Donnerstag, 17. April 2014

Nachtrag: Des Romantikers Schatten.

Der Philister, zu deutsch: der Spießer…


…war das Inbild der Romantik: als ihr Gegner.

Der Romantiker ist einer, der vor allen Dingen den Philister jagt – aber wie seinen eigenen Schatten! Dieser ist nichts ohne jenen. Auch darum sind wir Deutschen sicher die “romantischste” Nation von allen: Weil wir von den einen so viele haben, wimmelt es von den andern.

Zwar ist keine Gattung so naturwüchsig international wie der Spießer. Wir alle tragen irgendwo einen kleinen Spießer versteckt in unserer Brust. In unsern lausigen bürgerlichen Verhältnissen hat sich jeder von uns schon öfter, als er zugeben mag, unter so manches Joch gebeugt und ist in so manchen A… gekrochen. Stolz darauf ist keiner: “Das hast du getan, sagt meine Gedächtnis. Das kannst du nicht getan haben, sagt mein Stolz. Nach einer Weile gibt mein Gedächtnis nach.” (Nietzsche) 

Der Spießer ist einer, der Sein Gedächtnis prophylaktisch auf Eis gelegt hat. “Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit”, und darum wird er sich nie etwas vorzuwerfen haben. Das sind die ‘Leute mit dem pathologisch reinen Gewissen’. Es gibt eine Sorte Stolz, die ganz ohne Gedächtnis auskommt: die nennt man Dünkel (lat. vanitas = eine der sieben Todsünden). Der erfüllt den Spießer bis zum Scheitel.

Wie gesagt, einen kleinen Spießer trägt jeder von uns im Herzen. Die Frage ist immer nur, wie groß er ihn werden lässt.

Es gibt einen Berufsstand, in dem dieser angenehme Wesenszug stärker kon- zentriert ist als anderswo, und der ist im Bildungsbeflissenen Deutschland seit hundertfünfzig Jahren wirkmächtiger als sonst wo: Das ist der Stand der Kinderkümmerer. Sie haben schon immer das Beste gewollt, von Hause aus. Wer einmal den Entschluss gefasst hat, mit Kindern sein Geld zu verdienen (statt mit Versicherungen oder Obst und Gemüse), wie sollte der fehlen können? Denn selbst, wenn er ein Mal (1 x) nicht Recht ‘haben’ sollte, so wird er doch immer ‘im’ Recht ’sein’. Er ist der Normalmensch, ihn können sich alle zum Vorbild nehmen. Darum darf – und will – er Kinder auch erziehen: “Erziehung ist Liebe und Beispiel.” Soll heißen, er ist das Beispiel, und darum wird man ihn ja wohl auch lieben müssen, oder?

Ist jeder Kinderkümmerer ein Spießer?
Wenn er nicht energisch dagegen angeht, ja.
 
Kein normaler Mensch ist absichtlich ein Spießer. Und da keiner ein Spießer sein will, mag er auch den, den er in seiner Brust trägt, nicht wahr haben. Er erkennt ihn nicht. Also muss er ihm von seinen Freuden vor Augen geführt werden. Dann lacht er laut auf, schüttelt sich und jagt den albernen Patron zum Teufel. Man muss den kleinen Spießer aus seinen Winkeln in den Herzen herauslocken, hervor-rufen (lat. pro-vocare), ans Licht zerren und… zum Tempel hin-aus lachen.

Freilich, beim Vollblutspießer sind Hopfen und Malz verloren. Er ist nicht bloß brav, bieder und betulich, sondern auch besorgt, bierernst und bedeutsam. Er denkt positiv; vor allem von sich. Seine Welt ist aufgeräumt, das hat eine höhere Intelligenz (derer er kraft richtiger Gesinnung teilhaftig ward) so gefügt. Betroffen ist er gern, vor allem, wenn Publikum zuschaut, doch getroffen fühlt er sich selten. Sein Lieblingsgedanke: “Ich danke dir, HErr, dass ich nicht bin wie jene!” Gelacht hat er sein Lebtag nur über andere, und lacht ein Mal einer über ihn, dann ist er entrüstet: Der Tugend höhnen? Unerhört!

Untrügliches Merkmal: Der Spießer ist humorlos. Das Reinigungsmittel, das unfehlbar die kleinen Spießer austreibt und die großen kenntlich macht, ist das Lachen. (Katharsis nannten das die alten Griechen, und dazu hatte sie ihre Komödie.) Denn gegen Argumente ist er immun. Er wird immer irgendwas anderes – gerade in diesem Moment! – “wichtiger” finden, und er wird Bedenken tragen, “ob man das denn so sagen kann”; nicht, weil er selber zimperlich wäre, ach wo, sondern in Rücksicht auf “die andern”. An seinen Rücksichten und Bedenken meint man zu ersticken wie an ungepresster Watte oder an gehackten Borsten.


Der Spießer ist in eminentem Sinn ungebildet. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht trotzdem allerhand gelesen haben mag. Manch einer hat gehört: Den Spießer erkennt man an der Humorlosigkeit. Darum höhnt und feixt er vorsorglich über alles, was ihm über den Weg läuft. Um’s Himmels Willen nicht als Spießer erkannt werden! Eher noch als Hanswurst oder Giftspritze… Den “Spötter” hat er sich als Kostüm angezogen. Aber den Spießer erkennt man immer noch daran, dass unter dem Kostüm… nix is: Red’ ihm über was Ernstes, und er ist verloren.

Man kann den Spießer zur Selbsterkenntnis nicht verführen. Ein bissel seiner selbst spotten? Da bräche die ganze Fassade ein: Was er wie Selbstironie vorträgt, ist eine kaum verhohlene Art des Eigenlobs. Mit dem Spießer gibt es kein Kompromisseln. Jeden Fußbreit Boden, den man ihm kampflos preisgibt, verbucht er als verdienten Sieg und geschuldeten Tribut an seine Vernünftigkeit. Die Konzessionen, die man ihm macht, sind nur Konzessionen an sein Selbstgefallen.


Aber: Das Gefährlichste am Kampf gegen die Spießerei ist die Gewöhnung; die Gewöhnung nämlich an… den Kampf gegen die Spießer! Denn von allen Dünkeln der spießigste ist der, man könne seinen eignen innern Spießer ein für alle mal hinter sich bringen, und sei dann vor ihm sicher. Doch wann immer einer länger als eine Viertel- stunde mit sich zufrieden ist, wächst ihm heimlich einer nach. 

im März 1993, für den Kinderring Berlin                                                                                                                     Bilder: Daumier und Ducreux

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