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Freitag, 11. November 2016

Es war einmal der Atlantikpakt.

aus nzz.ch,

Trump und die Aussenpolitik
Die liberale Weltordnung wird erschüttert
Die Welt muss sich nicht nur auf die Präsidentschaft eines impulsiven Machtmenschen einstellen. Trumps Sieg erschüttert auch die Grundfesten der Weltordnung, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg galt.

von Andreas Rüesch

... Die Wirklichkeit sieht leider weniger rosig aus. Zum einen hat Trump durchaus eine festgefügte Ideologie von der Rolle Amerikas in der Welt, auch wenn seine Überzeugungen im Nebel seiner Halbsätze und seines Halbwissens nicht so leicht erkennbar sind. Zum andern greifen die «checks and balances» vor allem in der Innenpolitik, wo die Exekutive an Grenzen stösst, die ihr der Kongress, die Gerichte und die föderalistischen Strukturen setzen. In der Aussenpolitik hingegen hat ein Präsident viel freiere Hand.

Er kann als Oberkommandierender das Militär in Kriege schicken oder auch zurückziehen, wie er will. Er legt die Leitlinien der Diplomatie fest und ernennt die Botschafter im Ausland. Völkerrechtlich bindende Verträge beengen seinen Spielraum, aber viele sind kündbar, und niemand kann die USA zwingen, internationale Abmachungen einzuhalten. Sowohl aus dem Klimavertrag von Paris als auch aus dem Atomabkommen mit Iran könnte Trump mit einem Federstrich aussteigen, was er auch bereits angedroht hat. Der Kongress kann einem Präsidenten dank seiner Budgethoheit das Leben erschweren, aber es ist eine stumpfe Waffe, wie die Demokraten vor einem Jahrzehnt erfahren mussten, als sie vergeblich versuchten, den Geldhahn für den Irakkrieg zuzudrehen. 

Angesichts der republikanischen Mehrheit im Kongress hat Trump diesbezüglich vorerst ohnehin wenig zu befürchten. Was ist vor diesem Hintergrund von Trump zu erwarten? Worin besteht der Kern seiner aussenpolitischen Überzeugungen? Erstens betrachtet es der Republikaner nicht als Amerikas Aufgabe, freiheitliche Regeln und Werte auf dem Globus zu verbreiten. Damit stellt er sich in einen Gegensatz zu allen Präsidenten der letzten achtzig Jahre, die zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber doch recht konsistent eine solche Politik verfolgt hatten. Der Gedanke, dass die USA von einer freiheitlichen Weltordnung profitieren und es sich lohnt, für Demokratie im Ausland einzutreten, scheint ihm fremd. Er betonte im Wahlkampf vor allem die Lasten, die mit der Rolle als Ordnungsmacht einhergehen.

Geringschätzung für Allianzen

Damit verbunden ist, zweitens, seine Verachtung für die traditionelle amerikanische Bündnispolitik. Er betrachtet Allianzen rein merkantilistisch nach dem Gesichtspunkt, was für beide Seiten dabei herausspringt und wer wie viel dafür bezahlt. So hat der künftige Präsident im Wahlkampf damit gedroht, sich den Bündnisverpflichtungen gegenüber den Nato-Partnern in Europa und Ländern wie Japan und Südkorea zu entziehen, falls die Alliierten nicht mit «fairen» Beiträgen die von Washington geschaffene Sicherheit abgelten. Mit dem Instinkt eines Geschäftsmannes scheint Trump darauf zu bauen, dass den reichen Ländern Europas und Asiens die eigene Sicherheit sehr viel mehr wert sein müsste. Auf die Betroffenen kommen damit harte Verhandlungen zu.

Dass die USA so ihre Glaubwürdigkeit untergraben und zur Destabilisierung ganzer Weltregionen beitragen könnten, ist Trump entweder nicht bewusst oder für ihn zweitrangig. Ebenso unterschätzt er wohl die Gefahr, dass ein Auseinanderbrechen der bisherigen Sicherheitsarchitektur und die Vermehrung bewaffneter Konflikte die USA zuletzt doch noch zwingen könnten, als Ordnungsmacht einzuschreiten, dann aber zu viel höheren Kosten.

Neben der Bündnispolitik hält Trump, drittens, auch die traditionelle Freihandelspolitik der USA für falsch. Er macht sie für den Verlust von heimischen Arbeitsplätzen verantwortlich und erzielte damit im Wahlkampf grosse Resonanz. Dass er sich für die Ratifizierung des unter Obama ausgehandelten transpazifischen Freihandelsvertrags starkmachen wird, ist schwer vorstellbar. Damit zerbricht auch ein Kernstück von Obamas Konzept einer strategischen Umorientierung auf Asien, zweifellos zur Freude Pekings.

Viertens macht Trump kein Hehl aus seiner Bewunderung für autoritäre Herrschaftsformen – ob in Russland, China, Nordkorea oder im Irak Saddam Husseins. Dies bedeutet noch nicht, dass Trump selber diktatorische Neigungen ausleben wird, auch wenn seine Geringschätzung der Gewaltenteilung immer wieder durchschimmert. Aber seine Bewunderung gilt der «Effizienz» (um nicht zu sagen Ruchlosigkeit), mit der autoritäre Regime vorgehen können, und der Tatkraft, die darin zum Ausdruck kommt. Ob eine Administration Trump die Tradition aufrechterhält, allen Ländern der Welt Noten bezüglich Einhaltung der Menschenrechte zu verteilen, bleibt abzuwarten. Aber der Präsident selber wird ein Land wie China kaum im Lichte der dortigen Repression betrachten, sondern primär durch eine handelspolitische Brille. Spannungen sind dabei programmiert, aber das Faktum einer Einparteidiktatur in Peking wird der Republikaner nicht stören.

Ähnliches gilt für Russland, allerdings mit potenziell dramatischeren Folgen. Wiederholt hat Trump die Absicht bekundet, die Beziehungen zu Moskau zu verbessern. Das dürfte auf einen Abbau der amerikanischen Sanktionen hinauslaufen, zumal Trump über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim bisher kein kritisches Wort verloren hat. Wie Trump auf einen russischen Angriff auf das Baltikum reagieren würde, ist angesichts seiner Nonchalance in Nato-Fragen völlig offen – und nur schon diese Ungewissheit illustriert, in welche sicherheitspolitische Krise Trumps Wahlsieg Europa gestürzt hat.

Der künftige Präsident hat zudem durchblicken lassen, dass er dem Kreml freie Hand in Syrien lassen will. Kritik an der Bombardierung Aleppos kommt ihm nicht über die Lippen. Die ehemalige Rebellenhochburg sei faktisch ohnehin gefallen, sagte er einmal irreführend; bei anderer Gelegenheit stellte er Russland als glaubwürdigen Partner bei der Terrorbekämpfung in Syrien hin.

Stiller Triumph des Kremls

Ohne Zweifel bedeutet Trumps Sieg auch einen Erfolg des Putin-Regimes, das seine Grossmachtambitionen künftig noch hemmungsloser ausleben kann. Eine bitterböse Ironie liegt darin, dass Moskau möglicherweise einen Beitrag zu Trumps Sieg leistete, nämlich mit den Hackerangriffen auf demokratische Funktionäre, deren E-Mails mitten in der heissen Phase des Wahlkampfs «enthüllt» wurden. Statt entschlossen auf diese politische Manipulation zu reagieren, wird die Administration Trump wohl geneigt sein, die Untersuchung versanden zu lassen.

Die Vorstellung, dass der Chef im Weissen Haus ein Hampelmann des Kremls sein könnte, hätte frühere Generationen von Amerikanern erschauern lassen. Die Trump-Bewegung liess sich davon aber ebenso wenig beirren wie von der Warnung der aussenpolitischen Elite, der Milliardär werde den USA irreparablen Schaden zufügen. Wie gross dieser ausfallen wird, lässt sich noch gar nicht abschätzen – doch die Folgen wird Amerika vermutlich noch lange nach der Ära Trump spüren.



Montag, 9. November 2020

Der lange Weg der Republikanischen Partei.

 

aus welt.de, 6. 11. 2020

Als die Republikaner noch so links waren, dass ihnen Karl Marx gratulierte
Die Republikanische Partei der USA war bei ihrer Gründung links. Sie war gegen die Sklaverei und propagierte ein Stimmrecht für Schwarze. Seitdem hat sie immer wieder überraschende Wendungen gemacht – bis hin zu Donald Trump. 
 
 

Schaut man auf Wikipedia nach, wann die Republikanische Partei geboren wurde, findet man die Jahreszahl 1854. Irgendwie stimmt das auch. 1854 wurde der „Kansas-Nebraska Act“ verabschiedet, der es möglich machte, die Sklaverei auf die Gebiete im Westen der Vereinigten Staaten auszudehnen. Ein Teil der amerikanischen Whig-Partei – einer klassisch liberalen Partei, die für Freihandel und Kapitalismus stand – war aber strikt dagegen. Er spaltete sich ab.

Richtigen Auftrieb erhielt der neue politische Verein aber erst 1857. Damals fällte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten sein Urteil im Falle Dred Scott vs. Sanford: Er entschied, dass Nachfahren afrikanischer Sklaven nie und nimmer amerikanische Bürger werden könnten.

Danach versammelten sich in der Republikanischen Partei all jene Nordamerikaner, die die Sklaverei ablehnten, sei es aus moralischen, sei es aus ökonomischen Gründen. Die neue dritte Kraft auf der Bühne der amerikanischen Politik wurde dermaßen erfolgreich, dass sie einen Teil der Anhänger der „Know nothing“-Partei schluckten – das waren Leute in den Nordstaaten, die Einwanderung ablehnten. Vor allem katholische Iren galten ihnen als ein Gräuel.

Schlaksig, hässlich, aus einfachsten Verhältnissen

1860 gelang den Republikanern ein durchschlagender Erfolg: Ihr Kandidat wurde zum Präsidenten gewählt. Ein schlaksiger, hässlicher Kerl mit Kinnbart, der aus einfachsten Verhältnissen stammte – er wurde in einer Blockhütte in Kentucky geboren. Lincoln gewann die Wahl mit nur 39,8 Prozent der Stimmen, vor allem deshalb, weil die Gegenseite gespalten war.

Schaut man sich auf der Landkarte die Bundesstaaten an, die Lincoln wählten, dann fällt auf: Sie sind beinahe identisch mit jenen Bundesstaaten, die heute eine sichere Bank für die Demokraten sind, also der Nordosten der amerikanischen Republik und Kalifornien und Oregon an der Westküste. Im Süden des Landes gewann Lincoln keinen Wahlkreis. Keinen einzigen.

Lincolns Wahl war der Anlass, nicht die Ursache, für den amerikanischen Bürgerkrieg. Am 12. April 1861 feuerte eine Truppe von Rebellen, die sich selber als „Konföderierte Armee“ bezeichnete, Schüsse auf Fort Sumter in South Carolina ab. Dieser Krieg wurde zum Befreiungskrieg. Er endete damit, dass Lincoln und seine republikanische Partei den 13. Zusatzartikel (Amendment) zur amerikanischen Verfassung durch den Kongress boxten, in dem das Wort „Sklaverei“ nur vorkam, um kategorisch zu erklären: Sie sei auf dem gesamten Territorium der Vereinigten Staaten abgeschafft.

Nachdem ein weißer Rassist Lincoln ermordet hatte, setzten die Republikaner noch das 14. und das 15. Amendment durch: Alle Menschen, die auf dem Territorium der Vereinigten Staaten geboren wurden, waren automatisch amerikanische Staatsbürger – jawohl, auch die Nachkommen von Sklaven. Und alle amerikanischen Staatsbürger sollten wählen dürfen, zumindest die Männer, unabhängig von der Hautfarbe.

War die Republikanische Partei im 19. Jahrhundert also eine linke Partei? Befragen wir einen deutschen Gewährsmann, der es ganz sicher wissen musste. „Sir“, schrieb jener Mann anno 1864 nach Washington, „wir wünschen dem amerikanischen Volk Glück zu Ihrer mit großer Majorität erfolgten Wiederwahl … Die Arbeiter Europas … sind von der Überzeugung durchdrungen, dass … der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird. Sie betrachten es als ein Wahrzeichen der kommenden Epoche, dass Abraham Lincoln, dem starrsinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die Erlösung einer geknechteten Rasse und für die Umgestaltung der sozialen Welt hindurchzuführen.“ Gezeichnet: Karl Marx.

Wie konnte aus dieser Republikanischen Partei die Republikanische Partei von heute werden? Vielleicht begann die große Umwandlung mit der Wahl von 1876. Eigentlich hatten die Republikaner diese Wahl verloren – genauer gesagt: Sie war so knapp ausgegangen, dass nun das Repräsentantenhaus entscheiden musste.

Die Republikaner ließen sich mit der Gegenseite auf einen politischen Kuhhandel ein: Wenn die Demokraten erlaubten, dass ihr Kandidat Rutherford B. Hayes Präsident wurde, verpflichteten sie sich darauf, die Armee aus den Südstaaten zurückzuziehen. Das Resultat: In den Südstaaten stellten die Weißen mit Terror die alten Herrschaftsverhältnisse wieder her. Danach durften Schwarze nicht mehr wählen, viele von ihnen gerieten in Schuldknechtschaft, die sich kaum von der Sklaverei unterschied. Am Ende stand ein Apartheidregime, das 100 Jahre dauerte.

Vielleicht begann die Wende aber auch mit Herbert Hoover. Dieser republikanische Präsident war ein grundanständiger Mensch, nur tat er leider in der Wirtschaftskrise von 1929 das Falsche: gar nichts. Die Folge: 1932 kam die Demokratische Partei unter Franklin Delano Roosevelt an die Macht und hielt sich dort für eine Generation. Roosevelt schmiedete eine unschlagbare Koalition aus Sozialdemokraten in den Städten des Nordens und „Dixiecrats“, also Rassisten, in den Südstaaten.

Längst nicht mehr links, aber auch nicht rechts

Die Republikaner waren danach eigentlich zwei Parteien. Ein zutiefst konservativer Verein, der sich lieber aus dem fernen Krieg in Europa herausgehalten hätte. Und eine zweite Partei, die Roosevelt in seinem Kampf gegen die Nazis und japanische Militaristen unterstützte.

An die Macht kamen die Republikaner erst wieder 1953, beinahe ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Präsident hieß Dwight D. Eisenhower, ein ehemaliger General, den – außer den Kommunistenfressern um Joseph McCarthy – eigentlich alle gern mochten. Die Republikanische Partei war damals längst nicht mehr links, aber sie war auch noch nicht wirklich rechts. Sie hatte einen mächtigen linksliberalen Flügel. Sie kämpfte gegen Monopole und für Sozialreformen. Und es gab immer noch einen ganzen Haufen Schwarze, die republikanisch wählten – ganze 36 Prozent! Eine Statistik aus einer sehr anderen Zeit.

Das Jahr, in dem sich das alles änderte, war 1964. Damals fuhr der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, ein hünenhafter Texaner namens Lyndon B. Johnson, einen gigantischen Sieg ein. Die Republikaner holten sich die Stimmen nur von fünf Bundesstaaten: Arizona, Louisiana, Mississippi, Alabama, South Carolina.

Sie hatten einen Fehler gemacht und einen rechten Extremisten als Kandidaten aufgestellt: Barry Goldwater. Unter dem Demokraten Lyndon B. Johnson wurde 1964 – übrigens immer noch mit den Stimmen der meisten Republikaner im Kongress – der Civil Rights Act beschlossen. Ein Jahr später folgte der Voting Rights Act, durch den Schwarze in den Südstaaten das Wahlrecht erhielten.

Präsident Johnson sagte damals wehmütig: Ihm sei bewusst, dass er die Demokraten damit in den Südstaaten für eine Generation unwählbar gemacht hatte. Eine Fehleinschätzung – es war nicht eine Generation, es waren drei.

Nach Lyndon B. Johnson kam Richard Nixon. Unter ihm begann die Republikanische Partei ihre „Southern Strategy“, mit der sie die weißen Rassisten in ihr politisches Lager lockte. In den 80er-Jahren holte Ronald Reagan noch die evangelikalen Christen ins politische Boot. Damit war die Neuordnung der politischen Landschaft in den Vereinigten Staaten beinahe komplett. Von nun an standen die Demokraten für Multikulti, Frauenrechte und den Sozialstaat. Die Republikaner standen für fiskalischen Konservatismus, sprachen verächtlich von schwarzen „welfare queens“ und waren kategorisch gegen Abtreibungen.

Natürlich waren die Republikaner trotzdem noch keine Rassistenpartei. Auf YouTube kann man Videos anschauen, wo Reagans Nachfolger, inklusive George W. Bush, mit großer Herzenswärme über Einwanderer sprechen. George W. Bush reagierte auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, indem er erst einmal eine Moschee besuchte.

Aber es gab danach bei den Republikanern zumindest eine wichtige Unterströmung, der es nicht passte, dass Amerikas Großstädte immer bunter wurden, dass Einwanderer aus Asien und Lateinamerika und Afrika ins Land strömten, dass Schwule und Lesben händchenhaltend herumschlenderten, dass immer weniger Leute in die Kirche gingen.

2012 verlor der Republikaner Mitt Romney die Wahl gegen Barack Obama. Danach setzten seine Parteifreunde sich hin und veröffentlichten ein Positionspapier. Dort stand Folgendes: Die Republikanische Partei hat nur dann eine Chance, wenn sie sich öffnet – wenn sie klarmacht, dass ihre Botschaft grundsätzlich für alle Menschen gilt, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung. Dann kam 2016. Die Republikanische Partei missachtete ihre eigenen Ratschläge souverän. Und gewann.

So mutierte die Partei von Abraham Lincoln zur Partei von Donald Trump. Heute vertritt sie in beinahe jeder Hinsicht das Gegenteil von dem, was sie noch vor wenigen Jahren vertreten hat. Früher war sie für fiskalischen Konservatismus, heute schmeißt sie Geld mit beiden Händen zum Fenster hinaus. Früher war sie für freie Märkte, heute ist sie für Schutzzölle. Früher war sie die russlandfeindliche Partei, heute schwärmen große Teile der Parteibasis für Putin.

Früher war sie die Partei des 14. Amendment, heute versucht sie mit allen möglichen Tricks, Dunkelhäutige am Wählen zu hindern. Die Hälfte der Republikaner glaubt laut Umfragen an die antisemitische QAnon-Verschwörungstheorie. 2020 verabschiedeten die Republikaner gar kein Parteiprogramm mehr, sie bekannten sich einfach nur noch vorbehaltlos zu Donald Trump. Eines ist sicher: Karl Marx würde sich heute verdutzt die Augen reiben.

Wie die Präsidentschaftswahl gezeigt hat, wird diese politische Kraft nicht einfach so verschwinden – auch wenn es den Demokraten gelungen ist, Donald Trump an den Wahlurnen zu schlagen. Ein bedeutender Teil der Amerikaner findet jene kunterbunte, Kaffee Latte schlürfende, liberale und gelassene Nation, die sich in den amerikanischen Städten herausgebildet hat (nicht nur an den Küsten, auch im Mittleren Westen und in Texas), einfach nur ekelhaft. Diese Menschen halten nicht viel von Demokratie, und sie sind bewaffnet. Sie werden uns mindestens noch eine Generation lang beschäftigen. 

 

Nota. - Karl Marx schrieb damals nicht in eigenem Namen, sondern für den Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation IAA, der Ersten Internationale, und der Glückwunsch galt natürlich nicht Abraham Lincoln und seiner Partei, sondern der Abschaffung der Sklaverei. 

Die Vereingten Staaten sind nicht aus einheimische Wurzeln enstanden, sondern als eine bri-tische Kolonie. Ihre Gesellschaft unterscheidet sich substanzielle von den europäischen, und folglich die Gesetzmäßigkeiten ihrer Politik. Weder gab es eine werktätige Bourgeoisie, die sich erst noch 'zur Klasse bilden' musste, um sich gegen einen adligen Grußgrundbesitz durchzu-setzen, noch entstand je eine politisch gewichtige Arbeiterbewegung, die jene von links unter Druck setzen konnte. An Anfang waren sie alle mehr oder minder gutgestellte Kolonisten, die sich im Kampf gegen die britische Krone zur Nation bilden konnte, bevor die Klassenkämpfe Gestalt annahmen. Zunächst war da der Gegensatz zwischen den Städten im Osten und dem flachen Land, politisch reflektiert in der Opposition von zentralistisch gesonnenen federalists und dem lokalistischen Pioniergeist an der frontier.

Und auch mit fortschreitender Industrialisierung konnte sich eine selbsttragende Arbeiterbe-wegung nicht ausbilden: Amerikanische Proletarier ware aus Europa eingewandert, von wo sie sozialistische (aus Deutschland) oder anarchistische (aus Italien) Ideen mitbrachten. Doch in Amerika angekommen, sammelten sie sich zuerst einmal in des Gangs of New York, von wo aus sie sich bald als Facharbeiter etablierten oder im Lumpenproletariat überlebten. Das Entscheidende für die Ausbildung revolutionärer Stimmungen fehlte: das Bewusstsein, keine Chance zu haben. Denn eine Chance hatte anfangs jeder, der sie wahrzunehmen wagte: Go west! Im Westen gab es genug Land für jeden, der Mühe und Gefahr nicht scheute, so dass jeder, der in Zorn geriet, ein Ausweg fand. Revolutionäre Gruppierungen blieben Sekten man Rand der Arbeiterschaft "mit Migrationshintergrund": Die deutschstämmige Socialist Labor Party in New York, die italienischen Anarchisten in den Hafenstädten des Ostens.

Revolution ist in der Vereinigten Staaten Sache einer heroischen Vergangenheit: Ihren Unab-hängigkeitskrieg gegen die britische Krone nennen sie so - Quell aller patriotischen Legitimität. Hinter ihrem Führer Washington und ihrer zur Religion aufgebauschten Verfassung sind sie alle nur Eine Nation.

Eine Linke im europäische Sinn hat sich so niemals ausbilden können: die definierte sich durch ihre Nähe zu einer Revolution, die noch kommen sollte wenn vielleicht auch refor-mistisch gemildert: das waren die Sozialdemokraten

"... eine Trennung in Links und Rechts hat auch nach dem Ersten Weltkrieg, auf den eine neue Welle des Isolationismus folgte, nicht stattfinden können: Die Oktoberrevolution hat in der Tiefe der amerikanischen Gesellschaft lediglich the Red Scare hervorgerufen, die Stimmung war in allen Lagern - cf. den Fall Sacco und Vanzetti - so reaktionär und repressiv wie selten zuvor. Was Mark Lilla "die Linke" nennt, ist überhaupt erst als Folge der Großen Depression der 30er Jahre entstanden, als sich  Industriegewerkschaften bildeten, die nicht ständisch-exklusiv waren und sich für Ungelernte und... Schwarze öffneten: Das Rassenproblem war im Lauf der Great Migration von einem lokal südstaatlichen zu einem national amerikanischen Problem geworden.

Die politische Antwort war die Politik des New Deal unter dem demokratischen Präsidenten F. D. Rosoevelt, ihr Vordenker war der Pädagoge und pragmatistische Philosoph John Dewey. Er prägte das Schlagwort von New Liberalism, der, anders als der traditionelle Wirtschafts-liberalismus der Demokraten, einsah, dass ein Staat auf der Freiheit des Individuums nur dann aufgebaut sein kann, wenn die Individuen die sachlichen Mittel haben, sich ihrer Freiheit zu bedienen. Es heißt, es sei die amerikanische, klassenlose Variante der europäischen Sozialde-mokratie gewesen. Leo Trotzki erkannte dagegen im massiven Staatsinterventionismus des New Deal und der Kumpanei mit den Apparaten des Gewerkschaftsbunds CIO das gesell-schaftspolitische Pendant zu den Programmen der europäischen Faschismen: letzte Vertei-dígungslinien gegen die drohende Weltrevolution.

Anders als in Europa war die Linke in Amerika nie die politische Form einer realen Klassen-bewegung, sondern der ideologische Firnis einer besonderen Spielart bürgerlicher Politik. In Europa ist mit der Arbeiterbewegung die eine untergegangen, in Amerika mit dem Ende des Vietnamkriegs die andre. Übrig bleibt das Lamento und die Selbstbespiegelung." 25. 8. 19

Nicht verschwinden wird unter Biden der demagogische Populismus. Den hat es in den USA immer wieder mal gegeben, in den diversen "progressiven" Listen wie bei den Demokraten und jetzt eben bei den Republikanern. Dass Trump bei letzteren der Mehrheitsführer bleiben kann, bezweifle ich. Er mag uns als Kopf einer lärmenden, ewig stänkernden extremistischen Minderheit erhalten bleiben, aber das wird ihm auf die Dauer nicht genügen. Er könnte es wiedermal mit einer Dritten Partei versuchen, aber dafür hat er wiederum nicht genug Puste. Am ehesten kann ich mir vorstellen, dass er nun, wo die Luft raus ist, gegen all die Verräter tobt, die ihn im Stich gelassen haben, und langsam so klein und hässlich wird, dass es selbst die Treuesten der Treuen graust.

JE

Sonntag, 30. Oktober 2016

Nie wieder Wachstum?

aus nzz.ch, 29.10.2016, 05:37 Uhr

Geringes Wachstum als Normalfall
Sind die fetten Jahre vorbei?

Ist Wirtschaftswachstum nur eine Episode der Geschichte? Ein bemerkenswertes Buch argumentiert in diese Richtung. 

von Gerhard Schwarz

Es gäbe gute Gründe, sich mit etwas anderem als dem Langfristwachstum der USA zu beschäftigen. Zum einen blickt man dieser Tage nur ungern in die USA für Erhellung und Inspiration. Zum anderen sind in der Ökonomie Langzeitprognosen eine gefährlich spekulative Angelegenheit. Aber das Buch, das den Anstoss für diese Überlegungen gab, ist von so aussergewöhnlicher Breite und Tiefe und stammt von einem so bedeutenden Makroökonomen der USA, Robert J. Gordon, dass man es ernst nehmen muss, selbst wenn man nicht alles teilt. Gordon beschäftigt sich in «The Rise and Fall of American Growth» mit der Entwicklung des Lebensstandards in den USA seit dem Bürgerkrieg, aber mit Anpassungen lassen sich seine Botschaften auch auf Europa übertragen. Vier davon seien hier reflektiert.

