aus nzz.ch, 18. 4. 2021
Herr Rödder, die Union hat die schwierigsten Tage seit langer Zeit hinter sich. Blickt man darauf zurück, gleicht die Szenerie fast einem Shakespeare-Drama: Am Schluss finden sich nur noch Versehrte oder Leichen auf der Bühne.
Wir erleben tatsächlich einen brutalen Machtkampf auf offener Bühne, der den Vergleich mit den ganz grossen Auseinandersetzungen der deutschen Regierungspolitik wie Adenauer gegen Erhard, Kohl gegen Strauss oder Schröder gegen Lafontaine nicht zu scheuen braucht.
Ist für beide Widersacher noch so etwas wie ein guter Ausweg denkbar?
Der Phantasie und Kreativität von Politikern sind ja keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Dinge schönzureden. Insofern muss man sich überraschen lassen, was den Kontrahenten einfällt. Aber beide sind einander sehr hart angegangen. Es ist kein Konflikt über Themen, sondern über Persönlichkeiten. Der eine hat den anderen als charakterschwach dargestellt, der andere den einen für leichtgewichtig erklärt. Hinter solche Anfeindungen kommt man nicht so leicht zurück.
Herr Söder hat erklärt, dass Personen gewählt würden und nicht Programme. Ist das die inhaltliche Bankrotterklärung der Union?
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass dies eine Konsequenz der inhaltlichen Entkernung der Union in den vergangenen Jahren ist, die nicht mehr weiss, wofür sie steht und wohin sie will und sich deshalb ganz an eine Person bindet – wie sie es auch schon mit Angela Merkel getan hat. Zugleich beobachten wir aber einen Trend in ganz Europa, der sich in so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Emmanuel Macron, Sebastian Kurz oder Boris Johnson ausdrückt. Söder rekurriert auf diese Art des populären Politikertypus in den westlichen Gesellschaften. Er setzt die Person nicht nur über das Programm, sondern auch die Institutionen der Partei. Insofern hat sein wiederholter Verweis auf die Umfragen und auf die Wirkung im Volk – und das sage ich nicht abwertend, sondern analytisch – etwas Populistisches an sich. Und da geht um mehr als nur eine Personalie, da geht es um einen systemischen Politikansatz.
Söder stellt das gesamte Modell der Volkspartei und ihrer Gremienorganisation fundamental infrage, so wie es in der Union noch nie geschehen ist.
Ist diese Auseinandersetzung eine Zäsur für Deutschland? Sie haben die Bewegungen etwa von Kurz und Macron angesprochen. Haben sich interessenskatalytische Volksparteien wie die CDU und die CSU auch hier überlebt?
Söder stellt das gesamte Modell der Volkspartei und ihrer Gremienorganisation fundamental infrage, so wie es in der Union noch nie geschehen ist. Da dies auf eine inhaltlich entkernte Partei trifft, legt er die Axt an die Wurzeln der Volkspartei CDU, wie man sie bisher kannte.
Diese inhaltliche Sklerose ist über Jahre entstanden und nicht kurzfristig wieder wettzumachen. Selbst wenn die Union die Wahl gewänne – was würde dieser Zustand für Deutschland in den kommenden Jahren bedeuten?
Oft wird gesagt, dass sich Parteien nur in der Opposition rekreieren können. Ob das wirklich zutrifft, ist allerdings fraglich. Der klassische Referenzfall dafür ist der programmatische Neuanfang der Union in den 1970er Jahren. Die Frage ist nur, ob das ein einzelnes politisches Phänomen oder eine allgemeine historische Regel war. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass sich Parteien auch in der Regierung programmatisch erneuern können – vorausgesetzt die handelnden Personen sind dafür offen. Frau Merkel hat das explizit nicht gewollt, und das ist der Grund für den Zustand der Union, nicht ihre lange Regierungszeit an sich. Müsste die Union nach der Wahl tatsächlich in die Opposition, ist nicht gesagt, dass sie sich erholen würde. Sie könnte auch zerbrechen.
Frau Merkel will sich nicht deklarieren und explizit neutral bleiben. Ist das in dieser Situation klug?
Wir wissen alle nicht, was Frau Merkel hinter den Kulissen tut. Sie ist zugleich in einem Dilemma: Wenn sie Partei bezieht, wird man ihr vorwerfen, dass sie parteiisch ist. Wenn sie es nicht tut, dann wird man ihr vorwerfen, dass sie die Dinge laufen lässt. Das Problem liegt weniger in diesen Tagen, als vielmehr in den vergangenen Jahren. Die CDU hat sich einer Politikerin unterworfen, deren Bindungen an die Partei wesentlich schwächer ausgeprägt waren als die der Partei an sie. Während die Beletage durch «Geschlossenheit» und «Alternativlosigkeit» den Machterhalt exekutiert hat, sind im Fundament immer grössere Risse entstanden. Und jetzt treten Erschütterungen auf, die das ganze Gebäude zum Einsturz bringen können. Das kann tatsächlich unkontrolliert passieren.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie Söder mit einer CDU, die ihn nicht konsequent unterstützt, einen erfolgreichen Wahlkampf führen will.
