Dienstag, 15. Oktober 2019

Klassenverhältnisse in der Bronzezeit.

aus Tagesspiegel.de, 11. 10. 2019                                                                                  Der Kopfschmuck erlaubt Rückschlüsse auf den Status

Arm und Reich in der Bronzezeit
Soziale Ungleichheit gab es schon vor 4000 Jahren: Das haben Forscher anhand von Überresten aus bronzezeitlichen Gräberfeldern herausgefunden.

Eine wohlhabende Kernfamilie, die mit sozial niedriger gestellten Menschen unter einem Dach lebte: Schon in der Bronzezeit und damit vor 4000 Jahren herrschte offenbar soziale Ungleichheit, die sich innerhalb eines Haushalts über Generationen hielt. Das berichten Forscher des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, der Universität Tübingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) im Fachblatt „Science“.

Für die Studie analysierte das Team um die Humangenetikerin Alissa Mittnik sowie die Archäologen Philipp Stockhammer und Johannes Krause Überreste aus bronzezeitlichen Gräberfeldern im bayerischen Lechtal. Als Bronzezeit wird für Mitteleuropa der Zeitraum zwischen 2200 bis 800 vor Christus bezeichnet. In jener auf die Steinzeit folgenden Epoche erwarben die Menschen die Fähigkeit, Bronze zu gießen – mit weitreichenden Folgen für die damaligen Gesellschaften, deren Mobilität und Ökonomie.

Die Wissenschaftler untersuchten nicht nur die Grabbeigaben, sondern auch genetische Daten von 104 Individuen, um die Verwandtschaftsverhältnisse festzustellen. „Reichtum korrelierte entweder mit biologischer Verwandtschaft oder Herkunft aus der Ferne. Die Kernfamilie vererbte ihren Besitz und Status weiter“, erklärt Stockhammer von der LMU. „Aber in jedem Bauernhof haben wir auch arm ausgestattete Personen lokaler Herkunft gefunden.“

Bisher aus dem alten Rom bekannt 

Solche komplexen Strukturen des Zusammenlebens sind aus dem alten Rom oder dem klassischen Griechenland bekannt. Die Menschen im Lechtal lebten jedoch mehr als 1500 Jahre früher.

Dass sich in der Bronzezeit hierarchische Strukturen ausbildeten, ist nicht neu. Überraschend für die Archäologen war allerdings, dass diese Hierarchien innerhalb eines Haushalts existierten und das über Generationen hinweg. Hierbei konnten die Wissenschaftler den sozialen Status der Verstorbenen an den jeweiligen Grabbeigaben ablesen. Für sozial höhergestellte Männer waren das im Lechtal vor allem Waffen wie Dolche, Äxte oder Pfeilspitzen, für Frauen mit einem hohen sozialen Rang aufwendiger Kopfschmuck oder große Beinringe.

Derartige Beigaben wurden nur eng verwandten Familienmitgliedern mitgegeben sowie Frauen, die aus 400 bis 600 Kilometer Entfernung in die Familien kamen. In einer früheren Studie hatten die Forscher bereits gezeigt, dass die Mehrheit der Frauen im Lechtal aus der Fremde stammte und entsprechend beim Wissenstransfer vermutlich eine entscheidende Rolle spielte.

Familienstammbäume per genetischer Analyse

Die aktuelle Untersuchung passt zu diesem Befund. Die genetischen Analysen erlaubten, Familienstammbäume zu erstellen, die vier bis fünf Generationen umfassten – und dabei nur männliche Verwandtschaftslinien enthielten. Für die Archäologen bedeutet das, dass die weiblichen Nachkommen den Hof verlassen mussten, wenn sie das Erwachsenenalter erreichten. Bei den Müttern der Söhne handelte es sich indes ausschließlich um zugezogene Frauen.

„Die Archäogenetik gibt uns hier einen völlig neuen Blick in die Vergangenheit. Wir hätten es bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten, dass wir einmal Heiratsregeln, soziale Struktur und Ungleichheit in der Vorgeschichte untersuchen können“, sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.

Neben den reich bestatteten Mitgliedern der jeweiligen Kernfamilie fanden die Wissenschaftler auch arm bestattete, nicht verwandte einheimische Mitglieder in den Haushalten. „Wir können leider nicht sagen, ob es sich bei diesen Individuen um Knechte und Mägde oder vielleicht sogar eine Art von Sklaven gehandelt hat“, erläutert Alissa Mittnik von der Harvard Medical School in Boston. Sicher sei, dass über die männlichen Linien die Bauernhöfe über viele Generationen hin vererbt wurden und dieses System über 700 Jahre stabil war. „Das Lechtal zeigt, wie tief in die Vergangenheit die Geschichte sozialer Ungleichheit innerhalb einzelner Haushalte tatsächlich zurückreicht.“ (dpa)


aus FAZ.NET, 11. 10. 2019

Uralte Spuren von Sklaverei in Südbayern? 
Hier Wohlstand, da bittere Armut – und das dauerhaft. Das riecht nach Sklaverei. So deuten Genforscher und Archäologen die Funde, die man in 4000 Jahre alten Gräbern an der Lech gemacht hat. Ein schweres Los hatte wohl auch die Frau.

Von Joachim Müller-Jung

Herrschten im Süden Deutschlands – und womöglich darüber hinaus – lange vor der Beginn der Antike griechische oder römische Verhältnisse? Zumindest was Hierarchien, Besitzverhältnisse, Familienstrukturen und den Heiratsmarkt angeht, könnte da was dran sein. So jedenfalls interpretiert ein großes deutsches Forschungsteam von Genetikern und Archäologen seine jüngsten Ergebnisse, die auf zwanzig Jahre alte Ausgrabungen von Bronze- und Jungsteinzeitfunden im Lechtal südlich von Augsburg fußen.

Die Archäogenetiker haben die DNA aus den sterblichen Überresten von 104 Menschen untersucht, Isotopenanalysen von Zähnen vorgenommen und die reichen Grabbeigaben eingeordnet, die zum großen Teil der Glockenbecherkultur zuzuordnen sind.

Das Bild, das sich daraus ergibt und in einer Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin „Science“ skizziert wurde, deutet auf ausgeprägte soziale Ungleichheiten schon vor 3300 bis 4700 Jahren hin. Die Forscher sprechen von wohlhabenden Kernfamilien wie im klassischen Griechenland oder im römischen Reich und in ihrer Publikation von deren „Sklaven“ – wobei man da natürlich angesichts der Untersuchungsgegenstände nicht ganz sicher sein kann: „Wir können leider nicht sagen, ob es sich bei diesen Individuen um Knechte und Mägde oder vielleicht sogar eine Art von Sklaven gehandelt hat", sagt Alissa Mittnik vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Sie ist Erstautorin dieser aufsehenerregenden Studie, tatsächlich aber haben viele Wissenschaftler an dem archäologisch-naturwissenschaftlichen Projekt an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mitgewirkt. So waren etwa Philipp Stockhammer von der LMU in München und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte sowie Forscher der Universität Tübingen an der Leitung beteiligt.

Kelche der Glockenbecherkultur und Kupferäxte

Zum ersten Mal hat man mit den archäogenetischen Befunden in Südbayern zeigen können, dass extreme soziale Ungleichheiten unter einem Dach schon lange vor der Antike verbreitet waren – nämlich mindestens 1500 Jahre vor den Römern.


Original (links) und rekonstruierte (rechts) verzierte Kupferscheibe aus einem hochrangingen Frauengrab aus Kleinaitingen.
Original (links) und rekonstruierte (rechts) verzierte Kupferscheibe aus einem hochrangingen Frauengrab aus Kleinaitingen.

Die Gegend um Augsburg war seinerzeit in der Jungsteinzeit und Bronzezeit durchaus dicht besiedelt. Auch die Reichendichte war offensichtlich enorm. In den herrschaftlichen Gruften entlang der Lech jedenfalls wurden zahlreiche Kelche der Glockenbecherkultur geborgen, außerdem Kupferäxte, -dolche bei den Männern und wertvoller Kopf- und Haarschmuck bei den Frauen. Interessant war insbesondere die Analyse der sterblichen Überreste, und hier besonders des Y-Chromosoms, das nur bei Männern zu finden ist.

Die umfangreichen DNA-Untersuchungen zeigen, dass die Männer in jedem herrschaftlichen Haushalt quasi eine Linie bildeten. Sie vererbten ihren Reichtum über viele Generationen. Mindestens über 700 Jahre, so die Forscher, seien die sozialen Strukturen in der Gegen stabil gewesen. Und sogar noch heute findet sich die Y-Chromosomenvariante aus jener Zeit in Südbayern.

Die bronzezeitliche Dame des Hauses hingegen war jeweils nicht aus derselben Gegend. Genetische Verbindungen fand man Hunderte von Kilometern entfernt im heutigen Tschechien. Da außerdem keine leiblichen Töchter in den Familiengräbern gefunden wurden, glauben die Forscher, dass die Töchter seinerzeit fern der Heimat verheiratet wurden – dass sie das reiche Elternhaus verließen und nicht etwa wie viele der jungen Männer später wieder zurückkehrten. Auskunft über solche Abwesenheiten hat man aus den Strontiumisotopen-Analysen von Zahnmaterial  bekommen. Die Isotopenzusammensetzung gibt vor allem Hinweise darüber, ob die Menschen das gleiche Trinkwasser getrunken hatten.

Für die armen und auch genetisch unverwandten „Hausdiener“, die auf dem Grundstück begraben wurden, gab es anders als für die Herrschaften wenig mit: In ihren Gräbern wurden keinerlei Beigaben gefunden. 


Nota. - Nahe liegt die Vorstellung, dass eine Differenzierung zwischen arm und reich zunächst zwischen den einzelnen Hauswirtschaften aufgetreten ist und es also räumlich getrennte Armen- und Reichen-Höfe gegeben habe. Hier nun findet man den Unterschied zwischen Armen und Reichen innerhalb der Hauswirtschaften, aber nicht in der engeren Verwandtschaftsgruppe, die wir heute als "Familie" auffassen; sondern zwischen blutsver- wandter Männergruppe und ihren von fern zugezogenen Frauen hier und nicht blutsverwandtem Gesinde da.

Überraschend mag sein, dass sich das hier so viel früher als bei Römern und Grieden vorfindet. Aber originär kann es darum kaum sein, es wird eine längere Zeit zunehmender Scheidung von wohlhabenden und armseligen Höfen vorangegangen sein, die mit der Auflösung der armen Haushalte und dem Unterkommen ihrer Angehöri- gen als Dienstleute in den Höfen der Reichen geendet hat.
JE

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