Samstag, 12. Oktober 2013

Eine jüdische Sekte wird zur Staatsreligion.

aus NZZ, 9. 10. 2013                                                                                      Kreuzigung Jesu, Tor Sta. Sabina Rom, Anf. 5. Jhdt.


Eine jüdische Sekte wird zur Staatsreligion
Werner Dahlheim schildert die Geschichte des Römischen Reiches am Leitfaden der Ausbreitung des Christentums
 


von Stefan Rebenich · Dies ist ein grosses Buch. Glänzend geschrieben. Spannend zu lesen. Und der Verfasser hält mehr, als der Titel verspricht: Werner Dahlheim beschreibt keineswegs nur «Die Welt zur Zeit Jesu», sondern er gibt eine eindrückliche Darstellung der Geschichte des Römischen Reiches von der Zeitenwende bis in die Spätantike. Der rote Faden ist die Ausbreitung des Christentums, das als jüdische Sekte in Palästina begann, drei Jahrhunderte lang vom römischen Staat Toleranz einforderte und im vierten nachchristlichen Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben wurde - und den Glauben an den dreieinigen Gott nun unbarmherzig mithilfe der Obrigkeit durchsetzte.

Eine Bewegung und ihr Weg

Die Themen sind breit gesteckt, die Synthese der weitverzweigten Forschung ist beeindruckend. Hier die administrative Struktur des Grossreiches und die Herrschaftspraxis des römischen Prinzeps, dort die alltäglichen Freuden des kleinen Mannes und die ästhetischen Genüsse der gebildeten Elite. Politik und Gesellschaft, Militär und Verwaltung, Religion und Philosophie, Literatur und Kunst finden zusammen, und sicher geleitet Werner Dahlheim den Leser durch den «orbis terrarum», der zu Jesu Zeit schon zum «orbis Romanus» geworden war. Die römische Ordnungsmacht sorgte für die innere und äussere Stabilität, die den Aufstieg und die Mission des Christentums begünstigte. 

Werner Dahlheim: Die Welt zur Zeit Jesu.  
C. H. Beck, München 2013. 428 S., Fr. 39.90. 

Die Bewegung, die sich auf den gekreuzigten Jesus von Nazareth zurückführte, an dessen Auferstehung glaubte und in ihm den im Alten Testament verheissenen «Messias» oder «Gesalbten» Gottes (griechisch «Christós») erkannte, nahm ihren Ausgang in Jerusalem und breitete sich mittels Missionaren zunächst in den Städten der östlichen Mittelmeerküste aus. In Alexandria tauchte der Name «Christen» als Fremdbezeichnung für die Anhänger Jesu auf. Die endzeitlichen Prophetien erreichten in den Synagogen der Diaspora hellenistisch geprägte Juden. Aber der Erfolg des neuen Glaubens ging, wie Dahlheim eindrücklich beschreibt, mit der Loslösung vom Judentum einher. In Antiochien wurde zum ersten Mal das Evangelium den Heiden gepredigt. Die Universali- sierung der Heilsbotschaft ist Paulus zu verdanken, einem Repräsentanten des pharisäischen Judentums aus Tarsus in Kilikien, der Jesus als Messias und Gottes Sohn erkannt haben wollte. Paulus nahm den Missionsauftrag Jesu an und führte auf seinen Reisen Nichtjuden zum Glauben an den Auferstandenen. Er initiierte einen Prozess, der letztlich zur Trennung von Synagoge und Kirche führte. Die Christen, die an jüdischen Gebräuchen und Gesetzesvorschriften festhielten, wurden bald als «heterodox» stigmatisiert und später verfolgt.


Das Christentum fand zunächst in den Städten seine Anhänger. Die Christianisierung des flachen Landes schritt sehr langsam voran und war in manchen Gebieten auch in der Spätantike noch nicht abgeschlossen. Die geografischen Zentren des frühen Christentums waren die östlichen Provinzen des Römischen Reiches. Hinzu kamen Nordafrika, Südspanien, das Rhonetal sowie Teile Italiens und besonders Rom. Dagegen gab es auch im zweiten und dritten Jahrhundert Regionen, in denen die Botschaft des Evangeliums gar nicht oder nur wenig verkündet wurde, insbesondere in den Donauprovinzen, im nördlichen Gallien, in Germanien und in Britannien.

Die blutigen Christenverfolgungen interessieren Dahlheim weniger. Vielmehr beschreibt er die Vielfalt der christlichen Gemeinden, die Entstehung der christlichen Bibel, die Genese der christlichen Theologie, die Organisation des Gemeindelebens, die Auseinandersetzung mit Nichtchristen und die Inkulturation des griechisch-römischen Erbes. Ausführlich behandelt der Althistoriker die christliche Überlieferung, die Texte der Missionsprediger, die Briefe des Paulus, die Evangelien und die Anfänge der christlichen Historiografie, aber auch die Welt der Wunder, der Magie und der Märchen, die sich im christlichen Roman findet.

Die rasche Ausbreitung der ursprünglich jüdischen Splittergruppe war keiner geplanten Strategie geschuldet und konnte sich zunächst nicht auf eine feste Organisation stützen. Faszinierend bleibt die Frage, weshalb der Glaube an den Gekreuzigten siegreich war. Generationen von Gelehrten haben sich an ihr abgearbeitet. Die Antworten sind Legion. Werner Dahlheim kennt sie alle. Jede auf Providenz abstellende Interpretation ist ihm fremd. Das Wirken des Heiligen Geistes sucht man in seinem Buch vergebens. Dahlheim nennt als wichtige Faktoren die christliche Ethik, das sozial-caritative Engagement, das Vorbild der Märtyrer. Er beschreibt, wie die christliche Glaubenstradition schriftlich fixiert und eine eigene Überlieferung konstituiert wurde; in einem langwierigen und schwierigen Prozess der Kanonbildung und in endlosen innerchristlichen Diskussionen* um zentrale theologische Aussagen gewann die christliche Lehre ein eigenes, unverwechselbares Profil.

Literarischer Genuss

Dahlheim verweist schliesslich auf die Wirkung der christlichen Botschaft, insbesondere auf «die Hoffnung auf Erlösung für jeden, ob arm oder reich, und das Versprechen, Vergebung für die in einem harten Leben gehäufte Schuld zu finden». Die christliche Nächstenliebe zeigte nicht zuletzt deshalb Wirkung, weil sie die desintegrativen Folgen sozialer Verwerfungen zumindest teilweise zu kompensieren vermochte. Zugleich relativierte die durch den Glauben vermittelte Gewissheit, eine bessere Zukunft in einer jenseitigen Welt zu finden, die diesseitige Not zahlreicher Menschen, die am Rande der Gesellschaft eine kärgliche Existenz fristeten.

Gewiss wird man Werner Dahlheim nicht überall folgen. Der erste christlich getaufte Kaiser Konstantin liess sich 337 sicherlich nicht als dreizehnter Apostel in seinem Mausoleum zu Konstantinopel bestatten, sondern vielmehr als christusgleicher Imperator, der sich nach antiker Tradition mit seinem siegbringenden Schutzgott identifizierte und den Platz inmitten der zwölf Apostelfürsten beanspruchte. Dem intellektuellen Gewinn und dem literarischen Genuss tut solche Widerrede keinen Abbruch. Der umfassend gebildete Historiker und der an Luthers Deutsch geschulte Autor beherrscht seinen Gegenstand und seine Sprache viel zu gut, als dass auch nur auf einer Seite Verdruss oder Langeweile aufkommen könnten.


*) Endlos - darauf kommt es an! Nämlich auf jede erreichte Stufe folgte unweigerlich die nächst höhere. Die christliche Theologie ist ein Diskurs, und dessen Träger ist das sakrale Priestertum. Ohne dies wären die christologischen Debatten der ersten Jahrhunderte Spielereien von Liebhabern gewesen, die für niemanden verbindlich waren. Aber die jüdische Splittergruppe war, durch den Anschluss an den Messias-Glauben, zur Kirche geworden. Das machte ihre Dynamik aus.
J.E.


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