Ordnungspolitiker mit historischer Mission
Eine Art Monarchie errichten und sie als Republik ausgeben – nicht nur das ist Gaius Octavius alias Augustus gelungen. Vor zweitausend Jahren starb der «Erhabene», den die Geschichtsbücher als ersten römischen Kaiser verzeichnen.
Vor zweitausend Jahren, am 19. August 14 n. Chr., starb Augustus in Nola bei Neapel. «Wenn ich meine Rolle gut gespielt habe, so klatscht Beifall», soll er auf dem Sterbebett die Trauergemeinde angehalten haben. – Doch wer war der erste Kaiser Roms? Ein globaler Friedensfürst? Ein erbarmungsloser Schlächter? Ein genialer Staatsmann? Ein Zyniker der Macht? Schon im berühmten Totengericht des Tacitus stehen sich Verteidiger und Ankläger gegenüber. Jede Zeit hat ihren Augustus geschaffen. Für die christlichen Theologen des Mittelalters war er Teil des göttlichen Heilsplans, da unter seiner Herrschaft Christus geboren worden war. Französische Aufklärer verurteilten Augustus als Despoten, deutsche Historisten rekonstruierten eine Monokratie in republikanischer Verkleidung, und italienische Faschisten rechtfertigten mit seiner Hilfe ihre imperialen Gelüste. Während Wilhelm Weber, der nationalsozialistische Althistoriker an der Berliner Universität, in den dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Augustus als Begründer des Führerprinzips feierte, entlarvte Ronald Syme in Oxford, wenige Tage nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. die totalitären Züge der augusteischen Herrschaft.
Grossneffe eines Diktators
Was wissen wir sicher? Augustus wurde als Gaius Oktavius am 23. September 63 v. Chr. in Rom als Sohn einer wohlhabenden, aber nicht zur Nobilität zählenden Familie geboren. Der neunzehnjährige Grossneffe Julius Cäsars wurde von diesem adoptiert und trug fortan dessen Namen. Rücksichtslos wurde damals in der römischen Aristokratie der Kampf um die Macht im römischen Staat geführt. Nach dem Attentat auf Cäsar an den Iden des März 44 v. Chr. beteiligte sich sein Adoptivsohn an der Vernichtung der Mörder, um dann seinen zeitweiligen Verbündeten und späteren Rivalen, Marcus Antonius, der sich mit der ägyptischen Königin Kleopatra zusammengetan hatte, auszuschalten.
Bronzebüste des Octavian
Geschickt hatte er zuvor die Vergöttlichung seines Adoptivvaters durchgesetzt. Cäsar wurde zum «divus», sein Sohn zum «divi filius». 31 v. Chr. triumphierte der «Sohn des Vergöttlichten» bei Aktium vor der griechischen Westküste über seine Gegner. Antonius und Kleopatra begingen daraufhin Selbstmord. Der Sieger war der mächtigste Mann im Römischen Reich. Seinem Befehl gehorchten die Soldaten, er verfügte über zahllose Anhänger in Italien und den Provinzen, er hatte unermessliche finanzielle Mittel, und er war der einflussreichste Patron. Doch er griff weder nach der Königswürde noch nach dem Amt des Diktators, das seinem Adoptivvater zum Verhängnis geworden war.
Am 13. Januar 27 legte der junge Cäsar in einer sorgfältig inszenierten Senatssitzung seine ausserordentlichen Vollmachten nieder und gab dem Senat und Volk von Rom die Verfügungsgewalt über die «res publica» zurück. Die nun ergehenden Beschlüsse des Senates sicherten jedoch seine herausragende Stellung und begründeten den Übergang von der Republik zur Monarchie. Er behielt das Konsulat und bekam die zunächst auf zehn Jahre befristete Kontrolle über die Provinzen, in denen das Heer stand. Zum Dank wurde ihm am 16. Januar der Name «Augustus», «der Erhabene», verliehen. Er selbst nannte sich «princeps», «der erste (Bürger)»; die von ihm begründete Ordnung heisst deshalb Prinzipat.
Politische Fassade
Bis in das Jahr 23 v. Chr. war Augustus ununterbrochen Konsul, um die Politik in Rom zu kontrollieren. Als sich dagegen im Senat Widerstand formierte, gab er das Konsulat auf und nahm dafür die Amtsgewalt eines Volkstribunen, die «tribunicia potestas», auf Lebenszeit an. Dadurch konnte er, wie zuvor als Konsul, Senatssitzungen und Volksversammlungen einberufen. Zugleich liess er sich vom Senat die Aufsicht auch über diejenigen Provinzen übertragen, in denen kein Militär stand. Vier Jahre später wurden ihm die Vollmachten eines Konsuls verliehen.
Augustus mit Bürgerkrone (corona civica) Augustus Bevilacqua
Augustus versammelte folglich in seiner Person die Rechte und Befugnisse verschiedener republikanischer Ämter, die er als solche nicht bekleidete. Gleichzeitig wurden wie bisher Konsuln, Prätoren, Ädile, Volkstribune und andere Beamte gewählt, in den Volksversammlungen Gesetze verabschiedet und im Senat den Magistraten Ratschläge erteilt. Doch hinter der Fassade der «res publica restituta», der wiederhergestellten öffentlichen Ordnung in den äusseren Formen der republikanischen Tradition, die seine im Bürgerkrieg erworbene Machtfülle in rechtliche Formen kleidete, errichtete Augustus eine Alleinherrschaft. Damit hatte er eine richtungweisende Antwort auf die Krise der Republik gefunden. Doch in der römischen Oberschicht regte sich Widerstand. Augustus unterlief ihn mit diplomatischem Geschick oder brach ihn mit grosser Härte. Als er 14 n. Chr. starb, erwies sich die von ihm geschaffene Ordnung als zukunftsfähig.
Jedem «princeps» wurden in der Folge die Vollmachten, die ihm die faktische Alleinherrschaft erlaubten, in einem formalisierten Akt vom Senat übertragen. Theodor Mommsen sprach deshalb von einer «Dyarchie», einer Zweierherrschaft von Kaiser und Senat, ohne jedoch grundsätzlich in Abrede zu stellen, dass der Prinzipat keineswegs als eine allein verfassungsrechtlich zu fassende Institution zu verstehen sei, sondern die soziale und politische Qualifikation der Herrschaftsstellung des römischen Kaisers berücksichtigt werden müsse. Der Princeps usurpierte als mächtigster Patron die Spitze der hierarchisierten Gefolgschaftsbeziehungen. Faktisch stützte der römische Kaiser seine persönliche Herrschaft auf sein militärisches Oberkommando; der augusteische Prinzipat war daher eine Militärmonarchie, in der der Herrscher aufgrund seiner Machtfülle zwar nicht «legibus solutus» – von den Gesetzen entbunden – agierte, aber Recht selbst setzte.
Nicht nur Leistungen und Erfolge in der Innen- und Aussenpolitik kennzeichneten die Herrschaft des Augustus, sondern auch eine einzigartige Blüte von Literatur und Kunst. Innerhalb von zwanzig Jahren legten Vergil, Horaz, Tibull, Properz und Ovid ihre Meisterwerke vor. Die Auseinandersetzung mit den griechischen und hellenistischen Vorbildern wurde selbstbewusst geführt: Vergil trat mit Homer in Wettstreit, Horaz mit Alkaios, und Properz mit Kallimachos. Grossen Einfluss auf die Poeten hatte Maecenas, der Freund und Vertraute des Augustus, der die vielversprechenden jungen Talente auswählte und sie grosszügig unterstützte. Der Kreis des Maecenas gründete sich auf enge persönliche Verbindungen.
Augustus als Pontifex maximus
Die literarische Avantgarde bearbeitete auch politische Themen. Vergil schuf in seiner «Äneis» das römische Nationalepos, das die Vergangenheit Roms mit der Geschichte Trojas verband und den Anspruch auf römische Weltherrschaft formulierte; von den Irrfahrten und Abenteuern des Äneas zog Vergil eine Linie in die Gegenwart und feierte im sechsten Buch Augustus als «Spross der Götter». Horaz schrieb nicht nur seine berühmten «Römeroden», sondern auch das «carmen saeculare», jenes Lied, das bei den Säkularspielen des Jahres 17 v. Chr. gesungen wurde, als Augustus mit grossem Aufwand ein neues Säkulum, ein neues Zeitalter, beginnen liess. Diese Dichtung spiegelte und stützte das neue System, aber sie war keine Auftragsarbeit.
Rom
Augustus veränderte das Aussehen der Stadt Rom von Grund auf. Die Fürsorge, aber auch der Machtanspruch des Kaisers wurde überall sichtbar. Er reklamierte für sich, folgt man seinem Biografen Sueton, «eine Stadt aus Ziegeln übernommen und eine Stadt aus Marmor hinterlassen» zu haben. In der Tat gestaltete er fast alle öffentlichen Räume und Bauten neu. Auf dem Forum Romanum entstanden der Tempel des vergöttlichten Cäsar und ein neues Senatsgebäude, die «Curia Iulia». Zum repräsentativen Zentrum der Herrschaft wurde nun das 2 v. Chr. eingeweihte Augustus-Forum mit dem Tempel des Mars Ultor, des rächenden Kriegsgottes. Hier entschied der Senat über Krieg und Frieden, von hier zogen die Statthalter in ihre Provinzen, und hier wurden auswärtige Herrscher begrüsst. Auf dem Marsfeld baute Augustus ein riesiges Mausoleum als Denkmal seiner Herrschaft, das in seinen Dimensionen alle Grabmäler römischer Adliger übertraf.
Auch die Umgebung wurde nach einem ausgeklügelten System neu gestaltet. Der Senat liess zu Ehren des Augustus 13 v. Chr. einen Altar des Friedens, die Ara Pacis, aufstellen, der den Begründer der Pax Augusta unsterblich machte; zudem wurde als Siegesmonument eine riesige Sonnenuhr mit einem ägyptischen Obelisken als Schattenzeiger errichtet. Augustus verstand es vorzüglich, die «Macht der Bilder» (Paul Zanker) einzusetzen, um sich selbst darzustellen und seine Herrschaft zu sichern, indem er in seiner Person die gesamte römische Vergangenheit okkupierte.
Allein – sind hiermit die Gründe des Erfolgs der augusteischen Ordnung hinreichend erklärt? War sie ohne Alternative? Gewiss, dem Prinzipat haftete das Blut zahlloser Bürgerkriegsopfer und innenpolitischer Widersacher an, und die Herrschaft hatte den endgültigen Verlust aristokratischer «libertas» zur Folge. Aber die republikanische Senatsoligarchie hatte keine überzeugenden Strategien aus der Krise entwickeln können. Und Ciceros politische Entwürfe blieben Utopie. Augustus hingegen schuf mit seiner Prinzipatsverfassung die Voraussetzungen für ein hohes Mass an innen- und aussenpolitischer Stabilität.
Bis zur Krise des dritten nachchristlichen Jahrhunderts profitierten trotz allem Wechsel der Herrscher nicht nur die Eliten des riesigen Reiches, sondern breite Bevölkerungsschichten von wirtschaftlicher Prosperität und sozialer Mobilität, von kultureller Integration und religiöser Pluralität, von rechtlicher Sekurität und administrativer Effizienz, wie schon Theodor Mommsen im fünften Band seiner «Römischen Geschichte» von 1885 herausgestellt hat: «Das eben ist das Grossartige dieser Jahrhunderte, dass das einmal angelegte Werk, die Durchführung der lateinisch-griechischen Zivilisierung in der Form der Ausbildung der städtischen Gemeindeverfassung, die allmähliche Einbeziehung der barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in diesen Kreis, eine Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger Tätigkeit und ruhiger Selbstentwicklung erforderte, diese lange Frist und diesen Frieden zu Lande und zur See gefunden hat.»
Augustus als Triumphator
Prof.
Dr. Stefan Rebenich lehrt alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der
Antike an der Universität Bern. Er hat u. a. eine Biografie Theodor
Mommsens sowie den Band «Die 101 wichtigsten Fragen – Antike» (beide bei
C. H. Beck) publiziert.
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