Dienstag, 9. April 2019

Sieben Jahrhunderte Osmanisches Reich.

aus nzz.ch, 9.4.2019                                                                                            Blick auf die Neue Moschee und den Bosporus

Alles fing mit Osman an
Die siebenhundert Jahre bis zur modernen Türkei
Das Osmanische Reich prägte die Geschichte des Mittelmeerraums, seit sein erster Sultan die Macht ergriff.
 
von Hans-Albrecht Koch
Dieses Buch ist nicht für den Touristen geschrieben, der seine Türkei-Ferien nur am Badestrand verbringen möchte. Umso mehr Gewinn werden all jene aus ihm ziehen, die als historisch interessierte Besucher des Landes gründlicher über die Zeit unterrichtet sein wollen, bevor Kemal Atatürk aus dem Restterritorium des Osmanischen Reichs ab den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die moderne Türkei zu formen begann – einen Staat, in dem einst auch deutsche Emigranten wie der Berliner Bürgermeister Ernst Reuter vor den Nationalsozialisten Zuflucht fanden.

Der amerikanische Historiker Douglas A. Howard hat die Geschichte des alten Imperiums aufgearbeitet und erzählt vor allem von dessen politischer Entwicklung. Er gliedert den Stoff in sieben Kapitel, die den Jahrhunderten des islamischen Kalenders folgen. Für die Kapitelüberschriften hätte man sich allerdings präzisere Formulierungen gewünscht als so allgemeine Floskeln wie «Eine Sicht auf die Welt», «Unklarheiten und Gewissheiten» oder «Globales und Lokales». Diese kryptischen Überschriften verbergen, welchen Reichtum an vorzüglich aufbereiteter Information die einzelnen Abschnitte darbieten. 

Das Erscheinen Osmans

Für die Periode der «Osmanischen Genese (1300–1397)» im «achten islamischen Jahrhundert» konzentriert sich Howard auf das Erscheinen Osmans, des ersten Sultans der osmanischen Dynastie, das Unglück der Pest, die 1348 wie in europäischen Städten auch in Mosul und Bagdad zuschlug, und auf die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo) im Jahre 1389, an deren für die Osmanen vorteilhaften Ausgang manch wirkmächtige Legende auf serbischer Seite anknüpfte.

Aus den Ereignissen des 9. islamischen Jahrhunderts (1397–1494) hebt Howard die Invasion Timurs und den Aufstand der Derwische hervor. Für das 10. islamische Jahrhundert (1481–1591) steht Sultan Süleyman der Prächtige im Zentrum. Er machte durch seine Eroberungen aus dem Osmanischen Reich eine Grossmacht und geriet als erster Sultan in den lange andauernden schweren Konflikt mit den Habsburgern. Im Inneren stärkte er den «Ersten Haushalt» durch die Verbindung mit seiner Lieblingskonkubine Hürrem, die er in die Freiheit entliess, um sie sogleich als Freie zu seiner Hauptfrau zu nehmen. (Dem Leser hätte es die Orientierung erleichtert, sie auch unter dem in Europa geläufigen Namen als Roxelane einzuführen.)

Das 11. islamische Jahrhundert (1591–1688) war gekennzeichnet von verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen mit Ungarn, Rebellionen im Inneren, verlotterten Finanzen und brutalen dynastischen Morden – Verhältnissen insgesamt, die erst Murad IV. (1623–1640) wieder ordnete. Das Jahrhundert endete mit den Niederlagen Mehmed IV., die dem osmanische Heer 1683 vor Wien der polnische König Johann III. Sobieski und 1687 Eugen von Savoyen bei Mohács beibrachten. Mit weitgespanntem Blick beschreibt Howard für das folgende Jahrhundert die teils handels-, teils territorialpolitischen Interessen der osmanischen Herrscher vom Indischen Ozean bis zum Schwarzmeergebiet. 

Das Ende der Osmanen 

Nicht zur Sprache kommen die späten kriegerischen Auseinandersetzungen der europäischen Mächte mit dem osmanischen Reich, etwa die Schlacht von Peterwardein, die Eugen so sicher nicht hätte gewinnen können, hätte nicht der venezianische Feldherr Johann Matthias von der Schulenburg in aussichtslosem Kampf lange um die Festung Korfu gehalten. Ausführlich dagegen wird der Leser über die Konflikte des Osmanische Reichs mit Italien ab 1911, vor allem aber über den Völkermord an den Armeniern im Jahre 1915 unterrichtet.

Mit den erzählenden Passagen wechseln sich Darstellungen zu einzelnen grundlegenden Themen ab, etwa zur osmanischen Verwaltung, zum Topkapi-Palast, zu den Bildungseinrichtungen Moschee, Medrese und Tekken (den «Suffi»-Ordenshäusern) oder zum Buch- und Bibliothekswesen. An vielen Stellen sind in den Text auch längere Quellentexte eingeschoben.

Ein alter Reisebericht beispielsweise beschreibt die berühmte «stari most» in Mostar, die alte Brücke von 1566, die – immer ein Symbol des Zusammenlebens verschiedener Ethnien – 1993 zerstört und 2004 wieder aufgebaut worden war. 

Lange Herrschaft der Türken

Ein Quellenauszug etwa gilt der türkischen Sprachfamilie: Ihre erste sprachwissenschaftliche Analyse bot 1082 das in arabischer (!) Sprache verfasste «Kompendium der Turksprachen» von Mahmud al-Kashgari. Er berichtet, wie er seine Kenntnis der Turksprachen in der Empirie des Reisens erworben hatte, überliefert aber auch die emphatische Mahnung eines seiner Gewährsleute: «Lernt die Sprache der Türken, denn ihre Herrschaft wird lang sein.»

Zahlreiche Abbildungen und Karten erhöhen die Anschaulichkeit des flüssig geschriebenen Buches zur Vorgeschichte der modernen Türkei. Es vermittelt auch manchen Denkanstoss zum Verständnis gegenwärtiger Probleme des Landes.

Douglas A. Howard: Das Osmanische Reich: 1300–1924. Aus dem Engl. von Jörg Fündling, Übersetzung der literarischen Kastentexte von Michael Reinhard Hess. Theiss / Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2018. 480 S., Fr. 38.80.

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