Mittwoch, 9. Oktober 2013

Im Netzdusel.

aus NZZ, 5. 10. 2013                                                                                                     nach Dietmar Meinert, pixelio.de


Ein Netzstürmer
Evgeny Morozov über die «smarte neue Welt» der digitalen Technik. 

Von Eduard Kaeser

Wäre Polemik eine sportliche Disziplin, Evgeny Morozov gehörte zweifellos in die Spitzenklasse. Im zeitgenössischen Internet-Kommentarwesen hat er sich als zorniger junger Mann etabliert - «Troll» nennt man den Typus im Jargon. Er sucht die Auseinandersetzung mit nahezu allen Autoren, die über das Netz schreiben. Durch ihre Reaktion gewinnt er selber an Aufmerksamkeit und rezykliert somit seine Polemik. Morozov kritisiert eine ganz bestimmte Technikideologie. Und diese Ideologie basiert für ihn auf zwei Pfeilern: «Internet-Zentrismus» und «Solutionismus».

  • Evgeny Morozov: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. Aus dem Amerikanischen von Ursel Schäfer und Henning Dedekind. Blessing, München 2013. 656 S., Fr. 37.90.

Beide Einstellungen sind nicht neu. Bei der ersten handelt es sich um eine besondere Version von Technik-Zentrismus, eine Auffassung, welche Technik als eigenständiges Agens betrachtet: Alles wird angetrieben von ihr, und der Mensch ist passives Anhängsel oder gar determiniert durch sie. Solutionismus reduziert alle Probleme auf technische, d. h. auf klar definierbare, einer eindeutigen Lösung zuführbare.

Heute ist dies die grosse und tückische Verheissung: Alles ist sofort und in Fülle zu haben, ohne eigene Anstrengung und Mühe, einfach auf Klick. Solutionismus heisst Vertauschung von Problem und Lösung: Früher hatte man ein Problem, und man löste es mit einer technischen Erfindung; nun hat man eine technische Erfindung, und man preist sie als Lösung für Probleme an, von denen man noch gar nicht weiss, welcher Art und Komplexität sie sind.

Ad absurdum

Das neue Buch Morozovs enthält hochdosierte, instruktive und stellenweise höchst amüsante Kritik vorherrschender Tendenzen des digitalisierten Lebens. Es führt uns im Zickzack durch eine Überfülle an - zum Teil wirklich hanebüchenen - Beispielen, wobei man oft den Eindruck erhält, dass weniger mehr gewesen wäre. Morozov ist ein Meister des Ad-absurdum-Führens: Er macht an einem Fallbeispiel einen Trend sichtbar und verfolgt ihn rasant bis zum schlimmstmöglichen Ende. Zum Beispiel führt in einer Gesellschaft von Smartphone-Trägern die grassierende Praxis des Alles-allen-Mitteilens dazu, dass schliesslich die Verweigerer verdächtig werden: Verbergen sie womöglich etwas? - Massenmörder wie James Holmes oder Anders Breivik hatten kein Facebook-Konto . . . - Solche dystopischen Szenarien mögen durchaus eine Warnfunktion ausüben, sie zeigen aber auch das Grundproblem des Buches: Morozov möchte jeweils schnell zum Ziel kommen, zur Zerstörung der Ideologiepfeiler des Internets. Übertreibungen und Ausblendungen gehören zur Strategie. Und wenn die Pfeiler einmal zertrümmert am Boden liegen, was dann?

Morozovs Vorstellung einer wünschenswerten Technologie ist inspiriert von freakigen Tüfteleien, von sogenannten erratischen oder «nutzerunfreundlichen» Haushaltsapparaten, die - in pädagogischer Absicht - den Dienst versagen, wenn der Energieverbrauch zu hoch ist: Das Radio wechselt automatisch den Sender, wenn es zu lange im Betrieb ist; das Verlängerungskabel beginnt sich konvulsivisch zu winden, wenn es zu viele Geräte im Stand-by-Modus ans Stromnetz anschliesst. - Aber kauft der Technikkonsument Haushaltgeräte, die ihn derart aus seinen Gewohnheiten schrecken? Wer denkt schon über die ökopolitischen Bedingungen der Elektrizitätsproduktion nach, wenn der TV-Krimi an dramatischer Stelle «didaktisch» unterbrochen wird? Ironischerweise fällt auch Morozov seinerseits in das solutionistische Muster zurück, vor dem er uns ein Buch lang gewarnt hat. Der Verdacht beschleicht ihn selber ganz am Ende, wenn er seinen Vorschlag «selbstreflektierenden» oder sogar «neurotischen» Solutionismus nennt.

Diskurs und Kreuzzug

Wer das Buch gelesen hat, wird den Versprechungen des Internets mit der gebührenden Vorsicht begegnen. Morozov verdirbt jedoch seine Argumentation dadurch, dass er seinen Blick nicht vom Gegner lösen kann, auf dem er herumhackt. Verheissungsvoll spricht er von einer «anderen Art des Denkens und Gesprächs», die «technisch gebildet und historisch gut unterrichtet ist, auf die Details achtet, die ökonomischen und juristischen Randbedingungen mit bedenkt». Dieses Gespräch findet in der Tat schon seit geraumer Zeit statt - Evgeny Morozovs Referenzenliste reicht von Friedrich Nietzsche über Hans Jonas bis Jane Jacobs. Dass die Stichhaltigkeit seiner Argumente sich grösstenteils diesem Gespräch verdankt, scheint er nur peripher wahrzunehmen. - Was eigentlich kaum verwundert. Er führt ja auch keinen Diskurs, sondern einen Kreuzzug.

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