Leonhard Dobusch:
"Es existiert nur, was digital gefunden wird"
Online brachte keine schöne neue Wissenswelt und auch nicht mehr Schund, als es schon gab, meint Webexperte Leonhard Dobusch
STANDARD: Riskieren wir einen Blick in die Zukunft: Welche Bedeutung werden digitale Suchmaschinen künftig für das Auffinden von Wissen haben?
Dobusch: Was nicht über digitale Suchmaschinen gefunden werden kann, wird schon bald quasi nicht existieren. Das heißt nicht, dass alle Bücher online verfügbar sein müssen. Sie müssen nur in Onlinekatalogen gelistet sein, ansonsten sind sie in Zukunft nicht mehr auffindbar.
STANDARD: Das heißt also, dass Google und Co in Zukunft noch stärker bestimmen werden, was Wissen ist?
Dobusch: Wenn die digitale Findbarkeit darüber entscheidet, was Wissen ist, und gleichzeitig ganz wenige Suchalgorithmen darüber entscheiden, was gefunden wird, dann liegt die Monopolstellung auf der Hand. Das, was man früher ausschließlich in Büchern und Lexika fand, ist so unübersichtlich viel geworden. Man braucht jemanden zum Ordnen.
STANDARD: Dabei wird aber auch viel scheinbar flüchtiges Wissen gelistet. Wie kann man es für kommende Generationen bewahren?
Dobusch: Die Dauerverfügbarkeit, die Papier ja relativ gut hingekriegt hat, ist mit digital gespeichertem Wissen in jedem Fall eine Herausforderung. Die Mitte der 1990er-Jahre gegründete Plattform archive.org hat Texte, Videofiles und mehrere Milliarden Websites in verschiedenen Entwicklungsstadien archiviert. An der Bibliothek der Stanford University gibt es eine andere Initiative: Lots of Copies Keep Stuff Safe. Ihr Ziel ist, dass möglichst viele Bibliotheken möglichst viele Kopien digitaler Inhalte erhalten, aber auch die Integrität dieses meist von Wissenschaftern stammenden Wissens prüfen. Das Logo zeigt eine Schildkröte. Sie soll den langsamen, mühevollen Prozess dieser Arbeit symbolisieren. In der Vergangenheit hat sich erwiesen, dass Wissen nicht in einer, sondern in vielen Bibliotheken aufgehoben werden sollte. Damit es nicht verlorengeht, wenn eine abbrennt oder im gegenwärtigen Fall ein Server abstürzt.
STANDARD: Sie geben selbst ein Wissenschaftsmagazin online heraus: "Momentum Quarterly". Wie lösen Sie dabei die Fragen nach Langzeitverfügbarkeit?
Dobusch: Natürlich stellen wir uns die Frage, weil es die Texte ja in keiner Printversion gibt. Wir wollen ja, dass sie auch noch in zehn Jahren auffindbar sind. Eine Möglichkeit wäre, sie über Digital Object Identifier eindeutig zuzuordnen. Sollte sich einmal die Url ändern, dann könnte man unsere Inhalte trotzdem wiederfinden.
STANDARD: Wer entscheidet aber, welche digitalen Inhalte in Zukunft verfügbar sein sollen? Und wer trennt Qualität von Müll, der ja im Web in großer Menge produziert wird?
Dobusch: Es stimmt schon. Die meisten Videos auf Youtube sind Müll, die meisten Tweets auf Twitter sind uninteressant. Aber ist das nicht bei allem so? Ich verweise bei der Gelegenheit gern auf Sturgeon's Law. Theodore Sturgeon war Science-Fiction-Autor. Immer, wenn er davon erzählt hat, kam zur Antwort: "Ist das überhaupt gute Literatur? Neunzig Prozent davon ist doch totaler Müll." Da antwortete er: "Neunzig Prozent von allem ist Müll." Das war wohl auch in der Zeit vor dem World Wide Web so. Neunzig Prozent der gedruckten Bücher möchte ich nie im Leben lesen. Die Frage ist: Wonach wählt man aus? Man setzt auf Filter. Die Filter sind die Feuilletons von Zeitungen, die Filter sind Empfehlungen von Freunden, denen man vertraut. Wenn sie mir doofe Bücher empfehlen, dann werde ich sie nächstes Mal nicht mehr fragen. Und in Wirklichkeit funktioniert das im Netz ganz ähnlich.
STANDARD: Was bedeutet "ganz ähnlich"?
Dobusch: Relevant ist, was andere Leute für relevant befinden, was auf Blogs zitiert wird, was getwittert wird, was in Tageszeitungen erwähnt wird. Das ist auch bei wissenschaftlichen Arbeiten so: Neunzig Prozent der Papers werden kaum zitiert. Das heißt jetzt nicht, dass das, was zitiert wird, die beste Forschung ist, aber ich würde schon sagen, dass sich die Logik durch das Web nicht radikal verändert hat.
STANDARD: Das Web ist also nicht böse und macht uns nicht dümmer?
Dobusch: Würde ich schon sagen. Das Web führt zwar nicht zu einer schönen neuen Wissenswelt, aber ich sehe schon sehr große Vorteile. Der Größte ist der breite Zugang. Die Historikerin Monika Domann hat in einem Interview mit der Zeit gemeint, das Neue entstehe nie da, wo man es erwartet. Deshalb kann es Sinn machen, Wissen besonders einfach zugänglich zu machen. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass Neues entsteht, eine viel größere, als wenn ich nur elitär verfügbares Wissen habe.
STANDARD: Die Politik einiger großer Wissenschaftsverlage, ihre Zeitschriften über hohe Abopreise an Uni-Bibliotheken zu verkaufen, ist da dann aber kontraproduktiv?
Dobusch: Ja, Verlage wie Taylor Francis oder Elsevier verlangen Fantasiepreise für Fachzeitschriftenabos. Da reden wir von bis zu 20.000 Euro pro Jahr. Sie zwingen die Bibliotheken zu sinnlosen Paketabos. Dagegen muss man sich zur Wehr setzen. Die allermeisten Aufsätze in diesen Zeitschriften entstammen öffentlich finanzierter Forschung, auch die Qualitätssicherung ist öffentlich finanziert. Die Gesellschaft hat, wenn sie das finanziert, aber auch ein Recht darauf, die Ergebnisse zu sehen. Da brauchte es ein stärkeres Mandat, um diesen vielfach geäußerten Wunsch auch durch- zusetzen. (Interview: Peter Illetschko)
"Es existiert nur, was digital gefunden wird"
Online brachte keine schöne neue Wissenswelt und auch nicht mehr Schund, als es schon gab, meint Webexperte Leonhard Dobusch
STANDARD: Riskieren wir einen Blick in die Zukunft: Welche Bedeutung werden digitale Suchmaschinen künftig für das Auffinden von Wissen haben?
Dobusch: Was nicht über digitale Suchmaschinen gefunden werden kann, wird schon bald quasi nicht existieren. Das heißt nicht, dass alle Bücher online verfügbar sein müssen. Sie müssen nur in Onlinekatalogen gelistet sein, ansonsten sind sie in Zukunft nicht mehr auffindbar.
STANDARD: Das heißt also, dass Google und Co in Zukunft noch stärker bestimmen werden, was Wissen ist?
Dobusch: Wenn die digitale Findbarkeit darüber entscheidet, was Wissen ist, und gleichzeitig ganz wenige Suchalgorithmen darüber entscheiden, was gefunden wird, dann liegt die Monopolstellung auf der Hand. Das, was man früher ausschließlich in Büchern und Lexika fand, ist so unübersichtlich viel geworden. Man braucht jemanden zum Ordnen.
STANDARD: Dabei wird aber auch viel scheinbar flüchtiges Wissen gelistet. Wie kann man es für kommende Generationen bewahren?
Dobusch: Die Dauerverfügbarkeit, die Papier ja relativ gut hingekriegt hat, ist mit digital gespeichertem Wissen in jedem Fall eine Herausforderung. Die Mitte der 1990er-Jahre gegründete Plattform archive.org hat Texte, Videofiles und mehrere Milliarden Websites in verschiedenen Entwicklungsstadien archiviert. An der Bibliothek der Stanford University gibt es eine andere Initiative: Lots of Copies Keep Stuff Safe. Ihr Ziel ist, dass möglichst viele Bibliotheken möglichst viele Kopien digitaler Inhalte erhalten, aber auch die Integrität dieses meist von Wissenschaftern stammenden Wissens prüfen. Das Logo zeigt eine Schildkröte. Sie soll den langsamen, mühevollen Prozess dieser Arbeit symbolisieren. In der Vergangenheit hat sich erwiesen, dass Wissen nicht in einer, sondern in vielen Bibliotheken aufgehoben werden sollte. Damit es nicht verlorengeht, wenn eine abbrennt oder im gegenwärtigen Fall ein Server abstürzt.