Wachstum als Ausnahme

Erstens lautet die zentrale These Gordons, mit vielen Statistiken untermauert, die Zeit zwischen 1870 und 1970 stelle eine einmalige, nicht wiederholbare Periode in der Menschheitsgeschichte dar. Bis etwa 1770 habe der Lebensstandard während rund 100 000 Jahren praktisch stagniert, dann habe es eine deutliche Steigerung gegeben, und ab 1870 sei der Wohlstand geradezu explodiert. Diese Entwicklung sei um etwa 1970 zu einem Ende gekommen. Seither sei das Wachstum wieder gemächlicher geworden.

Für Gordon waren, zweitens, der wirtschaftliche und technische Fortschritt und die Verbesserung der realen Lebensverhältnisse in diesen einmaligen 100 Jahren deutlich bedeutsamer, als es die klassische Messgrösse des Bruttosozialprodukts zum Ausdruck bringt. Das ist eine überraschende These; meist liest man im Gegenteil, die ungenügende Berücksichtigung negativer Effekte des Wirtschaftens, etwa der Umweltverschmutzung, zeichne ein zu rosiges Bild des Wohlstands. Gordon bestreitet dies nicht, hält aber dagegen, die Fortschritte in der Medizin seien ebenfalls kaum berücksichtigt und würden die negativen Auslassungen mehr als kompensieren.

Fortschritt ist eine Frage des Ermessens 

Ebenso überraschend ist, drittens, die Behauptung, der technische Fortschritt habe sich seit 1970 verlangsamt. Das ist eine Frage des Ermessens. Sind heutige Selbstverständlichkeiten wie fliessendes Wasser bedeutsamer als die Kommunikationsrevolution des Internets? Hingegen zeigt Gordon klar, dass sich das Produktivitätswachstum ab 1970 gegenüber den «besonderen 100 Jahren» (1870–1970) markant verlangsamt hat.

In Verbindung mit der These der Nichtwiederholbarkeit der Ausnahmejahre führt dies, viertens, zu einem pessimistischen Ausblick für die nächsten 25 Jahre. Gordon erwartet ein Wachstum der Arbeitsproduktivität von 1,2 Prozent jährlich, gegenüber gut 1,6 Prozent in den letzten 45 Jahren und 2,8 Prozent zwischen 1920 und 1970.

Dramatischer sieht es beim Bruttoinlandprodukt pro Kopf aus, dessen jährliches Wachstum sich, wegen einer erwarteten Reduktion der Arbeitszeit, von 2,4 Prozent zwischen 1920 und 1970 auf 0,8 Prozent verlangsamen werde. Das verfügbare Medianeinkommen schliesslich wird sogar nur um 0,3 Prozent wachsen, in der «Boomzeit» waren es 2,25 Prozent gewesen. Solcher Pessimismus ist Liberalen zwar suspekt, aber man wird sich dem Argument nicht verschliessen können, dass in der Menschheitsgeschichte der Aufstieg des Westens eine Episode und geringes Wachstum – nicht Niedergang – möglicherweise den Normalfall darstellt.



aus Welt N24, veröffentlicht am 30.03.2016

Von Tina Kaiser, Chicago

...
Gordon gilt als Star unter den Ökonomen, als renommiertester Produktivitätsforscher weltweit. Seit 50 Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, was die Effizienz einer Volkswirtschaft und damit auch ihr Wachstum beeinflusst. Sein Wort hat Gewicht, das macht die Prophezeiung so bedrohlich.

„Deprimierendster Ökonom des Landes“





Der jüngste Beleg dafür könnte das gerade vorgestellte iPhone SE sein. Apple-Fans zeigten sich enttäuscht über das Gerät, das kaum Neues zu bieten hat. Wenn selbst dem Technologieriesen nichts mehr einfällt, stehen die Zukunftsaussichten offensichtlich nicht allzu gut.
 
Solche Nachrichten, in Kombination mit Gordons Buch gelesen, haben das Potenzial, Millionen Amerikaner schaudern zu lassen. „The Rise and Fall of American Growth“ („Der Aufstieg und Fall des amerikanischen Wachstums“), heißt das Werk. Die „Washington Post“ nannte ihn den „deprimierendsten Ökonomen des Landes“.
 
Auf zwei Sätze reduziert lautet seine pessimistische These: Der technische Fortschritt hat seinen Zenit überschritten. Die Zeiten des kräftigen Wirtschaftswachstums sind für die USA und andere führende Industrieländer vorbei. 
 
Das große Wachstum war nur ein Ausrutscher 
 
Viele Rezensenten haben das 784-Seiten-Buch als neues Standardwerk gelobt, andere halten Gordon für einen bockigen alten Mann, der die Tragweite moderner Technologien nicht versteht. Gordon streicht mit der flachen Hand über den Tisch: „Natürlich macht man sich mit schlechten Nachrichten nicht nur Freunde.“ Er zuckt die Schultern: „Ich hab mir das nicht ausgedacht, ich ziehe nur logische Schlussfolgerungen aus den Daten.“





Quelle: Infografik Die Welt
Gordon hat minutiös aufgeführt, wie jede einzelne bahnbrechende Erfindung seit dem 19. Jahrhundert – Verbrennungsmotor, elektrisches Licht, Sanitäreinrichtungen, Flugzeug – das Leben der Amerikaner verbessert und die hat. Seinen Berechnungen zufolge wuchs die Wirtschaft zwischen 1891 und 2007 pro Kopf und Jahr durchschnittlich um zwei Prozent.
 
Wenn die USA künftig noch die Hälfte erreichen würden, könnten sie sich schon glücklich schätzen, glaubt Gordon. Das bisschen Aufschwung käme beim Einzelnen aber vermutlich nicht an, sondern würde im überschuldeten Staatshaushalt oder beim reichsten einen Prozent verschwinden. Er könnte es auch so sagen: Das große Wachstum seit der industriellen Revolution war ein Ausrutscher der Geschichte. Es geht abwärts. Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa.
 
Tech-Industrie hält ihre Versprechen nicht
 
Die Menschen in Industrienationen haben sich daran gewöhnt, dass alles immer besser wird, der Lebensstandard von Generation zu Generation wächst. Damit ist es jetzt vorbei, sagt Gordon: „Die Generation der Millennials ist die erste, der es schlechter gehen wird als ihren Eltern.“ Junge Amerikaner bleiben deutlich länger im Elternhaus wohnen, haben mehr Probleme, ihre Studienkredite abzubezahlen, heiraten später und bekommen weniger Kinder.

Er glaubt, dass die von der Tech-Industrie beschrieene „vierte industrielle Revolution“ nichts weiter als eine Schimäre ist. Die sozialen Netzwerke, Apps, Roboter und Computer mit künstlicher Intelligenz verbesserten unsere Leben nicht im gleichen Maße wie die großen Erfindungen der Vergangenheit.
 
„Man nimmt das oft alles als selbstverständlich hin, wie sehr sich unser Alltag in den vergangenen 150 Jahren verbessert hat“, sagt Gordon. Von Generation zu Generation. Dieser Raum, sein Büro, wäre vermutlich früher im Winter zu kalt gewesen, um entspannt darin zu arbeiten, weil es keine Zentralheizung gab, und im Sommer zu heiß, weil die Klimaanlage noch nicht erfunden war. Er wäre mit einer holprigen, zugigen Kutsche zur Uni gefahren statt mit seinem leise dahingleitenden SUV. Seine Tassen hätte vermutlich seine Frau gespült, die dazu Wasser vom Brunnen ins Haus geschleppt hätte.

Von der Kutsche zum Boeing-Jet
 
„Wussten Sie, dass Frauen im 19. Jahrhundert pro Woche zwei Tage nur mit der Wäsche beschäftigt waren? Oder dass eine Hausfrau in North Carolina im Jahr 1885 durchschnittlich 35 Tonnen Wasser 148 Meilen weit getragen hat?“ Die Emanzipation der Frauen wäre ohne die Erfindung der Sanitäranlagen, Waschmaschinen und Kühlschränke niemals möglich gewesen, meint Gordon.
 
Ab 1929 begannen amerikanische Städte Kanalisationen zu bauen. Die Menschen lebten länger und gesünder, Krankheiten wie Cholera starben aus. „Bei diesen Erfindungen geht es nicht nur um Bequemlichkeit, sie haben die Welt verändert.“
 
Wenn er unterwegs ist und Vorträge hält, zeigt Gordon gerne zwei Fotos: das einer Holzkutsche und das einer Boeing 707. Die Holzkutsche steht für die Reisegeschwindigkeit des Jahres 1900. Damals fuhr man mit einem Prozent der Schallgeschwindigkeit. Die 1958 zugelassene Boeing 707, einer der ersten Langstreckenflieger der zivilen Luftfahrt, fliegt mit 80 Prozent der Schallgeschwindigkeit. „Unsere maximale Reisegeschwindigkeit hat sich also in rund 60 Jahren verachtzigfacht, seitdem aber nicht mehr groß erhöht.“
Gordon mag Facebook nicht
 
Diesen Teil seiner Analyse zweifelt niemand an. Die große Frage aber ist, ob man mit einem Blick in die Vergangenheit wirklich die Zukunft voraussagen kann. Gordon glaubt daran.
 
Der Professor sagt, dass Computer, Internet, Smartphones oder Dienste wie Facebook und die Taxi-App Uber das Leben zwar erleichtern. Er glaubt allerdings auch, dass die größten Erfindungen des Computer-Zeitalters schon hinter uns liegen. Das berühmte mooresche Gesetz, demzufolge sich die Rechnerkapazität alle ein bis zwei Jahre verdoppelt, gelte in Zukunft nicht mehr.
 
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman schrieb neulich, Gordon sei vielleicht zu alt, um zu verstehen, wie soziale Medien das Leben der Menschen verändert haben. Gordon gibt offen zu, dass er kein Technik-Freak ist. Er habe einen Laptop, seit zwei Jahren auch ein Smartphone und schreibe viele E-Mails, aber Facebook oder Twitter seien nichts für ihn.

Prominente Unterstützer
 
Das wäre vielleicht anders, wenn er und seine Frau Julie – eine promovierte Dozentin für englische Literatur an der Universität Chicago – Kinder und Enkelkinder hätten. „Dann gäbe es etwas zu gucken für uns.“ Das Modernste, das er für die Recherche seines Buches benutzt habe, seien Post-it-Zettel gewesen, scherzt er.
 
Der Professor mag schrullig wirken, ganz besonders in dem Moment, als während des Gesprächs sein iPhone klingelt, er hektisch auf dem Gerät herumdrückt und etwas peinlich berührt zugibt, dass er auch nach zwei Jahren nicht herausgefunden hat, wie man bei dem Ding den Ton ausstellt. Aber man sollte ihn trotzdem ernst nehmen.
 
Bekannte US-Ökonomen wie Tyler Cowen oder Chad Syverson kommen zu ähnlichen Schlüssen. Selbst aus dem Silicon Valley bekommt Gordon Unterstützung. Peter Thiel, einer der wichtigsten Risikokapitalgeber der Tech-Branche, machte schon 2011 seinem Frust mit einem pessimistischen Zukunftsmanifest Luft. Der Titel lautete: „Wir wollten fliegende Autos und haben 140 Zeichen bekommen.“ Twitter-Posts haben maximal 140 Zeichen.
Freund und Kritiker
 
Im Gegensatz zu Gordon glaubt Brynjolfsson, das „zweite Zeitalter der Maschinen“ liege noch vor uns. Er hält den Computer für eine ebenso grundlegende Erfindung wie die Elektrizität und argumentiert, dass sich in den ersten 30 Jahren nach Einführung des Stroms die Produktivität zunächst kaum verbesserte, weil Fabrikanten lediglich die Dampfmaschinen durch elektrische Motoren ausgetauscht hatten. Erst als die Arbeitsprozesse und die Funktionsweise der Maschinen angepasst wurden, kam der große Boom.
 
Mit dem Computer-Zeitalter wird es ähnlich verlaufen, glaubt Brynjolfsson. Die Tech-Industrie befinde sich am Anfang einer Wachstumskurve, die zunächst sehr flach ansteigt und in einigen Jahren durch die Decke gehen wird. Eines seiner liebsten Beispiele ist das selbstfahrende Auto, das Wissenschaftler vor zehn Jahren noch für unmöglich gehalten hatten, und das jetzt schon als Prototyp fährt.

Roboter beherrschen einfachste Tätigkeiten nicht
 
An diesem Punkt wird der Professorenstreit zur Glaubensfrage. Gordon ist überzeugt, der Übergang zum fahrerlosen Auto lasse sich nie und nimmer mit dem Wechsel von der Kutsche aufs Automobil vergleichen. Brynjolfsson dagegen träumt von einer Welt, in der es dank der selbstfahrenden Autos keine Staus, keine Unfälle, und keine LKW- und Taxifahrer mehr gibt.
 
Gordon findet, Brynjolfsson fehle der nötige Abstand, um die neuen Technologien nüchtern zu betrachten. Der treibe sich doch ständig im Silicon Valley rum, schaue sich all die neuen Roboter, den IBM-Superrechner Watson und die Erfindungen an, an denen Google & Co. in ihren Laboren basteln und sei „begeistert wie ein Kind im Süßigkeitenladen“.
 
Gordon sagt das nicht abfällig, sondern geradezu liebevoll über seinen Freund. Aber diese Roboter könnten nicht mal einfachste Tätigkeiten wie Wäsche zusammenlegen. Von wenigen Ausnahmen wie Kassenautomaten im Supermarkt oder Check-in-Automaten am Flughafen, sagt Gordon, werde die Arbeit in der Dienstleistungsbranche immer noch von Menschen erledigt. „Dabei wurde der Computer schon 1942 erfunden.“

Wirbel um die Endzeit-Theorie
 
Er behaupte ja keineswegs, es sei gar keine Innovation mehr vom Computerzeitalter zu erwarten. Das zarte Wachstum werde aber ausgebremst, unter anderem von der demografischen Alterung.

Gordon, ein Anhänger der Demokraten, der bei den Vorwahlen für Hillary Clinton gestimmt hat, kommt aus einer politisch interessierten Ökonomenfamilie. Seine Eltern Robert Aaron und Margaret berieten als Arbeitsmarktexperten die Regierung. Sein Bruder David war bis zu seinem Tod ein marxistischer Wirtschaftswissenschaftler an der New School in New York. Jeder der Professoren Gordon legte viel Wert darauf, nicht nur im Elfenbeinturm zu forschen.
 
Der letzte Gordon ist da genauso. Er freut sich über den Wirbel um seine Endzeit-Theorie. Auf seine alten Tage ist der weißhaarige Mann mit der Vorliebe für bequeme Strickpullis und Gesundheitsschuhe auch noch einem breiteren Publikum in den USA bekannt geworden. Trotzdem glaubt man ihm, wenn er sagt: „Ich wäre hocherfreut, wenn ich mich irre.“
 
 
Nota. - Das ist in der Tat bemerkenswert, dass ein Ökonom den Fortschritt nicht einfach am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts misst, sondern an qualitativen Kriterien des Lebensstandards. Und da kommt er ganz richtig zu dem Ergebnis, dass der Fortschritt der Menschheit unter der Herrschaft des Kapitalismus - denn das waren die letzten 200 Jahre - viel größer war, als er sich in Geldwert ausdrücken lässt.
 
Aber quantifizieren will auch Gordon den Fortschritt; nur dass er ihn nicht, wie bei Ökonomen üblich, in den in Geld gemessenen Tauschwerten, sondern in den Gebrauchswerten quantifizieren will, was freilich ein Unding ist. Wie will man den Rückgang von Krankheiten, das bessere und schmackhaftere Essen, die wohlfeile Massenunterhaltung und die zunehmend allen zugängliche Spitzenkultur gegeneinander aufwiegen? Da müsste man schätzen, und das ist eine Sache des Geschmacks (im allerweisteten Sinn).

Doch nehmen wir für einen Moment an, die Lebensqualität ließe sich quantifizieren. Wäre nicht anzunehmen, dass es uns irgendwann reicht? Die Soffwechselkapazität der Individuen ist biologisch beschränkt. Zwar ist die Schranke noch lange nicht in aller Welt erreicht, aber die verbleibende Lücke ließe sich auch bei verlangsamten Wachstum nach und nach schließen. Das dauert eine Weile, wenn das jährliche Wachstum des Reichtums das Anwachsen der Bevölkerung nur noch um 0,3 Prozent übersteigt. Aber wie das Längenwachstum der Menschen und auch ihr erreichbares Höchstalter irgendwann an eine natürlich Grenzen stoßen werden, so auch ihr komsumtives Fassungsvermögen.
 
Und dann wird sich zeigen: Die wahre Ökonomie ist gar nicht die unablässige Steigerung des Outputs, sondern - die Ersparnis von Zeit. 
 
Das war der eigentliche Auslöser des historischen Wachstum der vergangen zwei Jahrhunderte: die Explosion von Wissenschaft und Technologie, die, indem sie ununterbrochen Arbeitszeit einsparte, Zeit frei machte für - zusätzliche Arbeit: Mehrarbeit. Die Frage an die Industrie 4.0 ist heute gar nicht, ob sie erheblich mehr, auch nicht, ob sie erheblich Besseres produziert. Die Frage nach dem wirtschaftlichen Fortschritt wird sich in der Zukunft daran entscheiden, ob er Arbeitszeit freisetzt, indem er menschliche Arbeit immer überflüssiger macht - und daher nicht in Mehrarbeit verwandelt, sondern in freie Zeit. 
 
Und das wird nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern ein kultureller, eigentlich: der kulturelle Forstschritt der Menschheitsgeschichte sein: Wir werden uns nicht mehr darüber streiten müssen, wer wieviel abbekommt, sondern darüber, was wir tun wollen.
JE
 
 
 

Donnerstag, 6. Januar 2022

Ein historisches Datum.


aus derStandard.at, 6. 1. 2022

Kongress-Nachforschungen
Die USA schrammten am 6. Jänner 2021 knapper am Kollaps vorbei als bisher bekannt
Ein Jahr nachdem das US-Kapitol von Trump-Anhängern gestürmt worden ist, bleiben für die Untersuchungskommission noch viele Fragen offen – auch die Schuldfrage Donald Trumps

"Hau ab!", faucht Liz Cheney ihren republikanischen Parteikollegen Jim Jordan an und schlägt seine helfende Hand zur Seite: "You fucking did this!" – "Du hast das angerichtet!". Es ist der 6. Jänner 2021, kurz nach 14 Uhr, als die Sicherheitskräfte des US-Kapitols in die laufende Parlamentssitzung zur Präsidentschaftswahl platzen. Ein wütender Mob von Trump-Anhängern hat das Gebäude gestürmt.

Die Sicherheitskräfte verteidigen mit gezogener Pistole den Eingang zum Plenarsaal, während die Abgeordneten angewiesen werden, sich die unter den Sitzen befindlichen Gasmasken überzuziehen. Panik bricht aus. Der Vizepräsident samt Familie wird unter Geleitschutz in einen Sicherheitsraum eskortiert. Abgeordnete laufen um ihr Leben, verschanzen sich mit ihren Mitarbeitern in den Büros. Fünf Menschen kommen an diesem Tag ums Leben, hunderte werden verletzt.

Beim Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner 2021 wurden fünf Menschen getötet.

Dieser 6. Jänner sollte als schwarzer Tag in die amerikanische Geschichte eingehen. Ein Tag, der die USA völlig unvorbereitet traf und drohte, das gesamte Land ins Chaos zu stürzen. Die Vereinigten Staaten von Amerika, diese stolze Nation, die sich im Treueschwur auf die Flagge als "unbesiegbar" bezeichnet und die fernen Ländern gerne mit viel missionarischem Eifer und noch mehr Kriegsgerät Lektionen in Demokratie erteilt; ausgerechnet diese Supermacht wäre um ein Haar Schauplatz eines gewaltsamen Staatsstreichs geworden, angezettelt vom eigenen Präsidenten.

Wie konnte es so weit kommen? Das herauszufinden, ist die Aufgabe eines überparteilichen parlamentarischen Komitees, das seit Monaten dabei ist, ehemalige Mitarbeiter und Vertraute von Donald Trump vorzuladen, notfalls sogar verhaften zu lassen, sollten diese ihre Mitarbeit verweigern.

Mammutaufgabe

Das Gremium, zu dem auch Liz Cheney, die republikanische Abgeordnete aus Wyoming, gehört, steht vor einer Mammutaufgabe. 300 Zeugenaussagen, mehr als 60.000 Seiten an Dokumenten müssen ausgewertet werden. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, ergeben die Puzzle-Teile, die bis heute bekannt sind, ein düsteres Bild über die allgemeine Verfassung der USA. Wie zerrissen die Gesellschaft ist und wie schnell selbst die stärksten Pfeiler von Demokratien zum Wanken gebracht werden können, sofern man weiß, welche Knöpfe gedrückt werden müssen.

Die Republikanerin Liz Cheney gehört zur Untersuchungskommission.

Schon lange vor der Wahl, im Frühjahr 2020, begann Donald Trump damit, via Twitter und Facebook Gerüchte von einem möglichen Betrug zu streuen. Je näher der Wahltermin rückte, umso verheerender fielen die Umfragewerte für den Präsidenten aus. Als die Wahl Anfang November verloren ging, kam fünf Tage später in Arlington, am anderen Flussufer von Washington, das Trump-Team zusammen, um über mögliche nächste Schritte zu beraten. Mit darunter auch Stabschef Mark Meadows sowie Kayleigh McEnany, Trumps Pressesprecherin, die noch am selben Tag im Weißen Haus verkündete, diese Wahl sei "noch nicht gelaufen – noch lange nicht".

Behauptungen und Verschwörungsmythen

Es folgten Versuche, die Wahl juristisch anzufechten und für ungültig erklären zu lassen. Dazu wurde von Trumps Gefolgsleuten eine Reihe von wilden Behauptungen und Verschwörungsmythen aufgestellt, die sich vor Gericht allesamt als Unsinn erwiesen. Darunter auch die Legende, das US-Militär hätte in Deutschland Server beschlagnahmt, die im Zusammenhang mit manipulierten Wahlcomputern stünden. Eine andere Theorie, die sich in den sozialen Medien verbreitete, sprach von gefälschten Wahlzetteln, die aus Südkorea eingeflogen worden seien. Noch nicht einmal republikanisch geführte Bundesstaaten wie Arizona oder Georgia konnten nach intensiven Nachforschungen Belege für irgendwelche Unregelmäßigkeiten feststellen. Dutzende Klagen Trumps liefen ins Leere und scheiterten zuletzt sogar vor dem durch Trump persönlich mehrheitlich konservativ besetzten Supreme Court.

Im Dezember wurden die Untersuchungsberichte der eigenen Behörden, darunter auch das FBI, von Trump in Zweifel gezogen. Der Präsident und seine engsten Vertrauten begannen damit, Mitarbeiter aus dem Justizministerium, Gouverneure und einflussreiche Wahlkampfspender anzurufen. Darunter auch ein Telefonat, das seinen Weg in die "Washington Post" fand: "Ich will nur 11.780 Stimmen finden", drängt der US-Präsident den republikanischen Wahlaufseher von Georgia, Brad Raffensperger, in dem Telefonmitschnitt. 19-mal soll Trump Raffensperger zuvor angerufen haben, um die nötigen Stimmen für ihn zu finden. Später reichte der Präsident Klage gegen den Regierungsbeamten ein, weil dieser das Gespräch aufgenommen und veröffentlicht habe.

Anweisung an Mike Pence

Anfang 2021 überschlugen sich die Ereignisse. Am 6. Jänner kamen die Abgeordneten beider Kammern zur Ratifizierung der Präsidentschaftswahl im US-Kapitol zusammen. Für gewöhnlich ein rein formaler Akt, bei dem die Stimmen der Wahlleute verlesen werden, um dann den Wahlsieger auszurufen. Für Trump war es die letzte Möglichkeit, den demokratischen Prozess einer geordneten Amtsübergabe zu stoppen. Aus beschlagnahmten E-Mails und Textnachrichten geht hervor, dass Vizepräsident Mike Pence angewiesen wurde, das Votum einzelner Bundesstaaten aufgrund von "Unregelmäßigkeiten" nicht anzuerkennen. Dadurch hätte sich das Stimmenverhältnis verschoben und Trump hätte, jedenfalls in seiner Vorstellung und in windschiefen Interpretationen der Gesetze, zum Wahlsieger erklärt werden können. Doch dazu kam es nicht mehr. Tausende von Trump angestachelte Demonstranten zogen zu diesem Zeitpunkt bereits vom Weißen Haus in Richtung Kapitol.

Was die persönliche Schuldfrage des Ex-Präsidenten betrifft, liegt auch heute noch, ein Jahr später, vieles im Dunkeln. Hatte Trump persönlich seinen Stabschef Mark Meadows oder den Kongressabgeordneten Jim Jordan dazu aufgefordert, das Gesetz zu brechen? Wieso weigerte sich der Ex-Präsident mehrere Stunden lang, seine Anhänger zurückzurufen, während er das Spektakel vor dem Fernseher verfolgte? Warum hat er nicht sofort die Armee in Bewegung gesetzt, um das Parlamentsgebäude zu verteidigen? Und: Kann der Commander in Chief als oberster Befehlshaber auch für Untätigkeit belangt werden? Hätte Trump die allgemeine Lage über den sogenannten "Insurrection Act" umgekehrt für einen Putsch nutzen können, wenn die Nationalgarde früher zum Einsatz gekommen wäre? Drohte gar ein Bürgerkrieg? Was bisher bekannt ist, legt nahe, dass die USA knapper am Kollaps vorbeischrammten als bisher bekannt.

"Präsident Trump war persönlich an der Planung und Durchführung des 6. Jänner beteiligt und dieser Ausschuss wird dem auf den Grund gehen", hatte Kongressabgeordnete Cheney zum Auftakt der Ermittlungen im letzten Herbst angekündigt. Die Uhr tickt. Sollten die Demokraten bei den Zwischenwahlen im November die Mehrheit im US-Kongress verlieren, wäre das vermutlich auch das Ende der Untersuchungskommission.