Samstag, 31. März 2018

Das Kollektiv korrumpiert.


aus Süddeutsche.de,

Verhaltensökonomie 
Lügen ist ansteckend
Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigt: Menschen in Teams sagen häufiger die Unwahrheit als Menschen, die alleine arbeiten.
 
Von Martin Scheele

Wenn Kollegen in einem Team zusammenarbeiten, verhalten sie sich häufiger unehrlich als Menschen, die alleine arbeiten. Dieses Ergebnis hat eine Studie von Verhaltensökonomen der Ludwig-Maximilians-Universität in München erbracht. Für das Experiment haben die Forscher insgesamt 273 Studienteilnehmer gebeten, das Video eines Würfelwurfs zu beobachten und anschließend die gewürfelte Zahl zu nennen. Je höher die genannte Augenzahl, desto höher war die versprochene Gratifikation. Lügen wurden nicht bestraft. Es bestand also für die Teilnehmer ein gewisser Anreiz, eine möglichst hohe Zahl zu nennen und zu lügen. Die Aufgabe wurde sowohl Probanden, die alleine entschieden, als auch Probanden, die sich über ihr Ergebnis in einem anonymen Gruppenchat abstimmten, gestellt.

Zwei verschiedene Gruppenkonditionen wurden dabei untersucht: Gruppen, in denen nach dem Chat alle Mitglieder dieselbe Zahl nennen müssen, damit sie die Vergütung erhalten. Und Gruppen, die zwar chatten können, aber in denen die genannte Zahl nur für die eigene Vergütung ausschlaggebend war. Letztere mussten sich also nicht einigen und koordinieren.

Bewusst haben die Ökonomen zwei Aspekte ausgeschlossen, nämlich besseres Verständnis und geteilte Verantwortung. In früheren Untersuchungen wurde bereits gezeigt, dass Individuen in Gruppen komplexer Strukturen und Systeme eher unehrlich handeln, weil sie diese besser ausnutzen können. In der neuen Studie war die Aufgabe so einfach, dass es keine Verständnisunterschiede zwischen Individuen und Gruppen geben konnte. Auch dass sich Individuen durch die Verantwortungsteilung in Gruppen hinter der Gemeinschaft verstecken, ist bereits bekannt und wurde deshalb nicht noch einmal untersucht. Trotz dieser beiden ausgeschlossenen Aspekte gab es viel mehr Unehrlichkeit in den Gruppen.

So haben der Studie zufolge 61,5 Prozent der Teilnehmer gelogen, als sie alleine entscheiden sollten. 86,3 Prozent der Teilnehmer von Gruppen, die sich absprechen konnten, aber in denen jeder für sich entschied, sagten die Unwahrheit. Und sogar 89,7 Prozent der Teilnehmer in Gruppen, die sich zwecks einer Gratifikation koordinieren müssen, täuschten.

"Teilnehmer in Gruppen verhalten sich häufiger unehrlich", sagt Lisa Spantig, Laborleiterin und Doktorandin am Lehrstuhl Verhaltensökonomie und experimentelle Wirtschaftsforschung. Der Grund für diesen "dishonesty shift", wie die Forscher das Phänomen nennen, ist, dass sich die Mitglieder einer Gruppe über ihre Normvorstellungen und die Argumente dafür austauschen. "Es liegt am Feedback. In Gruppen stimmen die Mitglieder ihre Vorstellungen, was richtig ist und was nicht, aufeinander ab. Dadurch gelingt es den einzelnen Beteiligten eher, die Norm umzuinterpretieren, als wenn sie allein entscheiden müssten", erläutert Spantig.

Wie die Untersuchung auch zeigt, gehen die Teilnehmer nach solchen Gruppenprozessen eher davon aus, dass andere auch lügen, und verhalten sich dann entsprechend. Die Zusammensetzung der Gruppe im Hinblick auf die Anzahl Lügner spielt kaum eine Rolle: Sogar in Gruppen, in denen vorher alle ehrlich waren, kommt es zum Lügen.

Sind die Gruppen einfach "kreativer", was die Argumente für Unehrlichkeit angeht? "Bei der Analyse der Chats finden wir, dass den Gruppen ähnliche und ähnlich viele Argumente einfallen wie Einzelpersonen, die fünf Minuten Zeit haben, um ihre Gedanken niederzuschreiben", sagt Spantig. "Der Unterschied ist, dass es innerhalb einer Gruppe Feedback zu den Argumenten geben kann, sodass die Argumente letztlich überzeugender sind." Gleichzeitig könne man sich in der Diskussion ein Bild von den Moralvorstellungen anderer machen, "man lernt sozusagen, was genau die Norm ist und wie stark sie ist". Dies führe dann zu vermehrter Unehrlichkeit, wenn die Norm innerhalb der Gruppe Unehrlichkeit zulässt.


Nota. - Das ist ja kein Naturgesetz, dass Lügen ansteckt. Wenn es die Gruppennorm will, kann auch Aufrich- tigkeit antecken. Die Frage ist nur: Was von beiden ist wahrscheinlicher? Und da wird man sagen müssen: das, was eher Vorteil verspricht. Kollektivismus maccht weder moralische noch unmoralischer. Er macht opportuni- stischer, und das ist an sich unmoralisch.
JE

Sonntag, 25. März 2018

"Austrofaschismus".

UNSPECIFIED - JANUARY 01: Dependents of the Heimwehr are watching a roadblock during the Riots in Vienna, Schwarzenbergplatz, Vienna, Austria, Photograph, 1934 (Photo by Imagno/Getty Images) [Angeh?rige der Heimwehr bewachen w?hrend des Februaraufstandes eine Stra?ensperre am Schwarzenbergplatz, Wien, ?sterreich, Photographie, 1934] Getty ImagesGetty Images aus welt.de, 25. 3. 2018                                               Männer der paramilitärischen Heimwehr am Wiener Schwarzenbergplatz im Februar 1934

Die „Anhaltelager“ im austrofaschistischen Staat 
Als die Wehrmacht im März 1938 in Österreich einrückte, besetzte sie kein demokratisches Land. Bundeskanzler Dollfuß hatte 1933 einen Ständestaat errichtet, faktisch eine austrofaschistische Diktatur.

