aus Tagesspiegel.de, 21. 3. 2015 Jacques Callot
Die Zeiten sind besser, als wir denken
Katastrophen, Krieg und Kriminalität beherrschen die Medien. Dabei ist es der Menschheit noch nie so gut gegangen wie heute. Ein Kommentar.
von Hartmut Wewetzer
Am 13. Oktober 1660 wohnte der Londoner Staatssekretär Samuel Pepys einer Hinrichtung bei. Ein gewisser Generalmajor Harrison wurde gehängt, geschleift und gevierteilt. Harrison sah dabei „so munter aus, wie es für einen Mann in diesem Zustand möglich ist“, notierte der kultivierte Gentleman Pepys mit maliziöser Ironie in seinem Tagebuch. Das Hängen war dabei nur der erste Teil der Prozedur. Nachdem der arme General dies überlebt hatte, wurde er ausgeweidet und kastriert, seine Eingeweide vor seinen Augen verbrannt und er schließlich geköpft. Das Publikum reagierte mit „lauten Freudenschreien“, protokollierte Pepys, der danach mit Freunden in eine Taverne einkehrte und sich Austern schmecken ließ.
Die grausigen Hinrichtungsvideos des Islamischen Staats würden einen Londoner des Jahres 1660 vermutlich wenig beeindrucken. In der Gegenwart rufen sie, allen voran die Verbrennung des jordanischen Piloten Moaz al-Kassasbeh, überall Entsetzen und Empörung hervor. Vermutlich hat der IS mit diesen Gräueltaten sein Schicksal besiegelt. Die einmütige Reaktion der Weltgemeinschaft zeigt, wie tiefgreifend sich das Verhältnis zur Gewalt gewandelt hat. Was früher für große Teile der Menschheit Alltag war, ist heute für die meisten unerträglich. Empathie besiegt Ideologie.
Statistiken bestätigen das Gefühl. Der Anteil der Menschen, die durch Krieg und Verbrechen ums Leben kommen, ist heute geringer denn je. Kriegerische Auseinandersetzungen, Sklaverei und Folter sind nicht vom Erdball verschwunden, aber von der Regel zur Ausnahme geworden. „Die Zahlen zeigen, dass nach Jahrtausenden von nahezu umfassender Armut und Despotismus ein ständig wachsender Anteil der Menschheit Kindheit und Kindbett überlebt, zur Schule geht, demokratisch wählt, frei von Krankheit ist, die Annehmlichkeiten des modernen Lebens genießt und bis ins hohe Alter überlebt“, schreibt der amerikanische Psychologe Steven Pinker. Kurz gesagt: Den meisten Menschen* geht es besser als jemals zuvor, dem viel geschmähten Fortschritt sei Dank.
Die Menschheit zähmt sich selbst
Trotzdem vermitteln die Medien ein anderes Bild. Sie zeigen unablässig Katastrophen, Konflikte, Kriminalität. Es ist ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Wie mit dem Brennglas vergrößert die Informationsmaschine Internet die Krisenherde. Dass es um üble Ereignisse auf der ganzen Welt geht, ist etwas, was die menschliche Wahrnehmung nicht wirklich begreifen kann. Eigentlich ist sie in einem Mikrokosmos kleiner Gemeinschaften heimisch. Mit den Problemen der ganzen Menschheit konfrontiert, ist sie überfordert. Das globale Dorf erscheint wie ein Hort des Verbrechens. Dabei fällt unter den Tisch, dass es im Weltdorf an den meisten Plätzen friedlich und freundlich zugeht. Hinzu kommt, dass wir von Natur aus auf schlechte Nachrichten geeicht sind. Sie warnen vor Gefahr. Wer sich auf sie einstellt, überlebt.
Der Mensch des Jahres 2015 ist nicht besser als der des Jahres 1660. In ihm hausen die gleichen Instinkte wie ehedem. Aber er hat sich in einem langen Prozess selbst gezähmt, ist weltoffener und vernünftiger geworden. Kain geht nicht mehr mit dem Stein auf Abel los. Er geht zum Anwalt, um sein Recht einzufordern. Und wenn ihn der Hass zu sehr umtreibt, sucht er vorsorglich einen Psychotherapeuten auf, um seine Aggression abzubauen. Goodbye, Steinzeit.
*) (Die meisten Menschen haben jemals zuvor nicht gelebt; denen kann es gar nicht besser oder schlechter gehen. JE)
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