die damit verwandt, aber doch nicht dieselbe ist: Weshalb kann es sich als eine solche halten? Oder vorsichtiger: Wird es sich als eine solche halten? 

JE


Samstag, 17. April 2021

Der Zauberlehrling.

Disney

aus FAZ.NET, 16. 4. 2021

Söders Ambitionen:  
Die Zerstörung der CDU?
Macron in Frankreich, Kurz in Österreich und Trump in Amerika haben vorge-macht, wie man jenseits der etablierten Parteistrukturen an die Macht kommt. Manches spricht dafür, dass Bayerns Ministerpräsident etwas Ähnliches vor hat. 
 
Von Eckart Lohse, Berlin

Mal angenommen, eine Professorin der Politikwissenschaft gibt ihren Studenten folgende Aufgabe: Sie sollen eine Vorgehensweise ersinnen, mit der die CDU in der Unionsfamilie maximal geschwächt wird. Das Ergebnis könnte so aussehen: Da eine Organisation am härte-sten getroffen wird, wenn Angriffe aus dem Inneren kommen statt von außen, wäre ein Vor-stoß der Schwesterpartei CSU besonders effektiv. Wichtig wäre es auch, einen Moment für den Angriff zu wählen, in dem die große Schwester sich in Sicherheit wiegt. Drittens ist ein Treffer dann besonders schmerzhaft, wenn die Entschlossenheit des Angreifers unterschätzt wurde.

Kurzum: Die Studenten hätten ein Szenario entwerfen können, wie das derzeit vom CSU-Vorsitzenden Markus Söder im Kampf um die Kanzlerkandidatur vorgeführte. Ein Angriff aus dem Süden ist zwar nichts Neues. Aber dass er ausgerechnet fünf Monate vor einer Bundestagswahl von dem Mann kommt, der nach dem Streit über die Asylpolitik seit zwei Jahren predigt, wie wichtig der Frieden in der Union ist, gewährleistet ein maximales Über-raschungsmoment. Dass Söder über Monate trotz ausgezeichneter Umfragewerte so getan hat, als habe er kein Interesse an der Kanzlerkandidatur, verstärkt die Überraschung noch.

Einmütig sprachen sich CDU-Präsidium und -Vorstand am Montag für eine Kanzlerkandi-datur von Parteichef Armin Laschet aus und waren fest davon überzeugt, Söder werde das so akzeptieren, wie er es am Sonntag zugesagt hatte. Schon am Donnerstag zeigten sich – nicht nur beim sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff – erste Zweifel, ob diese (Vor-)Entscheidung gegen das Anrennen des mit Stapeln von Umfragen bewaffneten Söder zu halten sein würde. Fragte man in der CDU, was sich denn von Montag bis Donnerstag an den Fakten geändert habe, so lautetet die Antwort, man habe nicht gedacht, dass der CSU-Vorsit-zende die Sache mit solcher Härte betreibe.

Auch diejenigen in der CDU, die Söders Vorgehen gar nicht gut finden, wissen, dass da kein wildgewordener Politikamateur mit Tunnelblick und weiß-blauem Baseballschläger das christ-demokratische Porzellan zerdeppert. Wenn einer in der Disziplin des Machterwerbs und -er-halts ein kalter Profi ist, dann Markus Söder. Man darf ihm also unterstellen, dass er mit voller Absicht das Konrad-Adenauer-Haus und die gesamte Führungsetage der CDU unter Feuer nimmt.

Vollendet Söder die „Zerstörung der CDU“? So hatte der Youtuber Rezo vor zwei Jahren ein Video mit scharfer Kritik an den politischen Inhalten der CDU benannt. Als es millionenfach abgerufen wurde, ahnte man im Konrad-Adenauer-Haus, dass es einen Nährboden für solche Phantasien gibt. Söder weiß, dass sein Vorgehen der CDU schaden kann. Warum also macht er es? Er will doch Bundeskanzler werden, daran kann inzwischen kein Zweifel mehr bestehen. Aber er will es ebenso offenkundig mit einem anderen System, als demjenigen, das vor allem Helmut Kohl, aber letztlich auch Angela Merkel angewandt haben. Beide haben sich in ihren 16 Jahren Kanzlerschaft auf die Partei gestützt.

Söder sieht sich als in Bayern beheimateter Volkstribun

Söder scheint zu glauben, ohne Parteien zurechtkommen zu können. Ein erfahrener CDU-Mann sagt, der CSU-Chef habe seine eigene Partei entkernt und versuche nun, die CDU zu enthaupten. Der bayerische Ministerpräsident ist selbstbewusst genug zu meinen, dass er mit Hilfe des Wahlvolks und unter Übergehen der von ihm verachteten Parteifunktionäre das Land regieren kann, heiße es nun Bayern oder Deutschland. Insofern war es ein Missver-ständnis, sein Mantra „mein Platz ist in Bayern“ als Desinteresse an der Kanzlerschaft zu interpretieren. Er sieht sich als in Bayern beheimateten Volkstribun, der Deutschland regieren will.

Es gibt inzwischen einige Vorbilder dafür, dass dieses Modell in westlichen Demokratien funktionieren kann, wenn ein Politiker in der Wählerschaft nur genügend Begeisterung her-vorruft. Ob es der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist, der ehemalige amerika-nische Präsident Donald Trump oder der französische Präsident Emmanuel Macron. Ihr System, sich über und gegen die Parteien zu stellen, die bisher Kanzler und Präsidenten getragen haben, trug sie ins Amt.

Wie lange man in einer freiheitlichen Demokratie auf diese Weise an der Macht bleiben kann, ist noch ungewiss, weil die Methode nicht ausreichend erprobt ist. Kurz hat nicht einmal vier, sehr unruhige, Regierungsjahre hinter sich, in denen er vom Koalitionspartner FPÖ zu den Grünen geschwenkt ist. Ein Beleg dafür, dass Parteien mit ihren Funktionären und Program-men für ihn nachrangig erscheinen. Trump ist bei der Wiederwahl knapp gescheitert, aber eher an seiner Person als an seiner Vorgehensweise beim Machterwerb und der Machtausübung.

Es geht um den Fortbestand der CDU als Volkspartei

Die Wiederwahl von Macron im kommenden Jahr ist ungewiss. Seine Herausforderin Marine Le Pen will ihn von rechts methodisch betrachtet mit seinen Waffen schlagen. Sie legte kürz-lich den Parteivorsitz zumindest vorübergehend nieder, weil sie überzeugt scheint, besser ohne Partei die Sympathien der Franzosen auf sich ziehen zu können. So verängstigt ist Macron inzwischen, dass er die Ecole National d’Administration schließen lässt, Säule und Sinnbild des französischen Establishments.

Die CDU, so sehen es die erfahrenen Analytiker in der Partei, kämpft nicht in erster Linie für Armin Laschet, wenn sie für Armin Laschet kämpft. Es geht um ihren Fortbestand in der bisherigen Funktion: eine Volkspartei, die sich so lange gern als Kanzlerwahlverein verspotten lässt, wie sie bestimmt, wer Kanzler wird. Kann sie das nicht mehr, könnte sie den Weg der bürgerlichen Parteien in an deren westlichen Demokratien gehen. Abwärts.

 

Nota. - Das war schon immer eine Mystifikation: Volkspartei. Bürgerliche Parteien sind in ihrem Wesen Honoratiorenparteien. Wer dort den Ton angab, musste sich nicht wählen lassen. Wer Gewicht hatte, schlug zu Buche, Punkt. Das Parteipersonal kam aus dem weniger gewich-tigen Bildungsbürgertum; vorzugsweise Professoren. 

Dem entgegen stellten sich die neuen Arbeiterparteien; die hatten selber nur Gewicht durch Masse. Auch da waren es abtrünnige Bildungsbürger und -kleinbürger, die den Parteien das Personal stellten - bis auf Deutschland: In der SPD machten die Gewerkschaftsfunktionäre das Skelett der Partei aus, und durch sie hielt die Partei Verbindung zur - Masse.

Volkspartei war eine schamhafte Umschreibung für Massenpartei. Mit fortschreitender Demo-kratisierung musste den Arbeiterparteien auf bürgerlicher Seite etwas Massenhaftes entgegen-gestellt werden. Die erste Volks partei in diesem Sinne waren die Christlich-Sozialen; bei uns das Zentrum mit seinem bajuwarischen Sonderbund, der Bayerischen Volkspartei. 

