Sonntag, 11. Juli 2021

Eine europäische Weichenstellung: die Seeschlacht von Cesme.

aus welt.de, 11. 7. 2021             Der Untergang der osmanischen Flotte bei Cesme, wie sie Jakob Philipp Hackert 1771 schließlich darstellte   .

„Ein Vulkan übergoss die gesamte Kriegsflotte der Türkei mit Lava“
Mit der Vernichtung der osmanischen Flotte 1770 vor Cesme erschütterte Russland Europas Mächtesystem. Die übrigen Großmächte waren schockiert und suchten nach Mitteln, den neuen Rivalen einzubinden – zulasten Polen-Litauens.
Alexei Orlow, Admiral der zarischen Flotte, war wenig begeistert. Das Gemälde, das seinen Triumph verewigen sollte, schien ihm seine Heldentat nicht wiederzugeben. Also ließ er ein ausgemustertes Kriegsschiff mit Pulver beladen und vor der Küste der Toskana in die Luft sprengen, auf dass sich der Künstler Jakob Philipp Hackert ein Bild von der Sache machen konnte, „zuverlässig das teuerste und kostbarste Modell, was je einem Künstler gedient hat, indem man den Wert der noch nutzbaren Materialien dieser alten Fregatte auf 2000 Zechinen schätzte“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe.

„Aufmerksam auf den Effekt dieses Vorgangs nach allen seinen Teilen, retuschierte der Künstler nochmals das Gemälde von der Verbrennung zu völliger Zufriedenheit des Grafen Orlow“, beendete Goethe die Episode, die einen historischen Wendepunkt beschreibt. Denn die Monumentalbilder Hackerts ließ die Zarin Katharina die Große in einem eigenen Saal in Schloss Peterhof aufhängen, um aller Welt zu zeigen, dass sie in der Nachfolge Peters des Großen Russlands Seemacht zu großen Siegen geführt hatte.

Um ihre Streitigkeiten nicht in Kriegen gegeneinander auszutragen, verfielen Russland, Österreich und Preußen Ende des 18. Jahrhunderts auf eine Idee: Sie teilten das Königreich Polen unter sich auf

Die Schlacht von Cesme im Juli 1770, die Hackert in Szene zu setzen hatte, markierte in der Tat einen epochalen Einschnitt. Und das mit geradezu globalen Dimensionen. Denn vor dem Hafen an der Ägäisküste Kleinasiens stellte das Zarenreich vor aller Augen klar, dass es auch in den warmen Meeren den Anspruch erhob, eine Großmacht zu sein. Der Krieg, in dem das geschah, veränderte daher nicht nur die geopolitische Konstellation Osteuropas, sondern auch das Mächteverhältnis der Alten Welt.

Seinen Ursprung hatte der Krieg in Polen-Litauen genommen. Der Adelsstaat reichte immer noch bis weit in die Ukraine hinein, sodass er an Osmanenreich und Khanat der Krimtataren grenzte. Seine altertümliche Verfassung, die jedem Mitglied der Ständeversammlung ein Veto-Recht zugestand, hatte Polen aber zu einem Spielball seiner Nachbarn gemacht, die sich dabei diverser Adelparteien bedienten. Nach dem Tod des Sachsen August III. 1763 gelang es der Zarin Katharina, mit Bestechungsgeldern und Drohungen ihren ehemaligen Geliebten Stanislaus II. August Poniatowski als neuen Wahlkönig des Landes durchsetzen.

Der aber wollte keine Marionette sein, sondern machte sich daran, Polen zu reformieren. Das provozierte den Widerstand der konservativen Konföderation von Bar, sodass jener sich gezwungen sah, seine Ex-Geliebte um militärischen Beistand zu bitten, zumal in der Ukraine noch ein Bauernaufstand ausbrach.

In dieser Gemengelage überschritten zarische Kosaken die krimtatarische Grenze. Der osmanische Sultan erklärte daraufhin als Oberherr des Khanats Russland den Krieg. Seine Chancen standen günstig. Noch immer war das Osmanische Reich eine Weltmacht, die wesentlich mehr Soldaten als Russland mobilisieren konnte. Allerdings hatte das Zarenreich im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) Friedrich dem Großen bei Kunersdorf seine schwerste Niederlage beigebracht. Und in der Ostsee stand seit Peter dem Großen eine Flotte bereit.

Nun griff die Mechanik des europäischen Bündnissystems. Weil Frankreich mit den Osmanen verbündet war und mit England in Amerika und Asien konkurrierte, gewährten London und das mit Schweden rivalisierende Dänemark Katharinas Baltischer Flotte Versorgungsplätze und die Passagen durch die Ostseeausgänge und den Ärmelkanal. Preußen, seit 1762 mit Russland verbündet, blockierte Österreich, sodass sich die russischen Schiffe einigermaßen intakt vor Livorno sammeln konnten.

Admiral Alexei Orlow qualifizierten weniger nautische Fähigkeiten, als vielmehr seine Rolle bei der Machtergreifung der Zarin. Zusammen mit seinem Bruder Grigori, dem damaligen und aktuellen Liebhaber Katharinas, hatte er 1762 den Putsch gegen ihren Mann Peter III. organisiert und ihr schließlich das Ableben des „Scheusals“ gemeldet, wobei er wohl eigenhändig nachgeholfen hatte. Nun sorgten schottische Seeoffiziere dafür, dass es die mit seekranken russischen Matrosen bemannten Kriegsschiffe heil bis in die Ägäis schafften.

Dort wollte Orlow die christlichen Untertanen des Sultans zu einer großen Erhebung gewinnen. Die aber hielten sich zurück. Stattdessen bewiesen die Armeen der Zarin, dass die türkische Offensivkraft im Schwinden begriffen war. Nach mehreren Siegen zu Lande kam es am 5. bis 7. Juli 1770 zur Schlacht von Cesme. Mit rund 20 Linienschiffen und 50 weiteren Einheiten war die osmanische Flotte den zwölf russischen Großkampfschiffen deutlich überlegen.

 
Aber die Türken vertrauten auf die Sicherheit des Hafens und lagen vor Anker, während Orlow sie in Kiellinie attackierte. Am zweiten Tag ließ er vier brennende Schiffe in den Hafen treiben. „Cesme, belastet mit Schiffen, Pulver und Artillerie, verwandelte sich bald in einen Vulkan, der die gesamte Kriegsflotte der Türkei mit Lava übergoss“, notierte ein Augenzeuge. 11.000 Türken verloren ihr Leben, gegenüber 500 Russen. Orlow meldete nach St. Petersburg, das Wasser von Cesme hätte die Farbe des Fleisches angenommen.

Obwohl der Sieg den Krieg nicht entschied, ließ Katharina Salut schießen, ihre Matrosen erhielten eine Medaille mit der Aufschrift „Ich war dabei“ und Orlow wurde mit dem Titel Tschesmenski (von Cesme) ausgezeichnet. Ganz anders war die Reaktion in England. Die größte Niederlage der osmanischen Flotte seit der Katastrophe gegen die Heilige Liga 1571 bei Lepanto führte der Royal Navy drastisch vor Augen, dass mit Russland ein potenzieller Rivale auf den Weltmeeren erschienen war.

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Auch in Wien war man schockiert, veränderten die russischen Siege doch die Verhältnisse im Osten dramatisch. Russische Truppen standen in den rumänischen Fürstentümern Moldau und Walachei und schienen drauf und dran, darin zu bleiben, was den österreichischen Interessen fundamental zuwiderlief. Auch in Berlin verfolgte man das Erstarken Russlands mit Argwohn, zumal zarische Diplomaten klarstellten, dass sie für einen Friedensschluss von den Osmanen die Krim, weite Teile der Ukraine sowie Stützpunkte am Schwarzen Meer verlangen würden.

Die Lösung ging von Friedrich dem Großen aus, der keinerlei Lust verspürte, aufgrund des Bündnisvertrages mit Russland in einen großen Konflikt mit Österreich, der Türkei und womöglich auch Frankreich und Schweden gezogen zu werden. Über seinen Bruder Heinrich ließ er in St. Petersburg sondieren, ob die Zarin bereit sei, für handfeste Gewinne in Polen auf die Donaufürstentümer zu verzichten.

Dass Katharina darauf einging, hing nicht zuletzt mit dem Aufstand eines gewissen Pugatschow zusammen, der vorgab, ihr geretteter Ex-Mann zu sein und der bald weite Teile des Landes unter seine Kontrolle brachte. Auch war die Aussicht auf satte Gebietsgewinne im nahen Weißrussland verlockender als der Besitz ferner Garnisonen in der Steppe. Nur von der Krim wollte die Zarin nicht lassen. Das dortige Khanat war der letzte Rest jener Mongolenherrschaft, die im 13. Jahrhundert über Russland gekommen war. Nun wurde es ein russisches Protektorat.

Die Rechnung hatte die polnische Adelsrepublik zu zahlen. Denn Katharina lud ihre kaiserliche Kollegin Maria Theresia in Wien ein, sich ebenfalls an Polen schadlos zu halten. Zusammen mit ihrem Sohn Joseph II. verzichtete die Habsburgerin auf den bereits unterschriftsreifen Bündnisvertrag mit dem Sultan, sondern stieg 1772 in die erste Teilung Polens ein.

Russland gewann Livland und weite Teile Weißrusslands, Österreich erhielt große Stücke von Kleinpolen und Galizien und Preußen die ersehnte Landbrücke nach Ostpreußen. Damit wurde Polen zur Verfügungsmasse, aus der sich die „drei schwarzen Adler“ auch später noch bedienten, um ihre machtpolitischen Konflikte zu entschärfen. Zugleich mutierte das Osmanenreich mehr und mehr zum kranken Mann.

Aus seiner Perspektive sollte ihm durch die Niederlage von Cesme bald ein wichtiger Bundesgenosse zuwachsen. Denn England sah seine Interessen im Orient durch die russische Flotte massiv bedroht. Noch war Katharina im Frieden von Kücük Kaynarca mit dem Sultan von ihrer Forderung nach Öffnung von Bosporus und Dardanellen für ihre Kriegsschiffe abgerückt. Aber spätestens im 19. Jahrhundert sollte es zu einem Credo der britischen Außenpolitik werden, die Türkei gegen das Vordringen Russland zu unterstützen. Nicht umsonst spielte die Orientalische Frage nach der Zukunft des Osmanischen Reiches keine geringe Rolle beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

 

 

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