Nun behalte ich, mit Verzögerung und anders als gedacht, doch noch Recht: Frau Merkels historische Entscheidung vom Herbst 2015 bringt das gesamte deutsche Parteiengefüge aus dem Lot.
Es müsse eine Scheidung stattfinden zwischen all jenen, meinte ich, die Merkels pragmatischen, aber prinzipienfe- sten Kurs in der Griechenland-Frage und dann in der spektakulären Flüchtlingskrise unterstützen, und den Garten- zwergen, die ihre Schrebergärten ganz für sich alleine haben wollen. Grüne und Sozialdemokraten werde es zerrei- ßen, die CSU würde sich im ganzen Bundesgebiet als rechte Alternative aufbauen müssen, um die AfD kleinzuhal- ten, und an die FDP war noch nicht wieder zu denken.
"Deutschland als Führungsmacht in Europa und darum Führungskraft des freien Westens: das kam so unverhofft und ist so radikal anders als alles, was es in diesem Land je gegeben hat, dass es noch für geraume Zeit als program- matische Selbstdefinition völlig ausreicht." Welche förmlichen Strukturen so ein Bündnis annehmen konnte, stand in den Sternen. Doch sind wir erstmals in einer Situation, wo sich die politische Mitte nicht diplomatisch als der resul- tierende Nullpunkt zwischen zwei Polen ergibt, sondern sich programmatisch und positiv selbst bestimmen kann - und 'Links' und 'Rechts' als modernde Klötze am Bein beiseite lässt.
Vielleicht war es Merkels Erschrecken vor der eigenen Courage, gewiss aber war es die kleine Schläue von Horst Seehofer, die beide veranlassten, mit Nahen der Bundestagswahl die endlich gewonnene Klarheit wieder zu verwi- schen. Seehofer hat es heute noch etwas teurer bezahlt als Merkel, aber das heißt auch: Es steht ein zweiter Durch- gang ins Haus. Mit der fast unvermeidlichen schwarz-gelb-grünen Koalition wird, sicher nach einer Schreck- und Schamfrist, fast alles so diskutabel werden, wie wenn sich die Parteien alle auflösten und sich neu zusammenfinden müssten. Ein voreiliger Fersehkommentator meint: Jetzt wird Frau Merkel zur Geisel der CSU. Aber die muss ja sel- ber mit Grünen und FDP auskommen. Ein erstes Beispiel in der Elefantenrunde: 'Wir müssen die rechte Flanke schließen', wird Seehofer zitiert. "Eben", kommentiert Joachim Herrmann: "schließen, nicht öffnen."
Das wird nicht ruck-zuck gehen. Aber eins wär sicher: Sie müssten sich alle vier auf sachliche Erwägungen konzen- trieren, für volkstümliche Phrasen wären sowohl die Spielräume als auch die Mehrheiten zu knapp, und für bloßen Kuhhandel sind die Interessen und Klientelen zu gegensätzlich.
Das wäre allerdings etwas ganz Neues. Übrigens hat auch bei der Elefantenrunde Frau Merkel als einzige wieder das Thema digitale Revolution angesprochen.
Verspätet behalte ich Recht und anders, als erwartet? Soll mir auch recht sein.
PS. Es wundert Sie, dass die SPD bei mir gar nicht vorkommt? - Das hat Gründe.
Nachtrag, Montag 25. 9. - Die Würfel sind ja noch gar nicht gefallen. Es wäre dumm, eine schwarz-gelb-grüne Koa- lition nicht zu versuchen. Wer weiß denn, welche Perspektiven sich denen noch öffnen, wenn es auf einmal ernst wird? Wenn sie sich auf einmal die Fensterreden verkneifen und nach sachgerechten Lösungen suchen müssen? Das wird die Rolle des Bundestages vollkommen verändern, denn die erforderlichen Mehrheiten müssen dort gefunden werden. Und da kann sich im Laufe von vier Jahren dann viel ändern.
Darum hat Frau Merkel Recht, wenn sie jetzt, trotz Schulz, auch mit der SPD reden will (nun erwähne ich sie doch noch). Zumindest Teile von der kämen ja auf lange Sicht für eine Sammlung der Mitte noch in Frage.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen