aus welt.de, 6. 11. 2020
Als die Republikaner noch so links waren, dass ihnen Karl Marx gratulierte
Die Republikanische Partei der USA war bei ihrer Gründung links. Sie
war gegen die Sklaverei und propagierte ein Stimmrecht für Schwarze.
Seitdem hat sie immer wieder überraschende Wendungen gemacht – bis hin
zu Donald Trump. Schaut
man auf Wikipedia nach, wann die Republikanische Partei geboren wurde,
findet man die Jahreszahl 1854. Irgendwie stimmt das auch. 1854 wurde
der „Kansas-Nebraska Act“ verabschiedet, der es möglich machte, die
Sklaverei auf die Gebiete im Westen der Vereinigten Staaten auszudehnen.
Ein Teil der amerikanischen Whig-Partei – einer klassisch liberalen
Partei, die für Freihandel und Kapitalismus stand – war aber strikt
dagegen. Er spaltete sich ab.
Richtigen Auftrieb erhielt der neue
politische Verein aber erst 1857. Damals fällte der Oberste Gerichtshof
der Vereinigten Staaten sein Urteil im Falle Dred Scott vs. Sanford: Er
entschied, dass Nachfahren afrikanischer Sklaven nie und nimmer
amerikanische Bürger werden könnten.
Danach versammelten sich in der Republikanischen Partei
all jene Nordamerikaner, die die Sklaverei ablehnten, sei es aus
moralischen, sei es aus ökonomischen Gründen. Die neue dritte Kraft auf
der Bühne der amerikanischen Politik wurde dermaßen erfolgreich, dass
sie einen Teil der Anhänger der „Know nothing“-Partei schluckten – das
waren Leute in den Nordstaaten, die Einwanderung ablehnten. Vor allem
katholische Iren galten ihnen als ein Gräuel.
Schlaksig, hässlich, aus einfachsten Verhältnissen
1860
gelang den Republikanern ein durchschlagender Erfolg: Ihr Kandidat
wurde zum Präsidenten gewählt. Ein schlaksiger, hässlicher Kerl mit
Kinnbart, der aus einfachsten Verhältnissen stammte – er wurde in einer
Blockhütte in Kentucky geboren. Lincoln gewann die Wahl mit nur 39,8 Prozent der Stimmen, vor allem deshalb, weil die Gegenseite gespalten war.
Schaut
man sich auf der Landkarte die Bundesstaaten an, die Lincoln wählten,
dann fällt auf: Sie sind beinahe identisch mit jenen Bundesstaaten, die
heute eine sichere Bank für die Demokraten sind, also der Nordosten der
amerikanischen Republik und Kalifornien und Oregon an der Westküste. Im
Süden des Landes gewann Lincoln keinen Wahlkreis. Keinen einzigen.
Lincolns
Wahl war der Anlass, nicht die Ursache, für den amerikanischen
Bürgerkrieg. Am 12. April 1861 feuerte eine Truppe von Rebellen, die
sich selber als „Konföderierte Armee“ bezeichnete, Schüsse auf Fort
Sumter in South Carolina ab. Dieser Krieg wurde zum Befreiungskrieg. Er
endete damit, dass Lincoln und seine republikanische Partei den 13.
Zusatzartikel (Amendment) zur amerikanischen Verfassung durch den
Kongress boxten, in dem das Wort „Sklaverei“ nur vorkam, um kategorisch
zu erklären: Sie sei auf dem gesamten Territorium der Vereinigten
Staaten abgeschafft.
Nachdem
ein weißer Rassist Lincoln ermordet hatte, setzten die Republikaner
noch das 14. und das 15. Amendment durch: Alle Menschen, die auf dem
Territorium der Vereinigten Staaten geboren wurden, waren automatisch
amerikanische Staatsbürger – jawohl, auch die Nachkommen von Sklaven.
Und alle amerikanischen Staatsbürger sollten wählen dürfen, zumindest
die Männer, unabhängig von der Hautfarbe.
War
die Republikanische Partei im 19. Jahrhundert also eine linke Partei?
Befragen wir einen deutschen Gewährsmann, der es ganz sicher wissen
musste. „Sir“, schrieb jener Mann anno 1864 nach Washington, „wir
wünschen dem amerikanischen Volk Glück zu Ihrer mit großer Majorität
erfolgten Wiederwahl … Die Arbeiter Europas … sind von der Überzeugung
durchdrungen, dass … der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine
neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird.
Sie betrachten es als ein Wahrzeichen der kommenden Epoche, dass Abraham
Lincoln, dem starrsinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los
zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die
Erlösung einer geknechteten Rasse und für die Umgestaltung der sozialen
Welt hindurchzuführen.“ Gezeichnet: Karl Marx.
Wie konnte aus
dieser Republikanischen Partei die Republikanische Partei von heute
werden? Vielleicht begann die große Umwandlung mit der Wahl von 1876.
Eigentlich hatten die Republikaner diese Wahl verloren – genauer gesagt:
Sie war so knapp ausgegangen, dass nun das Repräsentantenhaus
entscheiden musste.
Die
Republikaner ließen sich mit der Gegenseite auf einen politischen
Kuhhandel ein: Wenn die Demokraten erlaubten, dass ihr Kandidat
Rutherford B. Hayes Präsident wurde, verpflichteten sie sich darauf, die
Armee aus den Südstaaten zurückzuziehen. Das Resultat: In den
Südstaaten stellten die Weißen mit Terror die alten
Herrschaftsverhältnisse wieder her. Danach durften Schwarze nicht mehr
wählen, viele von ihnen gerieten in Schuldknechtschaft, die sich kaum
von der Sklaverei unterschied. Am Ende stand ein Apartheidregime, das
100 Jahre dauerte.
Vielleicht begann die Wende aber auch mit
Herbert Hoover. Dieser republikanische Präsident war ein
grundanständiger Mensch, nur tat er leider in der Wirtschaftskrise von
1929 das Falsche: gar nichts. Die Folge: 1932 kam die Demokratische
Partei unter Franklin Delano Roosevelt
an die Macht und hielt sich dort für eine Generation. Roosevelt
schmiedete eine unschlagbare Koalition aus Sozialdemokraten in den
Städten des Nordens und „Dixiecrats“, also Rassisten, in den Südstaaten.
Längst nicht mehr links, aber auch nicht rechts
Die
Republikaner waren danach eigentlich zwei Parteien. Ein zutiefst
konservativer Verein, der sich lieber aus dem fernen Krieg in Europa
herausgehalten hätte. Und eine zweite Partei, die Roosevelt in seinem
Kampf gegen die Nazis und japanische Militaristen unterstützte.
An
die Macht kamen die Republikaner erst wieder 1953, beinahe ein
Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Präsident hieß
Dwight D. Eisenhower, ein ehemaliger General, den – außer den
Kommunistenfressern um Joseph McCarthy – eigentlich alle gern mochten.
Die Republikanische Partei war damals längst nicht mehr links, aber sie
war auch noch nicht wirklich rechts. Sie hatte einen mächtigen
linksliberalen Flügel. Sie kämpfte gegen Monopole und für
Sozialreformen. Und es gab immer noch einen ganzen Haufen Schwarze, die
republikanisch wählten – ganze 36 Prozent! Eine Statistik aus einer sehr
anderen Zeit.
Das Jahr, in dem sich das alles änderte, war 1964.
Damals fuhr der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, ein
hünenhafter Texaner namens Lyndon B. Johnson, einen gigantischen Sieg
ein. Die Republikaner holten sich die Stimmen nur von fünf
Bundesstaaten: Arizona, Louisiana, Mississippi, Alabama, South Carolina.
Sie hatten einen Fehler gemacht und einen rechten Extremisten als Kandidaten aufgestellt: Barry Goldwater. Unter dem Demokraten Lyndon B. Johnson
wurde 1964 – übrigens immer noch mit den Stimmen der meisten
Republikaner im Kongress – der Civil Rights Act beschlossen. Ein Jahr
später folgte der Voting Rights Act, durch den Schwarze in den
Südstaaten das Wahlrecht erhielten.
Präsident Johnson sagte
damals wehmütig: Ihm sei bewusst, dass er die Demokraten damit in den
Südstaaten für eine Generation unwählbar gemacht hatte. Eine
Fehleinschätzung – es war nicht eine Generation, es waren drei.
Nach
Lyndon B. Johnson kam Richard Nixon. Unter ihm begann die
Republikanische Partei ihre „Southern Strategy“, mit der sie die weißen
Rassisten in ihr politisches Lager lockte. In den 80er-Jahren holte
Ronald Reagan noch die evangelikalen Christen ins politische Boot. Damit
war die Neuordnung der politischen Landschaft in den Vereinigten
Staaten beinahe komplett. Von nun an standen die Demokraten für
Multikulti, Frauenrechte und den Sozialstaat. Die Republikaner standen
für fiskalischen Konservatismus, sprachen verächtlich von schwarzen
„welfare queens“ und waren kategorisch gegen Abtreibungen.
Natürlich
waren die Republikaner trotzdem noch keine Rassistenpartei. Auf YouTube
kann man Videos anschauen, wo Reagans Nachfolger, inklusive George W.
Bush, mit großer Herzenswärme über Einwanderer sprechen. George W. Bush
reagierte auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, indem er erst
einmal eine Moschee besuchte.
Aber es gab danach bei den
Republikanern zumindest eine wichtige Unterströmung, der es nicht
passte, dass Amerikas Großstädte immer bunter wurden, dass Einwanderer
aus Asien und Lateinamerika und Afrika ins Land strömten, dass Schwule
und Lesben händchenhaltend herumschlenderten, dass immer weniger Leute
in die Kirche gingen.
2012
verlor der Republikaner Mitt Romney die Wahl gegen Barack Obama. Danach
setzten seine Parteifreunde sich hin und veröffentlichten ein
Positionspapier. Dort stand Folgendes: Die Republikanische Partei hat
nur dann eine Chance, wenn sie sich öffnet – wenn sie klarmacht, dass
ihre Botschaft grundsätzlich für alle Menschen gilt, unabhängig von
Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung. Dann kam 2016. Die
Republikanische Partei missachtete ihre eigenen Ratschläge souverän. Und
gewann.
So mutierte die Partei von Abraham Lincoln zur Partei
von Donald Trump. Heute vertritt sie in beinahe jeder Hinsicht das
Gegenteil von dem, was sie noch vor wenigen Jahren vertreten hat. Früher
war sie für fiskalischen Konservatismus, heute schmeißt sie Geld mit
beiden Händen zum Fenster hinaus. Früher war sie für freie Märkte, heute
ist sie für Schutzzölle. Früher war sie die russlandfeindliche Partei, heute schwärmen große Teile der Parteibasis für Putin.
Früher
war sie die Partei des 14. Amendment, heute versucht sie mit allen
möglichen Tricks, Dunkelhäutige am Wählen zu hindern. Die Hälfte der
Republikaner glaubt laut Umfragen an die antisemitische
QAnon-Verschwörungstheorie. 2020 verabschiedeten die Republikaner gar
kein Parteiprogramm mehr, sie bekannten sich einfach nur noch
vorbehaltlos zu Donald Trump. Eines ist sicher: Karl Marx würde sich
heute verdutzt die Augen reiben.
Wie die Präsidentschaftswahl
gezeigt hat, wird diese politische Kraft nicht einfach so verschwinden –
auch wenn es den Demokraten gelungen ist, Donald Trump an den Wahlurnen
zu schlagen. Ein bedeutender Teil der Amerikaner findet jene
kunterbunte, Kaffee Latte schlürfende, liberale und gelassene Nation,
die sich in den amerikanischen Städten herausgebildet hat (nicht nur an
den Küsten, auch im Mittleren Westen und in Texas), einfach nur
ekelhaft. Diese Menschen halten nicht viel von Demokratie, und sie sind
bewaffnet. Sie werden uns mindestens noch eine Generation lang
beschäftigen.
Nota. - Karl Marx schrieb damals nicht in eigenem Namen, sondern für den Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation IAA, der Ersten Internationale, und der Glückwunsch galt natürlich nicht Abraham Lincoln und seiner Partei, sondern der Abschaffung der Sklaverei.
Die Vereingten Staaten sind nicht aus einheimische Wurzeln enstanden, sondern als eine bri-tische Kolonie. Ihre Gesellschaft unterscheidet sich substanzielle von den europäischen, und folglich die Gesetzmäßigkeiten ihrer Politik. Weder gab es eine werktätige Bourgeoisie, die sich erst noch 'zur Klasse bilden' musste, um sich gegen einen adligen Grußgrundbesitz durchzu-setzen, noch entstand je eine politisch gewichtige Arbeiterbewegung, die jene von links unter Druck setzen konnte. An Anfang waren sie alle mehr oder minder gutgestellte Kolonisten, die sich im Kampf gegen die britische Krone zur Nation bilden konnte, bevor die Klassenkämpfe Gestalt annahmen. Zunächst war da der Gegensatz zwischen den Städten im Osten und dem flachen Land, politisch reflektiert in der Opposition von zentralistisch gesonnenen federalists und dem lokalistischen Pioniergeist an der frontier.
