Als die Süddeutsche das CDU-Papier zum Neustaat leakte, habe ich mich beeilt, es weiterzuver-breiten, um das Beste draus zu machen. Aber sie haben es bis heute nicht offizialisiert. Dieses Interview ist löblich, erweist sich aber befürchtungsgemäß als eine halbe Sache:
aus FAZ.NET, 19. 6. 2021
Herr Brinkhaus, Sie sind der erste CDU-Politiker, der eine Revolution gefordert hat. Was war der Auslöser?
Die Idee eines Zukunftsprojekts Staatsreform gibt es in der Fraktion schon seit mehreren Jahren. Meine Kollegen Nadine Schön und Thomas Heilmann haben dann dafür den Begriff „Neustaat“ geprägt. Fahrt aufgenommen hat das Projekt in der Pandemie. Zum Beispiel durch die Situation in den Altenheimen. Wir hatten dort im Dezember und Januar erschreckend hohe Todeszahlen. Als wir gegensteuern wollten, ist mir klar geworden, wie wir uns verhakt haben in den Zuständigkeiten, Abgrenzungen und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Und ich glaube jedem von uns fallen da noch ähnliche Situationen ein. Und für jedes politische Thema braucht es ein Momentum. Für das Projekt „Neustaat“ ist dieses Momentum jetzt da. Nach der Pandemie können wir uns nicht wieder in die Komfortzone zurückziehen.
Ist der neue Staat ein Staat in ständiger Bereitschaft für den Notstand?
Nein, das Projekt geht weit darüber hinaus und soll insgesamt behördliche Verfahren beschleunigen und auch Regierungshandeln effizienter machen. Aber ein ganz wichtiger Bereich ist natürlich auch, besser für Katastrophen gewappnet zu sein. Wir werden voraussichtlich eine höhere Frequenz von Krisenfällen haben als in den vergangenen 75 Jahren. Wir haben das riesige Glück gehabt, dass wir in diesen 75 Jahren keine solche grundlegende Krise wie die Corona-Pandemie erlebt haben. Die Corona-Pandemie haben wir bis jetzt mit einigen Ausnahmen ordentlich gemanagt. Aber was, wenn uns Ebola, ein Cyber-Angriff oder ein Zusammenbruch der Wasserversorgung getroffen hätte? Deshalb müssen wir unseren Staat auch für solche Fälle von Grund auf neu aufstellen. Das gilt im Übrigen nicht für den regionalen Katastrophenschutz. Wenn Sie einen Kreisbrandmeister nachts um 2 Uhr aus dem Bett holen, dann weiß der ohne Nachdenken, was im Katastrophenfall zu tun ist. Dann gibt es sofort den Krisenstab und für jeden Beteiligten eine klare Richtung. Wo war der Bund-Länder-Krisenstab, der die Richtung vorgab bei der Pandemie? Die Handhabung einer Krise muss für uns Routine werden, muss ständig geübt werden. Nur so schafft man Resilienz. ...
Im Positionspapier Ihrer Fraktion wird die „verknotete Zusammenarbeit“ der staatlichen Ebenen kritisiert. Wie entsteht der Knoten?
Der Knoten entsteht entlang der Frage: Wer ist für was verantwortlich? Nehmen wir ein Beispiel außerhalb des Katastrophenfalls: Wer ist für Kitas verantwortlich? Das Land spielt eine Rolle, die kommunale Ebene, private Träger, aber auch der Bund ist beteiligt. Der Bund zahlt Zuschüsse, die vom Land dann wiederum an die Kommunen weitergegeben werden. Wenn in diesem Geflecht etwas nicht funktioniert, wer wird dann verantwortlich gemacht? Dann zeigt im Zweifel jeder auf den anderen.
Wie wollen Sie diesen Knoten durchhauen?
Wir müssen die Dinge wieder besser abgrenzen. Jede Ebene bekommt ihre klare Zuständigkeit. Und jede Ebene bekommt auch die entsprechende Finanzausstattung. Im Idealfall macht man eine Inventur, und dann wird gesagt: Dies sind die Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, und dies sind die Haushaltsmittel, die wir dafür zur Verfügung haben. Gegenstand einer Inventur wäre natürlich auch, festzustellen, welche Aufgaben der Staat gar nicht haben muss. In der Pandemie wurden die Aufgaben des Staates sehr weit ausgedehnt. Das müssen wir jetzt wieder zurückdrehen.
Versuche, den Knoten aufzulösen, hat es schon oft gegeben. Es hat insgesamt drei Föderalismusreformen gegeben. Eine davon hat sich fast nur mit Aufgabenteilung und Zuständigkeiten beschäftigt. Teilweise wurden die Beschlüsse aber zurückgedreht. Warum?
Das liegt an zwei Dingen. Bundespolitiker sagen gerne: Wenn im Land irgendwo etwas schiefläuft, dann können wir uns ja nicht einfach hinstellen und sagen, dafür seien die Länder zuständig. Das halte ich aber für einen falschen Ansatz. Und das Zweite ist eine gewisse Übergriffigkeit des Bundes. Wir haben durchaus Bundesministerien, die sich in Länderangelegenheiten einmischen, weil sie dadurch ihre eigene Relevanz erhöhen. Wir müssen als Bund dann sagen: Das machen wir nicht, da haben wir nichts mit zu tun. ...
Im Koalitionsvertrag steht der oft zitierte Satz: Wer bestellt, der bezahlt. Das führt doch gerade zu der Übergriffigkeit, die Sie beklagen: Man muss nur bestellen, wer dann bezahlt, sieht man später. ...
Es ist jedenfalls schon seltsam, dass der Gesamtstaat erst Steuern einnimmt, diese Steuern zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufteilt, und der Bund dann wieder einen Teil seines Geldes an die Länder weiterreicht für Projekte, die er in irgendeiner Art und Weise bestellt hat oder von denen er meint, dass man den Ländern unter die Arme greifen muss. Das endet damit, dass sich Behörden damit beschäftigen, wie untereinander Geld beantragt, überwiesen, zurückgezahlt wird oder „kleben“ bleibt, ohne dass es an die richtige Stelle gelangt. Das ist pure Selbstbeschäftigung.
Die Fraktion spricht sich dafür aus, mehr Gesetzgebungszuständigkeit für Steuern an die Länder zu geben. Da sind Sie einer Revolution schon sehr nahe.
Hier einmal nur grob ein Gedanke skizziert: Wir könnten Schluss machen mit den Gemeinschaftssteuern. Stattdessen würde jede Ebene ihre eigene Steuerhoheit haben. Damit müssten sie aber auch klarkommen. Der Bund bekäme nach einem solchen Modell zum Beispiel die Einkommensteuer, weil die volatiler von den Einnahmen her ist. Der Bund kann sich das eher leisten, weil die Schuldenbremse bei ihm größere Spielräume zulässt. Die Länder bekämen dann die Umsatzsteuer, und auch für die Kommunen müsste eine stabile Einnahmequelle gefunden werden. Die Kommunen haben ja jetzt unter anderen die Gewerbesteuer, die sehr konjunkturabhängig ist, das heißt, die Steuer mit einer hohen Schwankung geht an die Ebene, die am wenigsten flexibel dafür ist.
Das Grundgesetz hat das Problem ja erkannt. Aufgaben sind dort klar zugeteilt, und wenn sie sich ändern, muss die Umsatzsteuer angepasst werden. Taugt die Regelung nicht?
Die Finanzkraft
des Bundes ist gegenüber den Ländern und Kommunen in den vergangenen
Jahren extrem geschrumpft, weil der Bund zur Finanzierung bestimmter
neuer Aufgaben schrittweise immer noch mehr Umsatzsteuerpunkte an die
Länder abgegeben hat. Kein Mensch weiß mehr, wer wann für was welche
Umsatzsteuerpunkte bekommen hat, ob die entsprechenden Aufgaben
überhaupt noch erfüllt werden und wie viel sie tatsächlich kosten. ...