Von Sven Felix Kellerhoff 

Eine Viertelmillion frenetisch jubelnder Menschen hinterlassen einen deutlichen Eindruck. Mindestens so viele Wiener hatten am Mittag des 15. März 1938 auf dem Heldenplatz in Wien Adolf Hitler gefeiert, als er „vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“ verkündete.

Nicht nur in Wien wurde gejubelt. Insgesamt eine sicher siebenstellige Zahl von Österreichern begrüßte im Frühjahr 1938 das Ende ihres eigenständigen Staates. Wie viele genau der damals etwa 6,7 Millionen Bürger vom Kleinkind bis zum Greis, weiß allerdings niemand: Die NS-Propaganda hatte keinerlei Ambitionen, ein realistisches Meinungsbild zu verbreiten. Im Gegenteil ging es darum, den „Anschluss“ als Willen aller Österreicher außer der erklärten Feinde des Nationalsozialismus darzustellen – sogenannte Marxisten und Juden vor allem. 

Öffentlich das vorherige System verteidigen oder auch nur für eine korrekte Bewertung eintreten mochte fast niemand. Bekannte Exponenten waren allerdings auch schon längst festgenommen und wurden vielfach gequält. Einige hatten lieber den Freitod gewählt.

Fackelzug von rund 100.000 Amtsverwaltern der Vaterländischen Front in Wien. Photographie. Um 1935. |

Rund 100.000 Mitglieder der Vaterländischen Front demonstrieren 1935 in Wien

Warum gab es so gut wie keinen Widerstand gegen die schlagartige Übernahme Österreichs? Dazu gibt es viele Forschungen. Jüngst erschienen ist ein Sammelband, den der Grazer Zeithistoriker Stefan Karner herausgegeben hat und der alle wesentlichen Erkenntnisse auf aktuellem Stand zusammenfasst. Demnach kann man mehrere Gründe unterscheiden.

Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg hatte es in den verbliebenen deutschösterreichischen Kernlanden des vormaligen Habsburger-Reiches eine überwältigende Mehrheit für einen sofortigen Zusammenschluss mit Deutschland gegeben. Die Fehler von 1806 und 1848, als die habsburgische Länder faktisch aus Deutschland ausgeschieden waren, sollten korrigiert werden.

Die nichtdeutschen Teile des ehemaligen Vielvölkerstaates wie Ungarn, Böhmen, Mähren oder Slowenien standen dem nun nicht mehr entgegen. Die Alliierten untersagten allerdings eine solche Vereinigung ausdrücklich, die Kriegsverlierer Österreich und Deutschland mussten sich fügen.


Wien 1, Blick auf brennenden Justizpalast, 1927 | Verwendung weltweit
Der Wiener Justizpalast brennt 1927 nach einer Straßenschlacht mit 89 Toten aus

Nachdem eine geplante deutsch-österreichische Zollunion 1931 am internationalen Einspruch gescheitert war, fanden die katholisch-konservativen Christlichsozialen, die neben der Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) größte Partei der Alpenrepublik, durchaus Gefallen an der Unabhängigkeit. Zugleich verschärfte sich die Konfrontation zwischen Sozialdemokraten (die Kommunisten spielten in Österreich keine Rolle) und den anderen Parteien. Schon im Juli 1927 hatte es bei Ausschreitungen vor dem Wiener Justizpalast 89 Tote gegeben, überwiegend Anhänger der SDAP.

Immer schneller wechselten sich nun die Regierungen im Wiener Bundeskanzleramt am Ballhausplatz, vis-à-vis des Heldenplatzes, nun ab. Weder Carl Vaugoin noch Otto Ender und auch nicht Karl Buresch schafften es, eine stabile Regierung zu bilden.

In dieser Situation beauftragte Österreichs Bundespräsident Wilhelm Miklas im Frühjahr 1932 den erst 39-jährigen Bauern-Funktionär und Agrarfachmann Engelbert Dollfuß mit der Regierungsbildung. Der körperlich kleine Mann (er maß um 1,53 Meter) verfügte im Gegensatz zu seinen Vorgängern über Machtinstinkt und Sendungsbewusstsein – er wollte ein unabhängiges, autoritär regiertes Österreich schaffen, dominiert von katholisch-konservativen Kräften.


VIENNE, AUTRICHE - 20 FEVRIER: Le Chancellier Dollfuss approuve un modele de monument au Soldat Inconnu qui sera erige sur une place de la ville, a Vienne, Autriche, le 20 fevrier 1934. (Photo by Keystone-France\Gamma-Rapho via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Österreichs Bundeskanzler Engelbert Dollfuß war mit 1,53 Metern auffallend klein
Dollfuß machte sich durchaus geschickt an die Durchsetzung seiner Ziele. Er spielte das zerstrittene Parlament aus und berief Emil Fey, den Anführer der Wiener Heimwehr, einer paramilitärischen, pro-österreichischen Bewegung, zum Staatssekretär für innere Sicherheit.
Anfang März 1933 nutzte er einen Geschäftsordnungsstreit im Nationalrat, um die Rechte der Volksvertretung zu suspendieren. Am 15. Mai 1933 ließ er den erneuten Zusammentritt der Parlamentarier mit Gewalt verhindern. Nun herrschte Dollfuß als Diktator. 

Da gleichzeitig in Deutschland die Regierung Hitler ihre Macht ausbaute, fiel es Dollfuß nicht schwer, seine katholisch-konservative Anhängerschaft für seinen Weg eines autoritären Regimes zu gewinnen. Die österreichischen Nationalsozialisten waren schon seit 1930 immer wieder mit kleineren Terroranschlägern negativ aufgefallen; sie galten zu Recht als Gefährdung von Ruhe und Ordnung.


AUSTRIA - FEBRUARY 02: Riots In Vienna In 1934. (Photo by Keystone-France/Gamma-Keystone via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Straßensperre während der Kämpfe im Februar 1934 in Wien
Dollfuß lehnte sich jetzt an den zu dieser Zeit ebenfalls noch gegenüber Hitler skeptischen italienischen Machthaber Benito Mussolini an. Mit ihm einigte er sich auf die Abschaffung der demokratischen Institutionen Österreichs und den Aufbau einer neuen, „ständischen“ Verfassung – faktisch einer Diktatur der Christlichsozialen und Teilen der Heimwehren.

Politische Gegner, zunächst vor allem Anhänger der illegalen NSDAP, wurden inhaftiert. Die „Anhaltelager“ hatten allerdings mehr gemein mit Internierungslagern als mit den zeitgleich in Deutschland ausgebauten Konzentrationslagern. Es gab weder Zwangsarbeit noch Folterungen, erst recht keine Hinrichtungen, die bereits seit dem Frühjahr 1933 typisch für deutsche KZs waren. Auch in dieser Hinsicht ähnelte Dollfuß’ Österreich viel mehr dem faschistischen Italien als dem nationalsozialistischen Deutschland.

Deshalb kursieren für das Dollfuß-Regime auch Bezeichnungen wie „Austrofaschismus“ oder „Klerikalfaschismus“. Sie treffen aber die Realität der autoritären Regierung nicht wirklich. 

Dollfuß ließ die Heimwehren die Betätigungsmöglichkeiten der Sozialdemokraten weiter einschränken. Am 12. Februar 1934 kam es zur Eskalation: Radikale Teile der Sozialisten wehrten sich, teilweise mit Maschinengewehren, gegen den Versuch der Polizei und der Heimwehren, sie zu entwaffnen. Nach dem gewaltsamen Auftakt in Linz besetzten sie in Wien die größte Sozialwohnungsanlage der Welt, den Karl-Marx-Hof, und lieferten sich mit Ordnungskräften und Bundesheer Feuergefechte.


UNSPECIFIED - FEBRUARY 01: Destroyed Karl-Marx-Building after the communist riots in Vienna, Austria, Photo, Febuary 1934 (Photo by Imagno/Getty Images) [Besch?digter Karl-Marx-Hof nach den Februark?mpfen Jahr 1934, Wien, ?sterreich, Die Gegens?tze zwischen Sozialdemokraten und Republikanischem Schutzbund (1933 verboten) einerseits und Christlichsozialen und Heimwehr bzw, der Regierung andererseits (Erste Republik) f?hrten in den Februartagen (12,-15, 2,) 1934 zum B?rgerkrieg, Die Februark?mpfe brachen aus, als sozialdemokratische Schutzb?ndler unter R, Bernaschek einer Waffensuchaktion der Heimwehr (als Hilfspolizei) im Linzer sozialdemokratischen Parteiheim ("Hotel Schiff") bewaffneten Widerstand leisteten,] Getty ImagesGetty Images
Beim Aufstand bewaffneter Sozialisten Mitte Februar 1934 wird auch der Wiener Karl-Marx-Hof schwer beschädigt
Der Aufstand griff auf andere österreichische Industriestädte wie St. Pölten oder Steyr über. Natürlich schossen die weit überlegenen Einheiten der Regierung die zerstrittenen Aufständischen zusammen; insgesamt gab es mehr als 350 Tote, fast die Hälfte davon Unbeteiligte. Neun Anführer des Aufstandes wurden in Schnellgerichtsverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Die Sozialdemokratie und die am Aufstand beteiligten Kommunisten wurden nun von der Gendarmerie zerschlagen; Hunderte Mitglieder kamen zu den bereits in Anhaltelagern inhaftierten Nationalsozialisten. Dollfuß proklamierte nun offiziell den „Ständestaat“ als neue Verwaltungsform eines unabhängigen Österreichs.

Am 25. Juli 1934 putschten die illegalen österreichischen Nationalsozialisten gegen Dollfuß. Sie besetzten schlagartig das Bundeskanzleramt und erschossen Dollfuß. Doch vor allem der erst 36-jährige Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg organisierte Gegenwehr. Da Mussolini seine Truppen am Brenner in Stellung brachte, wich Hitler zurück und ließ seine Anhänger in Wien hängen. Es gab ungefähr 230 Tote und mehr als 500 Verletzte.

AUSTRIA - CIRCA 1934: The laid out corpse of Engelbert Dollfuss. Photograph. July 26th 1934. (Photo by Imagno/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Der aufgebahrte Leichnam von Kanzler Dollfuß Ende Juli 1934
In den folgenden Monaten verschärfte sich die Konfrontation von Hitler-Deutschland und dem österreichischen Ständestaat weiter. Solange Mussolini Schuschnigg stützte, blieb der Ständestaat einigermaßen stabil. Doch als sich der Diktator in Rom mehr und mehr an Berlin orientierte, musste Schuschnigg im Juli-Abkommen von 1936 faktisch kapitulieren.

Es dauerte dann noch anderthalb Jahre, bis sein keineswegs demokratisches, aber eben dem „Anschluss“ gegenüber äußerst ablehnendes Regime zusammenbrach. Im März 1938 aber war es so weit: Die „Vaterländische Front“, so der Name der Einheitspartei des Ständestaates, hatte ihre letzte Anziehungskraft aufgebraucht – und eine sicher siebenstellige Zahl von Österreichern jubelte dem Motto „Heim ins Reich“ hemmungslos zu.


Stefan Karner (Hrsg.): „Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918 bis 1938“. (Studien-Verlag, Innsbruck – Wien. 384 S., 34,90 Euro).
Joseph Buttinger, "Am Beispiel Österreichs – ein geschichtlicher Beitrag zur Krise der sozialistischen Bewegung", Verlag für Politik und Wirtschaft, Köln 1953. 


Nota. - Als journalistisches Schlagwort mag der Ausdruck Austrofaschismus hingehen. Aber als analytischer Begriff zum wissenschaftlichen Gebrauch taugt er nicht. Es war nicht die kleinbürgerlich-radikale Heimwehr, die als Massenbewegung Dollfuß an die Macht gespült hätte, sondern Dollfuß, der die militante, aber marginale Heimwehr als Vaterländische Front kooptierte und mit kirchlichem Segen zu seiner Massenbasis ausbaute. Die eigentliche Zerschlagung der Arbeiterbewegung geschah 1934 weniger durch die Heimwehr als durch das Bundesheer, nachdem der sozialistische Republikanische Schutzbund sich zu einem aussichtslosen Aufstand hatte provozieren lassen.

Faschismus war eine Erscheinung zwischen den Weltkriegen, die nach dem Versagen der Arbeiterbewegung die verwaisten revolutionären Energien als Generalmobilmachung für den Krieg nach außen umlenkte. General- mobilmachung verlangt nach totalitären Formen, das verbindet die Herrschaftsgebilde Hitlers und Mussolinis mit dem Stalinismus. Ohne Blick auf den heraufziehenden Zweiten Weltkrieg ist der Faschismus enbensowenig zu verstehen wie das Stalinregime.

Dies alles trifft weder für das Dollfuß- noch später für das Schuschnigg-Regime zu, die waren beide im eiminenten Sinn konservativ, nämlich defensiv. Nicht einmal rhetorisch gaben sie sich offensiv, sie waren Stillstand und Rückschritt.

Samstag, 24. März 2018

Homo sapiens ist älter als bislang angenommen.

Menschen in Ostafrika stellten schon vor 300.000 Jahren kleinere und aufwändiger bearbeitete Werkzeuge (rechts) her als die für die frühe Steinzeit typischen Faustkeile (links).
aus scinexx                                                                                                                                              Menschen in Ostafrika stellten schon vor 300.000 Jahren kleinere und aufwändiger bearbeitete Werkzeuge (rechts) her als die für die frühe Steinzeit typischen Faustkeile (links).

Frühe Menschen waren innovativer als gedacht
Hoch entwickeltes Verhalten schon vor gut 300.000 Jahren

Unerwartet innovativ: Frühe Menschen legten bereits vor 300.000 Jahren erstaunlich komplexe Verhaltensweisen an den Tag. Sie unternahmen Reisen, betrieben Handel und gestalteten ungewöhnlich feine Steinwerkzeuge, wie Funde aus Ostafrika belegen. Womöglich nutzten sie sogar schon Farben als Form der symbolischen Kommunikation. Angetrieben worden sein könnte diese Entwicklung durch Umwälzungen in der Umwelt, die unsere Vorfahren zu mehr Erfindungsreichtum zwangen, berichten Forscher im Fachmagazin "Science". 

Lange schien klar, dass die ersten anatomisch modernen Menschen vor rund 200.000 Jahren entstanden und vor 60.000 Jahren aus Ostafrika in die Welt hinauszogen. Doch in den letzten Jahren haben neue Fossilfunde diesen "Zeitplan" komplett durcheinander gewirbelt. Unter anderem offenbarten 300.000 Jahre alte Homo sapiens-Fossilien, dass sich unsere Spezies früher entwickelte als bisher angenommen und sich außerdem deutlich schneller innerhalb Afrikas verbreitete.

Gleich drei Studien werfen nun einen spannenden Blick auf diese Phase der mutmaßlichen Geburt des Homo sapiens. Sie könnten nicht nur erklären, warum sich unsere Vorfahren so schnell über den afrikanischen Kontinent ausbreiteten. Sie zeigen auch: Schon damals legten frühe Menschen komplexe Verhaltensweisen an den Tag - Verhaltensweisen, von denen Wissenschaftler bisher glaubten, dass Menschen in Afrika sie erst zehntausende Jahre später entwickelten.


Blick auf das Olorgesailie-Becken in Kenia
Klimatische Transformation

Rick Potts von der Smithsonian Institution in Washington und seine Kollegen haben sich für ihre Untersuchung Sedimente im Olorgesailie-Becken in Kenia angesehen, einem bekannten Fundort homininer Relikte. Sie wollten wissen: Welche Rolle spielte das Klima für die Entwicklung der Menschen in Ostafrika?

Ihre Analysen belegen, dass die Region vor 800.000 Jahren eine drastische Transformation erlebte. Das einstige Überschwemmungsgebiet entwickelte sich zu Grasland und die klimatischen Bedingungen wurden deutlich unbeständiger. Immer wieder wechselten sich in der Folge demnach feuchte Phasen mit sehr trockenen Zeiten ab. Unter diesen Umständen wurde die Nahrungssuche für frühe Jäger und Sammler komplizierter, wie die Wissenschaftler betonen. Denn Ressourcen waren nicht mehr so verlässlich verfügbar wie zuvor.

Antrieb für neues Verhalten

Dies zwang die Menschen dazu, sich auf Zeiten des Mangels einzustellen - und förderte womöglich ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Erfindungsreichtum. So könnte die klimatische Variabilität Antrieb für mehr Mobilität oder sogar die Etablierung von Handelsbeziehungen gewesen sein, so die These des Teams.

Tatsächlich scheinen archäologische Funde ein solches Verhalten zu belegen: Lange Zeit bestehen Funde früher Steinwerkzeuge aus der Region fast ausschließlich aus vor Ort verfügbarem Material. Doch nach und nach ändert sich das. Vor 320.000 Jahren und danach entstandene Werkzeuge sind zu großen Teilen aus Obsidian gemacht - einem vulkanischen Gesteinsglas, das im Olorgesailie-Becken gar nicht vorkommt. Für Potts und seine Kollegen ist dies ein deutliches Indiz dafür, dass Menschen damals bereits weitere Reisen machten oder Handel betrieben.

Importierte Rohstoffe

Wissenschaftler um Alison Brooks von der George Washington University in Washington haben sich die zeitlichen Veränderungen in Bezug auf menschengemachte Artefakte aus dem Olorgesailie-Becken genauer angesehen. Ihre Untersuchungen von 500.000 bis 298.000 Jahre alten Fundstellen bestätigen, dass sich die älteren Werkzeuge deutlich von den jüngeren unterscheiden.

Die jüngsten Artefakte bestehen demnach zu 42 Prozent aus Obsidian. Doch woher stammt der fremde Rohstoff? Die chemische Komposition deutet dem Team zufolge daraufhin, dass das Material aus unterschiedlichen Quellen herbeigeschafft wurde, die zwischen 25 und 50 Kilometern entfernt liegen. Über 46.000 einzelne Obsidian-Splitter legen zudem nahe: Wahrscheinlich wurde das Material nicht in Form fertiger Werkzeuge importiert, sondern als Rohstoff, der vor Ort verarbeitet wurde.


Mangan und Ocker: Nutzten die Menschen damals bereits Farben als Form der symbolischen Kommunikation?
Kommunikation via Farben?

Doch Obsidian ist nicht das einzige exotische Material, das die frühen Menschen im Olorgesailie-Becken nutzten. Brooks und ihre Kollegen fanden daneben auch auffällig häufig bunt gefärbtes Gestein - unter anderem mit schwarzen Mangan- und roten Ockerpigmenten. Bearbeitungsspuren legen nahe, dass aus den Rohstoffen Farben zur weiteren Verwendung gewonnen wurden.

"Wir wissen nicht sicher, wofür die Farbpigmente genutzt wurden. Die Verwendung von Farben gilt unter Archäologen aber als die Wurzel komplexer, symbolischer Kommunikation", sagt Mitautor Potts. "So wie wir heute mit Farben auf Kleidung und Flaggen unsere Identität ausdrücken, könnten diese Pigmente den Menschen dabei geholfen haben, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu kommunizieren und Bande zu entfernt lebenden Gemeinschaften aufrecht zu erhalten."

Überraschend altes Werkzeug

Neben dem Import von Rohstoffen und der möglichen Verwendung von Farben unterstreicht noch ein weiterer Fund das erstaunlich weit entwickelte Verhalten der Menschen aus der Zeit, als der Homo sapiens entstand: eine Vielfalt an kleinen und besonders fein gearbeiteten Werkzeugen. Charakteristisch für die frühe Werkzeugkunst des Menschen sind sogenannte Faustkeile - verhältnismäßig große und grobe Steingeräte, die erst mit der Zeit immer kleiner und aufwändiger in der Bearbeitung wurden.

Alan Deino vom Berkeley Geochronology Center und seine Kollegen haben im Olorgesailie-Becken einige solcher aufwändiger bearbeiteten Werkzeuge entdeckt. Manche waren wie ein Projektil geformt, andere hatten die Form eines Schabers oder eines Bohrers. Die Forscher ordneten sie daher einer späteren Phase der Geschichte zu. Doch die Datierung zeigte: Die Werkzeuge sind zwischen 320.000 und 305.000 Jahre alt. Damit sind sie der älteste Beleg für Steinwerkzeuge in Ostafrika, die die typischen Eigenschaften der Mittelsteinzeit aufweisen, wie das Team erklärt.

"Hoch entwickeltes Verhalten"

Mobilität, Handel, symbolische Kommunikation über Farben und filigrane Handwerkskunst: All diese neuen Erkenntnisse zeigen, dass wir unsere Vorstellung über das Verhalten der zur Geburtsstunde des Homo sapiens in Afrika lebenden Menschen revidieren müssen. Diese frühen Menschen waren innovativer als bisher gedacht - womöglich auch dank der unberechenbaren Umwelt, in der sie lebten.

"Dieser Wandel hin zu sehr hoch entwickelten Verhaltensweisen wie komplexeren Sozialstrukturen könnte der entscheidende Faktor gewesen sein, der unsere Stammeslinie schließlich von anderen frühen Menschen trennte", schließt Potts. (Science, 2018; doi: 10.1126/science.aao2200; doi: 10.1126/science.aao2216; doi: 10.1126/science.aao2646)

(Smithsonian/ AAAS, 16.03.2018 - DAL)

Freitag, 23. März 2018

Michael Müllers Solidarisches Grundeinkommen.


Der Tagesspiegel bringt heute einen Beitrag des Berliner Regierenden Bürgermeisters Michael Müller über seine Innitiative für ein Solidarisches Grundeinkomen. Zunächst sieht es bloß nach einem er- weiterten Abeitsbeschaffungs-Programm aus, nach dem auch bislang nicht bezahlbare gemeinnützi- ge Arbeiten von bislang Arbeitslosen finanziert würden. Es wäre bloß eine Art Hartz IV+. Ein wunder Punkt wäre allerdings die 'Freiwilligkeit' oder, andersrum, die Hartz-IV-Bestimmungen über Zumutbar- keit. Das wäre die Stelle, wo sich die löbliche Absicht, Hartz IV durch ein völlig neues, zukunftfähiges Solidarmodell zu ersetzen, bewähren müsste.

Denn eins ist richtig: Über Nacht mit einem großen Knall flächendeckend einführen ließe sich das Bedingungslose Grundeinkommen nur im Rahmen einer großen, akribisch geplanten und makellos konzertierten Revolution - was ein Widerspruch in sich ist. Man müsste schon irgendwo im Kleinen anfangen, aber so, dass es sich zwar schrittweise, aber doch dimensional erweitern ließe. 

Die Debatte zu versachlichen und zu konkretisieren ist Müllers Vorschlag immerhin geeignet.