STANDARD: Sie geben selbst ein Wissenschaftsmagazin online heraus: "Momentum Quarterly". Wie lösen Sie dabei die Fragen nach Langzeitverfügbarkeit?
Dobusch: Natürlich stellen wir uns die Frage, weil es die Texte ja in keiner Printversion gibt. Wir wollen ja, dass sie auch noch in zehn Jahren auffindbar sind. Eine Möglichkeit wäre, sie über Digital Object Identifier eindeutig zuzuordnen. Sollte sich einmal die Url ändern, dann könnte man unsere Inhalte trotzdem wiederfinden.
STANDARD: Wer entscheidet aber, welche digitalen Inhalte in Zukunft verfügbar sein sollen? Und wer trennt Qualität von Müll, der ja im Web in großer Menge produziert wird?
Dobusch: Es stimmt schon. Die meisten Videos auf Youtube sind Müll, die meisten Tweets auf Twitter sind uninteressant. Aber ist das nicht bei allem so? Ich verweise bei der Gelegenheit gern auf Sturgeon's Law. Theodore Sturgeon war Science-Fiction-Autor. Immer, wenn er davon erzählt hat, kam zur Antwort: "Ist das überhaupt gute Literatur? Neunzig Prozent davon ist doch totaler Müll." Da antwortete er: "Neunzig Prozent von allem ist Müll." Das war wohl auch in der Zeit vor dem World Wide Web so. Neunzig Prozent der gedruckten Bücher möchte ich nie im Leben lesen. Die Frage ist: Wonach wählt man aus? Man setzt auf Filter. Die Filter sind die Feuilletons von Zeitungen, die Filter sind Empfehlungen von Freunden, denen man vertraut. Wenn sie mir doofe Bücher empfehlen, dann werde ich sie nächstes Mal nicht mehr fragen. Und in Wirklichkeit funktioniert das im Netz ganz ähnlich.
STANDARD: Was bedeutet "ganz ähnlich"?
Dobusch: Relevant ist, was andere Leute für relevant befinden, was auf Blogs zitiert wird, was getwittert wird, was in Tageszeitungen erwähnt wird. Das ist auch bei wissenschaftlichen Arbeiten so: Neunzig Prozent der Papers werden kaum zitiert. Das heißt jetzt nicht, dass das, was zitiert wird, die beste Forschung ist, aber ich würde schon sagen, dass sich die Logik durch das Web nicht radikal verändert hat.
STANDARD: Das Web ist also nicht böse und macht uns nicht dümmer?
Dobusch: Würde ich schon sagen. Das Web führt zwar nicht zu einer schönen neuen Wissenswelt, aber ich sehe schon sehr große Vorteile. Der Größte ist der breite Zugang. Die Historikerin Monika Domann hat in einem Interview mit der Zeit gemeint, das Neue entstehe nie da, wo man es erwartet. Deshalb kann es Sinn machen, Wissen besonders einfach zugänglich zu machen. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass Neues entsteht, eine viel größere, als wenn ich nur elitär verfügbares Wissen habe.
STANDARD: Die Politik einiger großer Wissenschaftsverlage, ihre Zeitschriften über hohe Abopreise an Uni-Bibliotheken zu verkaufen, ist da dann aber kontraproduktiv?
Dobusch: Ja, Verlage wie Taylor Francis oder Elsevier verlangen Fantasiepreise für Fachzeitschriftenabos. Da reden wir von bis zu 20.000 Euro pro Jahr. Sie zwingen die Bibliotheken zu sinnlosen Paketabos. Dagegen muss man sich zur Wehr setzen. Die allermeisten Aufsätze in diesen Zeitschriften entstammen öffentlich finanzierter Forschung, auch die Qualitätssicherung ist öffentlich finanziert. Die Gesellschaft hat, wenn sie das finanziert, aber auch ein Recht darauf, die Ergebnisse zu sehen. Da brauchte es ein stärkeres Mandat, um diesen vielfach geäußerten Wunsch auch durch- zusetzen. (Interview: Peter Illetschko)
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