Sonntag, 6. April 2014

Mathematik aus dem Morgenland.

Um 1493 entstand dieser Holzschnitt der für die Europäer märchenhaft reichen Stadt Knonstantinopel alias Byzanz (Auszug aus der Schedelschen Weltchronik). Repro: Wikipedia, gemeinfrei 
aus derStandard.at, 6.4.2014                                             Konstantinopel/Byzanz, Schedelsche Weltchronik,1493 

Mathematik-Handschriften aus dem alten Byzanz veröffentlicht
Spätbyzantinische Dokumente erklären unter anderem Dezimalbrüche, 150 Jahre bevor man in Mitteleuropa damit rechnete 

Stefan Deschauer, Inhaber der Professur für Didaktik der Mathematik an der TU Dresden, hat eine der wichtigsten spätbyzantinischen Mathematik-Handschriften transkribiert, übersetzt und als kommentierte Ausgabe im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veröffentlicht.

Die Handschrift stammt aus der Endzeit des Byzantinischen Reiches und ist aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive von großem Wert: Sie repräsentiert mathematisches Wissen aus der Zeit des beginnenden Aufstiegs des Osmanischen Reiches zur Großmacht.

Der unbekannte Autor der Dokumente versuchte, in einer auch für Laien verständlichen Darstellungsweise zu erklären, wie man mit dem damals neuen Zahlensystem, also mit der aus Indien stammenden Zahl Null und den aus Samarkand stammenden Dezimalbrüchen, rechnen kann. In Mitteleuropa wurde das Rechnen mit Dezimalbrüchen erst etwa 150 Jahre später bekannt.

Mit der Ausdehnung des osmanischen Reiches nach Nordwesten gelangten ab dem 15. Jahrhundert viele hochentwickelte wissenschaftliche Verfahren und Erkenntnisse, so auch aus dem Bereich der Mathematik, bis in das zentrale Europa und befruchteten die dort bis dahin zurückgebliebene Wissenschaftskultur. (red.)


Stefan Deschauer: „Die große Arithmetik aus dem Codex Vind. phil. gr. 65", Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2014, ISBN13: 978-3-7001-7533-9



aus computer-oiger.de

Das dezimale Byzanz und die Null
Dresdner TU-Professor Deschauer hat eine der wichtigsten Mathematik-Handschriften aus der Zeit kurz vor dem Fall Konstantinopels übersetzt und publiziert
 
Die Metropole am Bosporus, die wir heute als Istanbul kennen, galt seit jeher als Scharnier zwischen Ost und West, als Wissensvermittler zwischen Antike und Neuzeit: Vor etwa 2660 Jahren von hellenischen Kolonisten gegründet, wurde sie im 4. Jahrhundert als „Konstantinopel“ zur Hauptstadt des oströmischen Reiches. Während Europa in der „Dunklen Zeit“ die Antike vergaß, bewahrten byzantinische Mönche und Gelehrte das Wissen der Alten über die Jahrhunderte hinweg, saugten neue Erkenntnisse von Indern, Persern und Arabern auf – und trugen diesen ideellen Schatz nach dem Fall der Stadt unter dem Ansturm der Osmanen im Jahr 1453 nach Europa weiter. Der Dresdner Professor Stefan Deschauer vom TU-Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik hat nun eine der wichtigsten spätbyzantinischen Mathematik-Handschriften, die kurz vor dem Fall Konstantinopels entstand, transkribiert, übersetzt und als kommentierte Ausgabe „Die Große Arithmetik“ veröffentlicht. Deschauers Arbeit dauerte Jahrzehnte, begonnen hatte er sie in den 1980ern noch mit einem Atari-Heimcomputer.


Ein Auszug aus der Handschrift. Repro: hw
Ein Auszug aus der Handschrift. Repro: hw
 
Unbekannter Autor brachte Dezimalbrüche ins untergehende Ostrom
 
„Angenommen Du suchst danach, wieviel ς’ mal ιε’ ergibt… Setze oben die ιε’, seitlich aber ς’, denn so muss man es bei der vorliegenden Methode machen, dass nach oben das Größere, seitlich aber das Kleinere gesetzt wird. Multipliziere aber die ς’ auf der Seite mit ε’ oben…“ – der unbekannte Autor hat sich in seiner Handschrift viel Mühe gegeben, um auch Laien alles ganz einfach und langsam zu erklären: Wie man mit dem damals neumodischen Zahlensystem mit der indischen „Nichts“-Zahl Null und den neuen Dezimalbrüchen aus Samarkand multipliziert, dividiert und so weiter. Manchmal geht er dabei arg umständlich zu Werke. Aber Kenner Deschauer meint: Für seine Zeit habe der Autor über „beachtliches didaktisches Talent“ verfügt, richtete sich sein Buch doch an Praktiker wie Gelehrte.



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