Montag, 26. April 2021

Ich bereue zutiefst.

de la Tour, Büßende Ma. Magdalena

aus derStandard.at, 25. 4. 2021

#AllesDichtmachen
"Ich bereue": Was darf Satire tun, um keinen Anstoß zu erregen?
Das Hin und Her rund um die Videoaktion #AllesDichtmachen belegt die neue Lust an der öffentlichen Selbstzerknirschung
 
 von Ronald Pohl
 
Es hätte ein Hochamt des deutschsprachigen Witzes werden sollen: der sorgsam gebündelte Ausdruck von Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung. Endlich, nach endlosen Monaten der erzwungenen Stillstellung, hätte es dank #AllesDichtmachen Funken des Witzes regnen sollen. Geplant war von den rund 50 Schauspielerinnen und Schauspielern nichts Geringeres als die machtvolle Demonstration von Geistesgegenwart, von überlegener Haltung angesichts leerer Kassen und Säle.

Die Crème des Schauspielberufs verpackte ihr hehres Anliegen – endlich wieder spielen zu dürfen – in ein Paradoxon. Für die Angemessenheit des Wollens sollte ausgerechnet die heikelste aller Satiretechniken einstehen: die wollüstig funkelnde Kunst der Übertreibung.

"Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte", forderte etwa Ulrich Tukur per Video. An der Maßlosigkeit einer solchen Übertreibung findet Geschmack, wer meint, das Regierungshandeln aus genau dem entgegengesetzten Grund verhöhnen zu müssen: wegen seiner Unentschlossenheit. Wegen seiner viel zu vielen kleinen Schritte, die in Summe ein Ganzes ergeben, das angeblich jeder Verhältnismäßigkeit spottet.

Das muss nun keineswegs bedeuten, die Satiriker hätten mutwillig auf die Corona-Toten vergessen, auf die in Tiefschlaf Versetzten, auf die verzweifelten Angehörigen der Pandemieopfer. Allerdings lebt das Geschäft des Übertreibungskünstlers von der Einseitigkeit seiner Behauptungen. Er bringt diese gegen Mächtigere, Stärkere vor, als er selbst ist. Er muss das Schwert, das er gegen letztere führt, scharf halten und einseitig gebrauchen.

Die immer selbe Floskel

Doch was passierte? Eine Menge Beteiligter an #AllesDichtmachen ließ nach Veröffentlichung der Clips den Mut sofort sinken. Am Ende wollten nicht mehr alle dabei gewesen sein. Vielleicht hätten Ulrike Folkerts, Heike Makatsch, Manuel Rubey und Co. sich an dem Mimen und Autor Hanns Zischler ein Beispiel nehmen sollen. Dessen satirischer Protest bestand aus nichts anderem als der ungerührten Wiederholung der immer selben hohlen Floskel.

Zischler distanziere sich, und zwar nicht nur von regierungsamtlich verfügten Lockdown-Maßnahmen, sondern "ebenso entschlossen" von buchstäblich allem. Und so brachte er nicht nur einen Abstand zwischen sich und die "arithmetische Politik der exakten Zahlen", wie sie in Deutschland angeblich das Robert-Koch-Institut verfolgt. Zischler distanzierte sich ausdrücklich von sich selbst. Er verhalf damit der Schlüsseleinsicht der Moderne – ich ist ein anderer – zu neuer Bedeutung. Und nahm damit auch gleich die Flut der Selbstbezichtigungen vorweg, die auf den Proteststurm folgte wie das Amen im Gebet.

Nichts erweckt verlässlicher den Eindruck von Ohnmacht als Satire, die, weil unzureichend, ihr Anliegen verfehlt. Tatsächlich bekundeten Corona-Leugner und digitale Aluhutträger ihre diebische Freude an der Forderung, ein Leben, das heruntergefahren angeblich zu nichts führt, besser ganz sein zu lassen. Sinnlos, die applaudierenden AfD-Granden alle aufzuzählen, die vermeintliche Verfehlungen der Corona-Politik geißeln. Das erlöst sie von der Verlegenheit, grundsätzlicher werden zu müssen und zu sagen, dass sie die parlamentarische Demokratie ohnehin rundheraus ablehnen.

Dennoch wurde man bereits am Freitag Zeuge eines bestürzenden Vorgangs. Der Reihe nach distanzierten sich Schauspielerinnen von ihren Aussagen. Der erwartbar losbrechende Sturm der Entrüstung verschaffte Persönlichkeiten wie Heike Makatsch und Ulrike Folkerts ausreichend Gelegenheit, sich in Zerknirschung zu üben. Makatschs Entschuldigung ist ein denkwürdiges Dokument der Selbstbezichtigung. Das eigene Talent zur Bußfertigkeit harmoniert auf das Prächtigste mit der Allgemeinheit des Anliegens: "Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst."

Prozesse des Gewissens

Ganz gleich, wie satirisch armselig eine Vielzahl der Videos gewesen sein mag: Der vorauseilende Gehorsam vor der aggressiven Cancel-Kultur hat die Intimität des persönlichen Gewissens in einen Prozessort verwandelt, eine peinigende Stätte der öffentlichen Zurschaustellung. Die Sorge, vor dem Gericht der digitalen Ankläger nicht zu bestehen, verleitet zu offensiver Selbstkritik. Tatsächlich kursieren im Netz frei flottierende Ängste: Unmengen von Bissigkeit, von kinderleicht zu weckender Aggression.

Allmählich gibt #AllesDichtmachen gerade deshalb zu denken. Wer, wie in den Wirren der Chinesischen Kulturrevolution, von den Roten Garden eine Eselsmütze aufgesetzt bekommt, wird sich irgendwann nur noch auf die Lippen beißen. Nach dem Tod Gottes wird aus Religion Religiosität, ein zusehends sinnentleertes Ritual, das heuchlerische Schauspiel der Gewissenserforschung. Und bald werden sich immer mehr Moralisten nur noch auf der sicheren Seite aufhalten wollen: schon allein aus Bequemlichkeit. Und wegen ihres Seelenheils.

 

Nota. - Ich habe eine schlichte Erklärung: In der Pandemie sind Gelegenheiten für einen Auftritt rar, da muss man nicht lange zögern. Noch rarer sind aber Gelegenheiten für einen doppelten Auftritt. Doch wer was will gelten, kommt selten.

JE 

 

 

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