Stalin war nicht zuerst eine Figur der russischen Geschichte, ein roter Zar, in dem sich ledig-lich die lokale Tradition des Selbstherrschertums fortsetzte. Stalin war eine Figur der Weltge-schichte, der Weltrevolution - indem
er zu deren Totengräber wurde. Dass nach der Zer-schlagung der
Bolschewistischen Partei und nach der Vernichtung aller Reste der
revolutionä-ren Arbeiterbewegung die Restauration (gar nicht so) alter
autokratischer Traditionen das an-gezeigte Mittel war, die bürokratische Konterrevolution ideologisch zu verbrämen, ist eine Folge und keine Ursache.
Stalins totalitäres Terrorsystem war unter den Breschnews und Andropows zu einem feudal-bürokratischen Vergeudungs- und Verknappungsregime
mit mafiösen Zügen verlottert, das nackten Terror nicht mehr brauchen
und auch gar nicht mehr leisten konnte; ein Universum der durchgängigen
Korruption auf allen Etagen der Gesellschaft, dem gegenüber die
Restau-ration eines ordentlichen produktiven und dynamischen Kapitalismus
das kleinere Übel war: hätte sein können, wenn sie gelungen wäre. Davon
konnte in Jelzins abenteuerlichen Wildost aber nicht die Rede sein,
Glücksritter und kriminelle Paten warfen sich zu einer Oligarchie auf,
die sich die feudalisierten Überreste des pp. Volkseigentums unkontrolliert unter den Nagel riss.
Jelzins
Nachfolger konnte eine irgendwie geartete öffentliche Ordnung nur
herstellen, wenn er die an die Leine legte. Da rechtsstaatliche
Strukturen und demokratische Verfahren nicht gege-ben waren, konnte es
nur mit unrechtsstaatlichen Mitteln auf undemokratischen Wegen
ge-schehen, und wenn sich Putin immerhin eines rechtsstaatlichen und
demokratischen Scheins befleißigte, kann man das fast schon als einen
Gewinn ansehen. Aber es ist ein Wurschteln von der Hand in den Mund,
ohne Putins persönliches Regiment wäre womöglich nicht einmal die
sprichwörtliche Stagnation der Breschnew-Ära wiederzuhaben,
geschweige denn ein gesell-schaftlicher Aufbruch zu bewerkstelligen. Dass
er links und rechts verzweifelt nach jedem er-denklichen Gadget greift,
das den Laden für die nächsten paar Wochen zusammenhält und vielleicht
an der einen oder andern Stelle sogar ein bisschen Elan mobilisiert, ist
ihm nicht zu verdenken, es bleibt ihm ja nichts anderes übrig.
Ich
bin ein Putin-Versteher, ja, ich verstehe, dass die Position, in die er
sich freiwillig begeben hat, ihn zu einem hochgefährlichen Mann macht,
und wenn, wie in der letzten Zeit immer wie-der zu hören ist, sein
persönlicher Charakter - an Intelligenz fehlt es ihm wohl nicht - nicht
zu den saubersten zählt, können einem ganz schön die Knie zittern, und
man muss wünschen, man habe jederzeit ein gutes Sortiment tüchtiger
Knüppel zur Hand für den Fall, dass man sie braucht.
Und
das wird man mit ziemlicher Sicherheit, denn im Innern Russlands ist
einstweilen keine Kraft abzusehen, die etwas Besseres machen könnte als
Putin.
18. 5. 15
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