Dienstag, 20. März 2018

Märzrevolution.

The Alexander Square barricade, Berlin, 18 March 1848. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
aus welt.de,                                                                        18. 3.1848 auf dem Berliner Alexanderplatz

Als Wutbürger wirklich auf die Barrikaden gingen
Obwohl die Regierung den wichtigsten Forderungen der Opposition nachgekommen war, kam es am 18./19. März 1848 in Berlin zum blutigen Straßenkampf. Auf den Straßen entlud sich die Wut über soziale Not. 

Von Berthold Seewald
„Es war eine schrecklich schöne Nacht.“ Mit diesen Worten beschrieb der Erfinder und spätere Großindustrielle Werner Siemens die Stunden vom 18. auf den 19. März 1848. Sie war schrecklich, weil Hunderte aufständische Bürger und einige Dutzend Soldaten auf den Straßen der preußischen Hauptstadt Berlin gefallen waren. Sie war schön, weil König Friedrich Wilhelm IV. am Morgen des 19. eine Proklamation „An meine lieben Berliner“ herausgegeben hatte, in der er ihnen „mein königliches Wort gab, „dass alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen und die militärische Besetzung nur auf die nothwendigsten Gebäude … beschränkt werden wird“.

Es blieb nicht dabei. Gegen Mittag erwies der König den „Märzgefallenen“, die unter den Schüssen seiner Gardetruppen gefallen waren, seine Referenz. Am 21. ritt er mit der schwarz-rot-goldenen Binde am Arm durch die Stadt, am Abend erschien seine Proklamation „An mein Volk und die deutsche Nation“, die mit den Worten endete: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Zu diesem Zweck wurde ein liberales Ministerium berufen. Ein demokratischer Nationalstaat schien in greifbare Nähe gerückt.


Zeitgenössische Karikatur des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. aus dem Jahr 1848: "Zwischen mir und mein Volk soll sich kein Blatt Papier drängen". | Verwendung weltweit
Zeitgenössische Karikatur Friedrich Wilhelms IV. von 1848
Nach Frankreich, Italien, Süddeutschland, Österreich und Ungarn hatte die Revolution auch Preußen erreicht. Warum sie nirgendwo blutiger verlief, hat schon die Zeitgenossen bewegt. In Wien hatte der verhasste Staatskanzler Metternich nach dem Sturm auf das Ständehaus am 13. März fluchtartig die Stadt verlassen. In Berlin rückten verlässliche Gardesoldaten gegen die Demonstranten vor, obwohl ihnen die wichtigsten Forderungen von Friedrich Wilhelm IV. bereits am 18. Oktober, also vor Ausbruch der Straßenkämpfe, zugestanden worden waren. Was machte die Revolution zum regelrechten „Bürgerkrieg“, wie der Historiker Veit Valentin das Geschehen in Berlin in seiner großen „Geschichte der Deutschen Revolution 1848–1849“ gedeutet hat?

Nachdem es in den vorangegangenen Tagen zu Demonstrationen und bewaffneten Zusammenstößen gekommen war, ging der König am 18. in zwei Patenten auf die wichtigsten Forderungen der bürgerlichen Opposition ein. Das eine hob die Zensur auf, das zweite kündigte die beschleunigte Einberufung des Vereinigten Landtages an. Doch nicht diese noch dem Geist des Restaurationsregimes verpflichtete Vollversammlung der Provinzialstände, sondern ein in die Zukunft weisendes Zugeständnis signalisierte Eingehen auf die revolutionäre Forderung: Eine „konstitutionelle Verfassung“ sei für alle deutschen Länder das Ziel, also auch für Preußen.

circa 1860: Frederick William IV (1795 - 1861), King of Prussia from 1840. Always upholding the 'divine right of kings' he was forced to grant a constitution in 1850 after the revolution of 1848. He became mentally incompetent after two strokes in 1857 and his brother William took over his duties. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861)

Wären diese Patente mit den entscheidenden Zugeständnissen am Morgen des 17. März erschienen, so wäre Preußen der Revolutionskampf am 18. wahrscheinlich erspart worden, urteilt Valentin. Aber die erregte Menge, die sich nach Eintreffen von Metternichs Sturz formiert hatte, verlangte nun mehr, vor allem den Abzug der königlichen Truppen als Sinnbilder der alten Ordnung. „Der Ruf: ,Das Militär zurück!‘ war voll von historischer Symbolik“, schreibt Valentin. „Berlin wollte Klarheit, Berlin wollte den Sieg.“

Verstärkungen hatten die Berliner Garnison in den vergangenen Tagen auf 20.000 Mann gebracht, bei einer Einwohnerzahl von 400.000. Während der König noch schwankte, wollte sein Bruder und designierter Nachfolger Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) als Führer der Militärpartei Stärke beweisen. Ihr gelang es auch, mit dem Kommandeur des Gardekorps, General Karl von Prittwitz, einem Hardliner die Befehlsgewalt über die Truppen in der Innenstadt zu übertragen.


Während vor dem Stadtschloss Tausende den Forderungen nach Abzug der Truppen und Entlassung der Regierung Nachdruck verliehen, gab Prittwitz seinen Gardisten Befehl, den Schlossplatz „zu säubern“. An der Spitze einer Schwadron Gardedragoner soll der General seinen Säbel gezogen haben, um, wie es hieß, seinen Leuten im Lärm ein Zeichen zu geben. Diese aber nahmen die Geste als Befehl zum Angriff und zogen ihre Waffen. Auch Infanterie begann daraufhin vorzurücken.

Da fielen zwei Schüsse, wahrscheinlich abgegeben von zwei Gardisten, die die Situation falsch eingeschätzt hatten. Die Demonstranten riefen daraufhin „Verrat“ und „Meuchelmord“, obwohl noch niemand verletzt worden war. Der König, der als Einziger vielleicht durch seine Präsenz die Lage noch hätte entschärfen können, blieb unsichtbar im Schloss. Die Nerven der seit Tagen in Alarmzustand gehaltenen Soldaten waren gereizt, ebenso die der Demonstranten, die sich einer Staatsmacht gegenübersahen, in der sie – nicht zu Unrecht – in Prinz Wilhelm und der Militärpartei die entscheidenden Widersacher vermuteten.


The Frederic Street Square barricade, Berlin, 18 March 1848. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Die Aufständischen kämpften mit Steinen und Spießen
Umgehend wurden überall im Stadtzentrum Barrikaden errichtet. Manche waren mehrere Stockwerke hoch. Mit Steinen und Stöcken wurden die Soldaten attackiert, die in ihrer Wut einfach in die Menge schossen. Dennoch kamen die Gardisten in den blockierten Straßen kaum voran; die Taktik, in die Häuser einzudringen, die Seitenwände durchzuschlagen und damit die Barrikaden zu umgehen, war noch nicht erfunden.

„Die Kanaille“, wie die Offiziere die Aufständischen nannten, wehrte sich verzweifelt. Zwei ehemalige Artilleristen munitionierten zwei kleine Geschütze aus Messing mit Murmeln auf, was vor allem die Moral auf den Barrikaden stärkte. Ihr Bau erfolgte spontan. Fässer, Droschkenfuhrwerke, Buden, Laternenpfähle, Steine, was gerade zur Hand war, wurde zumeist an Straßenecken aufgetürmt. Weil es kaum Feuerwaffen gab, wurden Knüppel und Säbel aus Theatermagazinen geholt. Pfiffig war der Einfall, die Wohnungen von Offizieren auszumachen und die dort lagernden Waffen zu requirieren. Doch im Grunde waren es nur die Schützengilden, die den Soldaten waffentechnisch Paroli bieten konnten.


Die Fotografie eines Gemäldes zeigt Kugelgießer hinter einer Barrikade während der Befreiungskämpfe in Berlin am 18./19. März 1848 während der Märzrevolution (undatiertes Archivbild). | Verwendung weltweit
Kinder als Kugelgießer im Barrikadenkampf
Für Prinz Wilhelm und seine Parteigänger war der Fall klar. Es musste sich um eine von langer Hand geplante Erhebung handeln. Das war falsch. Auf den Straßen Berlins entlud sich zum einen die über Jahre aufgestaute Wut über den monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat und seine politischen Repressionen. Hinzu kam eine schlechte Ernte des Vorjahrs, die die sozialen Probleme verschärfte.

Die beginnende Industrialisierung hatte zahlreiche Handwerker in eine prekäre Existenz getrieben. In Preußen war die Zahl der Meister von 259.000 im Jahr 1816 auf 457.000 in 1846 gestiegen. Aber nur 0,5 Prozent gehörten mit einem Kapital von mehr als 1000 Gulden zum gehobenen Bürgertum. Was der Abstieg der Meister für ihre Gesellen bedeutete, kann man sich vorstellen.


'Die Aufbahrung der Märzgefallenen' ('Victims of the March Revolution in Berlin Lying in State') - painting by Adolph von Menzel. Coffins of those citizens who died during the March Revolutions of 1848, lined up on the steps of the German Cathedral in the Gendarmenmarkt square, Berlin. AM (full name Adolph Friedrich Erdmann von Menzel), German painter: 8 December 1815 - 9 February 1905. (Photo by Culture Club/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Die Aufbahrung der Märzgefallenen von Adolph  Menzel blieb unvollendet
Wie sehr die Märzrevolution in Berlin von sozialen Motiven angetrieben wurde, zeigen auch die Verlustzahlen. Von den 303 Toten der Barrikadennacht waren 29 Handwerksmeister und 15 Angehörige der sogenannten gebildeten Stände. Dagegen entstammten die 115 Gesellen, 13 Lehrlinge, 34 Diener und Kleinhändler sowie 52 „Arbeitslose und Proletarier“ den Unterschichten. Auf der anderen Seite ließen rund 50 Soldaten ihr Leben.

So groß der Jubel über die folgenden Gesten und politischen Zugeständnisse Friedrich Wilhelms war (sein Bruder Wilhelm, der „Kartätschenprinz“, war geflohen), so gemischt waren denn auch die Gefühle des Bürgertums über die Beteiligung des einfachen Volkes. Der Fortgang der Revolution würde nicht einfach von einem politischen Ringen um Freiheit, Gleichheit und eine Verfassung bestimmt, sondern auch von Forderungen nach gesellschaftlicher Umgestaltung. „Soziale Revolution“, resümiert der Historiker Dieter Hein, „wurde als Synonym für den sozialen Umsturz verstanden, stand für die Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung durch die unteren Schichten.“ Aus dieser Perspektive wurde der März 1848 für das liberale Bürgertum zu einer schweren Hypothek.

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