Es hieß, sie habe keine Visionen. Das ist im Kanzlereramt aber auch gut so. Wer welche hätte, solle zum Arzt gehen, hat ein früherer Kanzler gesagt.
Sie habe aber auch keinen Plan, wurde gesagt. Das wäre im Kanzleramt schlecht. Doch nach dem Hallodri Schröder war sie die Richtige für uns. Politik auf Hausfrauenart, im Sichtflug, sparsam und klug und offen für die Zeichen der Zeit. Große Herausforderungen gab es nicht, gesunder Menschenverstand reichte zum Regieren. 2015 kamen dann Herausforderungen. Erst aus Griechenland, da zeigte sie eine Standhaftigkeit, die man nicht von ihr erwartet hatte. Da mochten sie sich im Ausland das Maul zerreißen - Merkel verfolgte ihre Linie. Eigentlich sei es die Linie ihres Finanzministers gewesen, war zu hören, und solange der stur blieb, war sie's auch.
Als im Herbst dann die Flüchtlingswelle hereinbrach, war es unverkennbar sie selber, die die Zügel hielt und die Richtung festlegte. Und beide Herausforderungen zusammen zeigten, dass sie dabei sehr wohl einen Plan hatte, den sie eisern verfolgt; stur, wie die Weicheier lamentieren.
Nicht irremachen lassen, nicht nach der Popularität haschen, sondern die Sache gut zuende bringen, Deutschland stark machen in Europa und Europa stark machen in der Welt, dann werden die Mehrheiten sich schon finden, und ohne Risiken geht's nunmal nicht. Einzige Bedingung: Sie musste das Ruder fest in der Hand behalten, Quertreiber gab es reichlich.
Es geht ihr bloß um die Erhaltung der Macht, unken die Medien. Hat sie sich denn wie ihr Amtsvorgänger je durch ein hypertrophiertes Ego hervorgetan? Oder finden sich jetzt unter der Parole all die zusammen, die sie endlich weg- haben wollen, um eine andere Politik durchzusetzen? Die es nur nicht auszusprechen wagen, dass sie auch nichts an- deres wollen als die AfD - außer dass sie ihr keine Posten gönnen?
Es ist wohl wahr, Konfrontation ist nicht ihr Fall, Diplomatie liegt ihr mehr. Sie hat sich mit einem Küchenkabinett umgeben aus Leuten, auf deren Loyalität sie sich verlassen kann, und die sind rar in der Politik. Aber es ist ja wahr - es geht um die Rolle Deutschlands in Europa und die Rolle Europas in der Welt. Das wird ohne Machtkämpfe nicht abgehen, da ist mit Diplomatie alleine nicht viel zu machen. Es muss unter den Deutschen ein Mehrheit für eine Richtung gefunden werden, und dazu wird man zeigen müssen, welche Richtung das sein soll. Da kommt die Abwahl von Kauder gar nicht so ungelegen. Ein "Neuanfang" täte nicht nur den Sozialdemokraten gut. Wenn Ende des Monats die CSU hoffentlich auf das ihr nur noch gebührende Maß zurückgestutzt wird, wird wohl auch der bislang übelste Quertreiber aus dem Verkehr gezogen. Aus der Gelegenheit sollte jetzt aber endlich was gemacht werden.
aus welt.de, 16. 9. 2018Kleine Kammern in der Höhle Rakefet werden als Behälter für die Produktion von Bier gedeutet
Alkohol trieb den Menschen in die Sesshaftigkeit
In einer Höhle bei Haifa haben Archäologen die womöglich älteste
Produktionsstätte von Bier entdeckt. Der Fund stärkt die These, dass der
Mensch für das Rauschmittel zum Getreideanbau überging.
Von Florian Stark
Irgendwann
im 11. Jahrtausend v. Chr. kam Homo sapiens auf die Idee, seine Nahrung
nicht mehr allein durch Sammeln und Jagen zu beschaffen. Er begann,
sich mit der nachhaltigen Aufzucht von Gewächsen zu beschäftigen, die im
Vorderen Orient heimisch sind. Die Folge war die Neolithische
Revolution, die aus Wildbeutern sesshafte Bauern machte.
Doch
warum gingen die kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern dazu über, ihr
Schicksal an die Fruchtbarkeit des Bodens zu koppeln? Seit im Südosten
Anatoliens das monumentale Kultzentrum von Göbekli Tepe
ausgegraben wird, vertreten Forscher eine interessante These: Um die
riesigen Gemeinschaftsmähler, die dort von vielen Menschen gefeiert
wurden, mit ausreichenden Nahrungsmitteln zu beliefern, musste man neue
Quellen erschließen. Manche Wissenschaftler gehen sogar so weit, den
Beginn des Getreideanbaus auf das Motiv zurückzuführen, Bier in großen
Mengen zu produzieren. Rauschhafte Rituale standen offenbar im Zentrum
von Göbekli Tepe.
Göbekli Tepe
Dass
der Beginn der Sesshaftigkeit mit extremem Alkoholkonsum zu tun gehabt
haben könnte, macht auch eine Entdeckung denkbar, die israelische
Archäologen jetzt südlich von Haifa gemacht haben. In der Höhle Rakefet
stießen sie auf drei kleine Kammern von 40 bis 60 Zentimeter Tiefe.
„Wenn wir uns nicht täuschen, ist dies der älteste Hinweis auf eine
Alkoholproduktion weltweit“, sagt der Archäologe Dani Nadel von der
Universität Haifa, der zusammen mit Wissenschaftlern der amerikanischen
Stanford-Universität zum Ausgrabungsteam gehört. Die Ergebnisse der
Forschungsarbeit wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Journal of Archaeological Science: Reports“ veröffentlicht.
Zwei
der Kammern, die in die felsige Höhlendecke gegraben worden waren,
dienten offensichtlich der Lagerung von Getreide, die dritte der
Fermentation. Unweit davon kamen die sterblichen Überreste von etwa 30
Menschen, die auf einer von Blumen und Pflanzen bedeckten Plattform
begraben worden waren, sowie zahlreiche Geräte und Werkzeuge ans Licht.
Datiert werden die Funde auf das 13. Jahrtausend v. Chr.
Die
Wissenschaftler gehen davon aus, dass in der Höhle ein bierähnliches
Getränk produziert wurde, das bei orgiastischen Festen kreiste. „Die
haben etwas gebraut, das einen angemessenen Anteil an Alkohol enthielt“,
sagt Nadel. „Wir reden dabei über das Gären von Getreide, was eine
Basis von Bier ist.“ Dieses Getränk, das einer Suppe ähnlich war, könnte
bei Begräbnisfeiern oder im Rahmen von Ritualen, etwa eines Ahnenkults,
zum Einsatz gekommen sein. Der
große Aufwand bei der Alkoholherstellung zeigt die Bedeutung des
Getränks in der Kultur des Natufien, die zwischen 12.000 und 9000 v.
Chr. die südliche Levante prägte. In dieser Zeit, die in eine Warmphase
der letzten Eiszeit fiel, gingen Wildbeuter daran, mit Getreideanbau und
der Domestikation von Tieren (Hunden) zu experimentieren und schon
länger an einem Ort zu siedeln.
Reste
von Hütten, Gerätschaften, Steinwerkzeugen, Knochen und Gräbern zeigen,
dass die Menschen des Protoneolithikums bereits viele Merkmale
nachfolgender Kulturen ausgebildet hatten. „Alkoholerzeugung und die
Lagerung von Lebensmitteln gehörten zu den wichtigsten Innovationen, die
schließlich zur Entwicklung von Zivilisationen führten“, sagt der
Ostasien-Spezialist Li Liu aus Stanford, der zum Grabungsteam gehört. Dass
das mühselige Sammeln von Getreide offenbar der Herstellung von
Rauschmitteln diente, ist ein weiteres Argument für die These, dass auch
in Göbekli Tepe der Alkohol in Strömen floss. Dort kamen Menschen von
weit her zu gemeinschaftlichen Zeremonien zusammen. Aus schriftlichen
Zeugnissen der frühen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten (ab 3000
v. Chr.) ist bekannt, dass die Produktion von Bier überaus wichtig war.
Arbeiter wurden zum Beispiel mit einem täglichen Quantum versorgt.
Auch wenn sich der Prähistoriker Hermann Parzinger der These,
extremer Alkoholkonsum habe zu Sesshaftigkeit und produzierendem
Wirtschaften geführt, nicht unbedingt anschließen will, resümiert er:
„Es ist sicher nicht übertrieben, zu sagen, dass es für den Menschen
stets eine große Rolle spielte, sich zu bestimmten Anlässen zu
berauschen.“
Nota. - Es ist schon bizarr: Ausgerechnet der Alkohol, der dem nüchternen Betrachter für Lotterleben und Wur- zellosigkeit steht, soll der Grund dafür gewesen sein, dass die Jäger und Sammler, von den Anthropologen auch Wildbeuter genannt, ihr unstetes Leben zugunsten ortansässiger Ergebung in den naturgegebenen Rhythmus der Vegetationsperioden aufgegeben haben! Die weltläufige Vagabondage zugunsten des Hockens auf der heimatli- chen Scholle, die Abenteuer der Jagd zugunsten eintöniger Ackerei... Es ist aber schon eine spezifische Erklärung nötig, wenn man verstehen soll, weshalb Menschen in grauer Vor- zeit zu einer Ernährungsweise übergegangen sind, die unmittelbar minderwertiger gewesen ist als die überkom- mene Diät aus Wildbret und Naturkost, und mittelbar die schrecklichen Folgen von Überbevölkerung, Massen- elend und Klassenkampf gezeitigt hat. Eine vernünftige Erklärung müsste man lange suchen. Eine unvernünftige wird der Sache viel eher gerecht. JE
Bislang meinte man, der Hunger habe die Menschen sesshaft werden
lassen. Doch es war eher die Freude am Rausch, meint ein Münchner
Naturhistoriker. Die Schamanen wussten, wie man diese Drogen dosiert und
religiös nutzt. Der Ackerbau dagegen ist dem Forscher zufolge ein
Ergebnis des Überflusses.
Vor
gut 10.000 Jahren entschieden sich Steinzeitmenschen zu einem
dramatischen Wandel in ihrer Lebensweise: Sie betrieben Ackerbau und
wurden sesshaft. Diese neolithische Revolution, die den Beginn der
Jungsteinzeit markiert, veränderte nicht nur die Ernährung.
Sesshaftigkeit wurde auch Grundlage für die Bildung von Stämmen, Staaten
und Religionen, sagt der Münchner Biologe und Naturhistoriker Josef H.
Reichholf. Am 9. September 2008 erscheint von ihm im Verlag S. Fischer „Warum
die Menschen sesshaft wurden“.
WELT ONLINE :
Im Untertitel heißt Ihr Buch „Das größte Rätsel unserer Geschichte“. Ist
es wirklich so rätselhaft? Die Menschen entdeckten den Pflanzenanbau
und konnten sich so besser ernähren.
Professor Josef H. Reichholf
: Diese gängige Sichtweise verwechselt Ursache und Folge. Wenn Jäger
und Sammler von ihrer Lebens- und Ernährungsweise abgewichen sind, muss
das einen Anfangsvorteil geboten haben. Die traditionelle Meinung ist,
dass die Menschen zu Bauern wurden, weil sie Hunger litten und mit der
Stärke und dem Protein der Pflanzen überleben konnten. Aber der
Pflanzenanbau brachte keineswegs sofort einen nennenswerten
Überlebensvorteil. Die Erträge waren anfangs viel zu gering, und das
Bearbeiten des Bodens war aufwendig. Das hätte die Existenz nicht
sichern können, zumal man bei der sesshaften Lebensweise am Ort der
Äcker nicht auf dieselben Mengen an Wild hätte zugreifen können. Jäger
mussten dem Wild folgen.
WELT ONLINE : Was also hat sie bewegt, sich niederzulassen?
Reichholf
: Der traditionellen Sicht nach gab es in den ersten Siedlungsregionen
wie dem fruchtbaren Halbmond wenig Wild, aber viel Gras. Es war aber
genau umgekehrt. Diese Regionen waren wildreich, es bestand keine
Notwendigkeit, von der Jagd zu lassen. Denn eine Region kann nicht
fruchtbar und wildarm sein. Wo Gräser und Kräuter gut wachsen, gedeiht
auch Wild gut und ist so auch für die Jagd verfügbar. Gemüse, Wurzeln,
Gräser, Melonen und dergleichen waren hingegen nur eine Zukost. Die
Verknappung des Wildes, die schon zu Beginn erfolgreiche Nutzung der
Gräser und die damit folgerichtige Erfindung des Ackerbaus und der
Sesshaftigkeit sind nicht schlüssig belegt. Ich behaupte ganz im
Gegenteil, dass der Ackerbau aus einer Situation des Überflusses heraus
entstanden ist. Die Menschen haben mit Getreideanbau experimentiert und
nutzten die Körner allenfalls als Zukost. Die anfängliche und
entscheidende Absicht war nicht, aus Korn Brot zu backen, sondern durch
Gärung Bier zu erzeugen.
WELT ONLINE : Das Brauen von berauschendem Bier als Basis der Landwirtschaft?
Reichholf
: Es gab stets ein starkes Bedürfnis, berauschte Zustände zu erreichen.
Rauschdrogen vermittelten das Gefühl der „Transzendenz“, des Verlassens
des eigenen Körpers. Alkohol oder Rauchdrogen waren die Mittel. Deshalb
hatten die kundigen Schamanen eine so große Bedeutung. Sie wussten, wie
man diese Drogen dosiert und religiös nutzt. Die ältesten Siedlungen im
Vorderen Orient sind im Umfeld von Kultstätten entstanden, wie etwa
Göbekli Tepe in Anatolien. Diese Tempelanlage wurde vermutlich noch vor
der Sesshaftigkeit der Menschen von umherschweifenden Jägern erbaut.
WELT ONLINE
: Also erblühte nicht erst die Landwirtschaft, wodurch Kräfte frei
wurden, um Kultstätten zu bauen – um sich dort zu berauschen?
Reichholf
: Genau das ist eben kaum vorstellbar. Bier lässt sich aus Körnern von
Wildgetreide brauen, das noch keine großen Erträge bringt und von dem
man noch nicht leben kann. Bier und Wein fördern Zusammenhalt, nicht
aber das direkte Überleben. Das Brot konnte erst hergestellt werden, als
man Getreide im Überschuss zu ernten imstande war. Das geschah
nachweislich erst Jahrtausende nach Beginn der Nutzung von Wildgetreide.
Bier zu brauen war übrigens keine spontane Eingebung; die Vergärung von
Früchten war sicher längst bekannt. WELT ONLINE : Menschen wurden also sesshaft, als sie Pflanzen züchten konnten. Wie haben sie das gelernt?
Reichholf
: Es lässt sich belegen, dass die Samen von verschiedenen Arten oder
Unterarten von Wildgetreide aus unterschiedlichen Regionen – vermutlich
zu bestimmten Anlässen – an einem Ort zusammengetragen wurden. Keimten
die Körner, dann entstanden so Mischpopulationen und schließlich
Hybride, die ertragreicher waren. Sie wurden nun gezielt angebaut.
WELT ONLINE : War der fruchtbare Halbmond der einzige Ort, an dem das geschah?
Reichholf
: Die Menschen sind an drei weit entfernten Orten sesshaft geworden: im
fruchtbaren Halbmond mit der Gerste, in Nordostasien mit dem Reis und
in Zentralamerika mit dem Mais. Wobei in Nordostasien Korea anfangs das
Zentrum war. Spannend ist, was Sprachforschung und Genetik zutage
gefördert haben: Die Völker in allen drei Regionen stammen von den
Ural-Altaiern ab. In der Endphase der letzten Eiszeit, vor 15.000 bis
11.000 Jahren, spalteten diese sich in eine westliche und eine östliche
Linie auf. Auf die westliche Linie gehen die Indo-Europäer, also auch
die Völker des fruchtbaren Halbmondes zurück, auf die östliche die
Mongolen und die Urvölker Amerikas. Sie können vor ihrer Trennung schon
ein grundsätzliches Wissen über die Nutzung von Getreidepflanzen gehabt
haben.
WELT ONLINE : Wie kam der Ackerbau nach Europa? Haben benachbarte Völker die Lebensweise übernommen, oder wanderten die Ackerbauern?
Reichholf
: Der Streit wurde aufgrund von genetischen Analysen zugunsten der
zweiten Theorie entschieden. Die Bauern kamen mit dem Vieh, sie hatten
schon die genetische Ausstattung für die Verdauung von Milch. Das
funktioniert natürlich nur, wenn die nacheiszeitlichen klimatischen
Bedingungen weithin offenes Land erzeugt hatten. Dichte Wälder konnte
man mit Steinbeilen nicht roden. Es muss offenes Land gegeben haben, auf
dessen Grasebenen das Vieh weiden konnte, wo es aber auch Wild
reichlich gab.
WELT ONLINE : Welche Folgen hatten Ackerbau und Sesshaftigkeit?
Reichholf
: Der Ackerbau brachte zwei Phasen mit harter Arbeit im Jahr: die Zeit
der Feldvorbereitung und des Säens sowie die Zeit der Ernte. Dazwischen
gab es ein gutes halbes Jahr mit Arbeitskräfteüberschuss. Der konnte
anderweitig genutzt werden, und auf dieser Basis wurden schon frühzeitig
monumentale Bauten erstellt, etwa die Pyramiden der Ägypter und die
Großsteinkreise in Mitteleuropa und Zentralasien. Auch wenn das
bäuerliche Leben oft hart war, so war es doch ein Garant für den
Fortbestand und eine Chance, das Überleben der Kinder zu sichern, weil
Überschüsse erwirtschaftet wurden. Das war ein Selbstläufer: Die
Landwirtschaft diente der Bevölkerungssicherung durch mehr überlebende
Kinder, und die Kinder bedeuteten neue Arbeitskräfte. Bei Nomaden
dagegen waren Kinder auf den Wanderungen hinderlich. Die Kleinen mussten
getragen werden. Die Geburtenrate war niedriger.
WELT ONLINE : Hatte die Sesshaftigkeit Einfluss auf die genetische Durchmischung?
Reichholf
: Sicher, je sesshafter eine örtliche Bevölkerung ist, desto weniger
wird sie durchmischt. Ein Beispiel für Abschottung sind bis heute
bäuerlich-religiöse Gemeinschaften wie die Mormonen, Amish und
Mennoniten in Amerika, die sich besondere Eigenheiten bewahrt haben, wie
etwa die Mennoniten des Gran Chaco, die ein altes Plattdeutsch aus dem
18. und 19. Jahrhundert sprechen. Unterschiede in den Stämmen tendieren
dazu, sich zu verfestigen. Es gibt den Fachbegriff des „assortative
mating“. Er bedeutet, dass Angehörige derselben Sprache, Kultur und
Physiognomie als Partner bevorzugt werden. Fremdvölker vermischten sich
oft kaum mit der ansässigen Bevölkerung.
WELT ONLINE : Nomaden sind homogener?
Reichholf
: Ja, die australischen Aborigines lassen sich auf dem ganzen Kontinent
genetisch nicht in „Völker“ unterteilen. Die einzige Ausnahme sind die
Tasmanier, die auf ihrer Insel geografisch von den Aborigines
Australiens getrennt waren. Ihre nächsten Verwandten, die Papua von
Neuguinea, betreiben dagegen Gartenbaukulturen in voneinander isolierten
Tälern. Da fehlte die Migration so sehr, dass extrem viele Sprachen,
über 700, und sehr unterschiedliche Kulturen entstanden.
WELT ONLINE : Hat die Sesshaftigkeit die Geschlechterrollen verändert?
Reichholf
: Wo der Feldbau überwiegt, sind die Strukturen patriarchalisch. Da
gibt es den Hofbesitzer und seine Frau, und es gibt das Gesinde. Diese
Struktur wirkt wie ein Ministaat. In Gesellschaften, in denen die
Viehhaltung dominiert, geht es weniger patriarchalisch zu. Die Frauen
kümmern sich um die Herden und haben viel Einfluss. Ganz anders bei
reinen Nomaden. In Wüstenvölkern mit Kamelen, die über den Handel
existieren, dominieren die Männer. Sie haben mehr oder weniger in jeder
Oase eine Frau mit geringem Status: Ihr Preis wird nach der Zahl von Ziegen
oder Kamelen taxiert. Durch den Übergang zur Sesshaftigkeit sind Frauen
in bestimmten Funktionen einflussreicher geworden. Es waren nach den
Schamanen der Nomaden die „Weisen Frauen“, die das Wissen um die Mittel
hatten, die bei den Festen eingesetzt wurden. Sie waren Priesterinnen
und galten als Zauberinnen.
WELT ONLINE : War die Abkehr vom Nomadentum nur positiv?
Reichholf
: Der Wechsel zur sesshaften Lebensweise hat gesundheitliche Probleme
gebracht. Der Rücken wurde krumm; wir bekamen Wirbelsäulenbeschwerden,
und es entstand durch zu einseitige Ernährung ein Mangel an
Mineralstoffen und Vitaminen. Zudem sind die meisten der gefährlichen Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose oder Pocken,
vom Vieh auf den Menschen übergegangen. Eine der schlimmsten Folgen der
Sesshaftigkeit war aber – das muss man so hart sagen – die Entstehung
unterschiedlicher Religionen. Sie hat dazu geführt, dass die Menschheit
gleichsam gespalten wurde in Pseudoarten, die untereinander in
schärfster Konkurrenz leben. Zu den Konkurrenzen um Frauen, Besitz und
Macht kam die noch stärkere Konkurrenz zwischen den Religionen, die die
Ausrottung von Ethnien erst möglich gemacht hat, weil „die anderen“
nicht als Menschen eingestuft wurden.
WELT ONLINE : Wie sieht die Verbindung zwischen Sesshaftigkeit und Religion genau aus?
Reichholf
: Die Religionen sind aus der Bindung an die Gemeinschaft entstanden.
Re-ligio bedeutet „Rückbindung“. Die Erträge der Felder und Weiden
hingen sichtlich „vom Himmel“ ab, von günstigem Wetter vor allem. Anders
als die Nomaden konnten sich die sesshaft Gewordenen nicht einfach
weiterbewegen zu besseren Regionen. Die Bauern waren von der
Ergiebigkeit ihres Landes abhängig, und gutes Land musste verteidigt
werden. Die himmlischen Ernte- und Kriegsgötter mussten längerfristiger
„funktionieren“ als das Jagdglück, das man kurz vor der Jagd
„beschwören“ konnte. In der christlichen Religion spielen „Wein und
Brot“ nicht ohne Grund eine zentrale Rolle beim Abendmahl.
WELT ONLINE : Was macht die Sesshaftigkeitsforschung so interessant?
Reichholf:
Wie bei einem Puzzle lässt sich vieles zusammenfügen, was scheinbar
nichts miteinander zu tun hat. Hat man die Bausteine richtig gelegt,
taucht ein Bild auf; ein unerwartetes mitunter, und das macht eine
solche Forschung so spannend. Sie versucht, ganz unterschiedliche
Richtungen zu verbinden. Sicher wird es Korrekturen am Bild geben, aber
das ist der normale Gang der Naturwissenschaft, der weiterführt. Niemand
muss die Interpretationen glauben. Jeder kann sie mit neuen, besseren
Fakten berichtigen.
Das Interview führte Wolfgang W. Merkel.
Nota. - Gewohnt, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Besitzgier alle andern Motive überschattet, kommt es uns selbstverständlich vor, dass ursprünglich der Mangel die Triebkraft aller wirtschaftlichen Fortschritte war. Dem kam das Vorurteil aller kritisch gesinnten Geister entgegen, das Negative sei der eigentliche Motor der Entwicklung. Demgegenüber wirkt der Gedanke, es müsse erst ein Überfluss dasein, damit etwas angehäuft werden könne, spießig und dröge. In der Vorstellung, erst im Rausch und der Verschwendung öffne sich der Blick fürs Neue und Außerordentliche, ist indes letzterem Mangel abgeholfen. Wissenschaftlich ist aber das eine so unerheblich wie das andere.
Doch weltanschaulich spekulativ sind sie nicht gleichrangig. Sie begründen vielmehr den Unterschied von Ver- stand und Vernunft. Der Mangel ist ein bloßes Loch, und als solches ist es so gegeben, wie es ist. Es zu füllen ist Sache von Fleiß und Berechnung. Das ins Loch passende Material muss gesammelt und zweckmäßig angeord- net werden. Es ist die Wiederherstellung eines gestörten Status quo ante. Der Überfluss wirft die Frage auf: wozu? Da ist kein Loch zum Stopfen; man muss sich was einfallen lassen. Der Zweck liegt nicht fertig auf der Hand, welcher könnte es sein? Das Setzen von Zwecken ist die Sache der Vernunft. *
In den Wissenschaften geht der Streit seltener um die richtigen Antworten, als um die richtigen Fragen. Rein ideologisch ist das nicht. JE
Das älteste Bier der Welt Schon vor 13.000 Jahren brauten Menschen im Nahen Osten Bier aus Getreide
Steinzeitliche Braukunst: In Israel haben
Archäologen die ältesten Spuren des Bierbrauens entdeckt – und den
ältesten menschengemachten Alkohol überhaupt. Die 13.000 Jahre alten
Rückstände in Steingefäßen belegen, dass schon die halbsesshaften
Menschen der Natufien-Kultur Bier aus Wildgetreide und anderen
Pflanzenzusätzen brauten. Bier könnte damit sogar älter sein als das
Brotbacken – und rituellen Zwecken gedient haben, wie die Forscher
berichten.
Bier ist heute eines der beliebtesten alkoholischen Getränke – und
der Gerstensaft hat eine lange Tradition. Schon vor gut 4.000 Jahren
tranken die Sumerer einen vergorenen Getreidesaft, im Süden Ägyptens wurde vor rund 2.000 Jahren Bier als Medizin gegen Infekte konsumiert und auch bei den Galliern
war das Brauen alltäglich. Die bisher ältesten Zeugnisse für Bier
stammen jedoch aus dem alten China: Hier produzierten Braumeister schon
vor 5.000 Jahren Getränke aus fermentiertem Getreide.
Sammlerkultur als Brau-Vorreiter
Jetzt aber könnten Archäologen um Li Liu von der Stanford University
noch sehr viel ältere Zeugnisse des Bierbrauens entdeckt haben. Sie
fanden diese bei Ausgrabungen in der Rakefet-Höhle im israelischen
Karmel-Gebirge. Hier lebten vor rund 13.000 Jahren Menschen der Natufien-Kultureiner halbsesshaften Sammlergemeinschaft, die als Vorstufe zu den ersten Bauern gilt.
"Die Natufien-Relikte in der Rakefet-Höhle hören nicht auf, uns zu
überraschen", sagt Koautor Dani Nadel von der Universität Haifa. "Wir
haben dort nun 30 Gräber freigelegt mit einer Fülle von Grabbeigaben wie
Feuersteinwerkzeugen, Tierknochen und Mahlsteinen, aber auch rund 100
Steinmörsern und Schalen." Drei dieser Steinmörser haben die Forscher
nun auf Pflanzenrückstände hin untersucht.
Stärkekörnchen in den Gefäß-Rückständen verrieten den steinzeitlichen Brauprozess.
13.000 Jahre alte Bierrückstände
Das überraschende Ergebnis: Die Menschen der Natufien-Kultur nutzten
diese Mörser nicht nur, um Getreide, Flachs und Gemüse zu zerkleinern –
sie brauten in diesen Gefäßen auch Bier. "Das ist das früheste
archäologische Zeugnis für getreidebasiertes Bierbrauen – und der
älteste Beleg für menschengemachten Alkohol", sagen die Forscher. Schon
vor 13.600 bis 11.700 Jahren nutzten die Natufien demnach gesammeltes
Wildgetreide zum Bierbrauen - und damit möglicherweise sogar früher als
zum Brotbacken.
Die Archäologen vermuten, dass die Natufien ihr Bier für rituelle Feste
brauten und das Getränk beispielsweise bei ihren Totenritualen
konsumierten. "Diese Entdeckung spricht dafür, dass die Herstellung von
Alkohol kein bloßer Nebeneffekt eines landwirtschaftlichen Überflusses
an Getreide war", erklärt Liu. "Stattdessen wurde das Bierbrauen
wahrscheinlich aus rituellen Zwecken entwickelt – und dies zumindest in
gewissem Maße noch vor der Erfindung der Landwirtschaft."
Steinmörser und Braugefäße in der Rakefet-Höhle in Israel.
Dreischrittiges Brau-Rezept
Wie das steinzeitliche Bier hergestellt wurde, verrieten unter anderem
Analysen der Stärkekörnchen in den Pflanzenresten. Demnach nutzten die
Natufien-Menschen einen dreiteiligen Brauprozess: Zuerst ließen sie das
Getreide in Wasser keimen und trockneten sie wieder – es entstand Malz.
Dann zerkleinerten sie das Getreidemalz in ihren Mörsern und erhitzten
es. Schließlich wurde es in Gefäßen gelagert und fermentierte. Das
Ergebnis war ein alkoholhaltiger Sud – Bier.
Das Steinzeit-Bier hatte allerdings nur wenig Ähnlichkeit mit den
heutigen Brauereiprodukten, wie die Forscher betonen. Denn das
alkoholische Gebräu der Natufien enthielt nicht nur Getreide, sondern
Zusätze aus mehreren verschiedenen Pflanzenarten. Zudem ähnelte die
Konsistenz vermutlich eher einem dünnflüssigen Brei als einem modernen
Bier. (Journal of Archaeological Science: Reports, 2018; doi: 10.1016/j.jasrep.2018.08.008)
Nota. - Nietzsche hatte mehr Recht, als er ahnte. Er hätte gar nicht bei der attischen Tragödie Halt machen müssen, aber von Göbekli Tepe konnte er noch nichts wissen. Allerdings werden wir uns Dionysos von nun an mit Hopfengirlanden statt mit Weinlaubkränzen vorstellen müssen. JE
Auch Bots entwickeln Vorurteile Künstliche Intelligenzen lernen voreingenommenes Verhalten auch ohne den Menschen
Voreingenommene Bots: Künstliche
Intelligenzen können offenbar auch ohne vorbelasteten menschlichen Input
Vorurteile entwickeln. Computersimulationen mit smarten Bots zeigen:
Die Computergehirne übernehmen vorurteilbehaftetes Verhalten, indem sie
andere Maschinen beobachten und kopieren. Dadurch entsteht eine Dynamik,
die auch aus menschlichen Gesellschaften bekannt ist, wie die Forscher
im Fachmagazin "Scientific Reports" berichten.
Computersysteme, die menschliche Intelligenz nachahmen,
beherrschen inzwischen erstaunliche Fähigkeiten: Die Maschinengehirne
werten selbständig Sprache, Bilder und Texte aus oder schreiben sie
sogar. Zudem haben sie gelernt, sich gegenseitig etwas beizubringen und kommen auch mit komplexen Herausforderungen mühelos zurecht. In Zukunft könnten Künstliche Intelligenzen (KI) daher vermehrt Aufgaben in unserem Alltag übernehmen.
Dabei zeichnet sich allerdings ein Problem ab: Weil solche Systeme ihre
Fähigkeiten häufig durch von Menschen zur Verfügung gestellte Daten
erlernen, übernehmen sie dadurch mitunter auch menschliche Vorurteile.
Das Ergebnis sind beispielsweise rassistische oder sexistische
Computergehirne. Doch als wäre dies nicht bedenklich genug, haben
Wissenschaftler nun Hinweise darauf gefunden, dass künstliche
Intelligenzen womöglich sogar ohne vorbelasteten Input von uns Menschen
Vorurteile entwickeln können.
Wie entstehen Vorurteile?
Für ihre Studie untersuchten Roger Withaker von der Cardiff University
und seine Kollegen mithilfe von Computersimulationen, wie Vorurteile
entstehen und befeuert werden. In ihrem Modell interagierten 100 smarte
Bots in einem Geben-und-Nehmen-Spiel miteinander, bei dem sie entweder
jemandem aus dem eigenen Team etwas spenden sollten oder einem
Spielteilnehmer von außerhalb.
Wen sie bedachten, entschieden diese virtuellen Akteure aufgrund der
eigenen Spielstrategie sowie der Reputation anderer Individuen. Wer
würde mit wem kooperieren – und wer würde wen von den Spenden
ausschließen? "Indem wir diese Simulationen tausende Male durchspielten,
konnten wir erkennen, wie sich Vorbehalte gegenüber anderen entwickeln
und unter welchen Bedingungen sie gefördert werden", erklärt Whitaker.
Immer voreingenommener
Die Auswertung zeigte: Je häufiger die Wissenschaftler die Simulationen
durchspielten, desto voreingenommener wurden die Bots. Sie tendierten im
Laufe der Zeit immer stärker dazu, Akteure aus fremden Gruppen von
ihren Spenden auszuschließen und exklusiv innerhalb ihres eigenen Teams
zu handeln. Kurzum: Sie entwickelten immer stärkere Vorurteile gegenüber
"den anderen".
Dabei beobachteten Whitaker und seine Kollegen, dass die smarten Bots
ihre Spielstrategie anpassten, indem sie andere Teilnehmer kopierten –
und zwar jene, die kurzfristig am meisten Geld einsammelten und demnach
am erfolgreichsten waren. Auf diese Weise entstanden Gruppen von
Akteuren, die sich ähnlich verhielten und konsequent nicht zugehörige
Spielteilnehmer ausschlossen. Besonders hoch war das Vorurteilslevel
dann, wenn es eher wenige anstatt viele unterschiedliche Gruppen
innerhalb der virtuellen Population gab.
Schlichtes Kopierverhalten
Die Bots erlernten ihre Voreingenommenheit demnach durch das schlichte
Kopieren anderer Computergehirne. "Dies legt nahe, dass für die
Entwicklung von Vorurteilen keine höheren kognitiven Fähigkeiten
notwendig sind", schreiben die Forscher. Ihnen zufolge scheint klar:
Künstliche Intelligenzen benötigen keine von Menschen gemachten Daten,
um voreingenommen zu werden – es reicht, wenn sie andere Maschinen um
sich haben.
"Viele KI-Entwicklungen beruhen auf Autonomie und Selbstkontrolle. Das
bedeutet: Das Verhalten solcher Maschinen wird auch von anderen
Maschinen um sie herum beeinflusst. Unsere Studie zeigt, was theoretisch
bei Akteuren passieren kann, die regelmäßig auf Ressourcen von anderen
angewiesen sind", konstatiert Whitaker.
"Damit belegen wir, dass die kollektive Intelligenz solcher Maschinen
potenziell anfällig für ein Phänomen ist, das wir auch aus menschlichen
Gesellschaften kennen", schließt das Team. (Scientific Reports, 2018; doi: 10.1038/s41598-018-31363-z)
(Cardiff University, 10.09.2018 - DAL)
Nota. -Künstlich ist sie ja, aber keine Intelligenz. Der Algorithmus durchschaut nichts und versteht nichts, sondern errechnet aus einer Datenmenge Wahrscheinlichkeiten. Ist die Menge große genug, ist es auch die Wahrscheinlichkeit. Vorausgesetzt ist allerdings, dass die Daten 'stimmen'. Das aber weiß der Computer nicht, es ist ihm auch ganz egal, weil er nicht versteht, was das bedeutet. JE
Skurril: Psychologische Deutschlandkarte Studie bestätigt Stereotype zu regionalen Persönlichkeitsunterschieden
Die Heimat macht den Unterschied: Viele
Klischees zu regionalen Persönlichkeitsunterschieden in Deutschland
enthalten offenbar einen wahren Kern. Denn wie eine Studie zeigt, sind
Süddeutsche zum Beispiel tatsächlich extrovertierter als Menschen aus
dem Norden - und Berliner oder Kölner offener als Landbewohner. Wie es
zu diesem Phänomen kommt, ist den Forschern zufolge noch unklar.
Der Norddeutsche gilt als unterkühlt, der Süddeutsche eher als
gemütlich - Großstadtbewohner sind weltoffen, Menschen vom Land dagegen
reserviert. Dies sind nur einige von vielen Vorurteilen,
die über die Bewohner einzelner Regionen in Deutschland existieren.
Doch wie viel Wahrheit steckt in solchen Zuschreibungen? Und falls die
Klischees stimmen: Wie kommt es zu den regionalen
Persönlichkeitsunterschieden?
Big Five im Fokus
Genau diese Fragen haben sich nun Wissenschaftler um Martin Obschonka
von der Queensland University of Technology in Brisbane gestellt. Sie
analysierten die Daten von rund 73.000 Menschen im Alter zwischen 20 und
64 Jahren, die an einer Online-Persönlichkeitsstudie teilgenommen
hatten. "Im Fokus unserer Arbeit standen dabei die sogenannten Big Five.
Dabei handelt es sich um fünf Persönlichkeitsmerkmale, mit denen sich
die Persönlichkeitsstruktur eines erwachsenen Menschen umfassend
beschreiben lässt", erklärt der Psychologe.
Diese Big Five umfassen die Merkmale Extraversion, Verträglichkeit im
Sinne von Kooperationsbereitschaft und Altruismus, Gewissenhaftigkeit,
Offenheit für neue Erfahrungen sowie Neurotizismus - eine geringe
emotionale Stabilität, die durch eine Tendenz zu Angst, Unsicherheit und
Nervosität gekennzeichnet ist. Würde sich die Ausprägung dieser
Eigenschaften je nach regionaler Herkunft der Studienteilnehmer
unterscheiden?
Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen in Deutschland nach Region
Wahre Klischees
Die Auswertung zeigte: Viele der gängigen Stereotypen scheinen
tatsächlich zuzutreffen. So lässt sich aus den Daten herauslesen, dass
Süddeutsche tendenziell stärker nach außen gewandt sind als die Menschen
an der Küste. Ein ähnliches Gefälle zeigt sich auch zwischen Ost- und
Westdeutschland - damit habe sich das Bild vom introvertierten
Ostdeutschen und dem eher extrovertierten Westdeutschen bestätigt,
berichten die Forscher.
In Sachen emotionale Stabilität stellte das Team ebenfalls Unterschiede
fest. Demnach sind die Bewohner Süddeutschlands in der Regel emotional
gefestigter als etwa Menschen in Südthüringen oder in der Gegend um
Bremerhaven. Interessant dabei: "In der Regionalverteilung von
Neurotizismus sind wir auf eine Zweiteilung Deutschlands gestoßen, die
überraschend klar der historischen Limes-Linie entspricht – mit
niedrigeren Werten südlich des Limes", berichtet Mitautor Michael
Fritsch von der Universität Jena.
Migrationsmuster als Erklärung
Auch zwischen Stadt und Land lassen sich den Ergebnissen zufolge klare
Trennlinien ziehen. So scheinen Landbewohner tatsächlich ein geringeres
Maß an Offenheit aufzuweisen als Städter. Als besonders offen stellten
sich demnach die Menschen in Berlin und in den Metropolregionen um
Hamburg, Köln, aber auch Leipzig und Dresden heraus.
Weitere Analysen zeigten, dass Migrationsmuster innerhalb Deutschlands
einen Teil der gefundenen Persönlichkeitsunterschiede miterklären
können: "Menschen, die auf dem Land geboren und in die Stadt gezogen
sind, weisen zum Beispiel deutlich höhere Werte im Bereich Offenheit auf
als die Menschen, die auf dem Land bleiben", sagt Mitautor Michael
Wyrwich.
Ursachen unklar
Warum sich solche Eigenschaften abhängig von der Region unterschiedlich
ausprägen, kann die Studie allerdings nicht abschließend klären.
"Möglicherweise können wir zwar beispielsweise einen Zusammenhang
zwischen einer niedrigeren Belastbarkeit und wirtschaftlich schwächeren
Regionen herstellen, allerdings ist damit nicht klar, was zuerst da
war", erläutert Fritsch.
Hinzu kommt den Wissenschaftlern zufolge, dass die gefundenen regionalen
Unterschiede insgesamt relativ klein sind. "Trotzdem lassen sich aus
den Ergebnissen durchaus ökonomisch relevante Informationen ableiten.
Wenn wir uns etwa die vorherrschenden Persönlichkeitseigenschaften in
einer Region mit hohen Gründerzahlen anschauen, dann lernen wir etwas
über besonders unternehmerisch geprägte Persönlichkeitsstrukturen", sagt
Fritsch. Solche und andere Analysen wollen die Forscher nun auf Basis
ihrer "psychologischen Deutschlandkarte" weiter vorantreiben.
(Psychologische Rundschau, 2018)
aus welt.de, 2. 8. 2018 ... Eine klare Mehrheit der Bürger ist einer Umfrage zufolge der Überzeugung, dass der Osten Deutschlands ein
größeres Problem mit Rechtsradikalismus hat als der Westen. In einer
Emnid-Erhebung für die „Bild am Sonntag“ äußerten 66 Prozent der
Befragten diese Auffassung, nur 21 Prozent sahen dies anders. Selbst in
Ostdeutschland teilten 57 Prozent diesen Standpunkt, 39 Prozent
verneinten, dass das Problem im Osten größer ist als im Westen. ... 27
Prozent der Bürger finden es nach der Umfrage in Ordnung, wenn gegen
Ausländer protestiert wird, 66 Prozent haben dafür kein Verständnis. ...
Da wird es morgen durch die Blätter wehen: "Ossi-Bashing bringt uns nicht weiter" und "In dieser angespannten Zeit muss man nicht noch einen weiteren Keil ins deutsche... in die deutsche Bevölkerung treiben", und mancher westlich zertifizierte Publizist wird aufzählen, wie viele Leistungen den Ostdeutschen seit der Wiedervereinigung abgefordert wurden und wie meisterlich sie das bewältigt hätten. Und außerdem gäb's die Rechten ja auch im Westen und hätte sie dort immer gegeben.
Letzteres ist wahr. Wahr ist aber auch, dass sie sich dort erst nach Hoyerswerder und Rostock-Lichtenhagen auf die Straße wagen. Noch heute sind sie im Westen eine punktuelle Erscheinung, im Osten sind sie eine regionale Größe. Ähnlich wie bei der Linken zehren im Westen die Rechten an ihrem Nährboden im Osten. Da werden demnächst wieder eine Menge Erklärungen gefunden werden. Und wieder wird keiner auszusprechen wagen, was eine der Hauptbedingungen des rechten Aufstiegs dort war: Seit bald drei Jahrzehnten wird die deutsche Innenpolitik beherrscht von einem Tabu, das lautet: Das Ossi darf nicht gekränkt werden.
Denn was immer das Ossi sonst auch noch sei, vor allen Dingen ist es eins: verletzlich. Und da seit der Wiederverei- nigung Bundestagswahlen im Osten gewonnen oder verloren werden, hat kein Politiker und kein Journalist die Cou- rage, ihnen die Dinge zu sagen, die man ihnen hätte sagen sollen, als vielleicht die Ohren noch offen waren. Aber damals war's nicht die Angst vor den Rechten, die 'den Eliten' in der Hose saß, sondern die vor der PDS... *
Die erste Generation, die die DDR erlebt hat, waren die Überlebenden des Krieges, die sich im antifaschistischen Bollwerk unter sowjetischer Besatzung über ihre Vergangenheit keine Fragen zu stellen brauchten. Im Westen woll- ten sie es genausowenig, aber es blieb ihnen schließlich nicht erspart. Die tiefste Spaltung Deutschlands brachte nicht die Mauer, sondern das Jahr 1968, das im Osten ausfiel.
In der Gesellschaft der DDR sind zwei Generationen großgeworden. Unrechtsstaat, Nischengesellschaft oder kommode Diktatur - auf jeden Fall war es eine Welt, die Eigenwillen und Wagemut erstickte, wo immer sich ein Fünkchen regte, von der Krippe bis... Wer nie was selber entscheiden kann, der wird sich für nichts verantwortlich fühlen, und was für viele Einzelne in der ersten Generation noch ein beschämendes Gefühl der Ohnmacht gewe- sen sein muss, war für die große Masse schließlich selbstverständlichste Condition humaine, und wer es partout nicht ertragen konnte, suchte irgendeinen Weg nach Westen. Wer nichts selber machen darf, der erwartet entschädigungsweise alles von dem, der es ihm vewehrt. Das Normal- verhältnis des DDR-Bürgers zu seinem Staat war das Ressentiment. 'Alles willst du regeln? Na, dann mach mal!' Und weil natürlich nichts klappte, hieß es allerorten: Anmahnen, einfordern, Versagen anprangern! Freilich nur daheim in der Datschen-Nische, draußen hielt man die Zunge im Zaum. Öffentliche Duckmäuserei bei privater Ansprüchlichkeit waren die Bewusstseinsverfasssung des entwickelten sozia- lisitschen Menschen, und nichts ist geschehen, um daran etwas zu ändern. Die Leipziger Montagsdemonstranten haben sich was getraut, das wird keiner leugnen, und vielleicht waren sie nicht weniger von ihrer Courage überrascht, als der Rest der Welt. Doch danach ist von unten nicht mehr viel gekommen. Die DDR ist buchstäblich zusammengebro- chen, eine Volksrevolution war das nicht. Und so musste sich keiner, der's nicht von sich aus wollte, groß ändern. Um das Ausmisten des eigenen Saustalls haben sie sich schlau gedrückt, indem sie sich flugs der Bundesrepublik anschlossen, die war jetzt für alles verant- wortlich, und das Ressentiment sprach prompt von Siegerjustiz, und wer "gegauckt" wurde, fühlte sich auf einmal gedemütigt, wie er es in der DDR nie tat. Die Entstasifizierung war ihnen von andern angetan worden, und das war auch schon zuviel. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen."Habe nur Befehle ausgeführt sagte man früher. Und weiter hieß die Einstellung zum Gemeinwesen anmahnen, einfordern, Versagen anprangern. Mit dem Unterschied, dass sie es jetztöffentlich dürfen. Die Kontinuität besteht im Ressentiment. Der Unterschied ist, dass es sich damals um die stalinistische Konserve des preußischen Obrigkeitsstaat handelte und heute um einen repräsentativen liberalen Rechstsstaat. Dass sie in ihrer großen Masse diesen Unterschied nie begriffen haben, müssen sie sich selber vorwerfen; und müsste ihnen, weil es schlimme Folgen hat, nun endlich in aller Öffentlichkeit vorgeworfenwerden. Ihr mögt lamentieren, wie ihr wollt - wenn ihr euch das nicht traut, habt ihr euch "Pro Chemnitz" redlich verdient. .