Sonntag, 1. September 2013

Urheberrecht - ein zivilisatorischer Brennpunkt.

Goethe und Schiller vor dem Weimarer Nationaltheater

Es gibt Themen, die wie ein Brennglas die Elementarfragen eine Zivilisation in einem Punkt zusammen fassen. Der gegenwärtige Streit um das Urherberrecht alias das geistige Eigentum ist ein solches.
 
Akut wurde es, als die Betreiber der werbefinanzierten Internet-Tauschbörse The Pirate Bay von einem schwedischen Gericht zu Haftstrafen und einer hohen Schadenersatzzahlung verurteilt wurden: Sie hatten Millionen Nutzern geholfen, urheberrechtlich geschütztes Material gratis aus dem Internet herunterzuladen; ohne freilich am Tauschgeschäft selber etwas zu verdienen. Der jüngste Erfolg der schwedischen Piratenpartei geht darauf zurück; bei der Europawahl Anfang des Monats erhielt sie 7,1% der Stimmen und entsendet einen Abgeordneten nach Straßburg.

Vor allem junge Männer haben die Piratenpartei gewählt. Ihr ältester Aktivist aber dürfte der 73-jährige Schriftsteller Lars Gustafsson sein. In einem Wahlaufruf verglich er die heutige Lage mit dem Kampf um die Druckfreiheit vor der Französischen Revolution. Damals hätten sich die neuen Ideen nur dank der neuen Technologie durchsetzen können. Zensur und Razzien hätten diese nicht gestoppt, sondern geradezu stimuliert. Für Schriftsteller, die etwas zu sagen hätten, sei die Zirkulation ihrer Ideen, selbst durch Raubkopien, wichtiger als das Urheberrecht. Dieses schütze einzig die Verfasser von trivialer Massenliteratur, die sich so «neue Herrensitze» zulegen könnten.

Das ist wahr – dem Autor, der etwas zu sagen hat, ist mehr daran gelegen, ebendas zu tun, als am Geldverdienen. Genauso wahr ist aber auch, dass er, damit er es sagen kann, von irgendwas leben muss. Lebt er nicht von der Art und Weise, wie er es sagt – nämlich auf einem privat anzueignenden und folglich verkäuflichen Datenspeicher -, dann muss er von irgendwas anderm leben; und in der Zeit, die er dafür braucht, kann er nichts sagen – und nicht einmal überlegen, was er sagen soll. Es wird ihm auch, wenn’s ihm irgend ernst ist, mehr darauf ankommen, wie gut und wie hörbar er es sagen kann, als darauf, wie gut er dabei lebt. Aber dass er lebt, bleibt unabdingbar.
 
Die Frage nach dem Urherberrecht in Zeitalter des Internet ist daher sachlich verknüpft mit der Frage nach dem Tausch- und dem Gebrauchswert der Arbeit.
 
Da ergibt sich ein unerwarteter Zusammenhang mit der von Milton Friedmann, dem Schwarzen Mann des Neoliberalismus, in die Welt gesetzte Idee eines staatlich garantierten Grundeinkommens, gelegentlich auch als “Bürgergeld” apostrophiert. Zunächst stammte der Gedanke aus dem Wunsch nach einer Vereinfachung des Besteuzerungssystems, das, wenn es “gerecht” sein soll, je nach Höhe der Einkommen ungleich sein muss und tausend Ausnahmelagen berücksichtigen muss; dann aber unübersichtlich und überkompliziert ist und dabei einen gigantischen Verwaltungsaufwand verschlingt – was am Ende ungerecht ist gegen alle.
 
Am ‘effektivsten’ ist ein einheitlicher Steuersatz für alle. Aber indem er die Geringverdiener, die gerade eben das Lebensnotwendige im Portmonnaie haben, ebenso belastet wie die Eigentümer des großen Kapitals, ist er von allen der ungerechteste. Daher die Idee, dasjenige, was für eines jeden Lebensunterhalt das Unabdingbare ist, überhaupt nicht zu besteuern – und alles, was darüber liegt, mit ein und demselben Satz. Und von den gewaltigen Summen, die durch diese Vereinfachung eingespart würden, könnte in den entwickelten Industriesländern laut Berechnung der Weisen dieser Grundbetrag einem jeden Bürger ohne Prüfung der ‘Bedürftgkeit’ vom Staat ausgezahlt werden – auch wenn er sie nicht durch den Austausch seiner Produkte oder den Verkauf seiner Arbeitskraft ‘verdient’ hat!
 
Ihre ersten energischen Fürsprecher außerhalb der Gruppe der Steuerexperten hat diese Idee bei den Sozialpolitikern gefunden – die damit das leidige Thema der Sozialhilfen, Arbeitslosenunterstüzungen, deren Undurchsichtigkeit und ihren angeblich wuchernden Missbrauch gleich mit erledigen wollten.
 
Dann meldeten sich die Zukunftsforscher zu Wort. Die galoppierende Digitalisierung und Kybernetisierung der Arbeitswelt macht die einfachen, lediglich ausführenden Tätigkeiten überflüssig – und macht alle die arbeitslos, die sonst nichts gelernt haben. Die Etablierung einer stabilen Gesellschaftsklasse – “ein Drittel”! – von gezwungenen Nichtstuern droht, die ihre freie Zeit mangels Geld nicht mal durch Konsum ausfüllen können. Ein Sprengsatz für die gute Gesellschaft…
 
Dabei ist der Vorschlag am Innovativsten nicht am unteren, sondern am oberen kulturellen Rand der Mediengesellschaft! Der Fall Pirate Bay macht es deutlich, man muss nur genau hinschauen. All die ‘Kreativen’ (ein blöder Ausdruck, aber es fällt mir momentan kein besserer ein), denen es zuerst darauf ankommt, der Welt das mitzuteilen, was sie ihr zu sagen haben, und nicht darauf, in Luxus zu leben… all die könnten genau das tun, ohne sich um ihren Lebensunterhalt sorgen und dabei ihre fruchtbarste Zeit verplempern zu müssen. Wenn sie, wie man ihnen ja wünschen darf, dabei auf gute Resonanz stoßen und einen mondänen Erfolg erzielen, mögen sie ja auf diese oder jene Weise hinzuverdienen, soviel die Marktlage hergibt; und denselben einheitlichen Steuersatz zahlen wie alle andern.
 
Der Taxifahrer mit Dr. phil. ist eine gängige deutsche Witzfigur. Vielleicht nicht ganz so repräsentativ, wie die Comedians glauben machen; aber sicher finden sich unter den akademisch Gebildeten einige Zehn-, womöglich Hunderttausende, die des blöden Gelderwerbs willen ihre Lebenszeit mit Tätigkeiten überdauern, die weit unterhalb ihrer gefühlten Möglichkeiten liegen. Und wenn sich davon nur jeder Zehnte nicht überschätzt – dann ist das immer noch eine Riesenmasse von Talent, das für den Fortgang der Kultur vergeudet ist!
 
Und dass zu Viele dann ‘nix arbeiten’, sondern nur ihren Phantasien nachjagen, braucht eine Gesellschaft, “in der Arbeit künftig Mangelware sein wird”, nicht zu fürchten; denn solange sie eben das tun, kommen sie wenigstens nicht auf dumme Gedanken…
 
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Dass unter solchen Umständen von einer Klasse von Menschen, die ‘gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an Andre zu verkaufen, weil ihnen die Arbeitsmittel fehlen, um selber Waren zu produzieren’, nicht mehr die Rede sein kann, ist abschließend noch zu erwähnen. Nicht nur, weil keiner mehr ‘gezwungen ist’; sondern auch, weil das wichtigste Arbeitsinstrument der Zukunft, der PC, längst zum “garantierten Minimum” zählt und noch im ärmsten Haushalt nicht weniger selbstverständlich ist als das Tiwie.

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