Das hat, wie wir wissen, nicht ausgereicht. Die Nationalsozialisten nannten sich nicht Volks-, sondern dreist Arbeiter-Partei. Daraus wurde klar, worum es ging: die Arbeiterbewegung zu brechen, indem ihr der eigene politische Ausdruck genommen wurde.

Darum hieß es nach 1945 nicht einfach Zurück auf Start. In der Christlich-Demokratischen Union trat der wiederentstandenen Sozialdemokratie von Neuanfang an eine bürgerliche Massenpartei entgegen, nämlich eine mit wahrnehmbarem und rührigem "Arbeitnehmerflü-gel", dem mehr durchzusetzen gelang als der SPD, denn ihn konnte die Gewerkschaftsbüro-kratie hilfsweise auch in Anspruch nehmen.

Das Ganze geschah vorm Szenario des Kalten Krieges. Wer nicht für die NATO war, besorgte das Geschäft Moskaus; das war wirklich so. Ob selbstständige Arbeiterpolitk möglich gewesen wäre, sei hier nicht diskutiert; es hat jedenfalls keine gegeben. Unter diesen Umständen waren die beiden rivalisierenden Volksparteien zwei Wahlmaschinen mit teils verfeindeter und teils derselben Klientel. Wahrnehmbare Unterschiede bestanden hauptsächlich in außen- und welt-politischen Fragen. Rechts und Links wurden immer mehr zum Kontrast zwischen einem eher konventionellen und einem eher 'diversen' Lifestyle. 

Und dies endgültig mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Systems von Jalta. Mit Russland liebäugeln nur noch die beiden Außenränder des Bundestages, denen zu viel Westen nicht geheuer ist. Alles, was dazwischenliegt, trägt die Auslandseinsätze der Bun-deswehr um des Friedens willen mit.

*

Ging es ein gutes Jahrhundert lang bei der Alternative von Links und Rechts um einerseits die Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse oder andererseits um die Erhaltung der Eigentumsordnung, notfalls in einem Bad von Blut; dazwischen ein ganzer Rattenschwanz mehr oder minder haltbarer Kompromisse - so gibt es heute nur noch eine Option, die man wollen kann: die Bewältigung von Globalisierung und Digitaler Revolution unter Wahrung einer freiheitlich-rechtlichen Zivilisation. Rivalisierende Programme rechtfertigen sich als Variationen ein und desselben Themas. Der Streit um den rechten Weg findet, so scharf die Alternativen im Detail gelegentlich sein mögen, in der Mitte statt; alles andere wird zur lunatic fringe. Es wird allerhöchste Zeit, dass sich die Parteien in Deutschland nach dieser Einsicht umgruppieren. Dass die Mystifikation der "Volksparteien" endlich vom Tisch ist, räumt eine Klotz aus dem Weg.

Dass ebendies die Absicht Söders wäre, wird niemand von gesundem Verstand glauben. Der Autor obigen Artikels hat sicher Recht: Der will nach amerikanisch-englisch-italienischem und sogar österreichischem Vorbild seine persönliche Herrschaft bei Marginalisierung der Parteien durch populistische Eiertänze. 

Im Falle der Union würde es das Ende der CDU bedeuten, nachdem vor drei, vier Jahren das Ende der CSU greifbar war (doch Angela Merkel hat die Kurve damals nicht gekriegt). Das Ende der einen könnte Deutschland momentan verschmerzen, das Ende der andern nicht. Damit die CDU vor der Erpressung durch Söder kapituliert, müsste sie lebensmüde sein.

*

Während Die Welt am rechten Rand des Mainstreams aus ihrer Sympathie für Söder kein Hehl gemacht hat, war die Frankfurter Allgemeine vornehm zurückhaltend geblieben. Damit ist seit dieser Woche Schluss. Für Laschet spricht sie sich immer noch nicht aus, dafür umso klarer gegen Söder.

Sobald sich die deutschen Wähler Zeit zum Nachdenken genommen haben, werden sie finden, dass sie doch nicht von einem bajuwarischen Holzhacker regiert werden wollen. Das üble Foul werden sie ihm kaum durchgehen lassen. Denn in der Welt muss er Deutschland vertreten, nicht Bayern. In Deutschland ist der Freistaat nach Land und Leuten ein bisschen ein Sonder-fall mit mildernden Umständen. Das macht die Stärke der CSU aus. Doch wenn sie Deutsch-land regieren wollen, ist es ihre Schwäche. 

Im Ausland hat man sowieso alle Deutschen für Bayern gehalten, und umso verwunderter waren sie, als nach der Wiedervereinigung Teutonien in der Welt ganz anders aufgetreten ist. Unter einem Kanzler Söder würde man seine Vertreter in der Welt ebenso mit spitzen Fingern anfassen wie seinerzeit die Gesandten Trumps; allerdings mit weniger Höflichkeit.

Eine Kanzlerschaft Söder würde ein Fiasko nicht nur für ihn, sondern für die Unionsparteien - und für Deutschland. Seine Kandidatur nur für die ersten beiden, denn es könnte sein, dass sich die Wählermeinung als ebenso wendig erweist wie er.  Deutschland würde es in einen Strudel reißen, denn wer könnte stattdessen Kanzler werden? 

In jedem Fall würde er die Geister, die er rief, nicht mehr loswerden.

JE




Freitag, 16. April 2021

Durchgefallen.

W. Busch, Turner Hoppenstedt

Sie werden es bemerkt haben: In der K-Frage war ich von Hause aus ganz vorurteilslos. Söder ist ein energischer Mann, der weiß, was er will. Sein Manko ist: Er sagt manchmal etwas ande-res. Mit andern Worten, seine Bereitschaft, die Meiungen zu wechseln, zeugt vielleicht weniger von Lernfähigkeit als von Skrupellosigkeit. Man war nicht sicher, ob man dem über den Weg trauen kann.

Laschet war dagegen, wie er betont, stets treu an der Seite der Kanzlerin. Bei ihm war es nicht sicher, ob das stets auf eigenem Urteil beruhte oder bloß auf Gefolgschaft - dem Mangel an eigenem Urteil. Und weil man nicht sicher ist, dass seine Meinungen seine eignen sind, traut man ihm nicht recht zu, sie wenn nötig gegen Wind und Wetter durchzusetzen. 

Die Standfestigkeit, die Laschet dieser Tage bewiesen hat, kann auch anders denn als Füh-rungsstärke interpretiert werden. Insofern hat er nicht viel hinzugewonnen.

Wer aber bei Söder zweifelte, ob man dem trauen kann, weiß nun: Um Himmels Willen, nein!

 

 

Dienstag, 13. April 2021

Parteiendämmerung?


Es bleibt natürlich auch die Möglichkeit, er treibt die Union sehenden Auges in den Éclat (frz. éclater = platzen*). Die heiß ersehnte Umwälzung unserer politischen Landschaft wäre die naturgesetzliche Folge. Wie dann die Bundestagswahl ausginge, kann keiner auch nur ahnen. 

Das Risiko, das er dabei selber ginge, wäre auch einem Vabanquespieler zu groß. Von dem Schaden für Deutschland in der Welt gar nicht zu reden.

*) Auch das Funkeln eines Brillaten heißt allerdings éclat. 

 

 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Montag, 12. April 2021

Leviathan hat einen großen Magen.

 

aus nzz.ch, 10.04.2021 

Wuchernder Staat
Deutschlands Regierungsapparat wird grösser und grösser
Die Bundesregierung hat unter der Führung von Angela Merkel Tausende neue Stellen in den Ministerien geschaffen, und es ist kein Ende in Sicht. Im Kanzleramt träumt man schon von neuen Ressorts.
 
von Simon Haas, Jonas Hermann, Charlotte Eckstein, Berlin  

Deutschlands staatliche Bürokratie hatte schon vor der Corona-Krise nicht den besten Ruf. Doch seitdem das Land in der Pandemiebekämpfung schwächelt, ist der Begriff Bürokratie vollends zum Synonym für Ineffizienz geworden. Zur Kritik gehört der Vorwurf, die Bürokratie sei nur darin effizient, noch mehr Bürokratie zu erschaffen. Ein Blick auf die deutschen Bundesministerien scheint diese These zu stützen.

 


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Die Zahl der Vollzeitstellen für Angestellte und Beamte in den Ministerien ist seit dem Jahr 2016 sprunghaft gestiegen. Vorübergehend ist die Zahl zwar gesunken, seit fünf Jahren steigt sie aber in fast allen Ressorts. Die Auswertung der NZZ beginnt 2005, dem ersten Jahr der Kanzlerschaft von Angela Merkel. Seitdem hat zum Beispiel das Innenministerium 739 neue Vollzeitstellen genehmigt bekommen. Gab es in dem Ressort im Jahr 2005 rund 1400 Stellen, hat das Ministerium nun etwa 2200 feste Mitarbeiter. Ebenfalls starke Zuwächse gab es im Wirtschafts- sowie im Aussenministerium.

Erstaunlich ist die Aufblähung der eher kleinen Ministerien für Familie und Entwicklungshilfe: Im Familienministerium hat sich das Personal in den vergangenen 16 Jahren nahezu verdoppelt, im Entwicklungsministerium lag der Zuwachs bei 73 Prozent.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wie sehr hängt diese Entwicklung mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zusammen? «Frau Merkel hat ihre Richtlinienkompetenz nie genutzt, um den Staat zu verschlanken, sondern nur, um ihn auszubauen. Viel Staat hilft auch viel, so denkt die Kanzlerin», sagt etwa der FDP-Bundestagsabgeordnete und Haushaltspolitiker Otto Fricke. Auch Merkels Kanzleramt wuchs in ihrer Amtszeit um fast 280 Mitarbeiter auf insgesamt 744 Stellen. Wie bei den Ministerien führt die NZZ hier nur die Zahl der Stellen auf, die dem Kernbetrieb zugeordnet sind.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Aus dem Haushalt der Ministerien und des Kanzleramts werden allerdings auch zahlreiche Beauftragte und Institutionen finanziert, die daran angedockt sind. So hat zum Beispiel allein die aus dem Budget des Kanzleramts bezahlte Beauftragte für Kultur und Medien, Monika Grütters, fast 370 Mitarbeiter. Ebenfalls zum Kanzleramtshaushalt zählen das Bundesarchiv, die Stasi-Unterlagen-Behörde und das Bundespresseamt mit zusammengerechnet rund 2900 Mitarbeitern. Insgesamt sind dem Kanzleramt somit 4106 Stellen zugeordnet. Obwohl nur ein Teil dieser Mitarbeiter in dessen Berliner Hauptgebäude sitzt, stösst der Bau an die Kapazitäts-grenze. Das vor zwanzig Jahren fertiggestellte Kanzleramt soll daher kostspielig erweitert werden.

Als die Bundesrepublik im Jahr 1949 gegründet worden war, waren für das Kanzleramt 118 Stellen ausgewiesen. Natürlich lassen sich die damaligen Verhältnisse nur bedingt mit der heutigen Zeit vergleichen: Die Bundesrepublik war in den fünfziger Jahren sowohl geografisch als auch demografisch kleiner und nicht die inoffizielle Führungsmacht in einem europäischen Staatenbündnis. Dass sich die Zahl der Stellen im Kanzleramt seitdem mehr als versechsfacht hat, wirft dennoch Fragen auf – auch weil wegen der Digitalisierung manche Tätigkeiten eigentlich mit weniger Personal zu erledigen sein müssten. Allein für das direkt im Kanzleramt beschäftigte Personal sind im Haushaltsplan für dieses Jahr Ausgaben von 51,3 Millionen Euro veranschlagt.

Wer nach den Gründen für die wundersame Stellenvermehrung fragt, bekommt lange E-Mails von den Pressestellen der Ministerien. Aus dem Kanzleramt heisst es beispielsweise, man benötige das zusätzliche Personal für die «Erschliessung neuer Politikbereiche» wie Nachhaltigkeit, Afrika, demografischer Wandel – sowie für «ergänzende Steuerungsinstrumente wie strategische Vorausschau oder evidenzbasierte Projektarbeit». Das Familienministerium teilt mit, die Verdoppelung des Personals sei auf die «immer bedeutender gewordenen Aufgabenfelder im Zuständigkeitsbereich zurückzuführen», zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Extremismusprävention.

Schwächung von Parlament und Opposition?

«Das ist dieses gegenseitige Sich-selbst-Befruchten: Der Staat muss dies, der Staat muss das», meint der FDP-Politiker Fricke. Er fürchtet eine zunehmende Stärkung des Regierungsapparats, die letztlich eine Schwächung der Legislative bedeute, weil Parlament und Opposition nicht auf derartige personelle Ressourcen zurückgreifen könnten. Das stimmt allerdings nur bedingt, da auch das Parlament rasant wächst und jeder Abgeordnete auf Staatskosten mehrere Mitarbeiter beschäftigen darf.

Die fortschreitende Vergrösserung der Ministerien liegt in manchen Fällen auch an deren verändertem Zuschnitt. So bekam das Innenministerium beispielsweise vor drei Jahren die Abteilungen Bau und Stadtentwicklung zugewiesen, die vorher beim Umweltministerium angesiedelt waren. Auf dessen Mitarbeiterzahl hatte das aber keine signifikanten Auswirkungen. Sie stieg seit 2005 um 71 Prozent.

Geschrumpft sind seitdem nur das Verkehrs-, das Gesundheits- und vor allem das Verteidigungsressort, welches fast ein Viertel des Personals abbaute. Der Verteidigungspolitik mass die Bundesregierung lange keine grosse Bedeutung bei. Die Bundeswehr wurde heruntergespart, die Wehrpflicht abgeschafft. Das Verteidigungsressort blieb davon nicht verschont, wächst aber seit dem vergangenen Jahr wieder kräftig.

Rund 25 200 Stellen stehen allein für den Kernbetrieb der 14 Bundesministerien im Haushaltsplan, hinzu kommen 960 Stellen im Kernbereich von Kanzler- und Bundespräsidialamt. Damit entstanden in der gesamten Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel rund 4600 zusätzliche Stellen. Weder ist die Bevölkerungszahl in diesem Zeitraum deutlich gewachsen, noch haben sich die Aufgaben der Regierung grundlegend verändert. Insofern stellt sich die Frage, ob es sich nicht zumindest bei manchen der zusätzlichen Stellen um Versorgungsposten handelt, mit denen Politiker und Funktionäre ihre Gefolgsleute belohnen.


Allein 739 neue Stellen im Innenministerium seit 2005
Zahl der Stellen in den Ministerien, ohne unterstellte Behörden wie Bundesgerichtshof oder Robert-Koch-Inst

Da im Herbst die Bundestagswahl ansteht, dürfte nun in manchen Ministerien wieder die «Operation Abendsonne» anlaufen. Dieser Begriff steht im Politikbetrieb für die grosszügige Beförderung von Getreuen kurz vor dem Machtwechsel. Falls das nicht möglich ist, werden auch kurzerhand neue Stellen geschaffen. «Natürlich läuft das jetzt, man muss höllisch aufpassen und sich die Kabinettsvorlagen anschauen, darin kann man das sehen», erklärt Otto Fricke.

Da im Herbst die Bundestagswahl ansteht, dürfte nun in manchen Ministerien wieder die «Operation Abendsonne» anlaufen. Dieser Begriff steht im Politikbetrieb für die grosszügige Beförderung von Getreuen kurz vor dem Machtwechsel. Falls das nicht möglich ist, werden auch kurzerhand neue Stellen geschaffen. «Natürlich läuft das jetzt, man muss höllisch aufpassen und sich die Kabinettsvorlagen anschauen, darin kann man das sehen», erklärt Otto Fricke.

Die Ministerialbürokratie als Organismus, der nach Selbstvermehrung strebt – für diese These lieferte die Digital-Staatsministerin Dorothee Bär jüngst ein Paradebeispiel: Bärs Stelle wurde vor drei Jahren neu geschaffen, ihr geräumiges Büro befindet sich im Kanzleramt. Diese Woche forderte sie, ein Zukunftsministerium einzurichten, um den technischen Fortschritt und die Digitalisierung voranzutreiben. Das «Z-Ministerium» solle «Treiber und Initiator von Testfeldern, Reallaboren und Pilotprojekten» sein. Das klingt wolkig. Sicher ist nur, dass so ein Ministerium ein weiter Kostentreiber eines ohnehin schon gewaltigen Regierungsapparats wäre.