... Mit meinem aus Berlin für die gesamte Bundesrepublik unterbreiteten Vorschlag für ein Solidarisches Grundeinkommen geht es mir zunächst darum zu ermitteln, wie viel Bereitschaft es in Politik und Gesellschaft für einen grundlegenden Umbau unseres Sozialsystems gibt. Dafür können wir die für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit eingesetzten Finanzmittel als Grundstock nutzen und so neue, fair bezahlte Arbeit für das Individuum und für die Gemeinschaft schaffen.

Arbeit mit Solidarischem Grundeinkommen ist wie jedes normale Arbeitsverhältnis freiwillig, sozialversiche- rungspflichtig und nicht befristet. Wer keine Tätigkeit wahrnehmen kann oder will, kann im bisherigen Ar- beitslosenhilfe-System bleiben. Zudem muss es sich um „gesellschaftliche“ Tätigkeiten handeln, die vorher für die Kommunen nicht finanzierbar waren. Schon dadurch unterscheidet es sich von bisherigen Modellen wie ABM oder dem Öffentlichen Beschäftigungssektor.



Denn wir können durch diese neue Arbeit dauerhaft unseren Begriff der Daseinsvorsorge um gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten in Vereinen, für Alleinerziehende, Mobilitätseingeschränkte, bei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften oder in der Flüchtlingshilfe erweitern. Gleichzeitig müssen wir weiterhin für Qualifizierung und Umschulung sorgen, um das System durchlässig zu machen.

Natürlich stellt sich die Frage der Finanzierung. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat festgestellt: Das Solidarische Grundeinkommen ist für die Gemeinschaft schon jetzt bezahl- und umsetzbar. Zusätzlich zu den anfallenden Hartz-IV-Kosten sowie fehlenden Sozialabgaben wären bei 100 000 Fällen Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro im Jahr aufzuwenden. Im Koalitionsvertrag zwischen der SPD und CDU ist ein soziales Arbeitsmarktprogramm für 150 000 Langzeitarbeitslose in Höhe von vier Milliarden Euro vorgesehen. Eine Chance für den neuen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und die SPD, hier die Idee des Solidarischen Grundeinkommens aufzugreifen und zu zeigen, dass es eine Alternative zu Hartz IV geben kann. ...

Donnerstag, 22. März 2018

Eine Klarstellung und eine Nebelkerze.


Dass die Gesellschaft gespalten ist, ist nicht zu übersehen. Die Flüchtlingskrise war eine Stunde der Wahrheit. Das vorangegangene jahrzehntelange Konsensgesülze hat die Warheit nur vertuscht - und hat erlaubt, die Dinge vor sich her zu schieben. Die Fehler., die Frau Merkel "eingeräumt" hat, lagen vor dem Herbst 2015, da hat sie völlig Recht. Dass sie damals die Grenze offengehalten hat, war die - späte, aber nicht zu späte - Korrektur der Fehler. Das hat sie hinzuzufügen vergessen, und so tue ich es.

Ihre erneute Bemerkung zum Islam eignet sich dagegen doch wieder nur zum Vertuschen.: Nachdem viereinhalb Millionen Muslims in Deutschland wohnen, sei ihre Religion ein Teil Deutschlands "geworden". Das ist so butter- weich, dass man ihm nichtmal mehr widersprechen kann. Das ist so wahr, aber auch so nichtssagend, wie die Ein- sicht, dass die türkische Sprache ein Teil Deutschlands "geworden" ist; Sie müssen sich ja nur mal die behördlichen Formulare in unsern Großstädten ansehen! Allerdings steht dort auch einiges auf Serbisch. A propos: Ist die Ortho- doxie ein Teil Deutschlands geworden? Oder sind noch nicht genug Russen, Serben und Griechen bei uns? Bei wie- viel Millionen liegt das Quorum?






Mittwoch, 21. März 2018

Deutschlands Ansehen in der Welt wächst weiter.

Bundeskanzleramt

FAZ.NET bringt heute exklusiv den Bericht über eine Studie, die die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in 24 Ländern unter Angehörigen der sogenannten Eliten durchgeführt hat.

... In den neunzigminütigen Interviews mit den Befragten zeigte sich, dass das gestiegene Ansehen auch mit steigenden Erwartungen an Deutschland einhergeht. Eine wichtige Rolle spielt dabei der amerikanische Präsident selbst. Denn in vielen Ländern äußern die Befragten angesichts des Machtvakuums, das Trump auf der internationalen Bühne hinterlassen hat, den Wunsch nach einem größeren deutschen Engagement. Deutschland solle diese Lücke füllen, ehe es Russland oder China täten.

Besonders in Süd- und Mittelamerika stellen die Befragten voller Sorge fest, dass ansonsten „Politiker mit totalitären Vorstellungen das Weltgeschehen übernehmen“. Der Eindruck, dass Deutschland als Gegenpol zu den Vereinigten Staaten in einer chaotischen Welt geeignet sei, ist laut der Studie zu großen Teilen auf die Bundeskanzlerin und die wertebasierte deutsche Politik zurückzuführen. 

Angela Merkel wird in allen Ländern, in denen befragt wurde, für ihren Einsatz bewundert. Ihre Nüchternheit sei es, die sie als Gegenspieler des als erratisch empfundenen Donald Trump qualifiziere, hört man aus Mexiko. In Kanada lobt eine Befragte Merkel als starke Persönlichkeit, die Rückgrat zeige, in China wird sie als „weibliche Ikone“ gefeiert.

Deutschland wird als Vertreter der westlichen Werte in der Welt gesehen. Allerdings fordern viele, das Land müsse als solches stärker in Erscheinung treten. Dafür „muss es aus dem Schatten seiner Vergangenheit heraustreten“, so ein Befragter in Iran. Auch in Ghana wird mehr deutsche Einmischung in der Welt gefordert. Dem widerspricht man jedoch in Israel. Dort steht man einer globalen Führungsrolle der Deutschen skeptisch gegenüber, und auch in Saudi-Arabien wünscht man sich Zurückhaltung.

Auch in Fragen jenseits von Softpower gibt es unterschiedliche Meinungen. In Polen hört man den Wunsch nach einem stärkeren militärischen Engagement Deutschlands in der Nato. In der Mehrheit der Länder schätzen die Befragten allerdings die deutsche Zurückhaltung, was in Indien dazu führe, dass man „in Sicherheitsfragen auf Frankreich schaut und nicht auf Deutschland“.

Doch woher kommt der Eindruck, Deutschland sei ein Verfechter westlicher Werte? Glaubt man einem Befragten aus Mexiko, so liegt es an der Flüchtlingskrise. In der habe „Deutschland bewiesen, dass die Unantastbarkeit der Würde keine leere Worthülse ist“. Auch in anderen Ländern pflichten die Befragten bei, dass die Grenzöffnung Deutschland ein menschliches Antlitz gegeben habe.


Dienstag, 20. März 2018

Märzrevolution.

The Alexander Square barricade, Berlin, 18 March 1848. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
aus welt.de,                                                                        18. 3.1848 auf dem Berliner Alexanderplatz

Als Wutbürger wirklich auf die Barrikaden gingen
Obwohl die Regierung den wichtigsten Forderungen der Opposition nachgekommen war, kam es am 18./19. März 1848 in Berlin zum blutigen Straßenkampf. Auf den Straßen entlud sich die Wut über soziale Not. 

Von Berthold Seewald
„Es war eine schrecklich schöne Nacht.“ Mit diesen Worten beschrieb der Erfinder und spätere Großindustrielle Werner Siemens die Stunden vom 18. auf den 19. März 1848. Sie war schrecklich, weil Hunderte aufständische Bürger und einige Dutzend Soldaten auf den Straßen der preußischen Hauptstadt Berlin gefallen waren. Sie war schön, weil König Friedrich Wilhelm IV. am Morgen des 19. eine Proklamation „An meine lieben Berliner“ herausgegeben hatte, in der er ihnen „mein königliches Wort gab, „dass alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen und die militärische Besetzung nur auf die nothwendigsten Gebäude … beschränkt werden wird“.

Es blieb nicht dabei. Gegen Mittag erwies der König den „Märzgefallenen“, die unter den Schüssen seiner Gardetruppen gefallen waren, seine Referenz. Am 21. ritt er mit der schwarz-rot-goldenen Binde am Arm durch die Stadt, am Abend erschien seine Proklamation „An mein Volk und die deutsche Nation“, die mit den Worten endete: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Zu diesem Zweck wurde ein liberales Ministerium berufen. Ein demokratischer Nationalstaat schien in greifbare Nähe gerückt.


Zeitgenössische Karikatur des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. aus dem Jahr 1848: "Zwischen mir und mein Volk soll sich kein Blatt Papier drängen". | Verwendung weltweit
Zeitgenössische Karikatur Friedrich Wilhelms IV. von 1848
Nach Frankreich, Italien, Süddeutschland, Österreich und Ungarn hatte die Revolution auch Preußen erreicht. Warum sie nirgendwo blutiger verlief, hat schon die Zeitgenossen bewegt. In Wien hatte der verhasste Staatskanzler Metternich nach dem Sturm auf das Ständehaus am 13. März fluchtartig die Stadt verlassen. In Berlin rückten verlässliche Gardesoldaten gegen die Demonstranten vor, obwohl ihnen die wichtigsten Forderungen von Friedrich Wilhelm IV. bereits am 18. Oktober, also vor Ausbruch der Straßenkämpfe, zugestanden worden waren. Was machte die Revolution zum regelrechten „Bürgerkrieg“, wie der Historiker Veit Valentin das Geschehen in Berlin in seiner großen „Geschichte der Deutschen Revolution 1848–1849“ gedeutet hat?

Nachdem es in den vorangegangenen Tagen zu Demonstrationen und bewaffneten Zusammenstößen gekommen war, ging der König am 18. in zwei Patenten auf die wichtigsten Forderungen der bürgerlichen Opposition ein. Das eine hob die Zensur auf, das zweite kündigte die beschleunigte Einberufung des Vereinigten Landtages an. Doch nicht diese noch dem Geist des Restaurationsregimes verpflichtete Vollversammlung der Provinzialstände, sondern ein in die Zukunft weisendes Zugeständnis signalisierte Eingehen auf die revolutionäre Forderung: Eine „konstitutionelle Verfassung“ sei für alle deutschen Länder das Ziel, also auch für Preußen.

circa 1860: Frederick William IV (1795 - 1861), King of Prussia from 1840. Always upholding the 'divine right of kings' he was forced to grant a constitution in 1850 after the revolution of 1848. He became mentally incompetent after two strokes in 1857 and his brother William took over his duties. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861)

Wären diese Patente mit den entscheidenden Zugeständnissen am Morgen des 17. März erschienen, so wäre Preußen der Revolutionskampf am 18. wahrscheinlich erspart worden, urteilt Valentin. Aber die erregte Menge, die sich nach Eintreffen von Metternichs Sturz formiert hatte, verlangte nun mehr, vor allem den Abzug der königlichen Truppen als Sinnbilder der alten Ordnung. „Der Ruf: ,Das Militär zurück!‘ war voll von historischer Symbolik“, schreibt Valentin. „Berlin wollte Klarheit, Berlin wollte den Sieg.“

Verstärkungen hatten die Berliner Garnison in den vergangenen Tagen auf 20.000 Mann gebracht, bei einer Einwohnerzahl von 400.000. Während der König noch schwankte, wollte sein Bruder und designierter Nachfolger Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) als Führer der Militärpartei Stärke beweisen. Ihr gelang es auch, mit dem Kommandeur des Gardekorps, General Karl von Prittwitz, einem Hardliner die Befehlsgewalt über die Truppen in der Innenstadt zu übertragen.


Während vor dem Stadtschloss Tausende den Forderungen nach Abzug der Truppen und Entlassung der Regierung Nachdruck verliehen, gab Prittwitz seinen Gardisten Befehl, den Schlossplatz „zu säubern“. An der Spitze einer Schwadron Gardedragoner soll der General seinen Säbel gezogen haben, um, wie es hieß, seinen Leuten im Lärm ein Zeichen zu geben. Diese aber nahmen die Geste als Befehl zum Angriff und zogen ihre Waffen. Auch Infanterie begann daraufhin vorzurücken.

Da fielen zwei Schüsse, wahrscheinlich abgegeben von zwei Gardisten, die die Situation falsch eingeschätzt hatten. Die Demonstranten riefen daraufhin „Verrat“ und „Meuchelmord“, obwohl noch niemand verletzt worden war. Der König, der als Einziger vielleicht durch seine Präsenz die Lage noch hätte entschärfen können, blieb unsichtbar im Schloss. Die Nerven der seit Tagen in Alarmzustand gehaltenen Soldaten waren gereizt, ebenso die der Demonstranten, die sich einer Staatsmacht gegenübersahen, in der sie – nicht zu Unrecht – in Prinz Wilhelm und der Militärpartei die entscheidenden Widersacher vermuteten.


The Frederic Street Square barricade, Berlin, 18 March 1848. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Die Aufständischen kämpften mit Steinen und Spießen
Umgehend wurden überall im Stadtzentrum Barrikaden errichtet. Manche waren mehrere Stockwerke hoch. Mit Steinen und Stöcken wurden die Soldaten attackiert, die in ihrer Wut einfach in die Menge schossen. Dennoch kamen die Gardisten in den blockierten Straßen kaum voran; die Taktik, in die Häuser einzudringen, die Seitenwände durchzuschlagen und damit die Barrikaden zu umgehen, war noch nicht erfunden.

„Die Kanaille“, wie die Offiziere die Aufständischen nannten, wehrte sich verzweifelt. Zwei ehemalige Artilleristen munitionierten zwei kleine Geschütze aus Messing mit Murmeln auf, was vor allem die Moral auf den Barrikaden stärkte. Ihr Bau erfolgte spontan. Fässer, Droschkenfuhrwerke, Buden, Laternenpfähle, Steine, was gerade zur Hand war, wurde zumeist an Straßenecken aufgetürmt. Weil es kaum Feuerwaffen gab, wurden Knüppel und Säbel aus Theatermagazinen geholt. Pfiffig war der Einfall, die Wohnungen von Offizieren auszumachen und die dort lagernden Waffen zu requirieren. Doch im Grunde waren es nur die Schützengilden, die den Soldaten waffentechnisch Paroli bieten konnten.


Die Fotografie eines Gemäldes zeigt Kugelgießer hinter einer Barrikade während der Befreiungskämpfe in Berlin am 18./19. März 1848 während der Märzrevolution (undatiertes Archivbild). | Verwendung weltweit
Kinder als Kugelgießer im Barrikadenkampf
Für Prinz Wilhelm und seine Parteigänger war der Fall klar. Es musste sich um eine von langer Hand geplante Erhebung handeln. Das war falsch. Auf den Straßen Berlins entlud sich zum einen die über Jahre aufgestaute Wut über den monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat und seine politischen Repressionen. Hinzu kam eine schlechte Ernte des Vorjahrs, die die sozialen Probleme verschärfte.

Die beginnende Industrialisierung hatte zahlreiche Handwerker in eine prekäre Existenz getrieben. In Preußen war die Zahl der Meister von 259.000 im Jahr 1816 auf 457.000 in 1846 gestiegen. Aber nur 0,5 Prozent gehörten mit einem Kapital von mehr als 1000 Gulden zum gehobenen Bürgertum. Was der Abstieg der Meister für ihre Gesellen bedeutete, kann man sich vorstellen.


'Die Aufbahrung der Märzgefallenen' ('Victims of the March Revolution in Berlin Lying in State') - painting by Adolph von Menzel. Coffins of those citizens who died during the March Revolutions of 1848, lined up on the steps of the German Cathedral in the Gendarmenmarkt square, Berlin. AM (full name Adolph Friedrich Erdmann von Menzel), German painter: 8 December 1815 - 9 February 1905. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Die Aufbahrung der Märzgefallenen von Adolph  Menzel blieb unvollendet
Wie sehr die Märzrevolution in Berlin von sozialen Motiven angetrieben wurde, zeigen auch die Verlustzahlen. Von den 303 Toten der Barrikadennacht waren 29 Handwerksmeister und 15 Angehörige der sogenannten gebildeten Stände. Dagegen entstammten die 115 Gesellen, 13 Lehrlinge, 34 Diener und Kleinhändler sowie 52 „Arbeitslose und Proletarier“ den Unterschichten. Auf der anderen Seite ließen rund 50 Soldaten ihr Leben.

So groß der Jubel über die folgenden Gesten und politischen Zugeständnisse Friedrich Wilhelms war (sein Bruder Wilhelm, der „Kartätschenprinz“, war geflohen), so gemischt waren denn auch die Gefühle des Bürgertums über die Beteiligung des einfachen Volkes. Der Fortgang der Revolution würde nicht einfach von einem politischen Ringen um Freiheit, Gleichheit und eine Verfassung bestimmt, sondern auch von Forderungen nach gesellschaftlicher Umgestaltung. „Soziale Revolution“, resümiert der Historiker Dieter Hein, „wurde als Synonym für den sozialen Umsturz verstanden, stand für die Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung durch die unteren Schichten.“ Aus dieser Perspektive wurde der März 1848 für das liberale Bürgertum zu einer schweren Hypothek.