Donnerstag, 20. September 2018

Kulturrausch.

This undated handout picture obtained by AFP on September 13, 2018 from Haifa University shows an archaeologist taking pictures an excavation in a cave near Raqefet, in the Carmel Mountains near the northern Israelis city of Haifa, searching for evidence of beer brewing in a Natufian burial cave dating some 13,000 years ago, possibly the earliest alcohol production known. - The Natufians were hunter-gatherers who lived in the eastern Mediterranean region 15,000 to 11,500 years ago, and began settling down rather than roving from place to place. (Photo by Dani NADEL / Haifa University / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / HAIFA UNIVERSITY / DANI NADEL" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
aus welt.de, 16. 9. 2018                    Kleine Kammern in der Höhle Rakefet werden als Behälter für die Produktion von Bier gedeutet

Alkohol trieb den Menschen in die Sesshaftigkeit
In einer Höhle bei Haifa haben Archäologen die womöglich älteste Produktionsstätte von Bier entdeckt. Der Fund stärkt die These, dass der Mensch für das Rauschmittel zum Getreideanbau überging.

 

Irgendwann im 11. Jahrtausend v. Chr. kam Homo sapiens auf die Idee, seine Nahrung nicht mehr allein durch Sammeln und Jagen zu beschaffen. Er begann, sich mit der nachhaltigen Aufzucht von Gewächsen zu beschäftigen, die im Vorderen Orient heimisch sind. Die Folge war die Neolithische Revolution, die aus Wildbeutern sesshafte Bauern machte. 

Doch warum gingen die kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern dazu über, ihr Schicksal an die Fruchtbarkeit des Bodens zu koppeln? Seit im Südosten Anatoliens das monumentale Kultzentrum von Göbekli Tepe ausgegraben wird, vertreten Forscher eine interessante These: Um die riesigen Gemeinschaftsmähler, die dort von vielen Menschen gefeiert wurden, mit ausreichenden Nahrungsmitteln zu beliefern, musste man neue Quellen erschließen. Manche Wissenschaftler gehen sogar so weit, den Beginn des Getreideanbaus auf das Motiv zurückzuführen, Bier in großen Mengen zu produzieren. Rauschhafte Rituale standen offenbar im Zentrum von Göbekli Tepe.


42818902 Göbekli Tepe
Dass der Beginn der Sesshaftigkeit mit extremem Alkoholkonsum zu tun gehabt haben könnte, macht auch eine Entdeckung denkbar, die israelische Archäologen jetzt südlich von Haifa gemacht haben. In der Höhle Rakefet stießen sie auf drei kleine Kammern von 40 bis 60 Zentimeter Tiefe. „Wenn wir uns nicht täuschen, ist dies der älteste Hinweis auf eine Alkoholproduktion weltweit“, sagt der Archäologe Dani Nadel von der Universität Haifa, der zusammen mit Wissenschaftlern der amerikanischen Stanford-Universität zum Ausgrabungsteam gehört. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Journal of Archaeological Science: Reports“ veröffentlicht.

Zwei der Kammern, die in die felsige Höhlendecke gegraben worden waren, dienten offensichtlich der Lagerung von Getreide, die dritte der Fermentation. Unweit davon kamen die sterblichen Überreste von etwa 30 Menschen, die auf einer von Blumen und Pflanzen bedeckten Plattform begraben worden waren, sowie zahlreiche Geräte und Werkzeuge ans Licht. Datiert werden die Funde auf das 13. Jahrtausend v. Chr.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in der Höhle ein bierähnliches Getränk produziert wurde, das bei orgiastischen Festen kreiste. „Die haben etwas gebraut, das einen angemessenen Anteil an Alkohol enthielt“, sagt Nadel. „Wir reden dabei über das Gären von Getreide, was eine Basis von Bier ist.“ Dieses Getränk, das einer Suppe ähnlich war, könnte bei Begräbnisfeiern oder im Rahmen von Ritualen, etwa eines Ahnenkults, zum Einsatz gekommen sein.

Der große Aufwand bei der Alkoholherstellung zeigt die Bedeutung des Getränks in der Kultur des Natufien, die zwischen 12.000 und 9000 v. Chr. die südliche Levante prägte. In dieser Zeit, die in eine Warmphase der letzten Eiszeit fiel, gingen Wildbeuter daran, mit Getreideanbau und der Domestikation von Tieren (Hunden) zu experimentieren und schon länger an einem Ort zu siedeln.

Reste von Hütten, Gerätschaften, Steinwerkzeugen, Knochen und Gräbern zeigen, dass die Menschen des Protoneolithikums bereits viele Merkmale nachfolgender Kulturen ausgebildet hatten. „Alkoholerzeugung und die Lagerung von Lebensmitteln gehörten zu den wichtigsten Innovationen, die schließlich zur Entwicklung von Zivilisationen führten“, sagt der Ostasien-Spezialist Li Liu aus Stanford, der zum Grabungsteam gehört.

Dass das mühselige Sammeln von Getreide offenbar der Herstellung von Rauschmitteln diente, ist ein weiteres Argument für die These, dass auch in Göbekli Tepe der Alkohol in Strömen floss. Dort kamen Menschen von weit her zu gemeinschaftlichen Zeremonien zusammen. Aus schriftlichen Zeugnissen der frühen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten (ab 3000 v. Chr.) ist bekannt, dass die Produktion von Bier überaus wichtig war. Arbeiter wurden zum Beispiel mit einem täglichen Quantum versorgt.

Auch wenn sich der Prähistoriker Hermann Parzinger der These, extremer Alkoholkonsum habe zu Sesshaftigkeit und produzierendem Wirtschaften geführt, nicht unbedingt anschließen will, resümiert er: „Es ist sicher nicht übertrieben, zu sagen, dass es für den Menschen stets eine große Rolle spielte, sich zu bestimmten Anlässen zu berauschen.“


Nota. - Es ist schon bizarr: Ausgerechnet der Alkohol, der dem nüchternen Betrachter für Lotterleben und Wur- zellosigkeit steht, soll der Grund dafür gewesen sein, dass die Jäger und Sammler, von den Anthropologen auch Wildbeuter genannt, ihr unstetes Leben zugunsten ortansässiger Ergebung in den naturgegebenen Rhythmus der Vegetationsperioden aufgegeben haben! Die weltläufige Vagabondage zugunsten des Hockens auf der heimatli- chen Scholle, die Abenteuer der Jagd zugunsten eintöniger Ackerei...

Es ist aber schon eine spezifische Erklärung nötig, wenn man verstehen soll, weshalb Menschen in grauer Vor- zeit zu einer Ernährungsweise übergegangen sind, die unmittelbar minderwertiger gewesen ist als die überkom- mene Diät aus Wildbret und Naturkost, und mittelbar die schrecklichen Folgen von Überbevölkerung, Massen- elend und Klassenkampf gezeitigt hat. Eine vernünftige Erklärung müsste man lange suchen. Eine unvernünftige wird der Sache viel eher gerecht.
JE

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