Als Wutbürger wirklich auf die Barrikaden gingen
Obwohl die Regierung den wichtigsten Forderungen der Opposition
nachgekommen war, kam es am 18./19. März 1848 in Berlin zum blutigen
Straßenkampf. Auf den Straßen entlud sich die Wut über soziale Not.
„Es war eine schrecklich schöne Nacht.“ Mit diesen Worten beschrieb der Erfinder und spätere Großindustrielle Werner Siemens die Stunden vom 18. auf den 19. März 1848.
Sie war schrecklich, weil Hunderte aufständische Bürger und einige
Dutzend Soldaten auf den Straßen der preußischen Hauptstadt Berlin
gefallen waren. Sie war schön, weil König Friedrich Wilhelm IV. am
Morgen des 19. eine Proklamation „An meine lieben Berliner“
herausgegeben hatte, in der er ihnen „mein königliches Wort gab, „dass
alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen
und die militärische Besetzung nur auf die nothwendigsten Gebäude …
beschränkt werden wird“.
Es blieb nicht dabei. Gegen Mittag erwies der König den „Märzgefallenen“, die unter den Schüssen seiner Gardetruppen gefallen waren, seine Referenz. Am 21. ritt er mit der schwarz-rot-goldenen Binde am Arm durch die Stadt, am Abend erschien seine Proklamation „An mein Volk und die deutsche Nation“, die mit den Worten endete: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Zu diesem Zweck wurde ein liberales Ministerium berufen. Ein demokratischer Nationalstaat schien in greifbare Nähe gerückt.
Nach Frankreich, Italien, Süddeutschland,
Österreich und Ungarn hatte die Revolution auch Preußen erreicht. Warum
sie nirgendwo blutiger verlief, hat schon die Zeitgenossen bewegt. In
Wien hatte der verhasste Staatskanzler Metternich nach dem Sturm auf das Ständehaus am 13. März
fluchtartig die Stadt verlassen. In Berlin rückten verlässliche
Gardesoldaten gegen die Demonstranten vor, obwohl ihnen die wichtigsten
Forderungen von Friedrich Wilhelm IV. bereits am 18. Oktober, also vor
Ausbruch der Straßenkämpfe, zugestanden worden waren. Was machte die
Revolution zum regelrechten „Bürgerkrieg“, wie der Historiker Veit Valentin das Geschehen in Berlin in seiner großen „Geschichte der Deutschen Revolution 1848–1849“ gedeutet hat?
Nachdem es in den vorangegangenen Tagen zu Demonstrationen und bewaffneten Zusammenstößen gekommen war, ging der König am 18. in zwei Patenten auf die wichtigsten Forderungen der bürgerlichen Opposition ein. Das eine hob die Zensur auf, das zweite kündigte die beschleunigte Einberufung des Vereinigten Landtages an. Doch nicht diese noch dem Geist des Restaurationsregimes verpflichtete Vollversammlung der Provinzialstände, sondern ein in die Zukunft weisendes Zugeständnis signalisierte Eingehen auf die revolutionäre Forderung: Eine „konstitutionelle Verfassung“ sei für alle deutschen Länder das Ziel, also auch für Preußen.
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861)
Wären
diese Patente mit den entscheidenden Zugeständnissen am Morgen des 17.
März erschienen, so wäre Preußen der Revolutionskampf am 18.
wahrscheinlich erspart worden, urteilt Valentin. Aber die erregte Menge,
die sich nach Eintreffen von Metternichs Sturz formiert hatte,
verlangte nun mehr, vor allem den Abzug der königlichen Truppen als
Sinnbilder der alten Ordnung. „Der Ruf: ,Das Militär zurück!‘ war voll
von historischer Symbolik“, schreibt Valentin. „Berlin wollte Klarheit,
Berlin wollte den Sieg.“
Verstärkungen hatten die Berliner Garnison in den vergangenen Tagen auf 20.000 Mann gebracht, bei einer Einwohnerzahl von 400.000. Während der König noch schwankte, wollte sein Bruder und designierter Nachfolger Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) als Führer der Militärpartei Stärke beweisen. Ihr gelang es auch, mit dem Kommandeur des Gardekorps, General Karl von Prittwitz, einem Hardliner die Befehlsgewalt über die Truppen in der Innenstadt zu übertragen.
Es blieb nicht dabei. Gegen Mittag erwies der König den „Märzgefallenen“, die unter den Schüssen seiner Gardetruppen gefallen waren, seine Referenz. Am 21. ritt er mit der schwarz-rot-goldenen Binde am Arm durch die Stadt, am Abend erschien seine Proklamation „An mein Volk und die deutsche Nation“, die mit den Worten endete: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Zu diesem Zweck wurde ein liberales Ministerium berufen. Ein demokratischer Nationalstaat schien in greifbare Nähe gerückt.
