Dienstag, 15. Oktober 2013

Steinzeitliche Ackerbauern mit Migrationshintergrund.

aus scinexx

Mitteleuropäer haben gemischte Ahnen
Wildbeuter und eingewanderte Ackerbauern lebten 2.000 Jahre lang gemeinsam

In Mitteleuropa lebten heimische Jäger und Sammler mehr als 2.000 Jahre lang eng mit eingewanderten Ackerbauern zusammen. Erst vor rund 5.000 Jahren starb die Wildbeuter-Lebensweise dann aus. Unsere direkten Vorfahren aber gingen aus einer Mischung beider Populationen hervor - viele steinzeitliche Bauern bevorzugten offenbar Wildbeuter-Frauen. Das berichten deutsche Forscher in "Science". Sie hatten genetische Analysen von Knochenfunden in einer Höhle in Westfalten durchgeführt, die zwischen 7.500 und 5.000 Jahre alt sind.

Zum Ende der letzten Eiszeit und dem Beginn der heutigen Warmzeit vor etwa 10.000 Jahren lebten in Europa die Nachfahren der ersten anatomisch modernen Menschen. Sie ernährten sich von der Jagd und dem Sammeln wilder Gräser, Früchte und Knollen. Erste Anzeichen einer bäuerlichen, sesshaften Lebensweise in Mitteleuropa sind etwa 7.500 Jahre alt. Frühere Studien zeigten, dass sich diese ersten Bauern nicht aus ortsansässigen Wildbeuter entwickelt haben, sondern Einwanderer waren. Wie aber die bäuerlichen Immigranten und lokalen Jäger und Sammler damals zusammen lebten und wie lange, war bislang kaum erforscht.

Anthropologen der Universität Mainz um Joachim Burger haben nun festgestellt, dass sich die Wildbeuter nicht nur in unmittelbarer Nähe zu Ackerbauern aufhielten. Sie hatten auch über Jahrtausende Kontakt mit ihnen und bestatteten sogar ihre Toten in der gleichen Höhle wie die benachbarten Bauern. Belege für diese friedliche und über mehr als 2.000 Jahre anhaltendende Koexistenz fanden die Forscher bei DNA-Analysen von steinzeitlichen Knochen aus der Blätterhöhle bei Hagen. In ihr wurden sowohl Wildbeuter als auch Bauern bestattet.

"Gemeinhin wird angenommen, dass die mitteleuropäischen Jäger und Sammler recht bald nach der Ankunft der Ackerbauern verschwunden seien", erklärt die Erstautorin der Studie, Ruth Bollongino. Wie sich jetzt zeigt, behielten die Nachfahren der mittelsteinzeitlichen Bauern ihre wildbeuterische Lebensweise aber noch mindestens 2.000 Jahre lang bei und lebten parallel zu den eingewanderten Bauern. Sie ernährten sich dabei offenbar sehr spezialisiert und aßen vorwiegend Fisch, wie Isotopenanalysen der Knochen schließen lassen. "Der Lebensstil der Jäger und Sammler ist in Mitteleuropa also erst nach 5.000 Jahren vor heute ausgestorben", so die Forscherin.

Bauern nahmen sich Wildbeuter-Frauen

Der lange Kontakt zwischen den beiden Gruppen blieb dabei nicht folgenlos - auch das enthüllten die Genanalysen. Demnach müssen ab und zu Jäger-Sammler-Frauen in die Bauerngesellschaften eingeheiratet haben. Umgekehrt allerdings gab es diesen Austausch nicht: Die Frauen der eingewanderten Bauern hinterließen keine Spuren im Erbgut der Jäger und Sammler oder ihrer Nachfahren. "Dieses Heiratsmuster ist aus vielen ethnographischen Studien bekannt. Bauernfrauen empfinden die Einheirat in Wildbeutergruppen als sozialen Abstieg, wohl auch weil die Geburtenrate bei Bauern höher ist", erklärt Joachim Burger.

Auch der Frage, welchen Einfluss beide Gruppen auf den Genpool der heutigen Europäer hatten, ging das Team nach. Dabei zeigte sich: Weder die Jäger und Sammler noch die Ackerbauern waren unsere alleinigen Vorfahren. Stattdessen bildet unsere Ahnenlinie einen Mischmasch, in die beide Populationen mit eingingen. Eine Mischpopulationen aus beiden stelle die potenziell die direkten Vorfahren heutiger Mitteleuropäer dar, erklärt Adam Powell, Mathematiker und Spezialist für demographische Modellierungen von der Universität Mainz. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1245049)

(Universität Mainz, 11.10.2013 - NPO)



aus derStandard.at, 10. Oktober 2013, 20:06

Frühe Migrationen sorgten für genetische Vielfalt
Forscher zeigen, wie frühzeitliche Völkerwanderungen den genetischen Pool in Europa beeinflussten

Washington/Mainz - Analysen von Isotopen und Genmaterial aus mehreren archäologischen Fundstätten in Deutschland werfen ein neues Licht auf genetische Entwicklungen der europäischen Bevölkerung. Eine Forschergruppe um den Mainzer Biologen Guido Brandt legte nun eine Studie darüber vor, wie frühzeitliche Völkerwanderungen den genetischen Pool in Europa beeinflusst haben.

Gemeinsam mit Kollegen aus Halle untersuchten sie die Erbsubstanz von 364 Menschen, die vor rund 7.500 bis 3.500 Jahren in der Mittelelbe-Saale-Region lebten. Die im Fachmagazin "Science" veröffentlichten Daten wiesen in deren DNA genetische Einflüsse von Jägern und Sammlern aus Skandinavien nach. Die Forscher gehen davon aus, dass es einen Austausch mit den mitteleuropäischen Kulturen gab. 

Steinzeitliche Parallelgesellschaften

In einem zweiten Artikel berichten Wissenschafter um die Mainzer Anthropologen Ruth Bollongino und Joachim Burger, dass Jäger und Sammler im steinzeitlichen Mitteleuropa über 2000 Jahre lang mit eingewanderten Ackerbauern zusammenlebten, ehe erstere überraschend spät, nämlich vor 5000 Jahren, verschwanden. Bisher sei man davon ausgegangen, dass die Wildbeuter recht bald nach Ankunft der sesshaften Bauern verschwanden.

"Tatsächlich behielten die Nachfahren der mittelsteinzeitlichen Menschen ihre Lebensweise als Jäger und Sammler zunächst bei", sagte Bollongino vom Institut für Anthropologie der Johannes Gutenberg-Universität. Zum Ende der vergangenen Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren lebten in Europa die Nachfahren der ersten anatomisch modernen Menschen. Sie ernährten sich von der Jagd und dem Sammeln wilder Gräser, Früchte und Knollen. Erste Anzeichen einer bäuerlichen Lebensweise in Mitteleuropa sind etwa 7.500 Jahre alt.

Die Forscher fanden nun Beweise für steinzeitliche Parallelgesellschaften bis vor 5.000 Jahren. Dazu untersuchte sie Knochen von 25 Menschen, die in der westfälischen Blätterhöhle über einen Zeitraum von mehr als 4.000 Jahren bestattet worden waren. Alles deute darauf hin, dass Jäger und Sammler ihre Toten in der gleichen Höhle bestatteten wie Ackerbauern. Wildbeuter-Frauen heirateten bisweilen in die Bauerngesellschaften ein, während jedoch keine genetischen Linien von Bauersfrauen bei Jägern und Sammlern gefunden wurden. "Dieses Heiratsmuster ist bekannt. Bauersfrauen empfanden die Einheirat in Wildbeuter-Gruppen als sozialen Abstieg", erklärte Bollongino. (APA/tasch/red)
 

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