Revolutionär muten auch die Gedanken der Fraktion zu den Bundesministerien an. Das Ressortprinzip der Ministerien wird als Hemmnis bezeichnet. Warum?
Manchmal habe ich das Gefühl: Ein Minister, der aus Haushaltsverhandlungen kommt und keine Erhöhung seines Etats durchgesetzt hat, der gilt in seinem eigenen Haus nichts. Und da ist es auch völlig egal, ob Aufgaben weggefallen sind oder nicht. Dasselbe gilt für das Personal. Mehr Personal ist gleichbedeutend mit einem starken Minister, weniger Personal gleichbedeutend mit einem schwachen Minister. Das ist das Ergebnis von Verwaltungsdenken in den Kategorien von Stellen, Budgets und Gebäuden. Viel wichtiger ist aber doch eigentlich, inwieweit die Arbeit oder der Prozess erfolgreich ist. Das muss der Erfolgsmaßstab sein. Dafür müssen wir bereit sein, Silos aufzubrechen, Abteilungen auch einmal ressortübergreifend zusammenzulegen, in Projekten und nicht in Hierarchien zu denken, damit die Regierungsarbeit besser, effektiver und erfolgsorientierter wird.
Auch das Bundeskanzleramt wird größer und größer. Sie wollen es durch ein schlagkräftiges Ministerium noch ergänzen, eine Art Transformationsministerium. Oder soll es Digitalministerium heißen?
Digital ist ja nur ein Synonym. Wir wollen Verwaltungsprozesse verändern. Da ist die Digitalisierung der Hebel. Der Digitalminister wäre außerdem ohne Wirkungsmacht, wenn er nicht die nötigen Durchgriffsrechte hätte. Was nützt es, wenn wir ein Digitalministerium einführen, der Minister aber gegenüber dem Innenminister, dem Finanzminister und dem Verkehrsminister nicht anordnen kann, Rechenzentren zusammenlegen, Datenbestände gemeinsam zu nutzen oder Schnittstellen zu vereinheitlichen. Digitalisierung ist nicht nur IT, ist nicht nur die Umwandlung der analogen Welt in eine digitale Welt, Digitalisierung bedeutet eine grundlegende Transformation der gesamten Prozesse. Und vor dem Hintergrund ist der Titel Transformationsministerium schon richtig. Es geht um eine Transformation des Regierungshandelns. ...
Nota. - Nach der vollmundigen Ankündigung ist das ernüchternd. Es geht eben nicht bloß um eine Verwaltungs reform, sondern darum, die Wurzeln ewiger bürokratischer Selbsterzeugung in der Zivilgesllschaft abzuschneiden. Und also geht es nicht bloß um eine Transformation des Regierungshandelnd, sondern um eine Transformierung des gesamtgesellschaftlichen Repro-duktionsprozesses. Eine richtiger Revolution, ja. Es fällt mir schwer, eine solche vorzustellen ohne die entscheidenden revolutionären Akte.
Ginge es nur um Verwaltungsreform, dann wäre es schon richtig, sich wie Brinkhaus hier im Interview an erster Stelle an der Konkurrenz der politischen Ebenen im deutschen Föderalis-mus festzuhaken. Es ist aber auch die höchste Ebene, auf der man sich eine Revolution in Ge-stalt einer graduellen Verwaltungsreform ausmalen kann. Und es ist sicher auch das Nonplus-ultra, das sich ein Vorsitzender der größten Regierungsfraktion abringen kann. Aber das ist eben die Baustelle: Einen revolutionären Bruch in der Wirklichkeit wird es nicht geben, bevor es ihn nicht in den Vorstellungen gegeben hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen