Mittwoch, 19. August 2015

Die totalitäre Versuchung..

aus nzz.ch, 18.8.2015, 05:30 Uhr

Mark Lilla über die Verführbarkeit der Intellektuellen
Ein Wille zur Macht
Dass sich grosse Denker immer wieder Mächtigen angedient haben, die Geschichte als Gericht verstanden, ist ein irritierendes Phänomen. Der Philosoph Mark Lilla greift sechs Fälle scharfsinnig auf.

von Martin Meyer

Über sie handelt Mark Lilla. In einem Buch des deutschen Titels «Der hemmungslose Geist» (im Original: «The Reckless Mind») porträtiert der an der New Yorker Columbia University lehrende Philosoph sechs Männer, deren bemerkenswerter Scharfsinn sie nicht davon abhielt, in der einen oder anderen Form der Tyrannis zu huldigen – sei es linken Diktaturen mit ihrem gespielten Menschheitspathos, sei es Regimen von rechts, hier genauer dem Nationalsozialismus und seinem Wahn von völkischer Auserwähltheit und bizarrem Führerkult.

Anspruch und Wirkung

Lillas Liste liesse sich leicht erweitern. Doch die Auswahl ist repräsentativ und für manche Fälle schlagend, wenn die Kluft vermessen wird, welche zwischen intellektueller Potenz und moralischer Verfehlung läuft. Mit Blick auf Martin Heidegger käme hinzu, dass die jüngsten Veröffentlichungen aus den Archiven dessen Antisemitismus nochmals unter verschärfender Beleuchtung präsentieren. Ähnliche Erfahrungen waren zu vermelden, als Carl Schmitts Tagebuch «Glossarium» im Jahr 1991 publiziert wurde und dessen Verfasser als üblen und wehleidigen Polemiker vorführte.

Interessant ist, dass die Sechsergruppe von teils offenen, teils verdeckten Verwandtschaftsbeziehungen gekennzeichnet ist. Walter Benjamin suchte den Kontakt zu Carl Schmitt und nutzte dessen Lehre von der Souveränität für seine Habilitation über das barocke Trauerspiel. Michel Foucault liess sich von Heideggers Metaphysik-Kritik inspirieren und mehr noch von Nietzsches Theorien zum bürgerlichen Ressentiment. Alexandre Kojève, der russisch-französische Hegel-Interpret, der seine farbige Karriere schliesslich als hoher Staatsbeamter in Paris beschloss, unterhielt – wie übrigens auch der unverdächtige Raymond Aron – eine interessante und intensive Korrespondenz mit Schmitt. Auch Jacques Derrida pflegte sich auf diesen und häufig auf Heidegger zu beziehen, wenn er über Macht, Gewalt, Herrschaft und Politik philosophierte.

Der Antisemitismus als Motor

Der älteren Generation – Heidegger, Schmitt, Kojève – waren die Ursprünge des modernen Totalitarismus schon lebensmässig nahe. Die russische Oktoberrevolution, Mussolinis Marsch auf Rom, in Deutschland der Aufstieg der Nazis – das alles schuf für verführbare Geister einen Humus des Denkens in «starken» Kategorien. Sowohl Heidegger wie Schmitt – und übrigens am Rande sogar Thomas Mann – waren von der «Bewegung» beeindruckt. Der Jurist als Anpasser rechnete mit Hitlers ordnender Diktatur und verrechnete sich dabei bös. Dem Philosophen kam die scheinbare Naturnähe der Nazis mit Boden und arischem Blut im Gegenzug zur kalten Zivilisationsmechanik des neuen Weltbürgertums zupass. Heidegger wurde bald zum überzeugten Mitläufer. Doch der eigentliche Motor ihrer Parteinahme für das Regime wurde für beide ihr Antisemitismus.

Für Schmitt, den «römisch» geprägten Katholiken, waren die Juden nicht nur schuld an vielen Verfehlungen der Gegenwart; sie passten als ewiges Feindbild bestens in die Offenbarungsreligion seines Gottes. Dass die Nazis nicht auf diesem Klavier einer politischen Theologie der allerchristlichsten Wehrhaftigkeit mitspielten, ging dem Professor bald ungemütlich auf. Schon 1936 stand Schmitt auf einer schwarzen Liste der SS. Für Heidegger zieht Lilla dessen Liebesbeziehung zu seiner jungen Schülerin Hannah Arendt heran, um die Agenda der Peinlichkeiten zu erforschen. Dass die spätere Meisterdenkerin politischer Theorie noch bis zuletzt sich echte Elemente der Treue zu ihrem einstigen Angebeteten erhielt, macht die Sache nicht einfacher.

