Freitag, 26. März 2021

Haltet den Dieb!

spd-roedermark
aus FAZ.NET, 26. 3. 2021
 
Dummheit bis zur Durchimpfung
Eine freiere Debatte über die Pandemiepolitik fordern vielgefragte Autoren von Meinungsartikeln in einem Manifest. Unfrei fühlen sie sich, weil ihre Kritik auf Kritik stößt. Das ist lächerlich. 

von Patrick Bahners

Es fehlt an Impfdosen und Schnelltests, an Schulungsterminen für Hausärzte und Software für Terminverteilung, an Verdienstmöglichkeiten für Künstler und am Schutz vor Ansteckung im Altersheim, an Routine im Schulunterricht und am Mut zur Durchbrechung der Routine im föderalistischen Mehrebenensystem, an Wissen über die Eigenschaften der allerjüngsten Variante des Virus und an Geduld. An alldem fehlt es am Anfang des zweiten Jahres der Covid-19-Pandemie in Deutschland. Und woran fehlt es noch, was fehlt in dieser Liste der Fehlanzeigen?

Es fehlt an Kritik: Das ist die These eines Textes, den die „Welt“ als „Das Manifest der offe-nen Gesellschaft“ gedruckt hat. „Die Intellektuellen Markus Gabriel, Ulrike Guérot, Jürgen Overhoff, Hedwig Richter und René Schlott fordern eine freiere Debatte über die Corona-Politik – und haben Prominente aus Wissenschaft, Politik und Kultur als Unterstützer ge-wonnen.“ Die Debatte ist also nicht frei genug. Wie wollen die „Intellektuellen – vier Pro-fessoren und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter – das belegen? Wurden rechtliche Beschrän-kungen der Debattierfreiheit verhängt? Nein, Artikel 5 des Grundgesetzes ist nicht gemeint, wenn der erste und mutmaßlich prominenteste der Unterstützer, deren Bekenntnisse das Manifest rahmen, der Schauspieler Jan Josef Liefers, schreibt: „Um Grundrechte dermaßen lange auszusetzen, bedarf es erstklassiger Gründe, die immer wieder der öffentlichen Gegen-rede ausgesetzt werden und ihr standhalten müssen. ..."

 

In der Tat ist das lächerlich. Es würden "Grundrechte ausgesetzt", und zwar "lange", doch um welches Grundrecht es sich im jeweiligen Fall handelt, ist nicht zu erfahren. Mein Grundrecht auf Freizügigkeit im Geltungsbereich unserer Verfassung wird nicht ausgesetzt, wenn die Ampel auf Rot schaltet, sondern lediglich eingeschränkt - und warum? Weil das Überqueren der Straße in dem Moment lebensgefährlich wäre, und zwar nicht nur für mich. Das sei ja nicht "lange", mag J.J. Liefers einwenden, sondern nur ein paar Sekunden - aber rund um die Uhr immer, immer wieder... 

Das könne man gar nicht vergleichen? Verfassungsjuristisch vielleicht nicht, aber politisch schon. Wahlen werden nicht ausgesetzt, Parteien werden nicht verboten, auch Versammlungen werden nicht untersagt, sondern unter Auflagen gestellt: Abstand, Mund- und Nasenschutz usw.. Man kann nicht einmal behaupten, das sei unverhältnismäßig. Ob deren Durchsetzung durch die Polizei jeweils verhältnismäßig war, wird man j eweils im Einzelfall diskutieren können. Ja eben, können! Eine Zensur findet nicht statt, steht im GG, und eine Änderung wurde bisher nicht vorgeschlagen, keiner der Unterzeichner behauptet, man habe ihm den Mund verboten - ihr Manifest bewiese das Gegenteil.

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So, jetzt reichts aber. Ich habe so getan, als hätte ichs ernstgemeint. Ich habe sie, und das ists, was sie wurmt, nicht einmal ernst genommen.

Dieses Manifest hätte nämlich, Wort für Wort, von den Herren Drosten, Lauterbach, Wieler, Kretschmann, Spahn und Söder und selbst von der Frau Merkel unterschrieben werden können - und die wären sogar glaubwürdiger! Und warum dies? Weil die ja in Vorleistung sind. Was sie meinen, ist offenkundig, denn sie müssen es ja tun. Die Kritik hats leicht: Es ist alles zu wenig, zu spät, zu unübersichtlich - und vor allen Dingen alles zu unsicher.

Dass es unsicher ist, liegt in der Natur der Sache, alles andere wäre je im Einzelnen zu prüfen und gegebenenfalls... na ja: zurückzunehmen, und sei's mit Entschuldigungsfloskeln; und so geschieht es. Hat einer der Manifestanten einen Verbesserungsvorschlag vorgetragen, der ungeprüft in den Wind geschlagen wurde? Dann hätte er es an die Öffentlichkeit tragen können/sollen/müssen; Zugang zu den Medien haben sie ja offenkundig.

Doch da liegt der Hase im Pfeffer: Im Konkreten kommt die Kritik nicht an die große Glocke, wohin sie auch nicht gehört, sondern nur, wenn sie pauschal vorgetragen wird: "die ganze Richtung..." Und da geschieht die Ungleichgewichtung: Die handelnd Verantwortlichen könnten sich immer nur en détail rechtfertigen, das kommt nicht an die große Glocke, die große Glocke läutet: alles zu kleinteilig, alles nur von der Hand in den Mund, es fehlt die große Linie, es fehlt ein gesamtgesellschaftliches Projekt! Doch was das sein könnte, sagt uns keiner.

Es  geht alles unter im Krakeel - jedenfalls in den Medien. Wenn die Manifestanten meinen, dort kämen sie nicht zu Worte, ist das nicht nur, wie Patrick Bahners schreibt, lächerlich, sondern unverschämt.

Dazu schrieb gestern der Tagesspiegel:

"Einem platzt ... der Kragen: Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Er wettert gegen die „Häme und Schärfe“, gegen „eine Unkultur in diesem Land“, jegliche Fehler würden als Skandal oder Versagen mit Vorsatz dargestellt. „Wo sind wir denn?“ Dann übernehme irgendwann niemand mehr Verantwortung für Fehler. „Das Gift der Wut sickert ein.“ Das Gift sei am Ende viel schlimmer als das Virus."

Der hätte natürlich auch unterschreiben können.

 

 

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