aus FAZ.NET, 16. 4. 2021
Mal angenommen, eine Professorin der Politikwissenschaft gibt ihren Studenten folgende Aufgabe: Sie sollen eine Vorgehensweise ersinnen, mit der die CDU in der Unionsfamilie maximal geschwächt wird. Das Ergebnis könnte so aussehen: Da eine Organisation am härte-sten getroffen wird, wenn Angriffe aus dem Inneren kommen statt von außen, wäre ein Vor-stoß der Schwesterpartei CSU besonders effektiv. Wichtig wäre es auch, einen Moment für den Angriff zu wählen, in dem die große Schwester sich in Sicherheit wiegt. Drittens ist ein Treffer dann besonders schmerzhaft, wenn die Entschlossenheit des Angreifers unterschätzt wurde.
Kurzum: Die Studenten hätten ein Szenario entwerfen können, wie das derzeit vom CSU-Vorsitzenden Markus Söder im Kampf um die Kanzlerkandidatur vorgeführte. Ein Angriff aus dem Süden ist zwar nichts Neues. Aber dass er ausgerechnet fünf Monate vor einer Bundestagswahl von dem Mann kommt, der nach dem Streit über die Asylpolitik seit zwei Jahren predigt, wie wichtig der Frieden in der Union ist, gewährleistet ein maximales Über-raschungsmoment. Dass Söder über Monate trotz ausgezeichneter Umfragewerte so getan hat, als habe er kein Interesse an der Kanzlerkandidatur, verstärkt die Überraschung noch.
Einmütig sprachen sich CDU-Präsidium und -Vorstand am Montag für eine Kanzlerkandi-datur von Parteichef Armin Laschet aus und waren fest davon überzeugt, Söder werde das so akzeptieren, wie er es am Sonntag zugesagt hatte. Schon am Donnerstag zeigten sich – nicht nur beim sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff – erste Zweifel, ob diese (Vor-)Entscheidung gegen das Anrennen des mit Stapeln von Umfragen bewaffneten Söder zu halten sein würde. Fragte man in der CDU, was sich denn von Montag bis Donnerstag an den Fakten geändert habe, so lautetet die Antwort, man habe nicht gedacht, dass der CSU-Vorsit-zende die Sache mit solcher Härte betreibe.
Auch diejenigen in der CDU, die Söders Vorgehen gar nicht gut finden, wissen, dass da kein wildgewordener Politikamateur mit Tunnelblick und weiß-blauem Baseballschläger das christ-demokratische Porzellan zerdeppert. Wenn einer in der Disziplin des Machterwerbs und -er-halts ein kalter Profi ist, dann Markus Söder. Man darf ihm also unterstellen, dass er mit voller Absicht das Konrad-Adenauer-Haus und die gesamte Führungsetage der CDU unter Feuer nimmt.
Vollendet Söder die „Zerstörung der CDU“? So hatte der Youtuber Rezo vor zwei Jahren ein Video mit scharfer Kritik an den politischen Inhalten der CDU benannt. Als es millionenfach abgerufen wurde, ahnte man im Konrad-Adenauer-Haus, dass es einen Nährboden für solche Phantasien gibt. Söder weiß, dass sein Vorgehen der CDU schaden kann. Warum also macht er es? Er will doch Bundeskanzler werden, daran kann inzwischen kein Zweifel mehr bestehen. Aber er will es ebenso offenkundig mit einem anderen System, als demjenigen, das vor allem Helmut Kohl, aber letztlich auch Angela Merkel angewandt haben. Beide haben sich in ihren 16 Jahren Kanzlerschaft auf die Partei gestützt.
Söder scheint zu glauben, ohne Parteien zurechtkommen zu können. Ein erfahrener CDU-Mann sagt, der CSU-Chef habe seine eigene Partei entkernt und versuche nun, die CDU zu enthaupten. Der bayerische Ministerpräsident ist selbstbewusst genug zu meinen, dass er mit Hilfe des Wahlvolks und unter Übergehen der von ihm verachteten Parteifunktionäre das Land regieren kann, heiße es nun Bayern oder Deutschland. Insofern war es ein Missver-ständnis, sein Mantra „mein Platz ist in Bayern“ als Desinteresse an der Kanzlerschaft zu interpretieren. Er sieht sich als in Bayern beheimateten Volkstribun, der Deutschland regieren will.
