Ein Interview mit Condoleezza Rice
aus nzz.ch, 26. 2. 2018
... Sie
haben auf den sozialen Fortschritt in den USA hingewiesen. Die
Mitglieder von Minderheiten sind zu Bürgern im vollen Sinne geworden. An
den Universitäten ist in den letzten zwanzig Jahren zugleich eine
Kultur der Political Correctness (PC) entstanden, die alle darauf
verpflichtet, ihre Kollegen mit Samthandschuhen anzufassen. Schränkt die
PC das freie Lehren, Reden und Denken ein, oder ist sie ein blosses
Scheinproblem?
PC
ist eine ernstzunehmende Bedrohung für die Existenz von Universitäten.
Wenn ich höre, dass Studenten sich wohl fühlen wollen, hört bei mir der
Spass auf. Es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich Leute
in meinen Kursen wohl fühlen, im Gegenteil – es ist mein Job, sie dazu
zu bringen, die Wohlfühlzone zu verlassen. Sie müssen sich mit Ideen
auseinandersetzen, die nicht in ihr Weltbild passen. Verstehen Sie mich
richtig – es geht nicht darum, Leute zu beleidigen oder schlecht zu
behandeln, aufgrund ihrer Ethnie oder ihrer Religion. Es geht an einer
Universität darum, in der Erkenntnis gemeinsam weiterzukommen, und die
kennt nun einmal weder Ethnie noch Religion.
Wann
ist die Bewegung gekippt, von einer Bewegung, die Anstand verbriefen
wollte, zu einer Aktion, die Schutz vor unbequemen Meinungen fordert?
Der
Prozess, der mit den besten Absichten begann, verlief schleichend.
Zuerst ging es um gleichen Respekt für alle – das war gut. Doch das
Blatt hat sich gewendet, eine kleine extreme Minderheit begann so zu
argumentie- ren: Wann immer du etwas sagst, das mich als Angehöriger einer
Minderheit beleidigt, auch wenn du es nicht so gemeint hast, habe ich
das gute Recht, beleidigt zu sein und dir den Mund zu verbieten. Eines
Tages haben wir gemerkt, dass die Studentenschaft – und auch die
Gesellschaft – in immer kleinere Identitätsgruppen zerfällt, die nichts
mehr miteinander zu tun haben wollen. Jede Gruppe fühlt sich
benachteiligt, klagt ihre eigenen Missstände an, jede hat ihr eigenes
Narrativ.
Geben Sie in Ihren Kursen Trigger-Warnungen, weil Sie befürchten müssen, dass Studenten mit Ihren Aussagen nicht umgehen können?
Nein,
ich tue genau das Gegenteil. Zu Beginn meiner Kurse sage ich allen
ehrlich und direkt: Keiner von euch hat das Recht, nicht beleidigt zu
werden. Ihr könnt euch nicht auf die amerikanische Verfassung berufen,
um euch unangenehmen intellektuellen Erfahrungen zu entziehen. Lernt,
damit umzugehen.
Sie bleiben also gelassen?
Absolut.
Die Studenten ändern sich auch – die jüngeren, so scheint mir, sind
wieder härter im Nehmen. Die Bewegung der PC hat den Zenit
überschritten. Amerikanische Institutionen brauchen zuweilen etwas Zeit,
aber sie können sich selber korrigieren. ...
Interviewer: René Scheu.
Nota. - Frau Rice dürfte injured gesagt haben - correct übersetzt mit dem hierzulande allseits beliebten verletzt.
JE
Nota. - Frau Rice dürfte injured gesagt haben - correct übersetzt mit dem hierzulande allseits beliebten verletzt.
JE
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