aus nzz.ch, 5.3.2015, 17:16 Uhr
Korrigiertes Wachstumsziel
China ist nicht im siebten Himmel
von Beat U. Wieser
Sieben Prozent als Wachstumsziel für die Wirtschaft – für die meisten Länder ein Grund, sich im siebten Himmel zu fühlen, für China aber Anlass zu Sorgenfalten. Ministerpräsident Li Keqiang hat die Zielvorgabe für 2015 um ein halbes Prozent auf diesen Wert heruntergeschraubt. Im globalen Vergleich ist das nach wie vor eine sehr hohe Zahl, doch gemessen an den überzogenen Erwartungen der Weltwirtschaft und denjenigen des chinesischen Volkes ist diese kleine Beschneidung eine heikle Angelegenheit. Li bemühte sich vor dem Volkskongress denn auch, zu betonen, dass man nicht noch tiefer fallen dürfe. Sonst werde man die Einkommen nicht weiter anheben können, und es drohten Arbeitslosigkeit und soziale Unrast. Dass solche Ängste bei einem Wachstum von sieben Prozent auftauchen, wirft ein Schlaglicht auf die Fragilität des chinesischen Wirtschaftswunders.
Dass Chinas wirtschaftliches Wachstum sich zu verflachen beginnt, ist nach Jahrzehnten des Aufschwungs von einem niedrigen Niveau aus weder überraschend noch ungewöhnlich. Auch im Reich der Mitte wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Die Exportwirtschaft ist auf Prosperität im Ausland angewiesen – und genau da hapert es derzeit bekanntermassen allenthalben. Der Binnenmarkt kann sich aus strukturellen Gründen nicht im selben raketenhaften Tempo entwickeln wie der Aussenhandel, und auch sein Wachstum wird der Verflachung nicht entgehen. Überdies sind die Begleiterscheinungen des Aufschwungs, wie rasante Umweltzerstörung sowie exorbitante Misswirtschaft und Korruption, Faktoren, die der Nachhaltigkeit des ökonomischen Wachstums abträglich sind.
Hoffnungen werden gedämpft
Der Führung sind diese Probleme längst bewusst, und sie versucht nach Kräften, Abhilfe zu schaffen. Doch das ist nicht einfach. Soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen umkrempeln. Vor allem aber scheut sich das Regime, dies überhaupt zu tun. Sein Augenmerk gilt in allererster Linie der Erhaltung seiner unumschränkten Macht. Dadurch gerät es dauernd in Konflikt mit dem Reformgeist, den es nach aussen rhetorisch zu verbreiten versucht. Der ökonomische Aufwärtstrend ist bisher zu wenig für konsequente Reformen genutzt worden. Jetzt, da sich der Trend zu verflachen beginnt, wird es immer schwieriger.
Weder China noch der Rest der Welt können auf immer und ewig immenses Wachstum im Reich der Mitte erwarten. Das gibt es nicht. Man denke nur daran, wie einst Japan als dominierender Wirtschaftsriese wahrgenommen wurde und wo es heute steht. Und man vergesse nicht die grossen Auf und Ab der nordamerikanischen Wirtschaft.
Die Pekinger Führung versucht seit längerem, das Volk auf die «neue Normalität» geringeren Wachstums vorzubereiten. Sie dämpft damit die ökonomischen Hoffnungen und Erwartungen zu einem Zeitpunkt, da diese in der Bevölkerung gerade so richtig in Fahrt kommen. Wie sie selbst weiss, ein gefährliches Spiel, hängt doch ihre ganze Legitimation von der Erfüllung dieser wirtschaftlichen Hoffnungen ab. Wenn sich die Machthaber um die Wirtschaft Sorgen machen müssen, dann vor allem auch deshalb, weil diese die einzige verlässliche Basis für ihr autoritäres Regime ist.
Ideologie und Nationalstolz
Dass China in diesen wirtschaftlich unsicherer werdenden Zeiten in Xi Jinping einen Präsidenten hat, der mehr als seine Vorgänger seit Deng Xiaoping auf den absoluten Vorrang der Partei pocht, den Sino-Marxismus als Herrschaftsinstrument wieder hervorkramt und die Unterwerfung unter die Ideologie fördert, mag ein Zufall sein. Doch es ist auch konsequent. Die bis in die Universitäten hinein wieder vorangetriebene Ideologisierung der Gesellschaft sowie die Förderung des Nationalstolzes, verbunden mit einer selbstbewussteren Aussen- und Militärpolitik, sollen den inneren Zusammenhalt stärken. Seine Muskeln lässt Xi auch gerne unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung spielen, die teilweise bereits Züge von Maos unzähligen Kampagnen trägt. Niemand, gleich welchen Ranges, soll sich zu sicher fühlen können in Xis China – ausser der engsten Führung selbst natürlich.
Wirtschaftlicher Aufschwung ist mittelfristig keine genügend sichere und hinreichende Basis für die Pekinger Machthaber. Also greifen sie auf alte Herrschaftsinstrumente zurück, die sie trotz allen Reformen nie aus der Hand gegeben haben. Sie tun dies heute aber aus einer Position der Stärke, die sie auch international erreicht haben. Die konsequente militärische Aufrüstung und die Art und Weise, wie sie territoriale Ansprüche in Südostasien durchzusetzen versuchen, zeugen von ihrem Selbstverständnis, die Herren Asiens zu sein. Das eigene Volk mit diesem Selbstbewusstsein zu impfen, ist der Versuch, es nicht allein durch Repression bei der Stange zu halten.
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