Nachdem es in den vorangegangenen Tagen zu Demonstrationen und bewaffneten Zusammenstößen gekommen war, ging der König am 18. in zwei Patenten auf die wichtigsten Forderungen der bürgerlichen Opposition ein. Das eine hob die Zensur auf, das zweite kündigte die beschleunigte Einberufung des Vereinigten Landtages an. Doch nicht diese noch dem Geist des Restaurationsregimes verpflichtete Vollversammlung der Provinzialstände, sondern ein in die Zukunft weisendes Zugeständnis signalisierte Eingehen auf die revolutionäre Forderung: Eine „konstitutionelle Verfassung“ sei für alle deutschen Länder das Ziel, also auch für Preußen.
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861)
Verstärkungen hatten die Berliner Garnison in den vergangenen Tagen auf 20.000 Mann gebracht, bei einer Einwohnerzahl von 400.000. Während der König noch schwankte, wollte sein Bruder und designierter Nachfolger Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) als Führer der Militärpartei Stärke beweisen. Ihr gelang es auch, mit dem Kommandeur des Gardekorps, General Karl von Prittwitz, einem Hardliner die Befehlsgewalt über die Truppen in der Innenstadt zu übertragen.
Während vor dem Stadtschloss Tausende den Forderungen nach Abzug der Truppen und Entlassung der Regierung Nachdruck verliehen, gab Prittwitz seinen Gardisten Befehl, den Schlossplatz „zu säubern“. An der Spitze einer Schwadron Gardedragoner soll der General seinen Säbel gezogen haben, um, wie es hieß, seinen Leuten im Lärm ein Zeichen zu geben. Diese aber nahmen die Geste als Befehl zum Angriff und zogen ihre Waffen. Auch Infanterie begann daraufhin vorzurücken.
Da fielen zwei Schüsse, wahrscheinlich abgegeben von zwei Gardisten, die die Situation falsch eingeschätzt hatten. Die Demonstranten riefen daraufhin „Verrat“ und „Meuchelmord“, obwohl noch niemand verletzt worden war. Der König, der als Einziger vielleicht durch seine Präsenz die Lage noch hätte entschärfen können, blieb unsichtbar im Schloss. Die Nerven der seit Tagen in Alarmzustand gehaltenen Soldaten waren gereizt, ebenso die der Demonstranten, die sich einer Staatsmacht gegenübersahen, in der sie – nicht zu Unrecht – in Prinz Wilhelm und der Militärpartei die entscheidenden Widersacher vermuteten.
„Die Kanaille“, wie die Offiziere die Aufständischen nannten, wehrte sich verzweifelt. Zwei ehemalige Artilleristen munitionierten zwei kleine Geschütze aus Messing mit Murmeln auf, was vor allem die Moral auf den Barrikaden stärkte. Ihr Bau erfolgte spontan. Fässer, Droschkenfuhrwerke, Buden, Laternenpfähle, Steine, was gerade zur Hand war, wurde zumeist an Straßenecken aufgetürmt. Weil es kaum Feuerwaffen gab, wurden Knüppel und Säbel aus Theatermagazinen geholt. Pfiffig war der Einfall, die Wohnungen von Offizieren auszumachen und die dort lagernden Waffen zu requirieren. Doch im Grunde waren es nur die Schützengilden, die den Soldaten waffentechnisch Paroli bieten konnten.
Die beginnende Industrialisierung hatte zahlreiche Handwerker in eine prekäre Existenz getrieben. In Preußen war die Zahl der Meister von 259.000 im Jahr 1816 auf 457.000 in 1846 gestiegen. Aber nur 0,5 Prozent gehörten mit einem Kapital von mehr als 1000 Gulden zum gehobenen Bürgertum. Was der Abstieg der Meister für ihre Gesellen bedeutete, kann man sich vorstellen.
So groß der Jubel über die folgenden Gesten und politischen Zugeständnisse Friedrich Wilhelms war (sein Bruder Wilhelm, der „Kartätschenprinz“, war geflohen), so gemischt waren denn auch die Gefühle des Bürgertums über die Beteiligung des einfachen Volkes. Der Fortgang der Revolution würde nicht einfach von einem politischen Ringen um Freiheit, Gleichheit und eine Verfassung bestimmt, sondern auch von Forderungen nach gesellschaftlicher Umgestaltung. „Soziale Revolution“, resümiert der Historiker Dieter Hein, „wurde als Synonym für den sozialen Umsturz verstanden, stand für die Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung durch die unteren Schichten.“ Aus dieser Perspektive wurde der März 1848 für das liberale Bürgertum zu einer schweren Hypothek.
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