Was das Christentum vom Judentum kopierte
Zu Zeiten Jesu wurden im Judentum mitunter mehrere Götter verehrt - der Monotheismus kam erst durch das Christentum. Judaistik-Professor Peter Schäfer über die Frühzeit zweier Weltreligionen.
Interview von Oliver Das Gupta, Berlin
Peter Schäfer, Jahrgang 1943, gilt weltweit als einer der besten Kenner der jüdischen Antike und des jüdischen Mittelalters. Der Wissenschaftler lehrte als Professor unter anderem in Princeton, heute leitet er als Direktor das Jüdische Museum Berlin. Schäfer veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt erschien bei C.H. Beck "Zwei Götter im Himmel: Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike".
SZ: Glauben Sie an den lieben Gott, Herr Schäfer?
Peter Schäfer: Ich gebe mir Mühe und versuche es.
Immerhin. Die Erkenntnisse, die Sie zum Vorschein gebracht und zusammengetragen haben, erschüttern die gängige Vorstellung von altem Judentum und dem frühen Christentum. Sie behaupten, bis zu Jesu Lebzeiten habe es im Judentum Vorstellungen von zwei göttlichen Gestalten im Himmel gegeben. Bekommen Sie großen Unmut zu spüren?
Manche Leute reagieren tatsächlich wütend. Ein
evangelischer Pfarrer schrieb mir unlängst sinngemäß: Alles Quatsch,
alles völlig absurd, ich hätte keine Ahnung.
Es ist ja auch verwirrend, wie unterschiedlich im Judentum bis ins erste Jahrhundert nach Christus geglaubt wurde. Wie lange dauerte diese heterogene Phase?
Das zog sich über Jahrhunderte. Der Ein-Gott-Glaube war im frühen Judentum ambivalent und umstritten, die Vorstellungen waren selten eindeutig und nie einhellig. Schon in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament der Christen, gab es ein Hin-und-Her, gab es mehrere parallel verlaufene Linien, die sich immer wieder kreuzten.
Wurde um den Glauben arg gestritten?
Davon kann man ausgehen. Auf der einen Seite standen diejenigen Gelehrten, die einen einzigen Gott durchsetzen wollten. Für andere existierte neben dem "alten Gott" noch ein jüngerer Gott, der für Krieg und Erlösung zuständig war.
Erlösung - das klingt nach Jesus von Nazareth.
Das Christentum gerät mit Jesus von Nazareth in diese Situation hinein. Die Idee eines jungen Gottes, eines Gottessohns, haben nicht die Christen erfunden. Sondern das Christentum bedient sich bei Vorstellungen, die bereits im Judentum vorhanden waren. Das Musterbeispiel dafür ist die Figur des "Menschensohns".
Im Neuen Testament wird Jesus oft so genannt. Woher stammt dieser Titel?
Der Begriff wird erstmals im Buch Daniel genannt, das im 2. Jahrhundert vor Beginn der christlichen Zeitrechnung entstanden ist: In Daniel wird von einem göttlichen Wesen gesprochen, das auf den Wolken des Himmels erscheint und das aussieht wie ein Mensch. Er tritt hin vor den alten Gott, der weiße Haare hat. Der Menschensohn ist derjenige, der das Volk Israel erlösen wird. Der Messias wird im Judentum manchmal - nicht immer - vergöttlicht. Somit ist klar, das Christentum hat nichts neu erfunden. Das Christentum sieht im Messias eine göttliche Gestalt - aber das war im Judentum schon so angelegt.
Das klingt so, als ob sich das Frühchristentum eins zu eins bedient hätte an bestehenden Vorstellungen.
Zumindest weitgehend ist das der Fall. Es gibt einen einzigen großen Unterschied: Im Judentum wird Gottes Sohn nicht Mensch, aber ein Mensch kann in den Himmel aufsteigen und vergöttlicht werden.
Wem wurde den alten jüdischen Quellen zufolge eine solche Ehre zuteil?
Manche biblische Autoren schrieben König David eine solche Vergöttlichung zu. David wird demnach der Messias. Daraus entwickelt sich die Erwartung eines davidischen Messias.
Gab es auch Kultstätten, wo - neben dem "alten Gott" - andere vergöttlichte Figuren verehrt wurden?
Es existierten weitere Orte, bevor sich Jerusalem als zentrale Kultstätte durchsetzen konnte. Im fünften Jahrhundert vor der Zeitrechnung gab es im ägyptischen Elephantine sogar einen jüdischen Tempel, wo der männliche Gott zusammen mit Göttinen verehrt wurde. Daran scheinen sich die Jerusalemer nicht sehr gestört zu haben. Später wurden diese anderen Schreine bekämpft und zerstört, um den einen zentralen Ort für den einzigen Gott zu haben in Jerusalem. Immer wurde versucht, das enge Korsett des Monotheismus aufzubrechen. Und immer wieder wurde versucht, es zu schnüren.
Wie setzte sich der Monotheismus im Judentum durch?
Das liegt auch am Christentum - und es geschah in mehreren Phasen. Dazu muss ich ein bisschen ausholen. In einem langen Prozess hat sich das Christentum aus dem Judentum entwickelt. Mehrere Jahrhunderte war das Christentum eine jüdische Reformbewegung, der Austausch war gerade in Palästina längere Zeit fluide, der Diskurs fruchtbar. Bei den babylonischen Juden im heutigen Irak kann man früher von zwei Religionen sprechen. Da die Christen mit Gottvater und Jesus die alte jüdische Vorstellung zweier Götter im Himmel übernommen haben, fand das Judentum im Monotheismus sein Alleinstellungsmerkmal.
Wann begann der christliche Antijudaismus, der Vorgänger des Antisemitismus?
Das hat mit Kaiser Konstantin zu tun, mit dem im vierten Jahrhundert der Aufstieg des Christentums zur wichtigsten Religion im Römischen Reich begann. Danach hat es gekracht: Das Christentum wurde immer mächtiger, die ersten großen Kirchen wurden gebaut. Es gab einen enormen Pilgeransturm auf das Heilige Land, durch den die einheimische Bevölkerung immer mehr unterdrückt wurde. Im Mittelalter verschärfte sich die Situation massiv.
Ist denn die Kabbala, das mystische Judentum, monotheistisch? Wann entstand sie?
Das beginnt deutlich später, etwa um 1200. Und in der Tat, die Kabbala ist auch nicht gerade ein Musterbeispiel des Monotheismus. Denn hier wird ein Gott beschrieben, der sich in zehn göttliche Potenzen entfaltet.
Eine Zehnheit?
So ist es. Es wird noch besser: Eine dieser Potenzen, die zehnte, ist weiblich und steht an der Schwelle zur irdischen Welt. Die Weiblichkeit ist also die Vermittlerin zwischen dem Himmel und der Erde. Auch hier liegt ein Austausch mit dem Christentum auf der Hand: In der Entstehungszeit der Kabbala explodiert in Frankreich der katholische Kult um Maria, die als göttliche Mediatrix fungiert. Aber erst nach der Vertreibung der Juden aus Spanien wurde die Kabbala zu einem Massenphänomen.
Also gab es auch im Mittelalter keinen lupenreinen Monotheismus im Judentum. Wann kristallisierte sich das heutige Gottesbild im Judentum heraus?
Das passierte erst im 19. Jahrhundert, nicht zuletzt auch als Reaktion auf den Protestantismus: Es ist eine rationalistische Glaubensauffassung, das Streben nach einem Ideal.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen