Bei
beiden Hochkulturen ist zudem ungeklärt, warum sie untergingen. Die
Macht der Minoer begann ab 1450 vor Christus plötzlich zu schwinden,
möglicherweise durch die Folgen des verheerenden Vulkanausbruchs von Santorini. Das Reich der Mykener ging um 1200 vor Christus unter. Als Ursache dafür wird ein Klimawechsel vermutet, der damals auch andere Mittelmeerkulturen schwächte.
Blick ins bronzezeitliche Erbgut
Jetzt liefert ein Blick ins Erbgut neuen Einblick in die Ursprünge und
Verwandtschaft dieser beiden rätselhaften Hochkulturen. "Wir wollten
wissen, ob die Minoer und Mykener genetisch getrennte Völker waren oder
nicht. Wie waren sie miteinander verwandt? Und wer waren ihre
Vorfahren?", erklärt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für
Menschheitsgeschichte, einer der Studienleiter.
Um dies zu klären, analysierten die Forscher das Erbgut von zehn Minoern
und vier Mykenern, deren Überreste in bronzezeitlichen Gräbern auf
Kreta und dem griechischen Festland entdeckt worden waren. Zu
Vergleichszwecken untersuchten sie die DNA dreier Anatolier aus der
Bronzezeit, eines jungsteinzeitlichen Bauern vom Peleponnes und eines
Kreters aus der Zeit nach den Mykenern. Die DNA moderner Menschen diente
als zusätzlicher Vergleich.
Gemeinsame Wurzeln
Die Genanalysen enthüllten: Minoer und Mykener waren tatsächlich
miteinander verwandt. Beide Kulturen wurden nicht von Einwanderern
gegründet, sondern entwickelten sich vor Ort, wie die Forscher
berichten. Der größte Teil ihres Erbguts stammte von jungsteinzeitlichen
Bauern, die einst aus Anatolien eingewandert waren und die
Landwirtschaft nach Europa brachten.
Ein kleinerer Anteil des Erbguts stammt dagegen aus dem mittleren Osten:
"Minoer, Mykener und auch moderne Griechen haben Vorfahren, die zu den
früheren Bewohnern des Kaukasus, von Armenien und dem Iran gehörten,
berichtet Erstautor Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School in
Boston. Die Menschen in der Ägäisregion - früher und heute - haben sich
demnach aus den gleichen Wurzeln entwickelt.
..aber nicht gleich
Doch es gibt auch Unterschiede: Bei den Mykenern entdeckten die Forscher
noch eine dritte Genbeimischung, die den Minoern fehlte. Sie stammt von
den Steppennomaden,
die in der Bronzezeit aus Zentralasien nach Europa einwanderten. Ihr
Einstrom löste damals weitreichende kulturelle Veränderungen aus und
legte den Grundstein für die indoeuropäischen Sprachen.
Der Fund der Steppenreiter-Gene bei den Mykenern könnte erklären, warum
sie den heutigen Griechen und Europäern in Sprache und Schrift ähnlicher
waren als die Minoer: Ähnlich wie andere Völker der damaligen Zeit auch
wurden sie von den Einwanderern beeinflusst. Bis nach Kreta jedoch
kamen die Steppennomaden nicht – daher fehlt ihr Einfluss bei den
Minoern. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature23310)
(MPI für Menschheitsgeschichte, University of Washington, Howard Hughes Medical Institute, 03.08.2017 - NPO)
aus derStandard,
5. August 2017, 12:00 Knossos
DNA-Analyse löst
Rätsel über den Ursprung der ersten Zivilisationen Europas
Lange Zeit herrschte Unklarheit über die Herkunft der Minoer auf Kreta
und die Mykener am griechischen Festland.
Boston – Sie werden gerne als Grundlage der europäischen Kultur genannt:
Der Ursprung der bronzezeitlichen minoischen Kultur auf Kreta und ihrem
zeitlich etwas später angesiedelten Gegenstück, den Mykenern auf dem
griechischen Festland, war allerdings lange Zeit ein Rätsel. Genetische
Untersuchungen haben nun erstmals konkrete Anhaltspunkte über die
Herkunft dieser Kulturen geliefert und damit Fragen über ihre Herkunft
beantwortet.
In der europäischen Frühgeschichte nehmen Minoer und Mykener einen
speziellen Platz ein. Die minoische Kultur auf Kreta florierte zwischen
2600 und 1100 vor unserer Zeitrechnung und brachte die Linear-A-Schrift
hervor, was sie zur ersten alphabetisierten Gesellschaft Europas machte.
Da diese Schrift bisher nicht entschlüsselt werden konnten, sind die
Ursprünge der Sprache, die sich hinter den rätselhaften Schriftzeichen
verbirgt, unbekannt. Man geht jedoch davon aus, dass sie sich vom frühen
Griechisch unterscheidet.
Die mykenische Zivilisation um 1600 bis 1100 vor unserer Zeitrechnung
hat ihren Ursprung auf dem griechischen Festland und kontrollierte
schließlich auch die nahegelegenen Inseln, einschließlich Kreta. Die
mykenische Linear-B-Schrift ist eine Frühform der griechischen Schrift.
Trotz der reichen archäologischen Vergangenheit und textbasierten
Überlieferungen waren die Ursprünge der Minoer lange Zeit rätselhaft.
Ableger einer älteren Kultur?
Ihre kulturellen Innovationen, wozu neben dem ersten europäischen
Schriftsystem, riesige Palastkomplexe und beeindruckende Kunstwerke
zählen, scheinen isoliert auf Kreta entstanden zu sein. Dies gab Anlass
zu Spekulationen, dass die Minoer aus einer in einer anderen Region
gelegenen, weiter entwickelten Kultur in die Ägäis eingewandert sein
mussten. Die Mykener mit ihren Wurzeln auf dem griechischen Festland
scheinen viel von der minoischen Technik und Kultur übernommen zu haben.
Es ist jedoch unklar, in welcher Verbindung beide Gruppen zueinander
standen. Zur Beantwortung dieser Fragen hat ein internationales
Forschungsteam die genomweiten Daten von 19 Personen analysiert,
darunter Minoer, Mykener, ein vom griechischen Festland stammendes
steinzeitliches Individuum sowie bronzezeitliche Menschen aus
Südwestanatolien. Durch einen Vergleich dieser Daten mit früher
veröffentlichten Daten von fast 3.000 anderen Individuen, sowohl aus
früheren Epochen als auch aus der modernen Zeit, konnten die
Wissenschafter schließlich die Beziehungen zwischen diesen Gruppen
klären.
So fanden die Forscher heraus, dass die Minoer nicht aus einer
entfernten Zivilisation einwanderten, sondern eigentlich Einheimische
waren, die von den ersten neolithischen Bauern Westanatoliens und der
Ägäis abstammten: Bonzezeitliche Minoer, Mykener und ihre anatolischen
Nachbarn teilten den Großteil ihrer genetischen Abstammung mit einer
jungsteinzeitlichen Bevölkerungsgruppe Anatoliens und eine kleinere
Komponente mit weiter östlich im Kaukasus und im Iran beheimateten
Bevölkerungsgruppen. Bisher nahm man an, dass diese östlichen
Abstammungslinien durch Hirtenvölker der Steppen aus dem Norden nach
Europa gelangten, die selbst ebenfalls östlicher Abstammung waren.
Einwanderer aus dem Osten
Neben der engen Verwandtschaft zwischen Minoern und Mykenern stellten
die Wissenschafter jedoch auch einige spezielle Unterschiede fest. So
wiesen die Minoer zwar die östliche Abstammung aber kein gemeinsames
Erbgut mit den nördlichen Steppenvölkern auf. Bei den Mykenern findet
sich dagegen sowohl östliches als auch nördliches Erbgut. Das lässt
darauf schließen, dass das östliche genetische Erbe aus dem Kaukasus und
dem Iran mindestens in einigen Fällen eigenständig nach Europa
gelangte, vielleicht im Zusammenhang mit einer bisher unbekannten
Wanderungsbewegung. Dieses Ergebnis zeigt auch, dass die Migration der
Steppenhirten aus dem Norden bis auf das griechische Festland führte,
aber die Minoer auf Kreta nicht erreichte.
Die Studie trägt dazu bei, das Zeitfenster für die Ankunft der östlichen
und nördlichen Vorfahren genauer eingrenzen zu können. "Die genetischen
Proben aus dem Neolithikum aus Griechenland bis hin zur
endneolithischen Zeit rund 4100 vor unserer Zeitrechnung enthalten keine
Spuren der Abstammung von beiden Bevölkerungsgruppen. Das lässt
vermuten, dass die Vermischung, die wir erkennen können, wahrscheinlich
im Zeitfenster des vierten bis zweiten Jahrtausends vor unserer
Zeitrechnung aufgetreten ist", erläutert David Reich von der Harvard
Medical School sowie dem Broad Institute, ein weiterer Leiter der
Studie. Um den Zeitpunkt dieser Ereignisse noch genauer bestimmen zu
können, sind weitere Proben aus umfassenderen Zeiträumen und
geografischen Regionen erforderlich.
Enge Verwandtschaft mit modernen Griechen
Moderne Griechen zeigen einige zusätzliche Vermischungen mit anderen
Gruppen und eine entsprechende Abnahme der Abstammungsmerkmale von den
neolithischen Anatoliern. Zugleich sind sie mit den Mykenern der
Bronzezeit eng verwandt. Das lässt vermuten, dass es eine hohe
Bevölkerungskontinuität in Griechenland gegeben hat, diese aber nicht
isoliert war.
"Es ist bemerkenswert, wie beständig die Abstammung der ersten
europäischen Bauern in Griechenland und anderen Teilen Südeuropas ist.
Das heißt aber nicht, dass die Bevölkerungsgruppen dort vollständig
isoliert lebten. Vor der Zeit der Minoer und Mykener gab es mindestens
zwei weitere Migrationsbewegungen in der Ägäis und später zusätzliche
Vermischungen. Die Griechen waren immer im Wandel begriffen und erwarben
im Laufe der Jahrhunderte genetische Anteile aus verschiedenen
Migrationsereignissen, was aber das genetische Erbe der
Bevölkerungsgruppen aus der Bronzezeit nicht ausgelöscht hat", erklärt
Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School, Erstautor der in
"Nature" erschienenen Studie.
Die Erkenntnisse der Studie tragen dazu bei, einige Aspekte der
Beziehungen im Griechenland der Bronzezeit zu erhellen. Dennoch bleiben
viele Fragen offen. Die Wissenschafter hoffen, im Rahmen künftiger
Forschungsprojekte das Zeitfenster des möglichen neuen genetischen
Zuflusses auf die östliche Abstammungslinie und den Ablauf der Ankunft
der nördlichen Steppennachkommen – allmählich im Laufe der Zeit oder in
Form einer Massenmigration – erhellen zu können. (red,)
Abstract
Nature: "Genetic origins of the Minoans and Mycenaeans."
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