Die Bergmannstraße in Kreuzberg ist mehr als eine Straße. Sie hat fast
alles zu bieten, womit Berlin zu kämpfen hat. Ein Blick ins Brennglas.
von Bernd Matthies Am Anfang war das Wort, und das Wort war falsch: Begegnungszone.
Wer braucht so etwas? Und ausgerechnet in der Kreuzberger
Bergmannstraße, in der sich doch bekanntermaßen massenhaft Menschen ganz
von allein begegnen, zu Fuß, per Rad, im Auto und in den Geschäften und
Kneipen? Sie ist mehr als eine Straße – Spiegel der (West)-Berliner
Stadtgeschichte ebenso wie Bühne allerneuester verkehrspolitischer
Spiegelfechtereien. Wer sie kennt, der versteht zumindest ein bisschen
mehr darüber, warum Berlin als Ganzes ewig unverständlich bleibt.
Die Bergmannstraße also hat eine Begegnungszone bekommen. Da hören
politisch sensible Menschen allerhand hinein. Sie fühlen die unsichtbare
Hand des Staates, die ihrem Leben Sinn geben will wie einst die Mutter
am Sandkastenrand: Jetzt spiel doch mal mit den anderen Kindern!
Begegnungszonen gehören zum Instrumentarium unserer Stadtplaner, die
immer Siena wollen und doch immer nur Hohenschönhausen hinbekommen.
In Begegnungszonen soll der junge Einwohner des Mehrgenerationenhauses
mit anderen über seine sexuelle Identität diskutieren, während ältere
Eingeborene im Kontakt mit Geflüchteten spielerisch ihre Vorurteile
überwinden lernen und sich mit Tipps zum Energiesparen revanchieren.
Bürger*innen, hier werdet ihr begegnet! So etwa sieht der
stadtsoziologische Hallraum aus, der dazu führt, dass hinterher, wenn
alles fertig ist, die einen das Ergebnis doof finden und die anderen
trotzdem misslungen.
Die bunten Fahrbahnmarkierungen sind bereits verblasst.
Und dann die Bergmannstraße in echt, na ja, geht so. Sie ist sogar
manchmal richtig schön, zumal wenn im Sommer die Sonne scheint. Mittags
sind unzählige einfache Restaurants geöffnet, was in Berlin immer auf
touristische Trampelpfade hindeutet; mit ein wenig Fantasie könnte das
auch Kopenhagen oder Boston sein, ein weltläufiges Altbauviertel mit
dickem Eintrag in den internationalen Reiseführern, das sich nichts mehr
beweisen muss. In den Läden stehen entspannte Menschen und zupfen an
schönen, überflüssigen Gegenständen, und nur ab und zu eilt einer
vorbei, dem man den genervten Habitus des Ureinwohners ansieht: Das war
hier mal ein linkes Projekt, wir wollten unseren Uckermärker Ziegenkäse
selbstbestimmt und geduldig reifen lassen – aber nun kaufen wir ihn
teuer bei Butter-Lindner!
Kreuzberg - das gibt der Sache Wumms
Wenn die Sonne scheint und der Verkehr nicht zu stark ist, dann sitzen
sogar Menschen in den klapprigen Parklets, um den wesentlichen Vorzug
dieser Einrichtung zu genießen: Man kann dort verschnaufen, ohne
irgendein Getränk kaufen zu müssen. Dafür gab es früher öffentliche
Bänke, aber die sind irgendwie zwischen Vandalismus und Sparzwang
zerrieben worden, wenngleich sie länger gehalten haben, als das von den
Parklets jemals zu erwarten ist. Am längsten würden zweifellos die
frisch abgeladenen Findlinge vor der Markthalle halten, auf die wir
gleich noch kommen. Aber ist das Ganze nun gleich das „Gespött der Nation“, wie sie bei der Kreuzberger CDU höhnen?
Die Bergmannstraße liegt in Kreuzberg, das gibt der Sache den Wumms.
Denn die erste möblierte Berliner Begegnungszone befindet sich in der
Maaßenstraße in Schöneberg, und dort wurde der Beweis längst erbracht,
dass das Blödsinn ist – nur hat es außer den Anwohnern niemanden
aufgeregt. Kreuzberg aber hat einen polarisierenden grünen Baustadtrat, Florian Schmidt,
der sich selbst als städtebaulichen Aktivisten sieht, jede Gelegenheit
nutzt, aktiv zu werden und nun die ganze Erregungslawine sehenden Auges
losgetreten hat.
Willkür war das nicht
Willkür war das
nicht, die Straße wird zum Leidwesen ihrer Anwohner vom Ladeverkehr, vom
Parkplatzsuchverkehr und vom Hauptstraßenstau-Umgehungsverkehr genervt
und kann deshalb steuernde Eingriffe dringend brauchen. Man könnte sogar
glatt eine Fußgängerzone draus machen, aber da heißt es in Berlin dann
auch gleich wieder, nun werde auch die letzte Ecke dem Kommerz und den
Konzernen preisgegeben, das traut sich nicht mal ein komplett
schmerzbefreiter Stadtrat wie Schmidt.
Baustadtrat Florian SchmidtAch,
gentrifiziert: Dieses Phänomen ist in der Bergmannstraße praktisch
erfunden worden, nur wusste damals noch niemand, dass das so heißt. Alle
dachten, oh, prima, da wird jetzt endlich mal was hübsch gemacht im
ollen West-Berlin. Anfang der Achtziger fing es an. Vor allem die
Hausbesetzer hatten die Wahrnehmung komplett verändert: Die Plattmacher,
die die alten Stadtgrundrisse mit ihren brutalistischen
Sozialwohnungsklötzen überzogen hatten, kamen in Verruf, wurden abgelöst
von Charismatikern wie dem Planer Hardt-Waltherr Hämer, der das Prinzip
der Stadtreparatur und „behutsamen Stadterneuerung“ durchsetzte.
Kein Wunder, dass sich der Blick der Erneuerer vor allem auf jene
Quartiere richtete, die den Krieg einigermaßen wohlbehalten überstanden
hatten und auch ohne Sanierung noch den stuckverzierten Charme der
Gründerzeit verströmten. Das war nun hier zwischen Gneisenaustraße und
Tempelhofer Berg zweifellos der Fall, und 1980 verbreitete Rudolf Thomes
Film „Berlin Chamissoplatz“ das neue, alte Kreuzberger Lebensgefühl im
ganzen Land.
Die Wohnungen gab's zu Spottpreisen
Das Schicksal der Bergmannstraße hing nun daran, dass sie zwar schon
immer Platz für zahllose kleine Geschäfte und Kneipen bot, aber nie so
vom Verkehr durchtost wurde wie Mehringdamm und Gneisenaustraße, die
Hauptschlagadern dieses traditionellen Subzentrums.
Urbanes, traditionelles Lebensgefühl bei relativ geringen
Nebenwirkungen: Diese Mischung zog Mieter und Wohnungskäufer ebenso an
wie Touristen. Lustigerweise wurde mit der leisen Gentrifizierung im
Westen auch der alte Gegensatz der Kreuzberger Postzustellbezirke wieder
aktiviert: Im Osten lag SO36, das proletarische, arme Kreuzberg, im
Westen SW61, das bürgerliche, aufstrebende.
Das fühlten auch die
schwäbischen Bürgerkinder, die sich im ungebärdigen, von der Mauer
umschlossenen SO36 bei rauem Punkrock von der Last ihrer Herkunft
befreiten, dann aber doch, wenn möglich, den Rückweg in großzügigere WGs
und Eigentumswohnungen weiter westlich suchten, die damals noch zu
Spottpreisen zu haben waren.
Die Idee mit den Findlingen hat funktioniert.Heute
wohnen hier in großen, hohen Wohnungen also selbstsichere, oft
wohlhabende Akademiker, die ihre Interessen artikulieren und sich
organisieren können. Es ist sicher kein Zufall, dass auf all den
Versammlungen der letzten Zeit kaum ein Migrant zu sehen war. Hier
bleibt man unter sich, hier fällt aber auch kein internationales Kapital
auf der Suche nach Verzinsung ein, kein Architekt plant Stadtvillen mit
Auto-Aufzug oder spektakuläre Penthäuser für flexible Milliardäre.
Hip ist die Bergmannstraße nicht
Und bei allem Wandel: Hip ist die Bergmannstraße nicht, jedenfalls
nicht, wenn man darunter eine Gegend versteht, wo coole Barkeeper
Kräuterauszüge in bunte Drinks rühren, dänische Sauerteig-Artisten
überteuerte Brote ins handgefertigte Holzregal legen oder junge Köche
aus Portugal und Neuseeland schicke Nova-Regio-Menüs zum
maischevergorenen Chenin blanc servieren. Das gibt es alles in Mitte und
Nordneukölln sowie in Kreuzberg am Paul-Lincke-Ufer, es ist aber in der
Bergmannstraße bislang ausgeblieben.
Auch hier ansässig: Die Vorreiterin des Kaffee-Booms
Deren gastronomisches Zentrum ist natürlich die muntere
Marheinekehalle, die mit ihren gehobenen, aber nicht abgehobenen
Geschäften das Lebensgefühl der Nachbarschaft besser trifft als die
hippe Markthalle IX oder die Arminiushalle in Moabit. Dann ist da das
Feinkostgeschäft und Restaurant „Knofi“, das die türkische Familie Celik
schon seit 1986 führt, und Cynthia Barcomis Rösterei-Café weiter
östlich, das 1994 eröffnete und damit ein wichtiger Vorreiter des
Kaffee-Booms war; längst sind natürlich auch einige der bekannten
Berliner Kaffeeketten präsent.
Das „Weing’schäft Bernhard &
Hess“, dessen Apostroph noch dezent an die süddeutsche Herkunft der
Gründer erinnert, besteht dort schon seit 1976 und ist gewissermaßen die
imaginäre Schaltzentrale der Straße, wenngleich der junge Besitzer
Peter Klunker mit der Gründergeneration nichts zu tun hat.
Die Bergmannstraße ist Spiegel der (West)-Berliner StadtgeschichteViele
skeptische Anwohner haben die Eröffnung einer Lindner-Filiale jüngst
als eine Art Kipp-Punkt interpretiert: Lindner Feinkost, auch unter dem
alten Namen Butter-Lindner bekannt, ist eine Art Wohlstandsanzeiger, der
wie die Fische im Wasserwerk funktioniert: Kommt eine Filiale und
bleibt sie, sind Durchschnittseinkommen und Anspruchsniveau gehoben,
geht sie, besteht Grund zur Sorge. Ganz in der Nähe stehen ein paar
kleine Läden leer, das kommt vor, dauert aber meist nur so lange, wie es
eben dauert, den alten Kram rauszureißen und durch Neues zu ersetzen.
Die Gewerbetreibenden werden verdrängt
Die aktuell anstehenden Neueröffnungen werden die latent immer spürbare
Gentrifizierungsangst vermutlich wieder ein bisschen anfachen: Für den
September hat der Berliner Pralinenhersteller Sawade die Eröffnung eines
„Flagship Store“ angekündigt, wie er bereits in den Hackeschen Höfen
existiert, und mit „Coming Soon“ wirbt „Hakoramen“ für sich, der
vermutlich erste Auftritt der japanischen Nudelsuppe Ramen auf dem Boden
der Bergmannstraße. Subjektiver Eindruck: Trödel, Geschenkartikel und
Kleidung sind auf dem Rückzug, verdrängt von Essen und Trinken, der wohl
umsatzstärkeren Branche.
Schmidt, der Stadtrat im Porzellanladen
In dieser Gemengelage agiert nun Florian Schmidt, der Stadtrat im
Porzellanladen. Mit der Einrichtung der Begegnungszone war er
grundsätzlich auf der sicheren Seite, hatte für den Start der planerisch
schon 2014 angeschobenen Testphase die Zustimmung der BVV, die sich
weniger Durchgangsverkehr und mehr Sicherheit für Radler und Fußgänger
erhoffte und die Bürger beteiligte. Man war vorsichtig und baute nach
den Erfahrungen der Schöneberger nichts Festes, sondern setzte auf
„Parklets“, zusammengezimmerte Provisorien, und da geschah, was in
Berlin eben schneller geschieht als in zivilisierten Städten: Obdachlose
zogen ein, Müll sammelte sich, Partygänger lärmten vor Tau und Tag, und
ein anonymer Nachbar pflanzte hingebungsvoll eine kleine
Marihuana-Plantage hinein, die dann von der Polizei mit geräuschvoller
Siehste-Geste abgeerntet wurde.
Auch Parkplätze wurden von den
Parklets vernichtet, was naturgemäß den motorisierten Anwohnern so wenig
behagte wie den Gewerbetreibenden, die ohnehin froh sind, wenn jemand
mit dem Auto vorfährt, statt gleich alles im Internet zu bestellen. Die
Bezirksverordneten zogen schon im Januar gegen die Stimmen der Grünen
die Notbremse, die der Stadtrat dann aber sogleich wieder lockerte. Er
ließ die 15 „Verweilzonen“ nicht wie gefordert bis Juli abräumen,
sondern benannte sie in „Diskussionsorte“ um, die bis November bleiben
sollen. Sein Gegenargument: Bei einem Abbruch ohne Verkehrszählung, die
erst nach Abschluss der Bauarbeiten in der Friesenstraße möglich sei,
hätte der Senat Fördergelder zurückgefordert. Eine Rüge der inzwischen
ziemlich genervten BVV fing er sich trotzdem ein.
Runde Zebrastreifen? Für 146 000 Euro!
Ostern legte Schmidt noch einmal nach und ließ sämtliche Kreuzungen zwischen Mehringdamm und Marheinekeplatz mit gelbgrünen Punkten verschiedener Größe
bedecken. Wozu? Viele rätselten, viele juxten über die runden
Zebrastreifen oder schimpften über die Kosten, stämmige 146 000 Euro.
Der Stadtrat stellte klar: „Die Punkte signalisieren den Autofahrern,
dass hier eine spezielle und verkehrsberuhigte Zone ist.“ Die
Farbintensität, anfangs kreischend neon-intensiv, hat indessen rasch
nachgelassen. Sichtbarste Folge der umstrittenen Testphase war der Umzug
des traditionellen Bergmannstraßenfestes, das nun zwischen den
Diskussionsorten keinen Platz mehr hatte und erstmals westlich des
Mehringdamms in der Kreuzbergstraße stattfand. Das alles verstärkte das
allgemeine Grummeln und die Spannung auf das, was nach den Parklets
kommt.
Urban
gardening. Ein anonymer Nachbar pflanzte hingebungsvoll eine kleine
Marihuana-Plantage in ein Parklet. Die mächtigen Steine, die Stadtrat Schmidt im Juni an der Kreuzung
Zossener/Bergmann-/Friesenstraße hinwerfen ließ, haben allerdings einen
anderen Hintergrund. Die Friesenstraße wird mit EU-Geldern derzeit mit
einem neuen, geräuschmindernden Belag versehen, musste voll gesperrt
werden – und das gefiel vielen Anwohnern, die schon lange gegen die
Haltung von Senat und Verkehrslenkung die dauerhafte Sperrung der
Querverbindung Zossener/Friesenstraße fordern. Ihre Idee war es, den Bau
zum Test zu nutzen und die ganze Kreuzung vor der Markthalle solange
für Autos zu sperren.
Mit Neandertaler-Methoden gegen autofahrende Neandertaler
Das Ergebnis: Die Autofahrer eroberten den freien Raum trotz Haltverbot
und Absperrungen rücksichtslos zum Parken – und Schmidt ließ die
Findlinge schicken. Mit Neandertaler–Methoden
gegen autofahrende Neandertaler, das funktionierte und eroberte den
Platz für Fußgänger und Radler zurück. Die Aktivisten von „Leiser
Bergmannkiez“ freuten sich: „Das massenhafte Parken vor der Apotheke hat
aufgehört, Radfahrer haben eine klare Orientierung, und Fußgänger
fühlen sich beim direkten Queren des Platzes sicherer.“
Na bitte, geht doch. Aber wie nun weiter? Läuft alles wie
verabredet, werden im August die Findlinge abgeholt und im November die
Parklets. Dann ist im Prinzip alles wieder wie vorher, es gibt einen
Stadtrat voller Tatendrang, skeptische Bezirksverordnete, genervte
Anwohner und besorgte Händler. Vielleicht doch mal das mit der
Fußgängerzone?
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