Sie haben die Auseinandersetzung zwischen Helmut Kohl und Franz Josef Strauss angesprochen. Strauss hat 1979/80 die Kanzlerkandidatur an sich gerissen, das ist ihm im Wahlkampf nicht gut bekommen. Könnte das wieder geschehen?
Natürlich würde Markus Söder das Problem haben, dass er weite Teile der CDU gegen sich aufgebracht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Söder mit einer CDU, die ihn nicht konsequent unterstützt, einen erfolgreichen Wahlkampf führen will – es sei denn, er führt einen Personenwahlkampf ohne die CDU. Umgekehrt wird es auch für Armin Laschet schwer, die nötige Unterstützung im Wahlkampf zu organisieren – zumal er nicht die populistische Karte spielen kann.
Worin unterscheiden sich die beiden in ihrer politischen Haltung?
Söder ist ein professioneller Opportunist, Laschet ein rheinisch-katholischer Herzland-Christdemokrat. Er ist Kohl insofern viel ähnlicher als Angela Merkel, auch in seinem Stil, die Partei in der Breite viel stärker zu integrieren als dies Merkel je getan hat. Zugleich handelt Laschet ganz nach der Logik der Gremien und der Funktionäre. Deshalb war er am vergangenen Montag der Meinung, die Sache sei entschieden. Söder hat sich dieser Logik widersetzt und mit dem Verweis auf die Umfragen das populistische Argument eingebracht. Ironischerweise hat der vermeintlich pragmatische Merkelianer Laschet nun den vermeintlichen früheren Konservativen Söder an die christdemokratischen Prinzipien erinnert.
Sie würden Söder keinerlei programmatischen Kompass oder Prinzipientreue attestieren?
Jedenfalls ist die Geschichte seiner politischen Positionen von einer atemberaubenden Wandlungsfähigkeit geprägt. Das drückt sich am allerstärksten in seinem Verhältnis zu Angela Merkel aus. Er war die treibende Kraft hinter dem Beinahe-Zerwürfnis der Union im Sommer 2018. Und heute triezt er Armin Laschet mit dem Satz, dass man Merkel-Stimmen nur mit Merkel-Politik bekommen könne. Diese Wendung muss man erst einmal aufs Parkett legen.
Die reine personality show fährt auf der Achterbahn der Emotionen und Umfragen schnell hinauf, aber genauso schnell auch wieder herunter.
Stösst diese Art der Wendigkeit Wähler nicht irgendwann ab?
Gerade
als Historiker habe ich ein grosses Verständnis dafür, dass Politiker
wandelbar und flexibel, ja opportunistisch sein müssen, sonst können sie
sich im politischen Spiel nicht behaupten. Aber das hat natürlich seine
Grenzen. Und es ist auch nicht so, dass charismatische Persönlichkeiten
und Inhalte völlig voneinander zu trennen wären. Nehmen Sie zum
Beispiel Winfried Kretschmann, der ist ja keine von Inhalten losgelöste
Person, sondern gewissermassen ein Gesamtkunstwerk. Es ist gerade die
Verbindung zwischen Persönlichkeit und Inhalten, die Authentizität
schafft und damit Glaubwürdigkeit und Vertrauen erzeugt. Und das ist die
entscheidende Währung. Die reine personality show fährt auf der
Achterbahn der Emotionen und Umfragen schnell hinauf, aber genauso
schnell auch wieder herunter. ...
Nota. - Dass der Bluff mit den "Volksparteien" vom Tisch ist, kann man nur begrüßen, in je-der Hinsicht. Statt Klientelen unter einen Hut zu stecken und Vanillesauce drüber zu gießen, werden programmatische Profile immer dringender, wenn nicht die Showmen das Wahlvolk an der Nase führen sollen.
Und wenn der Weg zu einer Re-Formation oder richtiger: zur endlichen Formation einer of-fensiven politischen Mitte in Deutschland durch das Zerplatzen der Hybride Christenunion führt, dann ist sie den Preis immerhin wert. Dass der Moment nicht der bestmögliche ist, mag schon sein, aber welcher sonst wäre es? Ohne Krise wird's nichts.
PS, 19. 4. 21, 15 Uhr: Dem S. traue ich zu, dass er es von Anfang an so ausgeheckt hat: Erst der CDU und dem Rest der Welt zeigen, wo der Hammer hängt, und sich dann eine Sekunde vor zwölf als selbstloser Retter der Union aufspielen. Ich kann nicht glauben, dass die deut-schen Wähler so blöde sind, auf das Theater reinzufallen. Doch ein Kanzler Laschet wüsste nun, worauf er sich eingelassen hat; Frau Merkel kann ihm ein Lied singen.
JE
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