Dienstag, 27. Februar 2018

"Keiner hat das Recht, nicht beleidigt zu werden."

Ein Interview mit Condoleezza Rice

aus nzz.ch, 26. 2. 2018

... Sie haben auf den sozialen Fortschritt in den USA hingewiesen. Die Mitglieder von Minderheiten sind zu Bürgern im vollen Sinne geworden. An den Universitäten ist in den letzten zwanzig Jahren zugleich eine Kultur der Political Correctness (PC) entstanden, die alle darauf verpflichtet, ihre Kollegen mit Samthandschuhen anzufassen. Schränkt die PC das freie Lehren, Reden und Denken ein, oder ist sie ein blosses Scheinproblem?

PC ist eine ernstzunehmende Bedrohung für die Existenz von Universitäten. Wenn ich höre, dass Studenten sich wohl fühlen wollen, hört bei mir der Spass auf. Es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich Leute in meinen Kursen wohl fühlen, im Gegenteil – es ist mein Job, sie dazu zu bringen, die Wohlfühlzone zu verlassen. Sie müssen sich mit Ideen auseinandersetzen, die nicht in ihr Weltbild passen. Verstehen Sie mich richtig – es geht nicht darum, Leute zu beleidigen oder schlecht zu behandeln, aufgrund ihrer Ethnie oder ihrer Religion. Es geht an einer Universität darum, in der Erkenntnis gemeinsam weiterzukommen, und die kennt nun einmal weder Ethnie noch Religion.
Wann ist die Bewegung gekippt, von einer Bewegung, die Anstand verbriefen wollte, zu einer Aktion, die Schutz vor unbequemen Meinungen fordert?

Der Prozess, der mit den besten Absichten begann, verlief schleichend. Zuerst ging es um gleichen Respekt für alle – das war gut. Doch das Blatt hat sich gewendet, eine kleine extreme Minderheit begann so zu argumentie- ren: Wann immer du etwas sagst, das mich als Angehöriger einer Minderheit beleidigt, auch wenn du es nicht so gemeint hast, habe ich das gute Recht, beleidigt zu sein und dir den Mund zu verbieten. Eines Tages haben wir gemerkt, dass die Studentenschaft – und auch die Gesellschaft – in immer kleinere Identitätsgruppen zerfällt, die nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. Jede Gruppe fühlt sich benachteiligt, klagt ihre eigenen Missstände an, jede hat ihr eigenes Narrativ.

Geben Sie in Ihren Kursen Trigger-Warnungen, weil Sie befürchten müssen, dass Studenten mit Ihren Aussagen nicht umgehen können?

Nein, ich tue genau das Gegenteil. Zu Beginn meiner Kurse sage ich allen ehrlich und direkt: Keiner von euch hat das Recht, nicht beleidigt zu werden. Ihr könnt euch nicht auf die amerikanische Verfassung berufen, um euch unangenehmen intellektuellen Erfahrungen zu entziehen. Lernt, damit umzugehen.

Sie bleiben also gelassen?

Absolut. Die Studenten ändern sich auch – die jüngeren, so scheint mir, sind wieder härter im Nehmen. Die Bewegung der PC hat den Zenit überschritten. Amerikanische Institutionen brauchen zuweilen etwas Zeit, aber sie können sich selber korrigieren. ...

Interviewer: René Scheu.


Nota. - Frau Rice dürfte injured gesagt haben - correct übersetzt mit dem hierzulande allseits beliebten verletzt.
JE 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen