Dienstag, 5. April 2022

Merkels strategischer Irrtum.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy 2008 auf einem NATO-Gipfel in Bukarest  

aus FAZ.NET, 4. 4. 2022

Die NATO und die Ukraine
Merkels strategischer Fehler
Selenskyj wirft Merkel vor, sie habe auf dem NATO-Gipfel 2008 eine falsche Entscheidung getroffen. In der Tat war dieses Treffen kein Meisterwerk westlicher Diplomatie

Ein Kommentar von Nikolas Busse

Niemand im Westen, auch nicht die frühere Bundeskanzlerin, ist schuld daran, dass Putin ein friedliches Nachbarland überfallen hat. Für diese gewissenlose Entscheidung ist allein der russische Präsident verantwortlich.

Allerdings ist der NATO-Gipfel 2008 in Bukarest, auf dem Merkel nichts falsch gemacht haben will, Teil der unseligen Vorgeschichte. Dieses Treffen, auf dem der Ukraine und Georgien der Beitritt zur Allianz versprochen wurde, war in der Tat von einer „Fehlkalkulation“ geprägt, wie Selenskyj sagt.

Rücksicht auf Russland

Auf dem Gipfel wollte der dama­lige amerikanische Präsident Bush eine schnelle Aufnahme der beiden früheren Sowjetrepubliken erreichen. Deutschland und Frankreich verhinderten das aus Rücksichtnahme auf Russland. Heraus kam ein ty­pischer Gipfelkompromiss. Die beiden Länder erhielten eine Zusage, der Beitritt wurde aber nicht vollzogen.

Das war die schlechteste aller Lösungen. Wäre die Ukraine aufgenommen worden, hätte Putin einen Angriff wohl nie gewagt; hätte der Beitritt nie in Aussicht gestanden, wäre zumindest dieser Vorwand für seine Übergriffe entfallen, die schon im selben Jahr mit dem Einfall in Ge­orgien begannen. Der Bukarester Be­schluss schuf in Osteuropa ein stra­tegisches Niemands-land, aus dem Putin seit 14 Jahren einzelne Teile herausschneidet. Das war kein Meisterwerk der westlichen Diplomatie.

 

Nota. - Heut wissen es alle: Putin in eine europäische Friedensordnung einzubeziehen, war von Anfang an eine Illusion; der Mann ist eine großrussischer Imperialist und ihm ist alles zuzutrauen. 

Erstens war es es vielleicht nicht von Anfang an, sondern ist es in der bonapartistischen Zwickmühle, in die er sich sehend begeben hat, erst geworden. Doch zweitens konnte er es nur werden, weil der Westen es ihm erlaubt hat. Das habe ich vor einem Lustrum vorherge-sehen: Ich meinte, man müsse eine Handvoll Knüppel parat halten, weil man sie bestimmt einmal brauchen würde. Doch dass es so bald und vor allem so dringend nötig würde, habe ich so wenig geahnt wie alle andern. Angela Merkel hat sich geirrt, das weiß jetzt jeder. Aber sie hätte mit ihrem Poker unter Umständen Recht behalten können. 

Dass Putin sich in eine Lage manövrieren würde, wo er nur sich selber Rechenschaft schuldet und ihm nicht einmal das bewusst ist, konnte keine*r wissen; sondern allenfalls ahnen. Doch dass sie es nicht geahnt hat, wird das Bild Angela Merkels in den Geschichtsbüchern dauerhaft trüben. Und dass ihr die russophile Schieflage bei ihrem Koalitionpartner nicht aufgestoßen ist, erst recht.
JE



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