Montag, 31. Juli 2017

Neue Funde im Hohlen Fels.

aus derStandard.at, 31. Juli 2017, 11:45

Schmuckstücke aus Mammutelfenbein in Deutschland entdeckt
42.000 Jahre alte Funde zeugen von spezieller Herstellungstechnik und Tradition auf der Schwäbischen Alb

Tübingen – Deutsche Forscher haben in den Weltkulturerbe-Höhlen des Achtals und Lonetals zahlreiche Perlen aus Mammutelfenbein gefunden. Die Schmuckstücke sind in ihrer Machart bislang ausschließlich von der Schwäbischen Alb bekannt. In der Karsthöhle Hohler Fels bei Schelklingen im Achtal (Baden-Württemberg) wurden auch mehrere einzigartige Perlenformen ausgegraben.

Mit insgesamt 40 Schmuckstücken sei die Anzahl der Funde ungewöhnlich hoch, sagte Nicholas Conard von der Universität Tübingen, der die Artefakte gemeinsam mit Kollegen vergangene Woche präsentierte. Die Schmuckstücke sind ab sofort im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren zu sehen.

Sozialer Zusammenhalt

"Die Stücke sind wichtig für die Entwicklung unserer Art: Neben Kunst und Musikinstrumenten dokumentieren sie als symbolische Artefakte die frühesten Schmuckfunde in dreidimensionaler Formgebung aus Elfenbein. Sie unterstreichen die gemeinsame Kultur und soziale Einheit der Menschen im Ach- und Lonetal, die neue Formen systematisch produziert haben – eventuell als Ausdruck einer Konkurrenzsituation zum Neandertaler oder als Reaktion auf die radikalen Umweltveränderungen in dieser Zeit", so Conard. 



Die archäologischen Ausgrabungen bei Schelklingen bringen regelmäßig Fundstücke aus der Jüngeren Altsteinzeit zutage. Die nun präsentierten Schmuckstücke stammen aus den Schichten des Aurignacien, die zwischen 42.000 und 34.000 Jahre alt sind. "Mithilfe dieser Funde können wir sogar Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Vorstellungen während dieser ersten Epoche der modernen Menschen in Europa ziehen", sagte Conard. So hätten die Grabungsteams der Uni Tübingen in den Höhlen des Achtals wie auch des Lonetals über die Jahre Hunderte von doppelt durchlochten Perlen aus Mammutelfenbein geborgen.

Sie sind in der Mitte verdickt und zu den Enden beidseitig abgeflacht. Die Lochungen entstanden durch das Bohren mit einem feinen Feuersteingerät oder durch wiederholtes Einschneiden. Die Perlen liegen in allen Stadien des Herstellungsprozesses vor, vom Rohling bis zum getragenen Stück. In dieser Herstellungsart kommen sie ausschließlich auf der Schwäbischen Alb vor. Zudem seien die Schmuckstücke aus den schwäbischen Höhlen der bislang älteste Nachweis für die komplexe Herstellung von Elfenbeinperlen weltweit, so der Archäologe.

Lokale Tradition

Noch außergewöhnlicher sind dreifach durchlochte Perlen aus Mammutelfenbein aus der ältesten aurignacienzeitlichen Schichten der Höhle [s. Kopfbild]. Hier laufen die Enden mehr oder weniger spitz zu, die beiden äußeren Löcher werden meist durch Einkerbungen vom mittleren Teil der Perle abgesetzt. Die Einkerbungen entstanden durch mehrfaches Ansetzen und Schneiden des entsprechenden Steinwerkzeugs. Dieser Perlentyp sei nur vom Fundort Hohler Fels bekannt und besitze keine Parallelen zu anderen Funden.

Dass auch die doppelt durchlochten Perlen nur aus Grabungen auf der Schwäbischen Alb bekannt sind, zeigt für die Wissenschafter, dass sie Ausdruck einer Gruppenidentität waren. "Diese Form wurde nicht mit Menschen aus anderen Regionen geteilt, obwohl europaweit Kontakte bestanden. Dieser Perlentyp war offensichtlich für die Gruppen im Ach- und Lonetal bestimmt", sagte Sibylle Wolf vom Senckenberg Centre HEP. Zudem würden die Perlen über einen Zeitraum von etwa 6.000 Jahren auftreten: "Das bezeugt, dass es eine Tradition des Herstellens und Tragens dieser sehr speziellen Form gab." (red, 31.7.2017)

Link
Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren

Mittwoch, 26. Juli 2017

Politische Korrektur.

 
In der Neuen Zürcher kommentiert Rainer Moritz heute die Entscheidung des Spiegel, das Buch «Finis Germaniae» aus seiner Bestseller-Liste zu nehmen. Daraus:

Der «Spiegel» hat sich und der öffentlichen Diskussion damit einen Bärendienst erwiesen. Die nicht einmal begründete Streichung eines messbaren Faktums – die Verkaufszahlen eines Sachbuchs – ist Wasser auf die Mühle all derjenigen, die über die Einseitigkeit der veröffentlichten Meinung klagen und das Wort «Lügenpresse» im Munde führen.

Der Umgang mit Sieferles Aufsätzen ist typisch für die unsouveräne, selbstgerechte Hektik, mit der Teile der Medien seit einiger Zeit mit ihnen unliebsamen Gedanken umgehen. Man verteilt das inhaltlich wenig aussagekräftige Adjektiv «rechtspopulistisch» grosszügig auf all das, was einem nicht in den Kram passt, und tut so, als gäbe es gleichzeitig keinen Links- oder Liberalpopulismus. ...

Warum nur halten es manche so schwer aus, dass ihre eigenen Gedankengebäude und ihre offenbar für unangreifbar gehaltenen Überzeugungen angezweifelt werden? Warum streitet man nicht, warum diskutiert man nicht, warum macht man sich nicht daran, das Verachtete zu widerlegen, anstatt vom hohen Ross aus Geringschätzung zu zeigen? Es zu negieren und voreilig aus dem demokratischen Diskursfeld zu entfernen, ist ein Armutszeugnis.

Ein Bestseller ist ein Bestseller. Dass der Absatz von Sieferles «Finis Germania» dank dem «Spiegel»-Handstreich steigen wird, versteht sich von selbst.