Gängige Lesart war damals auch für Karl Jaspers, den nüchternen Kollegen, es sei eine Art von Verwirrtheit gewesen, die den an sich unpolitischen Heidegger in die Arme der braunen Machthaber getrieben habe. Lilla zitiert eine Fussnote aus Hannah Arendts Schrift «Was ist Existenzphilosophie?», die solchem Tenor entspricht. Heidegger sei seinem unheilbaren Romantizismus ausgeliefert gewesen, schreibt sie, der wiederum einer aus dem Geniewahn und aus der Verzweiflung genährten «Verspieltheit» entsprungen sei. Jaspers wiederum hoffte, den Irregeleiteten nach 1950 therapieren zu können. Zögernd beginnt eine Korrespondenz. Das Resultat ist ernüchternd; Heidegger hat nicht viel, und schon gar nicht Philosophisches, zu bekennen.

Man erkennt die Umwegigkeit – und nicht nur im Fall Heidegger –, mit der operiert wird, um ein Phänomen verstehbar zu machen, das dauerhaft für Irritationen sorgt: hier ein Geist, der bedeutende, jedenfalls vielschichtige Werke hervorgebracht hat; dort dessen Charakter, der elementare Regeln von Vernunft, Menschlichkeit und Mass vermissen lässt. Jaspers erfasste ziemlich richtig, wie Heidegger damals war, nämlich «weltlos, gottlos». Aber damit war kaum zu begreifen, dass «Sein und Zeit» ein Meisterwerk war und bleiben würde.

Heidegger und Schmitt enttäuschten ihre Epoche besonders massiv. Schmitt meinte zur Zeit seiner Parteinahme für die Nazis den «Führer» führen zu können – ein absurdes und von Grössenwahn geprägtes Wunschdenken, das wie ein später Akkord auf Platons Abenteuer in Syrakus klingen muss. Walter Benjamin, Alexandre Kojève und auch Michel Foucault lehnten sich weniger weit in die Öffentlichkeit vor und illustrieren damit, welcher Kopfgeburten des Radikalismus auch eine philosophische Schreibstube fähig ist. Benjamins tragischer Freitod auf der Flucht vor den Häschern der Gestapo am 26. September 1940 in Port Bou zerschnitt alle denkbaren Klärungen in Bezug auf seine «messianische» Theorie. «Erlösung» war ein entscheidender Begriff. Sollte sich diese indessen nach streng marxistischer Doktrin in und mit der Revolution des Proletariats politisch über die Welt ergiessen? Oder hielt es Benjamin doch eher mit einem «Messias», der seinen Gang erst antreten würde, wenn alles hienieden in Ruinen und Katastrophen zusammengebrochen wäre?

Himmel auf Erden

Ein Gegenstück qua Zuversicht schrieb Kojève mit seiner Lehre vom Ende der Geschichte. Auf dem Marsch zum Fernziel einer allseits befreiten Menschheit kam ihm freilich ausgerechnet Josef Stalin entgegen. Der Zyniker und Verbrecher als Diktator und Massenmörder schien für Kojève mit dem Modell des sowjetischen Imperiums bereits eine wesentliche Zwischenstufe erreicht zu haben. Lilla verfehlt nicht, auf einen Wesenszug Kojèves hinzuweisen, der dessen Geschichtsphilosophie allenfalls relativieren könnte: Unter vielen totalitär getriebenen Denkern war er einer der wenigen mit den Eigenschaften Humor und Ironie.

Lillas klug kritische Porträts leuchten nicht alle Ecken aus. Doch sie fassen auf verständliche Weise zusammen, was jene Männer bewegte, erregte und in die Extreme trieb. Selten wollten wir dem amerikanischen Schulmeister und seinem klaren Auge aufgeklärter Vernunft widersprechen. Dass es allerdings häufig spannender und erkenntnisreicher sein kann, sich mit den schweren Jungs statt mit den Sonntagskindern einer fehlerlosen Moral zu beschäftigen, beweist ihr Interpret ja selbst.

Mark Lilla: Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen. Kösel-Verlag, München 2015. S. 223, Fr. 28.90.

Nota. - Da fehlt doch was! Diese Leute wollten den Pelz gewaschen haben, ohne nass zu werden. Eine beschauliche Hängematte zwischen Vita activa und contemplativa: Ratgeber, Prinzenerzieher, graue Eminenz im Halbdunkel, an den Stellschrauben der Macht drehen, aber ohne Verantwortung zu übernehmen... Nichts hintert den Intellektuellen, selber Politiker zu werden, aber da muss er sich kompromittieren, Reservatio mentalis gilt da nicht, man muss sich notfalls selbst die Hände schmutzig machen.

Das 20. Jahrhundert, das war die Epoche der Weltrevolution. Ihr bedeutendster Intellektueller war Leo Trotzki, der hat sich nicht gedrückt, und für die Salons hatte er keine Zeit. Wollten sie das? Doch nur, wenn es nichts kostete. Walter Benjamins 'Messianismus' reichte eben, um Stalin die Stiefel zu lecken, neben vielen, vielen andern. Und einen Trost haben sie sicher: Mit dem Tod sind alle Fährnisse ausgestanden, man hat immer noch die Chance auf eine Ausgabe letzter Hand. Als Intellektueller steht man immerhin post mortem auf dem Podest, soweit hat es Trotzki auch nach fünfundsiebzig Jahren nicht gebracht.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen