Dienstag, 28. Oktober 2014

Tugend und Terror: die französische Revolution.

der Todesengel: Louis-Antoine de St. Just (Prud'hon)
aus nzz.ch, 6.10.2014, 05:30 Uhr

Die Französische Revolution  
Tugendterror



Sie ist nicht die erste moderne Revolution, die Französische – vor ihr ereigneten sich die Glorious Revolution in England, die Amerikanische und zur gleichen Zeit die unbeachtet gebliebene Haitianische Revolution.* Und doch steht sie für die moderne Revolution schlechthin. Weshalb das so ist, ist nicht einfach zu sagen; vielleicht liegt es am Krieg, in den sie einen ganzen Kontinent gerissen hat; vielleicht auch daran, dass die mit ihr verknüpften Forderungen – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – noch immer nachhallen.

Als das umstürzende Ereignis, das sie war, hat die Französische Revolution zahllose Deutungen und Darstellungen gefunden. Politisch reicht das Spektrum von der marxistischen Apologie des jakobinischen Radikalismus bis zur konservativ-royalistischen Verdammung der Menschenrechtserklärung; methodisch von der Politgeschichte bis zur psychoanalytischen Exegese revolutionärer Symbole. – Die neuste Geschichte des epochalen Vorgangs kommt nun aus der Feder des Publizisten und Historikers Johannes Willms, der sich vor allem mit Biografien zur französischen Geschichte einen Namen gemacht hat. «Tugend und Terror» heisst das grosse Werk, auf den schauerlichen Ausspruch des «unbestechlichen» Maximilien Robespierres anspielend, wonach der Terror ein Ausfluss der Tugend sei.
 
Drei Phasen

Johannes Willms folgt in seiner minuziösen und doch so rasanten wie eleganten, über siebenhundert Seiten umfassenden Darstellung der bekannten Periodisierung der Revolution, die nicht weniger als zehn Jahre dauerte. Dabei stützt er sich vorwiegend auf edierte Quellen, auf Tagebücher, Memoiren und parlamentarische Protokolle. Die häufigen «Originaltöne» der Beteiligten und von Zeitgenossen sind denn auch der grösste Vorzug des Buchs. Da und dort, etwa bei der Beurteilung der französischen Invasion in die Schweiz (1798), hätte ein Blick in die neuere Literatur ein differenziertes Bild ergeben.

In die erste Phase der Revolution fällt die in Versailles am 17. Juni 1789 auf Antrag des Abbé Sieyès erfolgte Ausrufung der «Nationalversammlung», als der dritte, der bürgerliche Stand sich vor Adel und Klerus die Souveränität zusprach. Ermöglicht wurde dieses Fanal paradoxerweise durch eine Aktion des Königs. Ludwig XVI. hatte sich veranlasst gesehen, die drei Generalstände einzuberufen, um den Bankrott des Staates abzuwenden. Das letzte Mal hatten sie 1614 getagt. Ferner sah diese Phase den «Ballhausschwur», mit dem die nun vereinten Abgeordneten die Autorität des Königs angriffen, ohne indes die Monarchie abschaffen zu wollen; des Weiteren die symbolisch bedeutsame Erstürmung der Bastille durch das Pariser Volk, die «Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte» und die Festlegung einer neuen, wirtschaftsliberalen Verfassung.

Die zweite Phase dauerte vom 10. August 1792, vom Sturm auf die Tuilerien und von der darauffolgenden Ausrufung der Republik durch den neuen Nationalkonvent, bis zum 28. Juli 1794, zur Guillotinierung Robespierres. In diese Zeitspanne fallen die Demokratisierung der Revolution (der Kreis der wahlberechtigten Männer wurde erweitert), der Aufstand der linksradikalen «Sansculotten», die Herrschaft der Jakobiner, die Enthauptung des Königs, der Ausbruch des Kriegs gegen die revolutionsfeindlichen monarchischen Mächte, die Diktatur und der Terror des «Wohlfahrtsausschusses» unter Robespierre. Die dritte Phase schliesslich war durch die instabile Herrschaft der Konventsmehrheit und des Direktoriums geprägt. Sie wurde am 9. November 1799, am 18. Brumaire VIII nach neuer Zeitrechnung, mit dem Staatsstreich Napoleon Bonapartes abgeschlossen, der dekretierte, die Revolution sei zu Ende, weil er, Napoleon, die Revolution sei.

Wie steht nun Willms zur Revolution, wie zeichnet er sie? Auch das ist nicht einfach zu sagen, da er sich kaum zu anderen Darstellungen äussert und auf eine Bilanzierung der tumultuösen «Geburtsstunde der Moderne» verzichtet, dieses so kreativen wie selbstzerstörerischen Ideenlabors, in dem der emanzipatorischen Gestaltung des Politischen keine Grenzen mehr gesetzt zu sein schienen. Willms berücksichtigt die neuere, in ihrer Quantität kaum überschaubare Forschungsliteratur wenig. Am ehesten ist sein Werk der «revisionistischen» Richtung François Furets zuzuschlagen, der sich anlässlich des Bicentenaire gegen die «linken» Historiker wandte und damit die vorläufig letzte grosse Auseinandersetzung um das grosse Ereignis provozierte. 
Geschlechter- und kulturgeschichtliche Ansätze, die neusten Trends des Fachs, bleiben unerwähnt.

Der Autor geht ganz auf in der chronologischen, von hoher Sachkenntnis zeugenden, mit der Zeit auch etwas ermüdenden Schilderung der dramatischen Ereignisse und Protagonisten, der vielen, meist hoffnungslos zerstrittenen, Komplotte schmiedenden Revolutionäre und ihrer Gegner. Zum Zug kommen auch die «unterbürgerlichen» städtischen Schichten und die Bauern, die das Geschehen immer wieder vorantrieben. Ohne das Volk und namentlich das weibliche, ohne die Marktfrauen und Schuhmacher, die Taglöhner und Dienstbotinnen, wäre die Monarchie nicht gestürzt worden.

Wie der Titel seines Buchs andeutet, legt Willms den Schwerpunkt auf die zweite Revolutionsphase, auf die Herrschaft der Jakobiner. Dabei scheint er in einem Zwiespalt zu stecken. Einerseits betont er, die Revolution habe die ungerechten Eigentumsverhältnisse kaum angetastet; die grossen Verlierer waren also die Unterschichten, deren Interessen die Radikalsten unter den Jakobinern vertraten, sonst niemand. Andererseits ist er – verständlicherweise – über den ausführlich beschriebenen jakobinischen Terror entsetzt, der unter den «Konterrevolutionären» zahllose Opfer forderte und am Ende seine Urheber einholte: Robespierre sowie seinen Bewunderer Saint-Just (welch klingender und passender Name) und andere. Die französische Geschichtsschreibung, meint Willms, habe diese Seite der Revolution ausgeblendet. Die Leser über den kriegerischen Expansionismus und den fanatischen Terror aufzuklären, der das Vorbild für spätere Diktaturen abgegeben habe, ist wohl das Hauptmotiv des Buchs.
 
Gewaltspirale

Gewiss spricht manches dafür, dass der Autor mit seiner These recht hat, es bestehe zwischen den Praktiken der Jakobiner und der Bolschewiki eine Verwandtschaft. Allerdings überzeugt die Hervorhebung des mit der Tugend verbundenen Terrors als Aufhänger der Darstellung nicht restlos. Das befremdliche Agieren der Revolutionäre, die sich immer schneller drehende Spirale von Moral und Exekution, wird jedenfalls kaum erklärt. Ohnehin wären bei der Beurteilung dieses Agierens mehr Distanz und Raum für Deutungen und Theorien angezeigt – angefangen beim keineswegs neuen Tugend-Diskurs, der ja in einer jahrhundertealten republikanischen Tradition steht, ohne Terror als ständigen Begleiter gehabt zu haben. Zur gleichen Zeit wurde dieser Diskurs etwa in der Eidgenossenschaft gepflegt, und zwar von Anhängern wie Gegnern der bestehenden Ordnung. Wäre dieser Umstand nicht eine Betrachtung wert?

Auch zur Einführung der auf dem Dezimalsystem beruhenden Zeitrechnung liesse sich gewiss viel Interessantes sagen; Willms nennt sie schlicht «blödsinnig». Ebenso zeigt er für die versuchte «Zerstörung des Christentums», das durch eine Zivilreligion hätte ersetzt werden sollen, überhaupt kein Verständnis. Gerne hätte man indes erfahren, wie der Tugendeifer kippen konnte und woher der atheistische Übermut kam. Mag den Jakobinern am Ende die Moral – oder zumindest eine nicht pervertierte Moral – gefehlt haben, so hat Johannes Willms als Historiograf vielleicht eine Spur zu viel davon.

Johannes Willms: Tugend und Terror. Geschichte der Französischen Revolution. C. H. Beck, München 2014. 832 S., Fr. 40.90.


*Nota. - Ebenfalls unbeachtet: die ebenfalls fast gleichzeitige spanische Revolution; die freilich sehr schnell auf die Cortes in Cádiz reduziert war. - Wirklich unbegreiflich ist hingegen, dass immer wieder die wirklich erste bürgerliche Revolution vergessen wird, der Unabhängigkeitskrieg der Niederlande. Auch die kannte ihren Tugendterror, zwar keinen politischen, sondern den konfessionellen Terror der Kalvinisten; nichtmal so sehr gegen die Katholiken: Es waren die Radikalen, die Wiedertäufer, die auf den protestantischen Scheiterhaufen loderten. Da fällt mir ein: Sollte man die konfessionellen Parteiungen der Zeit nicht auch für politische halten?
JE

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