Es gibt inzwischen einige Vorbilder dafür, dass dieses Modell in westlichen Demokratien funktionieren kann, wenn ein Politiker in der Wählerschaft nur genügend Begeisterung her-vorruft. Ob es der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist, der ehemalige amerika-nische Präsident Donald Trump oder der französische Präsident Emmanuel Macron. Ihr System, sich über und gegen die Parteien zu stellen, die bisher Kanzler und Präsidenten getragen haben, trug sie ins Amt.
Wie lange man in einer freiheitlichen Demokratie auf diese Weise an der Macht bleiben kann, ist noch ungewiss, weil die Methode nicht ausreichend erprobt ist. Kurz hat nicht einmal vier, sehr unruhige, Regierungsjahre hinter sich, in denen er vom Koalitionspartner FPÖ zu den Grünen geschwenkt ist. Ein Beleg dafür, dass Parteien mit ihren Funktionären und Program-men für ihn nachrangig erscheinen. Trump ist bei der Wiederwahl knapp gescheitert, aber eher an seiner Person als an seiner Vorgehensweise beim Machterwerb und der Machtausübung.
Die Wiederwahl von Macron im kommenden Jahr ist ungewiss. Seine Herausforderin Marine Le Pen will ihn von rechts methodisch betrachtet mit seinen Waffen schlagen. Sie legte kürz-lich den Parteivorsitz zumindest vorübergehend nieder, weil sie überzeugt scheint, besser ohne Partei die Sympathien der Franzosen auf sich ziehen zu können. So verängstigt ist Macron inzwischen, dass er die Ecole National d’Administration schließen lässt, Säule und Sinnbild des französischen Establishments.
Die CDU, so sehen es die erfahrenen Analytiker in der Partei, kämpft nicht in erster Linie für Armin Laschet, wenn sie für Armin Laschet kämpft. Es geht um ihren Fortbestand in der bisherigen Funktion: eine Volkspartei, die sich so lange gern als Kanzlerwahlverein verspotten lässt, wie sie bestimmt, wer Kanzler wird. Kann sie das nicht mehr, könnte sie den Weg der bürgerlichen Parteien in an deren westlichen Demokratien gehen. Abwärts.
Nota. - Das war schon immer eine Mystifikation: Volkspartei. Bürgerliche Parteien sind in ihrem Wesen Honoratiorenparteien. Wer dort den Ton angab, musste sich nicht wählen lassen. Wer Gewicht hatte, schlug zu Buche, Punkt. Das Parteipersonal kam aus dem weniger gewich-tigen Bildungsbürgertum; vorzugsweise Professoren.
Dem entgegen stellten sich die neuen Arbeiterparteien; die hatten selber nur Gewicht durch Masse. Auch da waren es abtrünnige Bildungsbürger und -kleinbürger, die den Parteien das Personal stellten - bis auf Deutschland: In der SPD machten die Gewerkschaftsfunktionäre das Skelett der Partei aus, und durch sie hielt die Partei Verbindung zur - Masse.
Volkspartei war eine schamhafte Umschreibung für Massenpartei. Mit fortschreitender Demo-kratisierung musste den Arbeiterparteien auf bürgerlicher Seite etwas Massenhaftes entgegen-gestellt werden. Die erste Volks partei in diesem Sinne waren die Christlich-Sozialen; bei uns das Zentrum mit seinem bajuwarischen Sonderbund, der Bayerischen Volkspartei.
Das hat, wie wir wissen, nicht ausgereicht. Die Nationalsozialisten nannten sich nicht Volks-, sondern dreist Arbeiter-Partei. Daraus wurde klar, worum es ging: die Arbeiterbewegung zu brechen, indem ihr der eigene politische Ausdruck genommen wurde.
Darum hieß es nach 1945 nicht einfach Zurück auf Start. In der Christlich-Demokratischen Union trat der wiederentstandenen Sozialdemokratie von Neuanfang an eine bürgerliche Massenpartei entgegen, nämlich eine mit wahrnehmbarem und rührigem "Arbeitnehmerflü-gel", dem mehr durchzusetzen gelang als der SPD, denn ihn konnte die Gewerkschaftsbüro-kratie hilfsweise auch in Anspruch nehmen.
Das Ganze geschah vorm Szenario des Kalten Krieges. Wer nicht für die NATO war, besorgte das Geschäft Moskaus; das war wirklich so. Ob selbstständige Arbeiterpolitk möglich gewesen wäre, sei hier nicht diskutiert; es hat jedenfalls keine gegeben. Unter diesen Umständen waren die beiden rivalisierenden Volksparteien zwei Wahlmaschinen mit teils verfeindeter und teils derselben Klientel. Wahrnehmbare Unterschiede bestanden hauptsächlich in außen- und welt-politischen Fragen. Rechts und Links wurden immer mehr zum Kontrast zwischen einem eher konventionellen und einem eher 'diversen' Lifestyle.
Und dies endgültig mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Systems von Jalta. Mit Russland liebäugeln nur noch die beiden Außenränder des Bundestages, denen zu viel Westen nicht geheuer ist. Alles, was dazwischenliegt, trägt die Auslandseinsätze der Bun-deswehr um des Friedens willen mit.
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Ging es ein gutes Jahrhundert lang bei der Alternative von Links und Rechts um einerseits die Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse oder andererseits um die Erhaltung der Eigentumsordnung, notfalls in einem Bad von Blut; dazwischen ein ganzer Rattenschwanz mehr oder minder haltbarer Kompromisse - so gibt es heute nur noch eine Option, die man wollen kann: die Bewältigung von Globalisierung und Digitaler Revolution unter Wahrung einer freiheitlich-rechtlichen Zivilisation. Rivalisierende Programme rechtfertigen sich als Variationen ein und desselben Themas. Der Streit um den rechten Weg findet, so scharf die Alternativen im Detail gelegentlich sein mögen, in der Mitte statt; alles andere wird zur lunatic fringe. Es wird allerhöchste Zeit, dass sich die Parteien in Deutschland nach dieser Einsicht umgruppieren. Dass die Mystifikation der "Volksparteien" endlich vom Tisch ist, räumt eine Klotz aus dem Weg.
Dass ebendies die Absicht Söders wäre, wird niemand von gesundem Verstand glauben. Der Autor obigen Artikels hat sicher Recht: Der will nach amerikanisch-englisch-italienischem und sogar österreichischem Vorbild seine persönliche Herrschaft bei Marginalisierung der Parteien durch populistische Eiertänze.
Im Falle der Union würde es das Ende der CDU bedeuten, nachdem vor drei, vier Jahren das Ende der CSU greifbar war (doch Angela Merkel hat die Kurve damals nicht gekriegt). Das Ende der einen könnte Deutschland momentan verschmerzen, das Ende der andern nicht. Damit die CDU vor der Erpressung durch Söder kapituliert, müsste sie lebensmüde sein.
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Während Die Welt am rechten Rand des Mainstreams aus ihrer Sympathie für Söder kein Hehl gemacht hat, war die Frankfurter Allgemeine vornehm zurückhaltend geblieben. Damit ist seit dieser Woche Schluss. Für Laschet spricht sie sich immer noch nicht aus, dafür umso klarer gegen Söder.
Sobald sich die deutschen Wähler Zeit zum Nachdenken genommen haben, werden sie finden, dass sie doch nicht von einem bajuwarischen Holzhacker regiert werden wollen. Das üble Foul werden sie ihm kaum durchgehen lassen. Denn in der Welt muss er Deutschland vertreten, nicht Bayern. In Deutschland ist der Freistaat nach Land und Leuten ein bisschen ein Sonder-fall mit mildernden Umständen. Das macht die Stärke der CSU aus. Doch wenn sie Deutsch-land regieren wollen, ist es ihre Schwäche.
Im Ausland hat man sowieso alle Deutschen für Bayern gehalten, und umso verwunderter waren sie, als nach der Wiedervereinigung Teutonien in der Welt ganz anders aufgetreten ist. Unter einem Kanzler Söder würde man seine Vertreter in der Welt ebenso mit spitzen Fingern anfassen wie seinerzeit die Gesandten Trumps; allerdings mit weniger Höflichkeit.
Eine Kanzlerschaft Söder würde ein Fiasko nicht nur für ihn, sondern für die Unionsparteien - und für Deutschland. Seine Kandidatur nur für die ersten beiden, denn es könnte sein, dass sich die Wählermeinung als ebenso wendig erweist wie er. Deutschland würde es in einen Strudel reißen, denn wer könnte stattdessen Kanzler werden?
In jedem Fall würde er die Geister, die er rief, nicht mehr loswerden.
JE
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