Und auch mit fortschreitender Industrialisierung konnte sich eine selbsttragende Arbeiterbe-wegung nicht ausbilden: Amerikanische Proletarier ware aus Europa eingewandert, von wo sie sozialistische (aus Deutschland) oder anarchistische (aus Italien) Ideen mitbrachten. Doch in Amerika angekommen, sammelten sie sich zuerst einmal in des Gangs of New York, von wo aus sie sich bald als Facharbeiter etablierten oder im Lumpenproletariat überlebten. Das Entscheidende für die Ausbildung revolutionärer Stimmungen fehlte: das Bewusstsein, keine Chance zu haben. Denn eine Chance hatte anfangs jeder, der sie wahrzunehmen wagte: Go west! Im Westen gab es genug Land für jeden, der Mühe und Gefahr nicht scheute, so dass jeder, der in Zorn geriet, ein Ausweg fand. Revolutionäre Gruppierungen blieben Sekten man Rand der Arbeiterschaft "mit Migrationshintergrund": Die deutschstämmige Socialist Labor Party in New York, die italienischen Anarchisten in den Hafenstädten des Ostens.
Revolution ist in der Vereinigten Staaten Sache einer heroischen Vergangenheit: Ihren Unab-hängigkeitskrieg gegen die britische Krone nennen sie so - Quell aller patriotischen Legitimität. Hinter ihrem Führer Washington und ihrer zur Religion aufgebauschten Verfassung sind sie alle nur Eine Nation.
Eine Linke im europäische Sinn hat sich so niemals ausbilden können: die definierte sich durch ihre Nähe zu einer Revolution, die noch kommen sollte wenn vielleicht auch refor-mistisch gemildert: das waren die Sozialdemokraten.
"... eine
Trennung in Links und Rechts hat auch nach dem Ersten Weltkrieg, auf
den eine neue Welle des Isolationismus folgte, nicht stattfinden können:
Die Oktoberrevolution hat in der Tiefe der amerikanischen Gesellschaft
lediglich the Red Scare hervorgerufen, die Stimmung war in allen Lagern - cf. den Fall Sacco und Vanzetti
- so reaktionär und repressiv wie selten zuvor. Was Mark Lilla "die
Linke" nennt, ist überhaupt erst als Folge der Großen Depression der
30er Jahre entstanden, als sich Industriegewerkschaften
bildeten, die nicht ständisch-exklusiv waren und sich für Ungelernte
und... Schwarze öffneten: Das Rassenproblem war im Lauf der Great Migration von einem lokal südstaatlichen zu einem national amerikanischen Problem geworden.
Die politische Antwort war die Politik des New Deal unter dem demokratischen Präsidenten F. D. Rosoevelt, ihr Vordenker war der Pädagoge und pragmatistische Philosoph John Dewey. Er prägte das Schlagwort von New Liberalism,
der, anders als der traditionelle Wirtschafts-liberalismus der
Demokraten, einsah, dass ein Staat auf der Freiheit des Individuums nur
dann aufgebaut sein kann, wenn die Individuen die sachlichen Mittel
haben, sich ihrer Freiheit zu bedienen. Es heißt, es sei die
amerikanische, klassenlose Variante der europäischen Sozialde-mokratie
gewesen. Leo Trotzki erkannte dagegen im massiven Staatsinterventionismus des New Deal und der Kumpanei mit den Apparaten des Gewerkschaftsbunds CIO das
gesell-schaftspolitische Pendant zu den Programmen der europäischen
Faschismen: letzte Vertei-dígungslinien gegen die drohende Weltrevolution.
Anders als in Europa war die Linke in
Amerika nie die politische Form einer realen Klassen-bewegung, sondern
der ideologische Firnis einer besonderen Spielart bürgerlicher Politik.
In Europa ist mit der Arbeiterbewegung die eine untergegangen, in
Amerika mit dem Ende des Vietnamkriegs die andre. Übrig bleibt das
Lamento und die Selbstbespiegelung." 25. 8. 19
Nicht verschwinden wird unter Biden der demagogische Populismus. Den hat es in den USA immer wieder mal gegeben, in den diversen "progressiven" Listen wie bei den Demokraten und jetzt eben bei den Republikanern. Dass Trump bei letzteren der Mehrheitsführer bleiben kann, bezweifle ich. Er mag uns als Kopf einer lärmenden, ewig stänkernden extremistischen Minderheit erhalten bleiben, aber das wird ihm auf die Dauer nicht genügen. Er könnte es wiedermal mit einer Dritten Partei versuchen, aber dafür hat er wiederum nicht genug Puste. Am ehesten kann ich mir vorstellen, dass er nun, wo die Luft raus ist, gegen all die Verräter tobt, die ihn im Stich gelassen haben, und langsam so klein und hässlich wird, dass es selbst die Treuesten der Treuen graust.
JE