Nota. - Nein, es ist kein Armutszeugnis, es ist Feigheit. Wenn sie es täten, käme sofort heraus, dass ihre Korrekt- heit mit freiheitlicher Radikalität noch nie etwas zu tun hatte, sondern im Gegenteil nichts anderes ist als herr- schende Meinung. Sollte sich andeuten, dass morgen vielleicht schon eine andere Meinung die herrschende wird, sieht man sie erst sich winden und dann sich wenden. Die Heuchler sind schlimmere Feinde als die Feinde, weil sie hintenrum kommen.
JE  






Politisch korrekte Meinungsterroristen.


 aus Die Presse, Wien,

Dawkins: „Warum geben Sie dem Islam einen Freibrief?“
Ein Radiosender in Berkeley sagte die geplante Präsentation des neuesten Buchs des Evolutionsbiologen und Atheisten ab, weil dieser den Islam „geschmäht“ habe. Richard Dawkins erfuhr davon nur auf Umwegen und fordert eine Klärung der Vorwürfe.


Da hat eine regionale Radiostation in den USA einen Talkgast ausgeladen, und kurz darauf sind landesweit die Medien voll damit. Das liegt daran, dass der Sender KPFA heißt und der Ausgeladene Richard Dawkins. Dessen Renommee als Evolutionsbiologe ist so hoch, dass sein „Selfish Gene“ in einer Umfrage der Royal Society gerade zum wichtigsten Buch aller Zeiten gewählt wurde. Aber Dawkins ist nicht nur Wissenschaftler, er schätzt sich selbst auch als „ziemlich militanten Atheisten“ ein, und man darf vermuten, dass diese Position sein neues Buch füllt, es heißt programmatisch „Science in the Soul: Selected Writings of a Passionate Rationalist“ und hätte am 9. August vom Autor beim Sender KPFA präsentiert werden sollen.

Der ist in den USA mindestens so bekannt wie Dawkins: Er wurde 1949 in Berkeley von Pazifisten gegründet, er war der erste Sender, der von den Hörern finanziert wurde, und er machte rasch auf sich aufmerksam: Dort kam erstmals ein Schwulenaktivist zu Wort, dort wurde früh für die Freigabe von Marihuana geworben, und natürlich war KPFA mit dabei, als es in den Sechzigerjahren an den Universitäten zu brodeln begann, vor allem in Berkeley, es ging gegen den Vietnam-Krieg und für „Freedom of Speech“.

Einer von denen, die gegen den Krieg und für die freie Rede demonstrierten und für KPFA mitbezahlten, war Dawkins, er forschte von 1967 bis 1969 in Berkeley. Daran erinnerte er KPFA in der jetzigen Causa: Der Sender ließ Kunden, die schon Eintrittsgeld für die Veranstaltung mit Dawkins bezahlt hatten, per Mail wissen, man sage die Veranstaltung ab, weil man verspätet bemerkt habe, dass Dawkins „in Kommentaren zum Islam so viele Menschen beleidigt und verletzt“ habe: „KPFA unterstützt keine Schmähung (abusive speech)“.

Ein Empfänger schickte das Mail an den nichts ahnenden Dawkins. Der wandte sich an KPFA, er forderte eine Entschuldigung und die Klärung des Vorwurfs. Welche „Schmähung“? Er habe die „Frauenfeindlichkeit und Homophobie“ des Islam kritisiert, aber nie Moslems: „Weit entfernt davon, Moslems zu attackieren, sind nach meinem Verständnis Moslems selbst, vor allem Frauen, die ersten Opfer der unterdrückenden Grausamkeiten des Islamismus.“

„Häufiger Kritiker der Christenheit“

Im Übrigen sei er „bekannt als häufiger Kritiker der Christenheit“ und deswegen noch nirgends hinausgeworfen worden: „Warum geben Sie dem Islam einen Freibrief? Warum ist es fein, das Christentum zu kritisieren, aber nicht den Islam?“

Ähnliche Fragen kennt man aus Europa, aber in den USA ist die Lage noch vertrackter, vor allem seit der letzten Präsidentenwahl: Die Universität Berkeley ist Anti-Trump und weit weg von „Free Speech“: Im Februar sagte sie nach gewalttätigen Demonstrationen einen Auftritt von Milo Yiannopoulos ab, einem rechtsstehenden Kommentator; im April wurde die konservative Autorin Ann Coulter ausgeladen. Das hat mit dem Radiosender nichts zu tun, es zeigt nur die Grundierung: Beim Aussperren von Dawkins durch KPFA hat wohl auch die versuchte Aussperrung von Bürgern islamischer Staaten durch Präsident Trump mitgespielt: Nun gehe es allerorten gegen Moslems. Das vermutet das Center for Inquiry Statement, eine NGO für Säkularisierung, bei der Dawkins Mitglied ist: „Wir (Richard Dawkins eingeschlossen) haben gegen Präsident Trumps fehlgeleiteten und diskriminierenden Moslem-Bann stark opponiert.“

KPFA hat sich zu alldem nicht zu Wort gemeldet, vielleicht ist man mit Protest-Post beschäftigt, etwa die vom „schockierten“ Psychologen Steven Pinker: „Die Entscheidung ist intolerant, fehlbegründet und ignorant. Dawkins hat den Islam kritisiert, aber Kritik ist keine Schmähung.“


Nota. - "Islamkritisch" ist fast dasselbe wie "rechtspopulitisch", und das ist fast so schlimm wie Nazi.
JE


Dienstag, 25. Juli 2017

Übrigens.



Ein amerikanischer Präsident, der nach außen handlungsunfähig, weil innenpolitisch gelähmt ist, ist für die Welt auch nicht besser als einer, der ständig unter Strom steht.



Montag, 24. Juli 2017

Was für ein schäbiger Patron.



Dass er Merkel einen Anschlag auf die Demokratie vorgeworfen hat, war hilflos und lächerlich erregt, aber man versteht, dass er die Nerven verliert. Dass er mit soviel Trara zum Spitzensozi erkoren wurde, hat das Land glauben gemacht, der hat was auf der Hinterhand, und schließlich haben's die Genossen selbst geglaubt. Er aber ist ein Profi, er wusste, dass da nichts war, Mitleid muss mit ihm keiner haben.

Doch dass er jetzt der AfD ihr ausgelutschtes Thema stielt und Feurio schreit, nachdem er damals der Merkel höchst selbst zur Seite getreten ist, stinkt zum Himmel, und man kann nur hoffen, dass ihm die Scheiße um die Ohren fliegt: 20 minus x.




Mittwoch, 19. Juli 2017

Sexismus.



Stelln Sie sich vor, Donald Trump kommt zum Staatsempfang in Bermudashorts, Angela Merkel küsst ihm die Hand und sagt: "Sie haben aber eine sportliche Figur!" 

Würde man das sexistisch nennen? 

Peter Altmeier würde ihr zuraunen, dass Sarkasmus Gift ist für die diplomatischen Beziehungen.





Montag, 17. Juli 2017

Den Ball flach halten.



... Warum also sollte ausgerechnet Angela Merkel jetzt plötzlich konkret werden, wenn auch das Ungefähre reicht? Spiegelstriche bei der Rente, den Steuern, den Geschenken für die Familien werden diese Wahl jedenfalls nicht entscheiden. Es geht am Ende um ein Gefühl. Nämlich darum, wem die Menschen zutrauen, in einem umfassenden Sinn für ihre Sicherheit zu sorgen. Bei wem sie sich eben am besten aufgehoben fühlen. 

Angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, einer Welt mit Terror und Kriminalität, einer Welt voller Trumps und Erdogans. Das ist die Messlatte, danach werden die Wähler abwägen, ob sie für einen politischen Wechsel sind, oder nicht.

Im Moment sieht es so aus, als würde eine Mehrheit wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Die Kanzlerin darf sich auf ruhige Ferien freuen.


Nota. - Sie wollen's einfach nicht begreifen: Politik auf Hausfrauenart ist nicht das, wobei sich die deutschen Wähler zufällig am besten aufgehoben fühlen, sondern das, was dem Land zu dieser Zeit am meisten frommt. Wir können uns weder einen Sonnenkönig leisten noch einen Elefanten im Porzellanladen. Und lächerlich machen wollen wir uns auch nicht.
JE



Sonntag, 16. Juli 2017

Die neolithische Revolution.


aus scinexx
Die Urzeit-Revolution

Vor rund 10.000 Jahren ereignete sich der große Wandel: Unsere Vorfahren wurden sesshaft und begannen Landwirtschaft zu treiben. Diese radikale Neuerung brachte ganz neue Lebensweisen, Technologien und kulturelle Errungenschaften mit sich. Doch warum, wo und wann genau diese neolithische Revolution begann, ist bis heute rätselhaft.

von Nadja Podbregar, 05.02.2016

Seinen Ausgang nahm die Entwicklung von Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern wahrscheinlich im fruchtbaren Halbmond – so viel scheint immerhin klar. Aber ob unsere Vorfahren an mehreren Orten gleichzeitig auf die Idee kamen, nun Pflanzen zu züchten und Tiere zu halten oder ob es ein einmaliger, aber dafür durchschlagender Geistesblitz war, ist unklar. Und offen ist auch die Frage, warum sich unsere Vorfahren von ihrer über hunderttausende von Jahren bewährten Lebensweise verabschiedeten.

Zwar haben Archäologen inzwischen einige Funde gemacht, die zumindest einen Teil dieser Fragen beantworten helfen. Vollkommen aufgeklärt ist dieser vielleicht folgenreichste Wandel der Menschheitsgeschichte aber noch lange nicht.

 
Der große Wandel

Über weite Teile der Menschheitsgeschichte lebten unsere Vorfahren als Jäger und Sammler. Wie schon ihre Primatenvorfahren sammelten sie wildwachsende Pflanzen, darunter Früchte, Wurzeln, Blätter und Wildgetreide. Fleisch beschafften sie sich durch die gemeinschaftliche Jagd, aber auch durch das Fangen von Insekten und Kleintieren.


Die größte Zeit ihrer Entwicklung lebten unsere Vorfahren als Jäger und Sammler - hier ein Neandertaler.
Erfolgskonzept mit Nachteilen

Als sogenannte Wildbeuter lebten unsere Vorfahren hunderttausende von Jahren quasi von der Hand in den Mund. Das funktionierte auch bestens, solange Klima und Tierwelt für ausreichend Nahrungs-Nachschub sorgten. Diese Lebensweise verschaffte den frühen Menschenformen immerhin genügend Nährstoffe, um nach und nach ein immer größeres Gehirn auszubilden – ein bekanntlich notorisch energiehungriges Organ.

Aber dieser Lebensstil hat auch eine Schattenseite: Wächst wegen einer Dürre gerade nichts oder bleibt die Jagd erfolglos, fehlt es an Nahrung und man muss hungern. Außerdem ist diese Art des Nahrungserwerbs meist kaum effektiv genug, um auf Dauer größere Gruppen zu ernähren. Das änderte sich gängiger Lehrmeinung nach erst, als die Menschen ihre Lebensweise radikal umstellten – sie wurden von wildbeuterischen Nomaden zu sesshaften Bauern.


Bis heute gibt es Jäger-und-Sammler-Kulturen, wie die Hadzabe in Tansania. Aber sie sind jetzt die Ausnahme.
Mehr als nur die Ernährung

"Nach zwei Millionen Jahren des Jagens und Sammeln katapultierte die Entwicklung der Landwirtschaft die Menschheit in eine völlig neue Bahn", erklärt Gordon Hillman vom University College London. Denn es änderte sich damit weit mehr als nur die Art der Nahrungsbeschaffung: Mit der Sesshaftigkeit entwickelten unsere Vorfahren eine ganz neue Kultur.

Es entstanden neue Formen des Zusammenlebens und der Gesellschaftsstruktur, an die Stelle von Gemeinschaftseigentum trat jetzt immer mehr der Besitz. Vorgegeben durch die anfallenden Tätigkeiten in der Landwirtschaft verstärkte sich zudem die Arbeitsteilung. Die sesshaft gewordenen Menschen bauten immer größere Siedlungen, schufen neue Werkzeuge und Gerätschaften und begannen, mit ihren Gütern zu handeln. Die neolithische Revolution schuf damit die Voraussetzung für die Entwicklung großer Zivilisationen und kultureller Fortschritte.


Die ersten Bauern ernährten sich vermutlich ziemlich einseitig
Kümmerwuchs und Infektionen

Allerdings: Der Anfang war vermutlich alles andere als leicht. Denn entgegen bisherigen Annahmen gibt es den ersten Bauern nicht besser als ihre Jäger und Sammler-Kollegen – eher im Gegenteil: "Die Menschen zahlten einen hohen biologischen Preis für die Landwirtschaft, vor allem, wenn es um die Vielseitigkeit der Nährstoffe ging", erklärt George Armelagos von der Emory University.

Und die oft eher einseitige Ernährung unserer bäuerlichen Vorfahren blieb nicht ohne Folgen, wie Knochen- und Zahnanalysen aus der Jungsteinzeit zeigen. Die Bauern litten häufig unter Mangelernährung und ihre Körpergröße nahm dadurch im Vergleich zu Jäger-und-Sammler-Völkern ab, die allgemeine Fitness ebenfalls. Durch das enge Zusammenleben in Dörfern steckten sich die Menschen zudem schneller mit Infektionen und Parasiten an.

Nur ganz allmählich überwanden die Menschen diese Probleme und ihre Körpergröße und der Ernährungszustand besserten sich wieder. Dem Siegeszug der Landwirtschaft aber konnten auch diese vorübergehenden Rückschläge wenig anhaben…


Revolution in zwei Schritten

Die Erfindung der Landwirtschaft war zwar eine Revolution, sie ging aber wahrscheinlich eher schleichend vonstatten – zumindest am Anfang. Denn unsere Vorfahren vollzogen den Wandel zur Tierhaltung und dem gezielten Anbau von Nutzpflanzen nur allmählich und in zwei Schritten. Darauf deuten archäologische Funde und genetische Vergleiche hin.


Wilder Einkorn (Triticum boeoticum), wie er noch heute in Anatolien wächst.

Vom Sammeln und Säen…

Am Anfang stand die bloße Aussaat: Die Menschen dieser Kulturstufe sammelten nach wie vor Wildpflanzen, begannen aber zunehmend, deren Samen selbst auszusäen. Dadurch konnten die Steinzeit-Menschen mit beeinflussen, wo und wieviel von einem besonders begehrten Gemüse oder Getreide wuchs. Wahrscheinlich begannen sie zu dieser Zeit auch, allmählich sesshaft zu werden. Denn dank der Aussaat mussten sie nicht mehr so weit umherstreifen, um Nahrung zu finden. Jagen und Fischen gingen diese Menschen aber vermutlich trotzdem noch.

Die von ihnen genutzten Pflanzen blieben nach wie vor wild, es gab keine genetischen oder äußerlich erkennbaren Veränderungen. Denn die Menschen dieser in der Levante auch als Natufien bezeichneten Kulturstufe wählten nicht aus, welche Samen sie aussäten – es erfolgte noch keine gezielte Zucht. Stattdessen übernahmen sie einfach die Funktion anderer natürlicher Verbreitungshelfer wie dem Wind oder von Tieren.



Spelzen des domestizierten Einkorns (Triticum monococcum), einem der ersten Zuchtgetreide der Welt.
…zur gezielten Zucht

Die echte Revolution aber bahnte sich an, als der Mensch begann, einige Pflanzen und Tiere zu domestizieren – dies war der entscheidende Schritt der neolithischen Revolution. Die ehemaligen Jäger und Sammler begannen nun, gezielt nur die Samen von Pflanzen auszusäen, die besonders günstige Merkmale besaßen – beispielsweise große Körner und dichte Ähren beim Getreide.

Im Laufe der Zeit führte diese ständige Selektion dazu, dass die Pflanzen sich äußerlich und genetisch veränderten. Exemplare mit den gewünschten Merkmalen vermehrten sich stärker und dominierten dadurch immer mehr. Langsam entstanden so unter anderem die ersten domestizierten Getreidearten. Sie unterschieden sich vom Wildtyp durch dichtere, stabile Ähren mit vielen großen Körnern, die alle mehr oder weniger gleichzeitig reif wurden.

Auf ähnliche Weise begannen die frühen Bauern auch die ersten Tiere zu domestizieren: Sie hielten wilde Rinder, Schweine und Ziegen und kreuzten gezielt die Tiere miteinander, die besonders viel Fleisch ansetzen, viel Milch gaben oder allgemein zahm und umgänglich waren.

 
Spurensuche am Steinzeit-Monument

Warum und wann unsere Vorfahren die entscheidenden Schritte von Wildbeutern zur Landwirtschaft absolvierten, ist leider nicht so einfach festzustellen. "Jahrzehnte der archäologischen Forschung und Tausende von Publikationen haben sich der Frage gewidmet, wann, wo und warum dieser Wandel geschah", erklärt der Archäologe Gordon Hillman vom University College London.


Der Steinkreis von Göbelkli Tepe ist schon rund 10.000 Jahre alt.

Denn die Anfänge von Pflanzenbau und Tierzucht lassen sich oft nur schwer anhand der archäologischen Funden nachweisen. Ein Indiz dafür können zwar Werkzeuge sein, wie sie zur Feldarbeit und zum Verarbeiten des Getreides benötigt werden. Auch ungewöhnlich viele Getreidereste können auf größere Ernten und eine Vorratshaltung hindeuten, weil bloßes Sammeln selten so große Erträge bringt. Aber theoretisch können auch Jäger und Sammler größere Mengen an Nahrung gelagert haben – beispielsweise zur Vorbereitung von großen Ritualen oder Festen.

Göbekli Tepe: Wildbeuter als Baumeister

Dies könnte bei den vor mindestens 10.000 Jahren errichteten Steinkreise von Göbekli Tepe in Anatolien der Fall sein. Archäologen vermuten, dass die Erbauer dieses Monuments noch als Jäger und Sammler lebten, weil in der Nähe des Bauwerks weder Siedlungen noch Spuren domestizierten Getreides gefunden wurden.


Tierrelief auf einem der Pfeiler von Göbekli Tepe

Gleichzeitig aber erforderte der Bau dieses Steinkreises mit seinen verzierten Pfeilern einen hohen Grad der Organisation und natürlich viele Helfer. Zudem wurden hier wahrscheinlich Rituale und Feste gefeiert – auch wenn noch nicht ganz klar ist, ob der Steinkreis nun ein Tempel, ein Mausoleum oder eine sonstige heilige Stätte war. "Besonders in der älteren Schicht des Göbekli Tepe mit den monumentalen Anlagen zeugen große Mengen an Tierknochen von großen Festen, die sicher religiös motiviert waren", berichtet Klaus Schmidt vom Deutschen Archäologischen Institut.

Steinkreis als Auslöser für die Innovation?

Um die Arbeiter und Besucher dieser Stätte zu ernähren, musste in jedem Fall genügend Nahrung herangeschafft werden – keine leichte Aufgabe für Jäger und Sammler, die nach gängiger Auffassung eher von der Hand in den Mund lebten. Schmidt vermutet daher, dass der Bau des Steinkreises die in dieser Gegend lebenden Menschengruppen sozusagen dazu zwang, miteinander zu kooperieren und die ersten Schritte hin zur Landwirtschaft und Sesshaftigkeit zu vollziehen.

"Möglicherweise lag hierin der Grund zur Erschließung neuer Ressourcen, ein Vorgang, der schließlich mit der Domestikation von Pflanzen und Tieren in eine gänzlich neue, nahrungsmittelproduzierende Lebensweise mündete", so der Archäologe. "Göbekli Tepe bietet damit einen Einblick in einen der grundlegendsten Wandlungsprozesse der Menschheitsgeschichte."

 
Säen gegen den Hunger

Einen weiteren Hinweis darauf, warum sich unsere Vorfahren in der Jungsteinzeit von der bewährten Tradition des Jagens und Sammeln abkehrten, könnten Archäologen um Gordon Hillman vom University College London im nordsyrischen Abu Hureyra gefunden haben. Vor rund 11.500 Jahren lag hier, am Ufer des Euphrat, eine Siedlung, in der knapp 200 Menschen lebten.

Aber obwohl diese Menschen allem Anschein nach schon sesshaft waren, handelte es sich nicht Bauern. Stattdessen lebten die Bewohner von Abu Hureyra zunächst noch als Jäger und Sammler. Sie profitierten vom Wildreichtum und dem reichen Pflanzenwuchs im feuchtwarmen Klima dieser Zeit, wie die Funde zahlreicher Tierknochen und Pflanzenreste belegen.


Die Bewohner von Abu Hureyra gehörten zur Kulturstufe des Natufien - einer Vorstufe der echten Landwirtschaft.
Klimawechsel frisst Nahrung

"Doch 300 bis 400 Jahre nach der Gründung dieser kleinen Siedlung deuten Veränderungen in den Nahrungspflanzen darauf hin, dass das Klima in diesem Gebiet begann, trockener zu werden", berichtet Hillman. Im Zweistromland brach eine Periode kühleren, trockeneren Wetters an, die sogenannte jüngere Dryas. Als Folge veränderte sich die Pflanzenwelt im fruchtbaren Halbmond, die bis dahin üppig wachsenden wilden Linsen, Eicheln und Früchte verschwanden.

"Man kann sich fragen, warum die Bewohner Abu Hureyras nicht einfach fortzogen", konstatiert Hillman. "Aber höchstwahrscheinlich gab es diese Option damals gar nicht, denn im weiteren Umkreis bot Abu Hureyra noch die besten Bedingungen." Andere, klimatisch günstige Regionen in der westlichen Levante waren zudem bereits von anderen Gruppen besetzt. Sie hätten die einwandernden Nahrungskonkurrenten wohl kaum mit offenen Armen empfangen.


Mahlsteine aus einer Siedlung der Natufien-Kulturstufe in Israel.
Säen als Notlösung

"Die Leute von Abu Hureyra mussten daher eine lokale Lösung für dieses Problem finden", so der Archäologe. Und genau das taten sie offenbar auch: Sie begannen, die Samen von wildem Roggen und wildem Weizen gezielt auszusäen, um ihren Nahrungsnachschub zu sichern. Sie gelten damit als frühe Vertreter des Natufien. Indizien dafür liefern zahlreiche Reste von Roggen- und Weizenkörnern in den Ruinen von Abu Hureyra.

Interessanterweise nahm die Menge dieses Getreides kurz nach dem Klimaumschwung sogar noch zu, wie die Forscher feststellten. Zu dieser Zeit wären diese Wildgetreide in der trockener gewordenen Region aber kaum noch von selbst gewachsen. "Die dennoch anhaltende Präsenz von wildem Roggen und Weizen um Abu Hureyra deutet daher darauf hin, dass diese Wildgetreide gezielt ausgesät worden sein müssen", so Hillmans Schlussfolgerung.

Triebkraft auch anderswo?

Seiner Ansicht nach legt dies nahe, dass der Anbau von Nahrungspflanzen bei unseren Vorfahren ursprünglich aus einer Notlage entstand - als Reaktion auf schwindende natürliche Ressourcen. "Weil die Bewohner von Abu Hureyra keine Ahornsamen, Früchte und Linsen mehr fanden, begannen sie, die Samen der wenigen verbliebenen Wildgetreide zu sammeln und auszusäen", erklärt der Forscher.

Einige hundert Jahre später dann folgte bei den Bewohnern von Abu Hureyra dann auch der zweite Schritt der neolithischen Revolution: Die gezielte Auslese der Samen und die allmähliche Zucht ertragreicherer Getreidesorten. Zudem begannen sie aus Mangel an jagdbaren Gazellen, nun wilde Ziegen, Schafe und Rinder zu halten.

 
Von Syrien bis zum Iran

Klar scheint, dass die Wiege der Landwirtschaft im Mittleren Osten lag – irgendwo im Bereich des fruchtbaren Halbmonds. Dieser erstreckte sich vor und 12.000 Jahren vom Norden des heutigen Syriens über den Südosten der Türkei bis in den Norden des Irak. In diesem Gebiet haben Archäologen schon zahlreiche Relikte früher Bauern und ihrer Siedlungen entdeckt.


Orte mit neolithischen Funden im fruchtbaren Halbmond (1 = Chogha Golan)
In Syrien oder Anatolien?

Wer aber die "Erfinder" der gezielten Pflanzen- und Tierzucht waren, ist weitaus weniger klar. "Schon seit langem debattieren Forscher darüber, ob die Landwirtschaft ihren Ursprung in einem oder in mehreren Gebieten innerhalb des fruchtbaren Halbmonds hat", erklären Simone Riehl von der Universität Tübingen und ihre Kollegen.

Die meisten bisherigen Funde stammen aus dem Nordwesten des fruchtbaren Halbmonds – Beispiele sind Abu Hureyra in Syrien, aber auch der Karacadağ in der Türkei, an dessen Hänge das Einkorn entstanden sein könnte. Deswegen gingen Wissenschaftler bisher davon aus, dass irgendwo in dieser Region auch die ersten Bauern begannen, Getreide zu domestizieren.


Ausgrabung in Chogha Golan: Reste eines Gebäudes mit Mahlsteinen.
Entdeckungen in Chogha Golan

Doch dann machten Riehl und ihre Kollegen am anderen Ende des fruchtbaren Halbmonds eine spannende Entdeckung. Ausgrabungen in Chogha Golan, einer steinzeitlichen Siedlung am Fuße des Zagros-Gebirges im Iran, förderten ebenfalls Hinweise auf frühe Landwirtschaft zutage – und dies etwa zur gleichen Zeit wie sehr viel weiter westlich in den bisher bekannten Fundstellen.

In Chogha Golan stießen die Archäologen auf zahlreiche Relikte von Gebäuden, Steinwerkzeuge, Tonfiguren und auch viele Mörser und Mahlwerkzeuge aus der Zeit von vor 12.000 bis vor rund 9.800 Jahren. Außerdem fanden sie große Mengen von gut erhaltenen Pflanzenresten, darunter wilden Vorläufern einiger heutiger Getreidearten wie Gerste und Weizen. Zusammen mit den Mahlsteinen und Mörsern deutet dies darauf hin, dass die Bewohner des Orts gezielt Wildgetreide anbauten und verarbeiteten. "Die Mahlsteine und Mörser könnten dazu gedient haben, aus den Körnern dieser Gräser eine Art Bulgur oder Mehl zu machen, das dann gekocht oder geröstet wurde", vermutet Riehl.


Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Korns der wilden Gerste (Hordeum spontaneum) aus Chogha Golan
Spreu und Körner von Emmer

Doch das war noch nicht alles: Die systematische Analyse und Datierung der Pflanzenreste ermöglichte es den Forschern, nahezu lückenlos nachzuvollziehen, wie die steinzeitlichen Bewohner von Chogha Golan allmählich zu echten Bauern wurden. Demnach begannen sie vor knapp 12.000 Jahren zunächst, immer mehr wilde Gerste anzubauen, aber auch Linsen und wilden Weizen.

Vor rund 9.800 Jahren tauchen dann erstmals auch Spreu und Körner von Emmer auf. Er gehört zu den ältesten domestizierten Getreidearten - und ist ein klares Zeichen dafür, dass die Menschen in Chogha Golan zu diesem Zeitpunkt die ersten Nutzpflanzen gezüchtet hatten. Sie hinkten damit zwar ihren Zeitgenossen im Westen des fruchtbaren Halbmonds um rund 500 Jahre hinterher. Dennoch spreche dies gegen einen einzigen Ursprung der Landwirtschaft, konstatieren Riehl und ihre Kollegen.

Nach Ansicht der Forscher muss es mehrere, über den fruchtbaren Halbmond verteilte Gebiete gegeben haben, in denen die Menschen nahezu gleichzeitig damit begannen, Nahrungspflanzen anzubauen und zu züchten - möglicherweise angeregt durch den Wechsel zu einem kühleren Klima, wie es auch Hillman postuliert.

 
Als die Bauern nach Europa kamen

Nachdem die ersten Bauern im fruchtbaren Halbmond die Landwirtschaft als neuen Lebensstil für sich entdeckten, breitete sich diese neue Kulturtechnik schnell immer weiter aus. Innerhalb weniger Jahrtausende übernahmen erst die Bewohner des Mittelmeerraums, dann auch die Mitteleuropäer und die Völker Nordeuropas die Landwirtschaft und die mit ihr verbundenen kulturellen Neuerungen.


Seeweg mit Inselpausen: Die Route der ersten Bauern auf dem Weg nach Europa.
Eingewandert statt bloß abgeguckt

Wie sich die bäuerliche Lebensweise verbreitete, ob durch bloße Weitergabe der Ideen oder aber durch direkte Einwanderung von Menschen, die diese Kultur mitbrachten, war lange Zeit umstritten. Inzwischen scheint allerdings klar, dass die jungsteinzeitlichen Bauern selbst nach Europa kamen. Sie importierten dabei nicht nur neue Tier- und Pflanzenarten, wie zum Beispiel Hausrind oder Einkorn, sie lebten auch mit der hiesigen Bevölkerung zusammen, prägten die Kultur und hinterließen ihre Gene.

Denn im Erbgut der heutigen Europäer finden sich neben Erbgut-Anteilen ursprünglicher Wildbeuter und in der Bronzezeit eingewanderten Steppennomaden aus Zentralasien auch beträchtliche Genanteile von frühen Bewohnern des Nahen Ostens. Sie könnten vor rund 9.000 Jahren aus Anatolien und dem Nahen Osten gekommen und über die Inseln der Ägäis weiter nach Europa eingewandert sein.


Dieses gut erhaltene 6.000 Jahre alte Kochgefäß mit Holzlöffel wurde im Amose-Sumpf in Zealand, Dänemark gefunden.
Nur langsam durchgesetzt

Allerdings: Allzu begeistert scheinen die steinzeitlichen Europäer die neumodischen Sitten erst einmal nicht angenommen zu haben. Denn archäologische Funde im westlichen Ostseeraum zeigen, dass die Menschen dort auch 4.000 Jahre nach der Ankunft der ersten Bauern an ihrer traditionellen Lebensweise als Fischer und Sammler festhielten.

Ähnliches zeigen auch Ausgrabungen im heutigen Norddeutschland. Auch hier behielten große Gruppen von Jägern und Sammlern noch lange Zeit ihre angestammte Lebensweise bei. 2013 allerdings entdeckten Archäologen in einem Lager dieser Ertebølle-Kultur Verwirrendes: Unter den Nahrungsresten der Jäger und Sammler fanden sich auch Knochen von Hausschweinen.

Offenbar hielten die Ertebølle-Menschen zwar nichts von der Landwirtschaft, wussten aber das wohlschmeckende Fleisch der domestizierten Tiere ihrer Nachbarn durchaus schon zu schätzen. "Ob diese Menschen diese Hausschweine allerdings durch Tausch, Handel oder aber einfach durch Diebstahl oder Jagd auf unbewachte Herden ihrer Nachbarn bekamen, bleibt unbekannt", berichten die Forscher.

Samstag, 15. Juli 2017

Ein Haustier für jeden.



Alleinstehende Leute sollten ab einem bestimmten Alter gesetzlich verpflichtet sein, ein Haustier zu sich zu nehmen. Es ist nicht gut, wenn einer über Jahre niemand anders hat als sich selbst, an den er denken muss. Es ist nicht gut für ihn, doch das geht die Allgemeinheit nichts an. Es ist aber vor allem nicht gut für seine Nachbarn, und das geht die Allgemeinheit allerdings was an.

Es ist nicht gut, wenn in einem Gemeinwesen die Kinder gehalten werden wie in einem Zoo. Es ist nicht gut für sie, und schon das geht das Geimeinwesen allerhand an. Aber es ist unmittelbar schlecht für das Gemeinwesen, wenn kindliche Lebensart als exotischer Sonderfall gelten muss und nicht als Bestandteil und Bedingung der Normalität. Kindlichkeit ist die Voraussetzung von Erwachsenwerden nicht nur im individuellen Einzelfall, sondern im gesell- schaftlichen Großen und Ganzen.





Montag, 10. Juli 2017

Immer noch offene Fragen zur Hermannschlacht.


aus Süddeutsche.de,

Die Geheimnisse der Varus-Schlacht

Vor 2000 Jahren vernichteten die Cherusker drei römische Legionen. Nun lösen Archäologen die letzten Rätsel der Schlacht im Teutoburger Wald.
 
Von Hans Holzhaider

Am Anfang der Erzählung "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry steht ein Bilderrätsel: Man sieht ein buckliges Gebilde, das vielleicht einen Hut darstellen könnte - aber es ist kein Hut, sondern eine Riesenschlange, die einen Elefanten verschluckt hat. Was Marc Rappe, Masterstudent der Archäologie, auf dem Bildschirm präsentiert, sieht für den Laien ähnlich rätselhaft aus: so wie der Querschnitt durch eine Schwarzwälder Kirschtorte, deren Schichten etwas durcheinandergeraten sind. Nur eine Schicht zieht sich kontinuierlich durch das Bild; sie ist hellgelb, nach links und rechts schlank auslaufend, aber in der Mitte etwas verdickt. Wie eine Schlange, die vielleicht eine Ratte verschluckt hat.


Diese Schlange könnte ein Indiz für eine kleine archäologische Sensation sein. Denn die Ratte im Schlangenbauch deuten Marc Rappe und sein Doktorvater Salvatore Ortisi, Professor für Provinzialrömische Archäologie an der Universität München, als den Überrest eines Walls, den römische Soldaten im Jahr 9 n. Chr. aufgeworfen haben. Wenn diese Vermutung stimmt, dann gibt diese Schicht gelben Sandes Zeugnis von der letzten, verzweifelten Verteidigungsaktion der 17., 18. und 19. römischen Legion unter dem Kommando des Publius Quinctilius Varus im Kampf gegen die Cherusker unter ihrem Anführer Arminius. Man weiß, wie diese Schlacht endete: Die drei Legionen wurden vernichtet, Varus stürzte sich in sein Schwert, der Versuch, die germanischen Stammesgebiete zwischen Rhein und Elbe zur römischen Provinz zu machen, war gescheitert.

Varus, Spross einer der ältesten und vornehmsten Patrizierfamilien Roms, war 55 oder 56 Jahre alt, als er in den Wäldern Germaniens den Tod fand. Arminius, sein Gegenspieler, war gerade mal Mitte 20. Fast könnte man Salvatore Ortisi und Marc Rappe für Wiedergänger jener Protagonisten halten, die hier vor mehr als 2000 Jahren aufeinandertrafen: Ortisi, 52, Sohn eines Sizilianers, und Rappe, 28, mit breitem Brustkorb und mächtigem blonden Vollbart - ein Ostwestfale, der auch einen prächtigen Cherusker abgäbe. Aber Ortisi und Rappe führen keine Schlachten. Sie arbeiten gemeinsam daran, die letzten Rätsel um jenes Ereignis zu lösen, das als die "Schlacht im Teutoburger Wald" im Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhundert ein nationaler Mythos wurde.

Noch bis vor 30 Jahren wusste man von der Vernichtung der römischen Legionen nur von antiken Autoren. Der ausführlichste Bericht stammt von dem Senator und Konsul Cassius Dio, dem Autor einer 80 Bücher umfassenden Geschichte Roms von den Anfängen bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert. Er schildert, wie Varus, der 7 n. Chr. den Oberbefehl über die am Rhein stationierten römischen Truppen übernommen hatte, durch sein herrisches Auftreten den Zorn der Germanen erregte: "(Er) erteilte ihnen nicht nur Befehle, als wenn sie römische Sklaven wären, sondern trieb sogar von ihnen wie von Unterworfenen Steuern ein."


Statt sich aber offen zu empören, schreibt Cassius Dio, hätten sich die Germanen "höchst friedlich und freundschaftlich" gezeigt, und die Römer so "weit vom Rhein weg in Cheruskerland und bis an die Weser" gelockt. Arminius, selbst römischer Bürger und sogar Ritter, sei dabei "Varus' dauernder Begleiter und sogar Tischgenosse" gewesen, schreibt Cassius.

Ein kilometerlanger Zug bahnte sich den Weg durch den Urwald

Auf dem Rückmarsch zum Rhein sei Arminius mit seinen Cheruskern dann über die Römer hergefallen. Drei Legionen, 15 000 bis 18 000 Soldaten, dazu, wie Cassius schreibt, "viele Wagen und Lasttiere, zahlreiche Kinder und Frauen, und noch ein stattlicher Sklaventross". Es muss ein kilometerlanger Zug gewesen sein, der sich bei Regen und Sturm den Weg durch den germanischen Urwald bahnte. Vier Tage lang zogen sich die Kämpfe hin, immer mehr Römer fielen den Überfällen der Germanen zum Opfer, bis Arminius mit seinen Truppen schließlich die schon deutlich dezimierten Römer umzingeln und Mann für Mann niedermachen konnte.

Über den Ort dieser Schlacht macht Cassius Dio nur vage Angaben: "Undurchdringliche Wälder", "Berge, ohne Ebenen, von Schluchten durchzogen". Eine etwas genauere Ortsangabe findet sich in den Annalen des Tacitus. Er beschreibt nicht die Varusschlacht selbst, sondern den Rachefeldzug des Germanicus im Jahr 15 n. Chr., also sechs Jahre nach Varus. Germanicus, schreibt Tacitus, "führte sein Heer bis zur äußersten Grenze der Bructerer, und das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Amisia und Lupa, nicht weit entfernt vom Teutoburger Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen unbegraben lagen, wurde verwüstet." "Amisia" ist die Ems, "Lupa" die Lippe. 

 
Wo allerdings genau der "Saltus Teutoburgiensis" zu verorten ist, bleibt ungewiss. Der heutige Teutoburger Wald wurde erst im 17. Jahrhundert, eben in Anlehnung an den Tacitustext, so benannt.
 
Germanicus fand den Ort, an dem die Varus-Legionen vernichtet wurden. Er schildert "sumpfiges Gelände" und "trügerischen Moorboden" und das Schlachtfeld selbst: "Mitten in dem freien Feld lagen die bleichenden Gebeine zerstreut oder in Haufen, dabei Bruchstücke von Waffen und Pferdegerippe und an Baumstämmen angenagelte Köpfe." "In trauriger Stimmung und wachsendem Zorn auf den Feind", so Tacitus, hätten Germanicus' Soldaten die Gebeine der Legionen beigesetzt, "ohne dass jemand erkannte, ob er die Überreste von Fremden oder seinen eigenen Angehörigen in der Erde barg."

Kaum einem Problem haben sich deutsche Berufs- und Amateurhistoriker mit größerem Eifer gewidmet als der Suche nach dem Schauplatz der Varusschlacht. Um die 700 Orte sollen es sein, die im Lauf der Jahre in Betracht gezogen wurden, allen fehlte der archäologische Beleg. Das änderte sich erst 1987, als Tony Clunn, ein Offizier der britischen Rheinarmee, sich im Gebiet von Kalkriese, etwa 20 Kilometer nordöstlich von Osnabrück, mit einer Metallsonde auf die Suche machte, angeleitet von Wolfgang Schlüter, dem örtlichen Stadt- und Kreisarchäologen. Die Kalkrieser-Niewedder Senke schien gut zu passen zu der Schlachtbeschreibungen, wie sie Cassius Dio und Tacitus geliefert hatten: Auf der einen Seite begrenzt vom "Großen Moor", auf der anderen vom Kalkrieser Berg, der bei starkem Regen von Sturzbächen durchzogen und sehr unwegsam ist.

Clunn fand einen größeren Hort römischer Silbermünzen sowie einige Schleuderbleie, ein untrügliches Indiz für die Anwesenheit römischer Soldaten. In den nächsten Jahren wurde das Gelände systematisch abgesucht, der Erfolg war überwältigend: Mehr als 4000 Metallteile kamen zutage, die meisten klein und unscheinbar, aber alle römischen Militäreinheiten zuzuordnen: Gürtelschnallen und Panzerschienen, Schildbuckel, Lanzenspitzen, Zeltheringe, Sandalennägel, Maultierglocken, aber auch Küchenutensilien und chirurgische Instrumente. Im Boden fanden sich Spuren einer Wallanlage, die sich über 400 Meter verfolgen ließ, nicht geradlinig, sondern im Zickzack. Und man fand mehrere Gruben, in denen offensichtlich lange nach der Schlacht Knochen beigesetzt worden waren, darunter mehrere Schädel, die deutliche Spuren von Gewalteinwirkung aufwiesen. So viele Indizien, die nahelegen, dass dies tatsächlich der Ort ist, an dem vor 2000 Jahren die drei Legionen des Varus vernichtet wurden. Dennoch blieben Zweifel.


Den Wall, der das mutmaßliche Schlachtfeld in Ost-West-Richtung begrenzt, interpretierten die meisten Archäologen als eine germanische Anlage. Dahinter, so die Vermutung, lauerten die Cherusker den Römern auf, die wegen des dahinterliegenden Moores nicht ausweichen konnten. Aber wären, fragt Marc Rappe, die Römer wirklich in einen so plumpen Hinterhalt gelaufen, nachdem sie schon tagelang den Überfällen durch die Cherusker ausgesetzt waren? Sie schickten doch immer Spähtrupps aus, die das vor ihnen liegende Gelände erkundeten. Und der Wall lag auch, wie man noch heute gut erkennen kann, nicht unmittelbar an der Böschung des Kalkrieser Berges, sondern mitten in der Senke, die den Durchgang zwischen Berg und Moor ermöglicht. Die Römer hätten den Wall doch einfach hinterlaufen können. War der Wall vielleicht eher eine Verteidigungsanlage, wie sie römische Berufssoldaten immer aufwarfen, wenn sie ein Lager aufschlugen?

Auch Germanicus geriet bei seinem Rachefeldzug unter Druck

Um das herauszufinden, legte der Archäologe Salvatore Ortisi mit seinem Team im Sommer 2016 einen neuen Sondierungsschnitt, diesmal auf der nördlichen, dem Moor zugewandten Seite des Geländes. Denn wenn die Römer hier gelagert hätten, hätten sie sicherlich nicht nur auf einer Seite einen Schutzwall aufgeworfen. Und tatsächlich: Da war diese Schicht gelben Sandes, an einer Stelle verdickt, nach Norden und Süden zerfließend, die für das Archäologenauge den Überrest einer von Menschen verursachten Aufschüttung darstellt. In einer dünnen Schicht lag ein Holzstück, das sich mit der C-14-Methode auf das erste nachchristliche Jahrhundert datieren ließ. In diesem Sommer wird Salvatore Ortisi einen zweiten Schnitt anlegen, etwas weiter westlich. Wenn seine Vermutung stimmt, müsste er auch dort auf eine Spur der Wallanlage stoßen. "Wenn wir da nichts finden", sagt er, "ist die Sache erledigt. Aber wenn da was kommt, dann muss man umdenken."

Dann bleibt aber immer noch die Frage, ob es auch wirklich die Truppen des Varus waren, die sich hier mit den Germanen eine Schlacht lieferten. Denn Tacitus berichtet davon, dass auch die Legionen des Germanicus auf ihrem Rachefeldzug sechs Jahre später in heftige Gefechte mit den Cheruskern verwickelt wurden. Germanicus hatte seine Truppen getrennt: Vier Legionen fuhren in Schiffen die Ems abwärts zur Nordsee, die anderen vier marschierten unter dem Kommando des Legaten Caecinus nach Westen zum Rhein. Diese wurden, wie Tacitus berichtet, bei den pontes longi , den "langen Brücken" von Arminius attackiert und konnten sich nur unter schweren Verlusten zurückziehen.

 
Könnte die Kalkrieser Senke nicht auch der Schauplatz dieses Rückzugsgefechts gewesen sein? Die pontes longi waren Knüppeldämme, die von den Römern über die Sumpfgebiete Germaniens angelegt wurden - das würde also auch gut zu dem Kalkrieser Schauplatz passen. Aber es gab bisher keine Möglichkeit, Metallgegenstände so präzise zu datieren, dass sich zeitlich so nahe Daten wie 9 und 15 n. Chr. unterscheiden lassen. Die gängige Methode der Datierung über Münzfunde funktioniert hier nicht. Die Soldaten des Germanicus hatten die gleichen Asse, Sesterzen und Denare in ihrem Geldbeutel wie die des Varus.

Aber Stefan Burmeister und Heidrun Derks, der Ausstellungskurator und die Museumsleiterin im Varusschlacht-Museum in Kalkriese, haben einen Plan, wie man dem Geheimnis der römischen Legionen auf die Spur kommen kann. Viele Ausrüstungsgegenstände der Truppen waren aus Buntmetallen in verschiedenen Legierungen hergestellt. "Wir können davon ausgehen, dass an jedem militärischen Standort der Römer eigene Schmiedewerkstätten für die Instandhaltung von Waffen und Ausrüstung zuständig waren", sagt Burmeister. Dort wurden unbrauchbar gewordene Metallteile eingeschmolzen und wiederverarbeitet.

Je länger eine Einheit an einem Standort lag, desto deutlicher bildete sich eine Art metallurgischer Fingerabdruck heraus, der sich heute durch massenspektrometrische Analysen abbilden lässt. Die Legionen des Varus waren zum Teil schon seit Jahrzehnten am Rhein stationiert. Die Truppen des Germanicus dagegen kamen nach der Vernichtung der Varus-Legionen aus weit entfernten Gebieten, aus Hispanien und Pannonien. "Wir hoffen, dass wir durch metallurgische Analysen die Frage nach der Herkunft der in Kalkriese untergegangenen römischen Einheiten beantworten können", sagt Burmeister.



In einem von der VW-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt sollen jetzt 600 Fundstücke aus Kalkriese im Bergbaumuseum Bochum analysiert und mit Buntmetallproben von anderen Fundplätzen verglichen werden. Wenn die Ergebnisse vorliegen, dann ist, so hoffen es die Archäologen, das Rätsel der Varusschlacht seiner Lösung einen Schritt näher gekommen.