Freitag, 13. September 2013

Auch dies eine Revolution.

aus Der Standard, Wien, 11. 9. 2013

Küchenrevolution im alten Ägypten

Wissenschafter rekonstruieren den Alltag in einer oberägyptischen Stadt im Altertum - und wie sich Gewohnheiten im Heim und am Herd veränderten

von Kurt de Swaaf

Der Ort war zweifellos ideal: eine Insel im Nil, strategisch günstig gelegen im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Nubien und am ersten Katarakt - mit seinen Stromschnellen ein berüchtigter Engpass für die Schifffahrt auf dem Fluss. Das Eiland wurde bereits im vierten Jahrtausend vor Christus von Menschen besiedelt. Es war die Keimzelle einer zukünftigen Handels- und Kulturmetropole.

Die wachsende Inselsiedlung wurde auf den Namen Elephantine getauft. Später entstand auf dem gegenüberliegenden rechten Nilufer die Schwesterstadt Syene. Der Beginn einer jahrtausendealten Geschichte. In den 1950er-Jahren begannen Forscher des Schweizer Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo mit der archäologischen Erkundung von Elephantine. Seit 1969 werden die Untersuchungen in Kooperation mit dem Deutschen Archäologischen Institut durchgeführt.

Die Wissenschafter stießen auf vielerlei Zeugnisse altägyptischer und hellenistisch-römischer Kultur, datierend aus dem Zeitraum von rund 4000 Jahren vor bis in das neunte Jahrhundert nach Christus. "Ab dem vierten Jahrhundert vor Christus wurde Elephantine allmählich zum religiösen Zentrum der Region", erklärt Grabungsleiter Cornelius von Pilgrim. Syene dagegen war vor allem eine zivile Handelsstadt und gleichzeitig Militärstützpunkt. Über die Vergangenheit dieser Teilstadt ist bisher allerdings viel weniger bekannt. Der Hintergrund: Das ehemalige Syene liegt direkt unter dem Stadtgebiet des heutigen Assuan. Für Archäologen nur schwer erreichbar.

Zum Glück ist Assuan eine äußerst dynamische Kommune. Während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte fand hier ein regelrechter Bauboom statt. Gebäude wurden abgerissen und neue errichtet, und jedes Mal eröffnete sich damit für die Forscher eine Möglichkeit, im Untergrund nachzuschauen.
 
Organische Funde

"Bisher haben wir über 70 solcher Notgrabungen machen können", berichtet von Pilgrim. Dabei wurden nicht nur die Überreste von Gebäudeensembles entdeckt, sondern auch eine enorme Menge kleinerer Objekte - von Gebrauchsgegenständen bis hin zu Tierknochen und Samenkörnern. "Das Positive ist, dass in Ägypten auch Organisches erhalten ist", sagt Sabine Ladstätter. Dem trockenen Klima sei Dank.

Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts in Wien, ist ebenfalls an der Erforschung von Syene und Elephantine beteiligt. Seit 2011 leitet die Expertin ein Projekt zur umfassenden Auswertung aller vorliegenden Funde. Der Wissenschaftsfonds FWF unterstützt das Vorhaben finanziell.

Ziel ist es, die Zusammenhänge zwischen einzelnen Fundstücken, ihren genauen Fundorten in den Gebäuderesten und ihren früheren Funktionen zu analysieren. Informationen aus bereits entzifferten Papyrustexten sollen das Bild vervollständigen. So wollen die Wissenschafter zu einem detaillierten Einblick in die frühere Alltagskultur Oberägyptens gelangen. Wie wohnten und arbeiteten die Menschen damals, wie waren ihre Häuser eingerichtet, und welche Vorlieben hatten sie?

Die Untersuchungen des österreichischen Teams konzentrieren sich zu einem wesentlichen Teil auf Keramikfunde. Sie liegen reichlich vor, und das hat seine Gründe. "Keramik ist eines der wenigen Materialien, die, wenn sie einmal zu Bruch gegangen sind, kaum mehr verwendet werden können", betont Ladstätter. Glas und Metalle dagegen landeten schon vor Beginn unserer Zeitrechnung meist im Recycling. Man schmolz sie einfach ein und machte Neues daraus. Immer wieder.

Die bisherigen Auswertungen zeigen, wie hellenistisch-römische kulturelle Einflüsse am Nil Fuß fassten. Griechische Söldner waren bereits Mitte des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung in der Grenzgarnison von Syene und Elephantine stationiert. Sie führten unter anderem erfolgreich den Weinbau ein, doch ihre ägyptischen Nachbarn blieben zunächst bei ihrer eigenen Lebensweise.

Der Umschwung erfolgte dann im Verlauf des dritten Jahrhunderts vor Christus. Plötzlich tauchen in den Haushalten dünnwandige Kasserollen aus Keramik sowie anderes neuartiges Geschirr im mediterranen Stil auf. Importware aus Süditalien zum Beispiel. Zuvor hatten die meisten Einwohner der Nilmetropole in hohen, massiven Kochtöpfen gekocht, auch die Speisen müssen sich dementsprechend geändert haben. "Das ist ein völliger Kulturbruch, der da das ganze Land erfasst", meint Ladstätter.
 
Feines Tafelgeschirr

Syene und Elephantine importierten gleichwohl nicht nur Keramik, die Handwerker der Doppelstadt stellten auch selbst große Mengen solcher Produkte her. Vor allem "Terra sigilata", feines Tafelgeschirr, wurde nach und nach zu einem Exportschlager. In der Spätantike des fünften und sechsten Jahrhunderts nach Christus, erklärt Ladstätter, stand das Keramikgeschäft in voller Blüte. "Damals war Syene-Elephantine einer der weltgrößten Produzenten von Tafelgeschirr."


Als Rohstoff kam vor allem ein spezieller Ton aus dem nahen Hinterland zum Einsatz. Dieser "pink clay", rosaroter Ton, eignete sich hervorragend für die Herstellung von "Terra sigilata" und wird auch heute noch genutzt, berichtet Ladstätter. Amphoren und Ziegel dagegen wurden aus Nilschlamm geformt. Um das Material leichter zu machen, setzte man ihm kleingehäckseltes Stroh zu.

Das archäologische Puzzle rund um die Keramikproduktion ist indes noch nicht vollständig, denn Töpferöfen konnten vor Ort noch nicht nachgewiesen werden. Dafür jedoch fanden sich bei den Grabungen in Elephantine einige verdächtige Schichten. Diese Ablagerungen enthalten ungebrannte Keramikreste, aufbereitete, "gemagerte" Tonklumpen mit Steinchen als Beistoff und Fehlbrände. Deutliche Hinweise.

Interessant sind auch die ungefähr handgroßen weißen Schälchen, die zahlreich in bestimmten spätantiken Ablagerungen gefunden wurden. Die kleinen Gefäße - wohl zum Weintrinken gedacht - wurden ebenfalls aus "pink clay" hergestellt und mit einer weißen Tonschlickfarbe überzogen. Vermutlich sollte so eine Art Glasoptik erlangt werden, sagt Ladstätter. Die Verbreitung der Schälchen war zeitlich eng eingegrenzt. "Hier muss man wirklich von einer Modeerscheinung sprechen." Ein historischer Hype, sozusagen.

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