Samstag, 30. November 2013

Wohlleben macht nicht froh, hätten Sie's gedacht?

aus scinexx

Wohlstand macht unzufriedener
In reichen Ländern wachsen mit dem Einkommen auch Neid und Frustration

Mehr Geld bedeutet nicht automatisch mehr Glück, im Gegenteil: In reicheren Ländern nimmt die Zufriedenheit mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen sogar ab. Der Grund: Dort sorgen Neid und zu hohe Erwartungen für Frustrationen, wie Forscher ermittelten. Das ist ab einem Pro-Kopf-Einkommen oberhalb von 26.000 Euro pro Jahr der Fall - auch Deutschland liegt über diesem Schwellenwert.

Je mehr wir verdienen, desto glücklicher und zufriedener müssten wir eigentlich sein. Denn dann könnten wir uns all die Dinge leisten, die wir uns wünschen: gutes Essen teure Kleider und Wohnungen und luxuriöse Urlaubsreisen. Tatsächlich gingen Forscher bisher davon aus, dass die Zufriedenheit von Menschen mit steigendem Einkommen größer wird - aber nur bis zu einer gewissen Grenze. In reicheren Ländern, so der bisherigen Stand der Dinge, flacht sich die Kurve ab. Hier bringt mehr Geld dann nur noch geringe Zuwächse an Zufriedenheit und irgendwann macht das Geld gar keinen Unterschied mehr. Der Wirtschaftswissenschaftler Eugenio Proto von der University of Warwick und seine Kollegen haben diese Theorie nun nachgeprüft.

Geld macht zufriedener - in ärmeren Ländern

Dafür werteten die Forscher Daten von mehr als 50 Ländern zum jährlichen Pro-Kopf-Einkommen unter Berücksichtigung der Kaukraftparität aus. Diese Werte glichen sie mit den Ergebnissen des World Values Survey ab. Diese umfangreichste weltweite Erhebung befragt seit 1990 regelmäßig Menschen in bisher 80 Ländern zu deren Werten, Meinungen und Befindlichkeiten. Auch Glück und Zufriedenheit wird in dem umfangreichen Fragebogen auf verschiedene Weise erfragt. "Ob sich durch Wohlstand das Glück eines Landes und seiner Bewohner erkaufen lässt, ist eine Frage, die viele Regierungen beschäftigt", sagt Proto.

Die Ergebnisse bestätigten zunächst einige der Vorannahmen: Bei den Bewohnern ärmerer Länder wächst mit dem Einkommen auch die Zufriedenheit: Menschen in Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 5.000 Euro pro Jahr - dazu gehören beispielsweise Indonesien, Pakistan und viele afrikanische Staaten - geben zwölf Prozent seltener an, vollkommen zufrieden zu sein als Bewohner von Ländern mit einem Pro-Kopf -Einkommen von 13.000 Euro. Schon ab 15.000 Euro pro Kopf und Jahr aber beginnt die Kurve allmählich abzuflachen, zusätzliches Geld bringt dann nur noch wenig Glücksgewinn.

Neid frisst Glück

Überraschend aber war, was dann folgte: "Die Lebenszufriedenheit bleibt ab einem bestimmten Wohlstand nicht gleich, sondern sie sinkt sogar wieder ab - das wurde bisher noch nie nachgewiesen", konstatiert Proto. In Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 26.500 Euro pro Jahr gaben wieder weniger Befragte an, vollkommen zufrieden zu sein. Zu diesen Ländern gehören neben Deutschland auch die meisten anderen Industrieländer.

Die Forscher führen diese sinkende Zufriedenheit in den reichen Ländern auf veränderte Erwartungen zurück: "Höhere Durchschnittseinkommen führen auch zu höheren Erwartungen: Wenn wir überall um uns herum Wohlstand und Chancen sehen, wollen wir mithalten", beschreibt Proto den Effekt. Die dadurch entstehende Schwere zwischen Erwartungen und tatsächlichem Einkommen nage dann an der Zufriedenheit. Das lehrt dann wohl zweierlei: Neid frisst Glück und wer reich ist, ist noch lange nicht glücklicher. (PLOS ONE, 2013; doi: 10.1371/journal.pone.0079358)

(PLOS ONE, 29.11.2013 - NPO)

Freitag, 29. November 2013

Fünfundsiebzig Jahre Weltbürgerkrieg.

 
aus Der Standard, 30. 11. 2013

Ein Vater nicht nur missratener Kinder
Für den "Großen Krieg" 1914–1918 gilt mehr als für die meisten anderen Kriege, dass er der "Vater aller Dinge" sei, meinen namhafte Historiker. Eines seiner späten Kinder gibt Europa Frieden und Sicherheit. 

von Josef Kirchengast

"Das versteh ich nicht! Na, ich versteh's wirklich nicht! So eine schöne Armee hamma g'habt. Da kann man sagen, was man will, das war die schönste Armee der Welt! Und was haben's g'macht mit dera Armee? In Krieg haben sie's g'schickt!"

Schon bald nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Monarchie kursierte dieser Graf-Bobby-Witz in Wien. Er bringt mit grimmigem Sarkasmus die Erkenntnis vieler hellsichtiger Zeitgenossen lange vor 1914 auf den Punkt: dass nämlich ein großer Krieg, in den die Armee des multiethnischen Habsburgerreiches hineingezogen wird, zugleich das Ende des Vielvölkerstaates bedeutet.

Darüber hinaus jedoch macht der Witz in seiner Absurdität das Aberwitzige einer Politik deutlich, die Kriegführen als legitimes politisches Mittel, ja als Politik­ersatz ansieht und dabei auch die ­ultimative Katastrophe in Kauf nimmt. Die Katastrophe, die im Sommer 1914 mit dem Attentat von Sarajevo begann, fand erst mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 ihr Ende. Ein 75-jähriger Krieg, auf bis dahin unvorstellbare Art grausam und opferreich und zwischenzeitlich auch unblutig, prägte das kurze 20. Jahrhundert. Manche Historiker nennen ihn einen europäischen Bürgerkrieg, manchen, wie Dan Diner, scheint die Metapher vom Weltbürgerkrieg noch angemessener.

Wohl keiner der politischen und militärischen Akteure von 1914 ahnte auch nur im Entferntesten, welche Entwicklung mit seinem Zutun ausgelöst würde. Erst der Rückblick macht klar, wie – scheinbar unvermeidlich – eines aus dem anderen folgte, bis 1945 halb Europa in Trümmern lag und danach noch ein halbes Jahrhundert im Kalten Krieg erstarrte.

Massentechnik der Gewalt

Es war eine ununterbrochene Orgie der Ismen: Imperialismus – Nationalismus – Revanchismus – Faschismus – Nationalsozialismus – Bolschewismus – Stalinismus. Das alles oft durchwoben mit der quasi historischen Konstante des Antisemitismus, dessen praktische Umsetzung mit dem Holocaust seinen unfassbaren Höhepunkt erreichte. Die industrielle Ermordung von Millionen Menschen hat – ungeachtet der Mons­trosität dieses Verbrechens – wohl auch mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zu tun, mit einer neuen Massentechnik der Gewalt, vom Maschinengewehr über den Panzer bis zum Giftgas. Der Gefreite Adolf Hitler erlebte einiges davon.

Für den Ersten Weltkrieg, der für Franzosen und Briten immer noch der "Große Krieg" ist, gelte mehr als für viele andere Kriege, dass er, nach dem Wort Heraklits, "der Vater aller Dinge" sei, schreibt der deutsche Historiker Heinrich August Winkler im zweiten Band seines Monumentalwerks Geschichte des Westens. Winkler zitiert dazu einen Satz des deutschen Wirtschaftswissenschafters Moritz Julius Bonn aus dem Jahr 1925: "Der Große Krieg hat der Theorie der Gewalt zu einem überwältigenden Triumph verholfen."

War das alles wirklich unvermeidbar? Oder war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers am 28. Juni 1914 in Sarajevo durch einen serbischen Attentäter sozusagen ein Betriebsunfall der Geschichte, die ansonsten ganz anders verlaufen wäre? Nach weitgehender Übereinstimmung unter den Historikern wäre es früher oder später auf jeden Fall zum Krieg zwischen der Habsburgermonarchie und Serbien gekommen. Den Rest kennen wir: eine Bündnisautomatik zwischen den Großmächten, die schon Vabanque-Charakter hatte, eine Haltung des "Alles oder nichts", die unbegrenzte Opfer an Menschenleben in Kauf nahm.

Winkler listet in seinem erwähnten Werk auf: 65 Millionen mobilisierte Soldaten, 8,5 Millionen Gefallene, über 21 Millionen Verwundete, 7,8 Millionen Kriegsgefangene und Vermisste, über fünf Millionen zivile Kriegstote in Europa ohne Russland. Und das war, mit Blick auf 1939–1945, nur der Anfang.

Es ist eine der großen Ironien der Geschichte, dass diese unerbittliche Automatik durch den deutsch-sowjetrussischen Separatfrieden von Brest-Litowsk im März 1918 nach der Machtübernahme der Bolschewiken im Oktober/November 1917 (je nach Kalender) unterbrochen wurde. Kurzfristig ging das Kalkül der Deutschen, die Lenin im plombierten Sonderzug nach Russland gebracht hatten, auf.

Damit war aber auch die Sowjetunion als späterer ideologischer Hauptgegner Hitlers und Ziel seines Unterwerfungs- und Vernichtungskrieges gegen den "jüdischen Bolschewismus" ab 1941 geboren. Der Sieg über Hitlerdeutschland brachte Stalin an den Gipfel seiner Macht (und lässt ihn als Mythos bis heute weiterleben), machte die Sowjetunion nunmehr zum großen ideologischen und imperialen Gegner des Westens und besiegelte die Teilung Europas für mehr als vier Jahrzehnte.

Die Großmächte von 1914 waren auf Krieg programmiert, weil sie sich davon mehr versprachen als vom Frieden. Was vorherrschte, war eine Stimmung des "Jetzt oder nie": Man müsse die Gunst der Stunde nutzen, um Probleme zu lösen, die sonst nur noch größer würden. Das galt für das Verhältnis zwischen der etablierten Weltmacht England und deren Herausforderer Deutschland; es galt für Frankreichs Hoffnung, die durch Deutschland erlittene Schmach von 1871 zu tilgen; es galt für die deutschen und russischen Ambitionen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa; und es galt für die österreichisch-serbische Rivalität auf dem Balkan.

Sprudelnde Konfliktquelle

Doch keines der Probleme, die sich bis 1914 aufgestaut hatten, wurde durch den Krieg gelöst. Mehr noch: Eine Hauptquelle der Konflikte begann erst richtig zu sprudeln. Der auch in Wien forschende US-Historiker Timothy Snyder meint sinngemäß, man habe versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben: Kriegsauslöser sei die vom Balkan ausgehende Vorstellung von Nationalstaaten gewesen; die habe zur Auflösung der multinationalen Donaumonarchie geführt, und nach 1918 hätten die Alliierten diese "Lösung" auf den Großteil des übrigen Europa angewandt.

Aber das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das US-Präsident Woodrow Wilson nach Kriegs­ende verkündete, erwies sich, wiewohl gut gemeint, als untaugliches Instrument bei der Lösung von Nationalitätenkonflikten. Das zeigten schon die Friedensverträge mit Österreich und Ungarn. Im Fall Ungarns, das zwei Drittel seines Territoriums und drei Millionen Magyaren verlor, wirkt das bis heute nach und erklärt zumindest teilweise die nationalistische Renaissance unter Viktor Orbán.

Wider die Ismen

Imperialismus, Nationalismus, Revanchismus: Weder der 1920 gegründete Völkerbund noch seine 1945 etablierte Nachfolgerin Uno erwiesen sich als geeignete Institutionen, damit fertigzuwerden. 1952 erfolgte ein neuer Ansatz: Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl begannen Frankreich und Deutschland, die historische Rivalität durch ein Kooperationsmodell aufzulösen. 60 Jahre später erhielt ihre Spätnachfolgerin, genannt Europäische Union, den Friedensnobelpreis. Und nicht wenige reagierten verwundert.

Unmittelbar geht die Gründung der EU auf die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs zurück. In Wahrheit aber ist sie die in Werte, Regeln und Institutionen gegossene Lehre aus den Ursachen des "Großen Krieges" 1914–1918 und dessen, was folgte. Das bedeutet Konfliktlösung durch Interessenausgleich und Solidarität statt durch Gewalt. Dies kann nicht ohne zumindest teilweisen Verzicht auf nationale Souveränität gelingen.

In der Eurokrise hat die EU ihre bisher härteste Belastungsprobe, zumindest vorerst, bestanden. Aber nationalistische Aufwallungen in vielen Mitgliedsländern zeigen, dass die Geister von 1914 noch immer nicht gebannt sind.


Nota.

Das ist ein Schweinsgalopp durch das 20. Jahrhundert, doch richtig falsch ist eigentlich nichts darin. Aber ganz wirklich richtig ist dies:  Es war ein "Weltbürgerkrieg", der im Sommer 1914 mit dem Attentat von Sarajevo begann und erst mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 sein Ende fand. Das ist so richtig, dass man es noch immer nicht oft genug wiederholen kann, und obwohl man es schon hin und wieder mal hört, noch längst nicht zu den Wahrheiten gehört, die der Wind durch die Binsen flüstert. 75 Jahre, länger hat das 20. Jahrhundert nicht gedauert, und noch immer stehen wir unter dem Eindruck, als hätte es ein gutes Jahrtausend aufgewogen. Jedenfalls war hinterher kaum noch was wie davor.
JE 


Die menschliche Geschichte des Mittelmeers.

aus NZZ, 20. 11. 2013                                                                     F. Guardi, Die Lagune von Venedig mit dem Turm von Maghera

Das Medium des Wassers
Der britische Historiker David Abulafia erzählt die «menschliche» Geschichte des Mittelmeers

von Hans-Albrecht Koch · Der in Cambridge lehrende Historiker David Abulafia, der im deutschen Sprachraum einem grösseren Publikum vor allem durch die Übersetzung seiner Biografie des Stauferkaisers Friedrich II. bekannt geworden ist, erzählt seine Geschichte des Mittelmeers von den Rändern her: eine Schilderung all dessen, was an den Küsten - und nur an den Küsten - möglich war. Er erzählt also vor allem davon, wie dieses grosse europäische Meer, für das die Römer den Namen «Mare nostrum» benutzten, der ihren Herrschaftsanspruch hervorhob, und das die Italiener mit einem die Brückenfunktion zwischen Ländern betonenden Namen «Mediterraneo» nennen, das Schicksal seiner Anrainer im Guten wie im Schlechten bestimmte, in Austausch und Verkehr nicht minder als in Krieg und Raub.

«Historia docet»

Über das Mittelmeer gelangte das Getreide aus Ägypten, der antiken Kornkammer, nach Rom, darauf spielte sich der Handel mit Metallen, Gewürzen, Purpur, Seide ab, bis hin zum ausgedehnten Sklavenhandel, von der Antike bis ins 18., teilweise bis ins 19. Jahrhundert. Das Mittelmeer war die Verkehrsader, die es einer griechischen Polis wie Korinth ermöglichte, eine Kolonie wie Syrakus zu gründen; es war gleichsam die Plattform, auf der sich nach dem Tod Alexanders des Grossen der Hellenismus ausbreitete - eine Globalisierung avant la lettre. Auf dem Mittelmeer setzte sich Rom gegen Karthago durch; es war der Schauplatz, auf dem Griechen, Römer und Juden einander - bald aufgeschlossener, bald misstrauischer - begegneten; darüber führte in der Spätantike, ab Konstantin dem Grossen, der Siegeszug des Christentums. Über das Mittelmeer ging die Fahrt, als die Venezianer 828 die Gebeine des heiligen Markus für ihren Dom aus Alexandria raubten; darüber brachten Kaufleute aus Bari 1087 die Gebeine des heiligen Nikolaus von Myra in ihre Stadt.

David Abulafia: Das Mittelmeer. Eine Biographie. 
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. 
S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 859 S., Fr. 45.90.

Auch wer sich mit dem «Historia docet» schwertut, wird über den vielen Déjà-vu-Effekten in Abulafias so gelehrter wie anschaulicher Erzählung von über dreitausend Jahren nachdenklich werden. Darunter finden sich - um nur zwei Beispiele zu nennen - die Brückenfunktion der süditalienischen Inseln für die Migration afrikanischer Einwohner ebenso wie die Plage des Seeräuberunwesens, mit dessen endlich erfolgreicher Bekämpfung sich einst Cäsars Zeitgenosse Gnaeus Pompeius Magnus grossen Ruhm erworben hatte, das aber auch später die Geschichte des Mittelmeerraums auf ganz verschiedene Weise bestimmte: sei es als Piraterie im Dienste muslimischer Herrscher wie des Emirs von Andalusien, sei es in der Form christlicher Seeräuber aus dem Orden der Hospitaliter.

Abulafias eigene Forschungen gelten vor allem der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte. Das kommt der Darstellung wirtschaftlicher Aspekte der Kreuzzüge genauso zugute wie der Schilderung der Wiederbelebung von Amalfis Handel mit Kairo nach der Niederlage der Stadt im blutigen Konkurrenzkampf mit Pisa. Überhaupt hat der Verfasser einen Sinn dafür, wie sich grosse Zusammenhänge in Details spiegeln, ob er von der Konkurrenz der Handelsstädte Venedig und Genua schreibt oder von der Vermittlung arabischer Wissenschaft nach Europa am Hof Friedrichs II. zu Palermo.

Die Welt der homerischen Epen der griechischen Antike lässt der Autor vor unseren Augen ebenso lebendig werden wie die von Söldnern und Missionaren des christlichen Mittelmeerraums, er führt seine Leser zu den gelehrten Vermittlern arabischer Kultur ebenso wie zu osmanischen Deys, Beys und Paschas und lenkt schliesslich für das 19. und frühe 20. Jahrhundert den Blick darauf, wie Archäologen und Historiker durch die wissenschaftliche Erschliessung des griechischen Altertums den Mittelmeerraum in einem neuen Spiegel zu sehen gelehrt haben, wie gleichsam ein zweites historisch fundiertes Griechenland entstanden ist.

Was das 20. Jahrhundert angeht, so widmet sich das Buch vor allem zwei Themen. Es schildert zum einen am Geschick der Städte Saloniki, Smyrna, Alexandria, Jaffa und Konstantinopel, welche fatalen Folgen die Blindheit der siegreichen Besatzungsmächte gegenüber historisch gewachsenen Strukturen hatte, sei es, dass der englische Premierminister Lloyd George den türkischen Politiker Kemal als einen Teppichhändler titulierte, sei es, dass man nicht verstand, wieso sich die Zehntausende griechischen, jüdischen, italienischen, koptischen und türkischen Einwohner von «Alexandria ad Aegyptum» als Bewohner einer Stadt «bei», nicht «in» Ägypten verstanden, deren Architektur, Literatur und Kaffeehauskultur gesamteuropäischen Charakter hatte. Das zweite Thema ist das territorialpolitische Chaos, das nach dem Ersten Weltkrieg durch konträre Positionen Englands und Frankreichs, durch die italienische Besetzung Äthiopiens und durch die deutschen Kriegshandlungen in Ägypten, Libyen, Tunesien entstand.

Das eine oder andere hätte sich Abulafias grosser Erzählung vielleicht noch hinzufügen lassen: etwa wie der protestantische Condottiere Johann Matthias von der Schulenburg, nach langen Verhandlungen mit den knauserigen Herren der Serenissima endlich doch Kommandant der venezianischen Festung Korfu geworden, 1716 mit seiner Verteidigung der Insel gegen die osmanischen Angriffe dem Prinzen Eugen seine Siege zu Land recht eigentlich erst ermöglichte. Auch das Leben des im französischen Algerien aufgewachsenen Albert Camus, der lange Zeit in unmittelbarer Berührung mit Sprache und Kultur der Araber und Berber lebte, wäre thematisch mehr als einschlägig.

Anders als Braudel

In souveräner Zusammenschau weist Abulafia seinen Lesern Wege durch einen der bedeutendsten Räume der Weltgeschichte, in einer Sprache, deren Anschaulichkeit sich auch in der Übersetzung noch spiegelt, und in Kapiteln von so vernünftig geschnittener Länge, dass die Lektüre trotz insgesamt grossem Umfang zu einer höchst vergnüglichen Belehrung wird. Der Originaltitel «A Human History of the Mediterranean» gibt den Inhalt viel treffender wieder als der wenig glückliche deutsche Titelzusatz «Eine Biografie», der wohl einem unterstellten Interesse des Publikums an allem Biografischen geschuldet ist. Dass die «menschliche» Geschichte des Mittelmeerraums Abulafias Thema ist, darf übrigens als Kontrapunkt zu dem berühmten Werk Fernand Braudels über die mediterrane Welt in der Zeit Philipps II. verstanden werden, das den Blick auf Strukturen und Zyklen konzentriert und dem menschlichen Handeln sowie der Ereignisgeschichte wenig Bedeutung beimisst. Während Braudel methodisch ein Begriffsgerüst «wie einen Förderturm über die diffuse Masse der Geschichte» setzt, «um aus ihr Erkenntnis zu ziehen» (Volker Reinhardt), schreibt David Abulafia die gewonnenen Einsichten in eine Erzählung um, die den Begriff wieder in der Gestalt anschaulich werden lässt.


Donnerstag, 28. November 2013

Piraten in der Antike.

 
institution logoTagung: Seemächte, Piraten und das Meer als Herrschaftsraum in der Antike

Dr. Nina Diezemann  
Stabsstelle für Presse und Kommunikation
Freie Universität Berlin 

28.11.2013 12:16 

Formen der Seeherrschaft in verschiedenen antiken Kulturen stehen im Mittelpunkt einer internationalen Tagung des Exzellenzclusters Topoi vom 12. bis 14. Dezember an der Freien Universität Berlin. Die Teilnehmer betrachten etwa die Strategien verschiedener Seemächte wie Athen oder Rom, das Mittelmeer als Raum sowie Piraterie als definitorisches Moment von Seeherrschaft. Ziel ist es, ein komplexes Bild antiker Wahrnehmung und Organisation von Herrschaftsgebieten zu Wasser zu entwickeln. Die Tagung ist öffentlich, der Eintritt frei. Tagungssprachen sind deutsch und englisch.

Das Meer als zu beherrschender Raum spielte eine entscheidende Rolle in den Strategien antiker Reiche. Dennoch wurden Seeherrschaftskonzeptionen und die strategische Bedeutung des Meeres bislang kaum systematisch erforscht - im Unterschied zu Herrschaftsformen zu Land. Die Wissenschaftler möchten mit dem Kongress dazu beitragen, ein differenziertes Bild von Seeherrschaft zu entwickeln und Begriffe wie "Thalassokratie" - wörtlich "Meeres-Herrschaft" - zu überprüfen. Dazu wird nicht nur das Phänomen der Seeherrschaft in der griechischen und römischen Geschichte untersucht, sondern auch Vergleiche mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Formen von Seemacht gezogen. Konzipiert wurde die Veranstaltung von den Professoren für Alte Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Ernst Baltrusch und Christian Wendt, sowie von Hans Kopp, Promotionsstipendiat des Exzellenzclusters Topoi.

Die räumliche Ordnung von Macht in der Antike ist Teil des Forschungsprogramms des Exzellenzclusters Topoi, einem gemeinsamen Forschungsverbund von Freier Universität Berlin und Humbold-Universität zu Berlin in Kooperation mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In dem Verbund arbeiten Institutionen-übergreifend Wissenschaftler aus mehr als 30 Disziplinen zusammen. Im Zentrum steht dabei der Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Raumordnungen und Wissen im Altertum.

Zeit und Ort
Donnerstag, der 12. bis Samstag, der 14. Dezember, Beginn am Donnerstag um 14 Uhr.
Topoi-Haus, Freie Universität Berlin, Hittorfstraße 18, 14195 Berlin, U-Bahnhof Thielplatz (U3), Bus M11, 110.

Weitere Informationen
Dr. Nina Diezemann, Presse und Kommunikation, Freie Universität Berlin, Telefon 030 / 838-73190, E-Mail: nina.diezemann@fu-berlin.de

Weitere Informationen:
http://www.topoi.org
http://www.topoi.org/event/21183/

Mittwoch, 27. November 2013

Was vom Kolonialismus bleibt.

aus NZZ, 26. 11. 2013                                         Statue of Lord Kitchener, being erected in Khartoum —Sidney March sculptor. 1912

Die langfristigen Folgen des Kolonialismus
Ob sich die Kolonialzeit eher negativ, eher positiv oder nur minimal auf ein Land auswirkt, hängt von diversen Faktoren ab: dem Gewaltniveau der Fremdherrschaft, der Instrumentalisierung ethnischer und religiöser Spaltungen, der Ausbeutung und den mehr oder weniger konfliktträchtigen Grenzziehungen.  

Von Patrick Ziltener 

Historisch waren sich Befürworter wie Gegner des Kolonialismus darin einig, dass Kolonialherrschaft einen grossen Einfluss auf die unterworfenen Gesellschaften ausgeübt hat - allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen. Der Historiker Jürgen Osterhammel spricht vom Kolonialismus insgesamt aber als einem «Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit». In vielen Weltgegenden war die flächendeckende Kolonialherrschaft zudem eine zeitlich eng befristete und wenig effektive Herrschaftsform. Es gibt aber auch Länder und Regionen, die von kolonial induzierten Prozessen tiefgreifend verändert und in ihrer heutigen Form erst eigentlich erschaffen wurden, etwa dort, wo grossflächige Rohstoffförderung und Plantagenwirtschaft sowie umfangreiche Migrationsströme zusammenwirkten, wie in Malaysia oder Südafrika.

Besteuerung, Schulbildung, Verletzungen

Was lässt sich ein halbes Jahrhundert nach der Entkolonisierungswelle der 1960er Jahre über die langfristigen Wirkungen des Kolonialismus sagen? Ein Forschungsprojekt am Soziologischen Institut der Universität Zürich hat dies anhand von 83 Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens untersucht. In diesen Ländern lebten Ende des 20. Jahrhunderts etwa 73 Prozent der Weltbevölkerung.

Erwartet haben wir, dass die langfristigen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Kolonialismus vor allem dort nachhaltig sind, wo die Lokalgesellschaften tiefgreifend transformiert wurden. Dies ist nicht der Fall: Unter den solchermassen veränderten Gesellschaften finden sich sowohl erfolgreiche als auch wirtschaftlich stagnierende oder zerfallende Länder. Folgende Länder wurden in unserer Untersuchung als am tiefgreifendsten kolonial umgestaltet definiert: Südafrika, Kenya, Simbabwe, Angola und Guinea-Bissau in Afrika, Indonesien, Indien, Kambodscha, Myanmar und die Philippinen in Asien - Länder mit sehr unterschiedlicher postkolonialer Entwicklungsdynamik.

Massgeblich ist nicht die Transformationstiefe, sondern es müssen andere Aspekte des Kolonialismus langfristig wirksam sein - bestimmte Faktoren wie der Abfluss finanzieller Ressourcen, brutale Besteuerungssysteme oder sozialpsychologische Verletzungen. Solche Faktoren zu vergleichen, ist allerdings schwierig. Gleichwohl gelang es, dreizehn Indikatoren zu finden, mit denen sich der Einfluss kolonialer Faktoren auf die postkoloniale Entwicklung Afrikas, Asiens und Ozeaniens statistisch überprüfen lässt. Sie reichen von der unterschiedlichen kolonialen Herrschaftsintensität und dem damit verbundenen Gewaltniveau, der Instrumentalisierung ethnischer und religiöser Spaltungen, der Investitions- oder Handelsumlenkung, Missionierung und Arbeitsmigration bis hin zu mehr oder weniger absurden kolonialen Grenzziehungen. Die statistischen Ergebnisse zeigen, dass - wie zu erwarten - die wirtschaftliche und gesellschaftliche Prägekraft des Kolonialismus nach der politischen Unabhängigkeit langsam abnimmt. Am ehesten lässt sich eine nachhaltige Wirkung der kolonialzeitlichen Schulbildung nachweisen.

Die interessantesten Ergebnisse unserer statistischen Modelle fanden sich jedoch im politischen Bereich: Die Überlebenschancen postkolonialer Demokratien werden von der Dauer der Kolonialisierung beeinflusst: Je direkter und je kürzer die koloniale Herrschaft, desto geringer die Chancen für Demokratie, wobei das Niveau der kolonialen Schulbildung diesem Effekt positiv entgegenwirkt.

Fatale Folgen der Gewalt

Vor allem aber schälte sich ein fundamentaler Zusammenhang heraus: Gute Regierungsführung hängt eng mit dem kolonialen Gewaltniveau und der Organisation der Entkolonisierung zusammen, und zwar unabhängig vom Ausmass der kolonialen Transformation. War die Entkolonisierung ein ungeregelter, gewaltförmiger, katastrophischer Prozess, sind die Chancen für die Etablierung guter Regierungsführung bis heute nachhaltig beschädigt. Dieses Ergebnis ist statistisch robust, unter Kontrolle zahlreicher anderer, nichtkolonialbedingter Faktoren wie Geografie, vorkoloniale Verhältnisse usw. Die Bedeutung der jeweiligen Kolonialmacht (zum Beispiel Grossbritannien contra Frankreich), auf die sich die Forschung bisher konzentrierte, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Der blosse Hinweis auf national unterschiedliche Stile kolonialer Verwaltung erfasst nicht die Inhalte, um die es wirklich geht, wie begrenzter Gewalteinsatz, geordneter Machttransfer, weniger Handelsumlenkung. Tatsächlich fand aber die Ausbildung einheimischer Beamter, die Absicherung des Rechtssystems und eine geordnete Machtübergabe häufiger in britischen Kolonien statt als in anderen. Auch die Bedeutung des Faktors Grenzziehung ist zu relativieren. Erstens gibt es keine «vernünftigen» Grenzen, ausser vielleicht unüberwindbare Hochgebirgszüge. Die politische Ausgestaltung der Aussenwirtschaftsbeziehungen ist viel relevanter. Erst eine schlechte Wirtschaftspolitik führt zur Aufspaltung funktionaler Wirtschaftsräume und zu wirtschaftlich negativen Effekten. Zweitens ist das «Zusammenwerfen» verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen in einen kolonialen Staat manchmal fataler als ihre Trennung. Langfristiges Unheil kann man vor allem mit der kolonialherrschaftlichen Instrumentalisierung ethnischer und religiöser Spaltungen anrichten, zum Beispiel mit der Bevorzugung von Christen in der Verwaltung, von Chinesen für die Steuereintreibung oder mit der Missionierung von kriegerischen «Bergstämmen» und ihrem Einsatz in der Kolonialarmee und -polizei.

Wir finden also Belege, dass der Kolonialismus auch ein halbes Jahrhundert nach der Dekolonisierung einen Einfluss auf Regierung, Staat und damit Lebenschancen ausübt. Es wäre voreilig, den Westen aus seiner historischen Verantwortung für die massgeblich von ihm geschaffene globale politische Vergesellschaftung zu entlassen.

Patrick Ziltener ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Zürich und betreibt wirtschafts- und entwicklungssoziologische Forschungen.

Dienstag, 26. November 2013

Domestiziert durch Alkohol.


Uwe Schlick, pixelio.de

Unglaublich, dass ich diesen Artikel seinerzeit übersehen konnte! Und das Buch, von dem er berichtet, ist sogar schon fünf Jahre alt. Zunächst einmal ist die aufgestellte These über die wahre Ursache des als "neolithische Revolution" verklärten Übergangs unserer jagenden Vorfahren zu Arbeit und Sesshaftigkeit sehr lustig, namentlich für Leute, die im lutherischen Flachdeutschland großgeworden sind.

Aber außerdem muss sie völlig ernst genommen werden. Tatsächlich liegen die Motive, die unsere Vorfahren bewogen haben könnten, das abwechslungsreiche Wanderleben gegen eintöniges Hocken am Platz einzutauschen, ganz im Dunkeln. Viel größere Sicherheit erreichten sie dadurch nicht, denn sie waren den Überfällen der Nomaden ausgeliefert. Die ersten Mauern hat sich Jericho wohl erst nach zweitausend Jahren gegeben. Und ernährungshygienisch war es eine Verarmung, der Getreidekonsum führte zu Mangelernährung. Und solange das Getreide nur geerntet, nicht aber gesät wurde, können die Erträge unmöglich gereicht haben, um die gewohnte Diät zu ersetzen.

Andererseits hatten die Jäger auch keine Möglichkeit, gelegentliche Nahrungsüberschüsse anders zu verwerten als im Fest. Und so gewinnt die neue Theorie schon Plausibilität. Wenn man dazu noch Johan Huizingas These vom Homo ludens denkt, ergibt sich ein rundes Bild...



aus Süddeutsche.de, 17. Mai 2010 21:49





Sesshaft dank Saufen  
Am Anfang war die Party

Dem Biologen Josef H. Reichholf zufolge war die Sesshaftigkeit des Menschen nicht in der Fleisch-Knappheit begründet - sondern im kollektiven Besäufnis.
 
Von Johan Schloemann
Von dieser Theorie könnte man besoffen werden. Denn vereinfacht geht sie so: Der Ackerbau und damit die Sesshaftigkeit und damit die Höfe, Dörfer und Städte und damit die ganze menschliche Kultur sind nicht entstanden, weil einst das Fleisch knapp geworden war, sondern weil es im Gegenteil Fleisch von wilden Tieren im Überfluss gab.

Also haben sich die Menschen in der Nacheiszeit, die grob vor 12.000 Jahren begann, zu gemeinschaftlichen Fleisch-Gelagen verabredet. Der Ertrag des wilden, noch nicht gezüchteten Getreides reichte auch gar nicht aus, um sie hinreichend zu ernähren. Aber diese frühen Menschen hatten, nach dem Vorbild überreifer Beeren und Früchte, die Gärung entdeckt: Sie rührten die Getreidekörner zu einem alkoholischen Gebräu an und erkannten dessen berauschende Wirkung.

Der erste Zweck des Getreides, das erst in der Folge zu einer effektiven Nahrungsquelle kultiviert wurde, war ein frühes Bier, das aus dem Fleisch-Fest ein kultisches Begängnis machte. Oder in noch kürzerer Fassung, und je nach Präferenz: Am Anfang war die Dinner-Party. Am Anfang war das Oktoberfest.

Widerspruch zu geläufigen Erklärungen der Kulturentstehung

Der Schöpfer des geselligen Szenarios aber ist, obschon ein Bayer, aus ganz nüchternen Überlegungen zu diesem Modell gekommen. Es widerspricht den geläufigen Erklärungen der Kulturentstehung fundamental und müsste, wenn man ihm folgt, die Forschungen über unsere Evolution und Prähistorie, einschließlich der Religionsgeschichte, in eine ganz neue Richtung lenken.

Es ist der bekannte Naturhistoriker und Ökologe Josef H. Reichholf, der diese Theorie aufstellt, in seinem soeben erschienenen Buch "Warum die Menschen sesshaft wurden. Das größte Rätsel unserer Geschichte" (S. Fischer Verlag, Frankfurt 2008, 315 Seiten, 19,90 Euro).

Reichholf hatte zuletzt im vergangenen Jahr mit seiner "Kurzen Geschichte des letzten Jahrtausends" für Aufsehen gesorgt und den Preis der Darmstädter Akademie für wissenschaftliche Prosa erhalten. Schritt für Schritt, und ohne erkennbaren Einfluss von Genussstoffen, nähert er sich nun anhand von erd- und klimageschichtlichen, botanischen, zoologischen und humanevolutionären Beobachtungen seinem dionysischen Befund.

Wechsel von der Pflanzenkost zum Fleisch

Da sind zunächst die anthropologischen Grundlagen. Heute bedroht bekanntlich der nicht endende Fleischhunger der wachsenden Menschheit sowohl die unbewirtschaftete Natur als auch die Ernährung der Armen.

Dieser Fleischhunger hat tiefe Wurzeln: Wir begegnen unserem Vorfahren, der vor sechs bis sieben Millionen Jahren mit aufrechtem Gang in die Savanne trat und sich zu einem exzellenten Jäger entwickelte.

Er wechselte, so zeichnet Reichholf das Bild, von der Pflanzenkost des Urwalds zum Fleisch; er ist im Ergebnis eine einzigartige Kombination aus Sprinter und Dauerläufer, denn der schwach behaarte, nackte Mensch hat nicht nur einen schnellen Antritt, sondern durchs Schwitzen auch die beste nur vorstellbare Kühlung und kann dadurch lange Distanzen rasch überwinden; und er erfindet das Jagen mit Waffen aus der Ferne, weshalb er anderen Raubtieren überlegen ist.

Evolutionär entscheidend ist der Fortpflanzungserfolg, die menschentypische "Erhöhung der Zahl der Kinder und Verlängerung der Betreuungsdauer des Nachwuchses". So wird auch das Gruppenleben durch die Versorgung der Mütter gestärkt.

Dafür aber, gerade auch für die Entwicklung des großen Gehirns, brauchten die Mütter und Kinder der Frühzeit vorrangig Proteine. Also Fleisch. Das galt erst recht, als der Homo erectus aus Afrika in die nördlichen Eiszeitgebiete wanderte; immerhin hat er es rund anderthalb Millionen Jahre dort, außerhalb seiner warmen tropischen Heimat, ausgehalten.

Durch die eiskalten Winter können damals, wie Reichholf vorrechnet, nur Tierfelle und Fleischvorräte gerettet haben; Pflanzen, Beeren, Pilze waren bloß ein schwaches Zubrot und halfen allenfalls über kleinere Versorgungslücken. Die "Jäger und Sammler" waren, in existenzieller Hinsicht: Jäger.

Vor rund 70.000 Jahren wanderten die ersten Menschen unserer Art im engeren Sinne aus Afrika nach Vorderasien. Später dann, nach dem Rückzug des Eises, setzt Josef Reichholf eine Parallele zu dem früheren Szenario in Afrika an: Auf dem Weg hin zur landwirtschaftlichen Sesshaftigkeit, die zuerst im sogenannten Fruchtbaren Halbmond nachweisbar ist, habe wieder das Fleisch die zentrale Rolle gespielt und das Pflanzenreich zunächst nur als Supplement gedient.

Vor der Versteppung der Sahara um 2500 vor Christus gab es demnach eine wildreiche Savanne, die sich über die Arabische Halbinsel erstreckte, über Mesopotamien und die Gebiete Persiens, die heute Wüste oder Halbwüste sind.

Für die gängige Hypothese eines akuten Mangels an Jagdwild, der, kombiniert mit Bevölkerungsdruck, den menschlichen Ackerbau erzwungen haben müsse, sieht Reichholf keinerlei Belege.

Am Anfang war die Party

"Warum sollte ausgerechnet dort, wo die passenden Wildpflanzen wuchsen, aus denen Getreide werden konnte, das Wild so selten geworden sein?" Denn: "Wo gutes Gras wächst, sammelt sich auch das Wild." Es sei auch prinzipiell falsch, "Fortschritte" des Menschen immer nur durch Ressourcenknappheit und Existenzangst zu begründen.

Dann kam die Fleischparty

Vielmehr stehe am Beginn der schrittweisen Domestikation der Überfluss an Tieren: Man begann - natürlicherweise nur, weil es genug davon gab -, die Tiere nicht gleich aufzuessen, sondern mit der Zeit die Wildformen von Schafen, Rindern und Ziegen als "lebende Fleischreserve" zu fangen und zu halten. "Zähmung und Züchtung", so Reichholf, "erfolgten nicht der Not gehorchend."

Und dann kam die Fleischparty. Jene beginnende Vorratswirtschaft in einer noch wesentlich nomadischen Kultur habe sich gewissermaßen in kollektiven Feiermahlzeiten entladen.

Josef Reichholf verweist hier auf Funde wie die erst unlängst entdeckte, bisher älteste menschliche Kultstätte von Göbleki Tepe in Anatolien, die mindestens 12.000 Jahre alt ist; dort finden sich Reliefs von Wildtieren. Und solche Kultereignisse seien eben auch große Besäufnisse gewesen, für die das Getreide ursprünglich verwendet worden sei.

In der Tat hängen ja Rausch und religiöse Transzendenz in vielen Kulturen zusammen; für die Exstase zuständige Priester oder Schamanen kennen sich mit Zauberformeln, Geheimsprache und halluzinogenen Pilzen aus - oder, wie in diesem kulturentscheidenen Fall, mit dem Rezept fürs Bier.




Auf frühen sumerischen Darstellungen sieht man Menschen feierlich mit Strohhalmen aus Tonkrügen trinken, das würde zum ungefilterten Bierbrei der Frühzeit passen; ähnliche Praktiken sollen durch Wanderungen über die Beringstraße bis zu den südamerikanischen Indios gelangt sein, wo das "Chicha"-Bier in Amazonien durch Spucke zum Gären gebracht wird.

Die Aborigines sind hingegen vor mindestens 40.000 Jahren nach Australien gelangt und haben nicht nur keine Nutzpflanzen oder -tiere entwickelt, sondern auch nicht die geringste Alkoholverträglichkeit.

Erst das Bier, dann davon ausgehend das planmäßig angebaute Getreide, dann erst die Sesshaftigkeit (und Städte und Kriege und so weiter) - das ist Josef Reichholfs spektakulärer neuer Vorschlag für den Ursprung der "neolithischen Revolution", den er mit atemberaubendem Überblick über die Wissensfelder und zugleich großer geistiger Unabhängigkeit erreicht, und das in vorbildlich zugänglicher Sprache.

Es wird, es muss Einwände geben: Die Erklärung könnte zu monokausal sein. Die Religionsgeschichte kann Zweifel an der These anmelden, ob mythische Welten, ob Götter und Geister tatsächlich erst, wie Reichholf andeutet, durch den Rausch entstanden sind, sowie die Berücksichtigung der diversen Theorien des Opfers einfordern, die bei Reichholf fehlen.

Auch die von ihm verwendete Verknüpfung von Genetik und Sprachfamilien (nach L.L. Cavalli-Sforza) ist höchst umstritten. Aber Josef Reichholfs Theorie ist ein genialer Denkanstoß, der das berührt, was noch in jedem von uns stecken mag. Prost.

Montag, 25. November 2013

Russlands Landwirtschaft.

aus NZZ, 22. 11. 2013                                                                                                                        Kollektivierung

Der Fluch der Kolchosen
Während der Modernisierungsdruck auf Russlands Landwirtschaft steigt, machen sich alte Versäumnisse bitter bemerkbar 


Das sowjetische Erbe lässt Russlands Landwirtschaft um internationalen Anschluss ringen. Ackerbau und Viehzucht im grössten Land der Erde haben Potenzial, aber es fehlen Kapital, Konsolidierung und Effizienz.

von Benjamin Triebe, Ust-Labinsk

Die Sowjetunion grüsst von den Wänden, aber Ljudmila Demjanenko redet von Wettbewerb. Wenn sich eine Zuckerfabrik nicht modernisiere, müsse sie sterben, sagt sie. Fünf Fabriken in der Region hätten schon Bankrott gemacht. Demjanenkos Zuckerfabrik im südrussischen Ust-Labinsk bisher nicht. Die Fabrik ist 55 Jahre alt, heisst immer noch «Freiheit» und kann auch sonst ihre sowjetische Abstammung nicht verbergen. In der Produktionshalle hängen grosse Mosaike im Stil des sozialistischen Realismus: der Arbeiter auf dem Felde, eine überdimensionale Steckrübe und ein Obstkorb. Am Eingang empfangen 33 Porträts unter der Überschrift «Unsere besten Arbeiter» (jene, die den Plan vorbildlich übererfüllten). Einige Steinchen sind aus den Mosaiken gebröckelt, aber diese Modernisierung hat Demjanenko auch nicht gemeint.

Hinter den Möglichkeiten

Um die russische Landwirtschaft ist es schlecht bestellt. Im flächengrössten Land der Erde liegt laut der Uno-Fachorganisation FAO ein Zehntel des global für die Landwirtschaft nutzbaren Landes, etwa 120 Mio. Hektaren. Dennoch steuert Russland nur 3% zur weltweiten Produktion von Getreide bei, beim Gemüse ist es 1%, bei der Milch immerhin 4%. Aus der Kollektivierung in der Sowjetunion und den Privatisierungen in den 1990er Jahren ist ein zersplitterter, international nicht wettbewerbsfähiger und ineffizienter Agrarsektor hervorgegangen, der den Bedarf des Landes nicht decken kann und für die gebotene Qualität oft zu teuer produziert. Seit dem Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO) im August 2012 und den damit verbundenen Zollsenkungen weht der Branche ein noch schärferer Wind ins Gesicht.

Ein Betrieb, der nicht reagiert, spielt mit seiner Existenz. Die Zuckerfabrik «Freiheit» ist mit der jährlichen Produktion von 83 000 t zwar eine der kleineren in Russland, aber profitabel. 500 Menschen arbeiten im Betrieb in drei Schichten. Heute feiert Dmitri seinen 30. Geburtstag, wozu das digitale Schriftband am Haupttor herzlich gratuliert. Es ist ebenso modern wie die Anzeige mit «Soll» und «Ist» der täglichen Produktion. In den vergangenen sechs Jahren hat man umgerechnet 18 Mio. $ investiert, finanziert aus Gewinnen. Noch ist der Erneuerungsbedarf nicht zu Ende, die Anlagen stammen aus zwei Zeitaltern: links die modernen Tanks und Rohre zum Kochen des Zuckerrübensaftes, rechts die sowjetischen. Doch würde alles auf einmal saniert, müsste die Produktion stillstehen. Der WTO-Beitritt sei gut für die Fabrik, sagt Ljudmila Demjanenko. Und er sei gut für den Wettbewerb, vor dem sie keine Angst habe.

Demjanenko leitet die Zucker-Abteilung der Kuban Agro Holding, einer Dachgesellschaft von 30 Agrarunternehmen in der besonders fruchtbaren südrussischen Region Krasnodar. Das Portfolio reicht von Zuckerproduktion und Getreideanbau über Schweine- und Rinderzucht bis zur Saatentwicklung. Kuban Agro ist Teil des Konglomerats Basic Element, das der Magnat Oleg Deripaska aufgebaut hat. Basic Element vereint Geschäfte vom Finanzsektor bis zur Luftfahrt und erwirtschaftet nach eigenen Angaben 1% des russischen Bruttoinlandprodukts. Die Landwirtschaft, gebündelt in Kuban Agro, ist mit 5000 Mitarbeitern ein kleines Segment. Deripaska ist in Ust-Labinsk aufgewachsen, inzwischen gehören ihm nicht nur die Flughäfen der Region, sondern auch rund 80% des Agrarlandes im Verwaltungsbezirk der Stadt. Für seine Holding kaufte der 45-jährige Magnat ab 2002 Produktionsstätten, die zum Teil seit den fünfziger Jahren existieren.

Die Reformen der Sowjetzeit haben die russische Landwirtschaft von Grund auf umgekrempelt: Ende der zwanziger Jahre wurden alle Böden beschlagnahmt, die Bauern enteignet sowie grosse staatliche Betriebe (Sowchosen) und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (Kolchosen) geschaffen. Die Niederlassungsfreiheit der Bauern wurde aufgehoben. Die Moral war schlecht, das System ineffizient. Verschwendung und Verschleiss explodierten, die Planwirtschaft erzeugte Mangelwirtschaft. In den Anfangsjahren kam es zu Hungersnöten. Auch später waren Produktivität und Ertrag pro Hektare trotz forciertem Einsatz von Maschinen und Chemikalien niedrig; die wenigen erlaubten privaten Betriebe wirtschafteten weitaus besser.

Wende und Abstieg

Nach der Wende erhielten die Arbeiter Anteilscheine an ihren ehemaligen Sowchosen und Kolchosen, die ihnen auf dem Papier einen Teil des Betriebes zugestanden. Wer sich allerdings mit seinen Landansprüchen selbständig machen wollte, musste ein abschreckendes Registrierungsverfahren durchlaufen - da pflanzte man lieber im eigenen Garten an. In den ehemaligen Kollektivbetrieben mangelte es derweil an Kapital und Managementfähigkeiten, die Qualität der Erzeugnisse liess oft zu wünschen übrig. Von 1992 bis 1998 schrumpfte Russlands Agrarproduktion um rund 40%. Die bebaute Fläche ist bis heute im selben Mass gesunken. Jeder fünfte arbeitsfähige Sowjetbürger soll in den achtziger Jahren in der Landwirtschaft gearbeitet haben; heute sind es 7% aller russischen Beschäftigten.

Zunächst unterstützte die Regierung die Kleinbauern, die aber zu klein waren, um produktiv zu arbeiten und zu investieren. Neben den Nachfolgern der Kollektivbetriebe entstanden derweil durch den Aufkauf der Anteilscheine Konzerne und Konglomerate. Kuban Agro zählt heute zu den zwanzig grössten Agrarfirmen und erwirtschaftete 2012 einen Umsatz von 224 Mio. $ bei einem Reingewinn von 21 Mio. $. Doch unter dem Strich bleibt die Branche fragmentiert. Rund die Hälfte der Produktion wird von kleinen oder sehr kleinen Erzeugern geleistet, die ihre geringen Mengen homogener Produkte mit wenig Preissetzungsmacht an die verarbeitende Industrie oder Grosshändler verkaufen. Weil sich wenige Ketten den Detailhandel aufteilen, zahlen am Ende die Konsumenten hohe Preise.

In der Branche lautet das Zauberwort deshalb «vertikale Integration»: In entwickelten und differenzierten Märkten lassen sich Vorprodukte wie etwa Saatgut günstig einkaufen und eigene Erzeugnisse zur Weiterverarbeitung mit attraktiven Margen veräussern. Anders sieht es aus, wenn in akzeptabler Nähe nur wenige vor- und nachgelagerte Anbieter mit akzeptabler Qualität verfügbar sind. Dann sind die Transportkosten hoch und die Margen klein. Deshalb dreht sich auch bei Kuban Agro die Wachstumsstrategie nicht um schiere Grösse, sondern um die Ausweitung des Geschäfts. Es ist billiger, das Saatgut selber herzustellen, als es am Markt zu kaufen - also soll die Produktionsanlage aufgerüstet werden. Auch für Sojabohnen wird eine eigene Verwertung gebaut, genau wie ein Schlachthaus für Rinder und Schweine. Mindestens in den nächsten fünf Jahren stehe die vertikale Integration auf dem Programm, sagt CEO Anton Ulanow. Zudem werden alle Segmente auf Produktivität getrimmt: «Den Preis können wir nicht kontrollieren, aber unsere Kosten.»

Ein Beispiel ist die Milchproduktion: Ein Liter Mich kostet im Laden 60 Rbl. (Fr. 1.70), davon erhält der Milchbauer etwa einen Drittel. Weil für die Verarbeitung so viel Marge verloren geht, denkt Kuban Agro darüber nach, auch diese selber zu erledigen. Wo die Milch dafür herkommen soll, lässt sich einige Fahrminuten von der Zuckerfabrik entfernt erkennen - aus einem der grössten Kuhställe Russland. Die flachen Baracken existieren erst seit 2008, im Gegensatz zu den antiquarischen Tankwagen, die in sowjetischem Stil nur den weiss-blau lackierten Schriftzug «Milch» tragen. 7500 Kühe haben auf der Anlage Platz. Doch wie Tierwirtin Ljubow Gretschanaja erläutert, stehen in den Ställen keine russischen, sondern kanadische Tiere, die für grosse Milchleistung gezüchtet sind. Die Arbeiterinnen in der modernen Melkbaracke werden nach gemolkener Milchmenge bezahlt.

Im September hat Präsident Putin die Ställe besucht. Der Betrieb profitierte von einem Staatsprogramm, genau wie fast alle Teile der russischen Landwirtschaft. Die Regierung zahlt eine Pauschale pro bewirtschaftete Hektare und für Saatgut - allerdings deutlich weniger als in Westeuropa, wie die Landwirte klagen. Für manche Projekte gibt es zinsvergünstigte Kredite, alle Agrarunternehmen sind von Gewinnsteuern befreit. Doch durch den WTO-Beitritt steigt der Druck: Russland musste die Agrarsubventionen reduzieren, zunächst auf maximal 9 Mrd. $ im Jahr 2012 und bis 2018 auf jährlich 4,4 Mrd. $. Der durchschnittliche Importzoll für Agrarprodukte wird von 13,2% auf 10,8% gesenkt. Stark betroffen sind Weizen und Milchprodukte, auch wenn teilweise Übergangsfristen von bis zu acht Jahren gelten. Die Branche klagt dennoch, sie sei nicht bereit. Allerdings wurde über den Beitritt 18 Jahre verhandelt - niemand kann sagen, er sei überraschend gekommen.

Investoren gesucht

Die Konkurrenz aus dem Ausland macht Investitionen im Inland umso wichtiger, genau wie der inländische Kapitalmangel auch ausländische Geldgeber erfordert. Einer davon ist die TKS Union, eine Gesellschaft von zwei Agrarbeteiligungsfirmen aus Deutschland. Zusammen mit dem grossen deutschen Fleischproduzenten Tönnies besitzt die TKS zwei Schweinezuchtbetriebe in Belgorod und Woronesch im Südwesten Russlands. Gelockt hat die TKS der wachsende Appetit der Russen auf Schweinefleisch, der zu weniger als 70% aus inländischer Produktion gedeckt wird, und der hohe Anteil an fruchtbarer Schwarzerde in dieser Region. Sie erlaubt einen Ertrag von 3,5 t Weizen pro Hektare, 1 t mehr als im landesweiten Durchschnitt. Das ist wichtig, weil die Firmengruppe namens Sojuz, an der die TKS beteiligt ist, von der Getreideproduktion über die Futterherstellung bis zur Schweinemast die ganze Arbeitskette abdecken will - vertikale Integration ist auch hier die Devise.

Ende des Jahres soll ein eigenes Futtermittelwerk die Produktion aufnehmen, später kommt vielleicht eine Fleischverarbeitung hinzu. Bis 2017 will die Sojuz-Gruppe die Ackerfläche von 45 000 auf 60 000 Hektaren erweitern und bis zu 1,5 Mio. Schweine pro Jahr statt gegenwärtig 650 000 züchten. Die Betriebe sollen zum zweitgrössten Schweineproduzenten des Landes aufsteigen. Die Gruppe erreichte 2012 mit 750 Mitarbeitern einen Umsatz von 100 Mio. € und ein Betriebsergebnis (Ebit) von 21 Mio. €. Er habe nur Positives zu berichten, sagt TKS-Vorstand Georg Reese. Mit der umständlichen Bürokratie müsse man leben, aber die Verwaltung funktioniere. Er fühle sich als Investor in Russland willkommen.

Tatsächlich hat das Land seine Vorteile: Der Kauf einer Hektare Agrarlandes kostet hier rund 500 €, verglichen mit bis zu 18 000 € in Deutschland. Da die Regierung Schweinefleischimporte nicht fördert und die Selbstversorgung aus Sicht von Georg Reese auch auf Jahre nicht erreicht sein wird, gibt es keinen Preis- oder Verdrängungswettbewerb. Die Preise, zu denen Schweine an den Schlachthof verkauft werden, liegen bis zu einem Viertel über denen in Deutschland. Das und niedrige Personalkosten kompensieren auch die kürzeren Anbauzeiten durch den härteren Winter und den geringeren Ertrag pro Fläche im Vergleich mit dem Westen.

Druck zum Lokalisieren

Russland tut aber auch viel, ausländische Produzenten mit Diskriminierungen zu Investitionen im Inland zu bewegen. Es häufen sich nichttarifäre Hemmnisse wie ungewöhnlich hohe Gesundheitsauflagen oder Nachweispflichten für Lebensmittelimporte aus aller Welt. Auch die Produktionsmittel möchte man am liebsten im eigenen Land hergestellt sehen: Beispielsweise existiert auf die Einfuhr von Mähdreschern und deren Teile seit Februar ein «Anti-Dumping-Zoll» von 27% zusätzlich zum normalen Zoll von 5%. Im Juli wurde der Strafzoll nach grossem Protest vorerst ausgesetzt, abgeschafft ist er nicht. Manch einer lässt sich von einer Produktionsverlagerung überzeugen, zum Beispiel Claas: Der deutsche Landtechnikhersteller eröffnete vor zehn Jahren als erster grosser ausländischer Branchenvertreter ein Werk in Krasnodar. Im Mai kündigte Claas an, für 115 Mio. € die Kapazität bis 2015 von 1000 auf 2500 Maschinen pro Jahr zu erweitern und die Mitarbeiter von 200 auf 500 aufzustocken.

Wer verkaufen wolle, müsse eben lokalisieren, sagt Waleri Masjukewitsch, Leiter eines Wartungszentrums von Kuban Agro. Es kümmert sich um 230 ausländische Maschinen und ist das grösste in Osteuropa. Stolz präsentiert Masjukewitsch den weitläufigen asphaltierten Hof, auf dem absolut nichts zu sehen ist: Alle Maschinen sind einsatzfähig und auf den Feldern - es ist Oktober, Erntezeit. In den Kaufverträgen sind Klauseln, wonach die Hersteller die Techniker des Käufers für die Wartung trainieren müssen. Reparaturbedarf sei vorhanden, denn der Boden sei härter als in Westeuropa, erläutert Masjukewitsch. Die Traktoren müssen mehr aushalten und wegen der grösseren Flächen weitere Wege zurücklegen. Wie es heisst, übergeben die Hersteller in Russland neue Traktoren mit der Bitte, sie «kaputt zu testen» - um herauszufinden, wo ihre Schwachpunkte liegen.

Die Fehlerdiagnose für den gesamten Agrarsektor ist komplizierter. Verglichen mit der Zeit kurz nach der Perestroika hat sich zwar viel verbessert, aber Hürden bleiben: Da ist der hohe Anteil an Kleinbauern und Hofwirtschaften, die wenig unternehmerisch denken und nicht genug Kapital für Investitionen aufbringen. Da ist die Abhängigkeit von politischer Unterstützung und von Subventionen, die aber zu niedrig sind, um den Entwicklungsrückstand zum Westen zu kompensieren, wo der Staat noch freizügiger ist. Da sind die marktbeherrschenden Handelsketten, welche die Margen der Agrarbetriebe drücken. Da ist das schlechtere Wetter als in Westeuropa, die härteren Winter, die häufigeren Missernten. Und da ist ein WTO-Beitritt, der das grösste Problem der Branche ist, aber auch ihre beste Motivation, offener und produktiver zu werden. Gäbe es einen einfachen Weg für Russlands Agrarwirtschaft, er wäre wohl schon gefunden.


Sonntag, 24. November 2013

Ukraine

aus NZZ, 23. 11. 2013

Die Ukraine steht an einem Scheideweg
Die Anlehnung an Russland macht die herbeigewünschte Modernisierung schwierig 


Höherwertige Exporte statt Rohwaren und Stahl und Ausrichtung nach Westen statt Verharren in postsowjetischen Strukturen, die eine Modernisierung behindern: So wünschen sich Wirtschaftsführer die Ukraine. Die Realität sieht anders aus.

von Rudolf Hermann, Kiew

Eine innovative und flexible Wirtschaft, die zu Hause Mehrwert erarbeitet und statt Rohwaren hochwertige Produkte auf anspruchsvolle Märkte exportiert, ein institutionelles Umfeld, das die ökonomische Entwicklung begünstigt statt behindert, und eine Bevölkerung, in der sich eine international mobile und zunehmend wohlhabende Mittelklasse herausbildet, die den inländischen Konsum ankurbelt - so sieht das Zukunftsszenario aus, das man sich in der Ukraine sowohl seitens Regierungsvertretern wie auch seitens von Wirtschaftsakteuren wünscht. Wie dies zu verwirklichen ist, war Anfang November in Kiew Gegenstand eines strategischen Dialogs von Wirtschaftsführern und Exponenten der Politik unter dem Dach des World Economic Forum.

Drei Szenarien

Kontrastiert wurde diese Vision durch ein anderes Szenario. Es ging von einem durch hohe Preise charakterisierten, ungenügend reformierten Energiesektor aus, der zusammen mit ungezügelten Staatsausgaben die öffentlichen Finanzen belastet, was wiederum Investoren abschreckt und zu Kapitalflucht und Braindrain führt. Als eine Art Mittelweg zwischen den beiden Extrempunkten wurde schliesslich die Variante zur Diskussion gestellt, dass eine schleppende Nachfrage für die traditionellen Exportprodukte der Ukraine das Land zu einer Neuorientierung seines Exports zwingt, sowohl geografisch wie auch hinsichtlich des Produkteportfolios. Dadurch würde das institutionelle Umfeld zwar graduell verbessert, in der Wirtschaft würden aber weiterhin grosse Industrie-Konglomerate den Ton angeben. Eine Mittelklasse auf der Grundlage prosperierender Klein- und Mittelbetriebe würde sich nur zögerlich herausbilden.

In welcher Kombination Elemente dieser Szenarien in der näheren Zukunft zum Tragen kommen, hängt einerseits zu einem gewissen Teil vom weltwirtschaftlichen Umfeld ab und bewegt sich damit ausserhalb des direkten Einflusses der Kiewer Wirtschaftspolitiker. Andrerseits können von den Politikern wichtige Weichen durchaus selber gestellt werden. So betrachteten an der Tagung zahlreiche Kommentatoren als entscheidende Voraussetzung für ein positives Szenario, dass die Ukraine mit der EU Ende November beim Gipfeltreffen der sogenannten östlichen Partnerschaft das Assoziations- und Freihandelsabkommen unterzeichnen könne, weil sich daraus ein notwendiger Reformschub ableite. Da Kiew sich allerdings in letzter Minute aus der EU-Annäherung zurückgezogen hat, wird dieser Impuls vorläufig fehlen.

Mehr Vertrauen nötig

Allerdings würde sich eine Annäherung an die EU ohnehin kaum sofort in steigendem Wohlstand niederschlagen (wie es die ukrainische Bevölkerung vielleicht unrealistischerweise erwartet). Vielmehr würde die einheimische Wirtschaft durch den Freihandel unvermittelt dem scharfen Wind der europäischen Konkurrenz ausgesetzt und müsste sich in diesem Umfeld erst einmal zurechtfinden. Dies dürfte von Präsident Janukowitsch, der 2015 wiedergewählt werden möchte, als Problem betrachtet worden sein. Dass Russland mit Handelssanktionen drohte, die kurzfristig sowohl die ukrainischen Erdgasimporte wie auch die substanziellen Exporte zum östlichen Nachbarn gefährdet und damit auf die Stimmung gedrückt hätten, kam noch hinzu.

Nur beschränkt attraktiv ist die Westintegration für Janukowitsch ferner wegen Forderungen nach mehr demokratischer Transparenz und besserer Rechtssicherheit. Denn dies würde bedeuten, dass er den Griff lockern müsste, in dem er das politische System hält und auf dem seine Macht gründet.

Doch wäre eine vertraglich besiegelte Annäherung an die EU ein Grund für westliche Investoren, dem Land mehr Vertrauen entgegenzubringen. Zwar wird der Ukraine schon lange attraktives Potenzial attestiert, etwa im Bereich der Landwirtschaft. Doch wirken unübersichtliche Verhältnisse mit Bürokratie und verbreiteter Korruption nach wie vor abschreckend. Dass das Land sich im «Ease of doing business»-Report der Weltbank gegenüber dem Vorjahr substanziell verbessern konnte, ist zweifellos positiv. Aber solange niemand weiss, welche Integrations-Option die Ukraine schliesslich wählt (oder welche ihr letztlich offensteht) und wie sich der gewählte Weg auf das Unternehmensklima auswirkt, bleiben grosse Unsicherheitsfaktoren bestehen.

Indem Kiew die Möglichkeit vorbeigehen lässt, jetzt die Verträge mit der EU zu unterzeichnen, scheint eine Zementierung des Negativ-Szenarios vorgezeichnet, das in Grundzügen bereits angelaufen ist. Verlust an internationaler Glaubwürdigkeit und das Fehlen eines Drucks auf Reformen würden unweigerlich in eine Abwärtsspirale münden, meinte an der WEF-Veranstaltung ein prominenter ukrainischer Unternehmer warnend.

Entwicklungen der jüngsten Zeit geben tatsächlich Anlass zu Besorgnis. Die drei grossen internationalen Rating-Agenturen haben über die letzten Wochen die Kreditwürdigkeit der Ukraine allesamt herabgestuft. Als Gründe wurden das Leistungsbilanzdefizit von rund 8% des Bruttoinlandprodukts (BIP) und die faktische Anbindung der Hrywna an den Dollar genannt, die zusammen die Landeswährung einem starken Abwertungsdruck aussetzten; ferner der schwierige und teure Zugang zu internationalen Finanzierungsquellen in Absenz eines Beistandsabkommens mit dem Internationalen Währungsfonds (IMF) und nicht zuletzt auch der Druck des Fiskaldefizits, das 2013 bei 6% des BIP zu liegen kommen dürfte. Auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hielt zur Ukraine in ihrem jüngsten Bericht über die Aussichten der ostmitteleuropäischen Region fest, dass erhebliche externe Risiken bestünden, indem die Devisenreserven der Nationalbank nur noch Importe von 2,5 Monaten decken könnten und das Land dabei von internationalen Finanzierungsmöglichkeiten praktisch ausgeschlossen sei. Nach der Abwendung von der EU-Variante kann die Ukraine zwar darauf hoffen, dass ihr vorläufig Russland finanziell aus der Patsche hilft. Eine allfällige Reorientierung nach Westen zu einem späteren Zeitpunkt wird für Kiew dadurch allerdings nicht einfacher.

Neue Export-Philosophie

Unabhängig davon, welchen Pfad der Integration die Ukraine schliesslich gehen wird, herrscht unter Wirtschaftsakteuren weitgehende Einigkeit, dass das Land danach streben müsse, von seiner Abhängigkeit von Stahlexporten wegzukommen. Lange Zeit stellten diese ein Standbein der Exportwirtschaft mit einem Anteil von 30 bis 40% dar. Doch in einem Umfeld mit weltweiten Überkapazitäten und einer einheimischen Schwerindustrie, die an mangelnden Investitionen leidet und deshalb an Konkurrenzfähigkeit verliert, lautet nun die Forderung, dass die ukrainische Wirtschaft mehr Wertschöpfung im eigenen Land erreichen müsse. Statt Rohwaren und Halbfabrikaten gelte es höherwertige Produkte zu exportieren.

Die grössten Hoffnungen werden dabei in die Landwirtschaft und die nachgelagerte Lebensmittelindustrie gesetzt. Mit ihrem Reichtum an fruchtbarer Schwarzerde ist die Ukraine dabei neuerdings ins Blickfeld Chinas gerückt, das bemüht ist, im Ausland über Beteiligungen an Agribusiness-Unternehmen seine Versorgung sicherzustellen. Laut der «Financial Times» befindet sich Oleg Bachmatjuk, ein ukrainischer Grossunternehmer mit verzweigten Interessen in der Landwirtschaft, in Gesprächen mit Partnern aus China sowie dem Mittleren Osten, die in milliardenschwere Deals über Getreide- und Fleischproduktion münden könnten.

Die Entwicklung zeigt, dass die Ukraine mittelfristig mehr Optionen hat als bloss die Alternativen West oder Ost. Ebenso sind sich Fachleute aber einig darin, dass eine Annäherung an die EU trotz den Schwierigkeiten, die es dafür zu überwinden gilt, die besseren Perspektiven für die nötige Modernisierung der Ukraine böte als eine Anlehnung an Russland.


ebd.
Der Mittelstand hat gegen die Oligarchie keine Chance

ruh. Kiew · In der Diskussion um die Notwendigkeit wirtschaftlicher Modernisierung der Ukraine taucht immer wieder auch die Forderung auf, das Land müsse sich vom Modell oligarchischer Strukturen hin zu einer Wirtschaft entwickeln, in welcher Klein- und Mittelbetriebe als flexible und innovationsfreudige Elemente eine grössere Rolle spielten. Die Frage ist allerdings, ob eine solche Strukturveränderung plausibel ist angesichts des politischen und wirtschaftlichen Hintergrunds der Ukraine aus zaristischer Zeit und sowjetischer Epoche sowie der Entwicklung in 22 Jahren Unabhängigkeit.

Grossunternehmen statt KMU

Erhellend ist etwa ein Blick auf die Website von System Capital Management (SCM), der Holdinggesellschaft des Grossunternehmers Rinat Achmetow. Bekannt ist SCM namentlich für Bergbau, Stahlproduktion und Energiegewinnung, doch das weitverzweigte Konglomerat ist auch noch in vielen anderen Bereichen tätig, von Landwirtschaft über Finanzen und Immobilien bis zu Telekommunikation, Transport, Medien und Lebensmittel-Detailhandel. Wenn aber solch grosse Spieler auch Felder besetzen, in denen eigentlich der unternehmerische Mittelstand präsent sein sollte, dann fragt man sich, wo für diesen dann noch Platz sei.

«Wir steigen in Sektoren ein, wo wir gute langfristige Wachstumsmöglichkeiten sehen», sagt der Schotte Jock Mendoza-Wilson, der bei SCM die Abteilung für Investoren- und internationale Beziehungen leitet. «Langfristiges Denken bedeutet, das unternehmerische Portfolio zu diversifizieren und damit das Risiko zu verringern.» Dass dies den KMU-Bereich zurückdränge, will Mendoza-Wilson so nicht gelten lassen. Bei SCM bemühe man sich, Klein- und Mittelbetriebe in die Zulieferkette einzubinden und ihnen dadurch zu helfen, Umsatz zu generieren. Indem man als Abnehmer gewisse Standards verlange, könne man zur Unternehmenskultur der Zulieferer beitragen und sie damit voranbringen.

Grundsätzlich ist zwar auch Mendoza-Wilson der Meinung, dass die treibende Kraft in einer zukunftsgerichteten ukrainischen Wirtschaft der unternehmerische Mittelstand sein sollte. Er bemerkt aber, dass der Sektor die nötige Stärke noch nicht habe. Die Frage ist allerdings, ob er sie überhaupt erreichen kann in einem Umfeld, das von einigen wenigen Grossunternehmern beherrscht wird. Diese sind zudem nicht nur wirtschaftlich dominant, sondern auch politisch bestens vernetzt und entweder selber oder über Gewährsleute direkt und bis auf höchster Ebene an politischen Entscheidungen beteiligt.

Reform des Bildungswesens

Eine ukrainisch-amerikanische Unternehmerin, die im Anlagebereich tätig ist, glaubt deshalb, dass das gegenwärtige «Top-down»-System auch in einer sich modernisierenden ukrainischen Wirtschaft fortbestehen werde. Für die Klein- und Mittelbetriebe werde es kaum genügend Spielraum für eine tragende Rolle geben. Unbedingt notwendig sei aber für die Förderung des Mittelstands eine Reform des Bildungswesens, das die qualifizierte Arbeitskraft für eine Volkswirtschaft auf der Basis von Wissen heranziehe, und eine Änderung der Gesetzgebung zum Unternehmensbankrott. Ein Bankrott dürfe nicht länger ein gesellschaftliches Stigma darstellen, sondern müsse Ansporn sein, es nochmals zu versuchen.

Bekannte Hindernisse für die Erschliessung des unbestrittenen wirtschaftlichen Potenzials der Ukraine sind Bürokratie, Korruption, oligarchische Vormachtstellungen in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen und ungenügender Schutz von Eigentumsrechten. Das wurde von Präsident Janukowitsch und Ministerpräsident Asarow an der WEF-Veranstaltung in Kiew auch eingeräumt.

Die «Kyiv Post» verwies allerdings darauf, dass zwischen Worten und Taten immer noch eine Kluft liege. Janukowitsch habe zwar vom Willen zur Bekämpfung der Korruption gesprochen.

Gleichzeitig habe der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Chakrabarti, eine Reise nach Kiew vertagt, weil die ukrainische Seite nicht bereit gewesen sei, eine - gesetzlich nicht einmal bindende - Vereinbarung mit der EBRD über gemeinsame Massnahmen zur Korruptionsbekämpfung zu unterzeichnen. Ebenso habe der Präsident, trotz all seiner Rhetorik, unlängst ein Gesetz unterzeichnet, das die Transparenz bei Beschaffungsaufträgen von Staatsunternehmen de facto verringere.

Dieser Bereich ist dabei bekannt für seine Korruptions-Anfälligkeit. Im Jahr 2012 wurden laut der «Kyiv Post», die sich auf Daten des ukrainischen Wirtschaftsministeriums und der Weltbank berief, öffentliche Aufträge im Volumen von 64 Mrd. $ (36% des BIP) vergeben, davon 36 Mrd. $ ohne Wettbewerb.

Klarere Regeln gefordert

Die starke Verankerung vertikaler Strukturen sowohl in der politisch-gesellschaftlichen Ordnung wie auch in der Wirtschaft der Ukraine sprechen eher gegen einen Paradigmenwechsel hin zu flacheren Hierarchien und einem stärkeren Mittelstand. Was man sich aber bei grossen Spielern wie etwa SCM von einer Westintegration erhofft, ist bessere weltwirtschaftliche Integration und Akzeptanz. Die mächtigen ukrainischen Imperien mögen ihre Existenz dem «wilden Kapitalismus» der ersten Nachwendezeit verdanken. Doch für den Erfolg in einem globalisierten Umfeld wünschen sich ihre Kapitäne nun klarere Regeln.