Montag, 7. August 2017

Ist die digitale Revolution ist schon wieder zuende?

aus derStandard.at, 6. August 2017, 11:54

"Große Vorteile der Digitalisierung sind passé" 
Der Welt sind die Ideen ausgegangen, die das Wachstum beflügeln: Mit dieser Theorie provoziert der US-Ökonom Robert Gordon

Interview von

STANDARD: Der Juicero, die Saftpresse eines US-Start-ups, war 2016 das angesagte Investment im Silicon Valley. 120 Millionen Dollar steckten Finanziers in das Gerät mit dem Apple-Look. Doch dann wollte es kaum jemand haben. Produzieren sehr viele Start-ups nicht unnützes Zeug?

Robert Gordon: Das würde ich nicht sagen. Es gibt eine enorme Innovationsaktivität. Ständig entstehen neue Produkte, mit denen sich die Wohlfahrt der Konsumenten steigern lässt. Denken Sie an Unterhaltungselektronik, Virtual Reality. Es gibt laufend neue Messgeräte für irgendetwas, wie Fitness-Apps. Das Problem ist, dass diese Innovation die Produktivität von Unternehmen kaum steigen lässt.

STANDARD: In Ihrem Buch "The Rise and Fall of American Growth" schreiben Sie, dass der Welt die Ideen ausgegangen sind, mit denen sich Wirtschaftswachstum anfachen lässt. Was ist mit selbstfahrenden Lkws und Pkws?

Gordon: In der Zukunft werden sie eine Rolle spielen, doch das Wachstumspotenzial dieser Innovationen wird stark übertrieben dargestellt. Selbstfahrende Pkws mögen privat nützlich sein, werden aber keine Jobs schaffen und kein Wachstum generieren. Bei selbstfahrenden Lkws ist die Frage, ob die Fahrer ersetzbar werden. Das würde Produktivitätsgewinn bringen. Doch wird oft vergessen, dass Lkws nicht nur weite Distanzen zwischen Städten zurücklegen. Ein großer Teil des Frachtverkehrs findet innerhalb einer Stadt oder auf kurzen Wegen statt. Die Fahrer liefern etwas aus, Bier oder Brot, entladen Waren, schlichten sie ein. Diese Tätigkeiten kann man nicht mit selbstfahrender Technologie ersetzen.

STANDARD: Und was ist mit Robotern, 3D-Druckern?

Gordon: In der Industrie werden Roboter menschliche Arbeit zunehmend überflüssig machen. Es wäre nur ein Fehler zu denken, dass das ein neuer Trend wäre: Der erste Einsatz von Robotern in der Industrie war 1961 bei General Motors. Roboter sind in der Güterfertigung seit 20 Jahren verbreitet. Das Produktivitätswachstum in der US-Industrie war in den vergangenen zehn Jahren schwach: Das zeigt doch eher, dass der Anstieg des Automatisierungsgrades zuletzt verhalten war. Und 3D-Printer sind toll, um Prototypen zu erstellen. Aber es ist ein Nischenprodukt, das in der Massenfertigung von Waren keine große Rolle spielen wird.

STANDARD: Zwei Oxford-Ökonomen haben 2013 in einem Paper geschätzt, dass bis 2030 die Hälfte der Jobs in der westlichen Welt durch Technologiewandel wegfallen wird. Das glauben Sie also nicht?


Gordon: Diese Vorhersage entpuppt sich als völlig falsch. Allein in den USA wurden zuletzt über zwei Millionen neue Jobs im Jahr geschaffen. Das zeigt, dass die neuen Technologien Arbeitskraft eher ergänzen als ersetzen. In der Medizin gibt es Patientenakten meist nur mehr in elektronischer Form. Das macht die Arbeit von Ärzten und Krankenschwestern effizienter, sie werden aber nicht ersetzt. Bankomaten haben Mitarbeiter am Bankschalter nicht obsolet gemacht. Und wenn Sie morgen fliegen, nimmt immer noch ein Mensch Ihr Gepäck entgegen.

STANDARD: Könnten der Menschheit die größten Innovationen nicht erst bevorstehen.

Gordon: Ja klar, das kann sein, weswegen ich meine Prognosen nur auf die kommenden 25 Jahre beziehe. Da sehe ich keine Entwicklung am Horizont, die unser Leben ähnlich transformieren könnte, wie das die Erfindung der Elektrizität getan hat. Es gibt Kritiker, die meinen, ich würde falsch liegen, weil die großen Entdeckungen des späten 19. Jahrhunderts, der Verbrennungsmotor und Elektrizität, bis in die 1920er nicht in den Produktivitätsstatistiken sichtbar waren. Wir müssten warten, bis sich das Computerzeitalter niederschlägt. Das halte ich für falsch.

STANDARD: Warum?

Gordon: Das Computerzeitalter hat in den 1960ern mit Großrechnern begonnen, in den 80ern kamen die PCs. Der Erfolg von Computern und dem Internet war, dass papierbasierte Prozesse fast überall ersetzt wurden. Das hat sich auf die Produktivität ausgewirkt, und zwar in der Dekade ab 1995. Es gab also eine Verzögerung von 20 bis 30 Jahren. Inzwischen sind die großen Vorteile der Digitalisierung im Wirtschaftsleben passé.

STANDARD: Wäre es so schlimm, wenn die Produktivität und damit das Wirtschaftswachstum künftig nicht mehr so stark ausfällt?

Gordon: Langsameres Wachstum schafft Probleme, besonders in einer alternden Gesellschaft, wo viel Geld für Pensionen und die medizinische Versorgung benötigt wird. Weniger Wachstum macht es schwerer, ärmeren Menschen zu helfen. Wachstum ist wichtig – wir sollten nicht zufrieden mit dem sein, was wir haben.

STANDARD: Was sollte passieren, um die Produktivität zu steigern?

Gordon: In den USA müsste man bei den Grundlagen ansetzen, also in der Bildungspolitik für Ärmere. Sehr viele Kinder kommen bereits mit großen Sprachproblemen in die Schule. Wir brauchten mehr Vorschulprogramme, mehr Tutoren. Die Kindern gehören unterstützt, damit sie später zu fähigen Erwachsenen werden, die Geld verdienen können. Der positive Nebeneffekt wäre, dass diese Menschen einen stärkeren Beitrag zum Wachstum leisten könnten.

Robert Gordon (76) ist mit seinen Wachstumsthesen zum Shootingstar unter Ökonomen avanciert. Er forscht an der Northwestern University in Illinois.

  
Nota. - Was ist mit Wachstum ('Produktivitätszuwachs') hier und im gestrigen Beitrag gemeint? Nicht gemeint ist das, was der Volksmund darunter verstehen könnte: neue Gebrauchswerte, die das Leben schöner und bequemer machen. Gemeint ist, was der Ökonom darunter versteht: Zuwachs an Wert, der sich in Geld messen lässt. Es ist auch nicht gemeint der Neuwert, der von der Arbeit geschaffen wird. Gemeint ist der Zuwachs an Kapital, gemessen am eingesetzten Kapital. Und der sei in den vergangenen sechzig Jahren immer geringer geworden, und zwar im großen Durchschnitt. Die "globale Elite, Marktführer in ihrer Branche", mache heute erheblich größere Gewinne als in den vorangegagenen Jahrzehnten, doch "weltweit gibt es in 95 Prozent der Unternehmen kein Produktivitätswachstum mehr". Will sagen, die mageren Gewinne, die die große Mehrheit macht, sind nicht groß genug, um sie 'verwerten', nämlich gewinnbringend investieren zu können. Man kann sie nur ersatzweise 'auf die Bank tragen' - die sie verzockt, wo der Gewinn der einen der Verlust der anderen ist und unterm Strich nix rauskommt.

Was die Ökonomen hier beschreiben, sieht der Marx'schen Prognose vom Fall der Profitrate zum Verwechseln ähnlich: Die technologische Entwicklung führt dahin, dass immer mehr Kapital in der Maschinerie ('fixes Kapital') steckt und immer weniger für die lebendige Arbeit ausgegeben wird ('variables Kapital'). Es ist aber die Arbeit, die allein neuen Wert schafft, sie aber wird durch die Maschinerie fortschreitend überflüssig gemacht. Immer weniger Neuwert steht also immer größeren Kosten gegenüber, denn die Maschinen mussten ja erst einmal bezahlt werden. Nur die allergrößten Kapitale können sich nun Neuinvestitionen überhaupt noch leisten. Es kommt zu einem weiteren kräftigen Konzentrationsschub, der indes die Konkurrenz weiter verschärft und die technologische Umwälzung weiter beschleunigt.

Dass dies zu einem automatischen Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaftsweise führt, hat Marx ausdrücklich nicht behauptet. Es kommt beim 'fixen Kapital' nämlich nicht auf das Material und seine Menge (=den Gebrauchswert) an, sondern wieder auf seinen Wert. Kriege, Krisen und ebensogut revolutionäre Techno- logien können den Maschinenpark über Nacht entwerten, und diejenigen Kapitalien, die das Erdbeben überleben, stehen wieder wie jungfräulich da. 

Will sagen, die kapitalistische Wirtschaftsweise ist nicht aus Begriffen entstanden und wird nicht an Begriffen zusammenbrechen. Die Begriffe sind nur dazu da, das, was historisch wirklich geschieht, verständlich zu machen. 

Oder anders gesagt - ob die digitale Revolution schon wieder zu Ende ist oder überhaupt erst richtig losgeht, lässt sich aus keinen theoretischen Gleichungen errechnen. Bemerkenswert ist immerhin, das Marx nun nicht mehr nur als Kritiker des Finanzkapitals, sondern offenbar auch als Analytiker der bürgerlichen Gesellschaftsordnung wieder aktuell wird.
JE


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