aus nzz.ch,15.3.2015, 05:30 Uhr griechische Vasenmalerei, fünftes vorchristliches Jahrhundert (Werkstatt des Duris).
Eine kleine Geschichte des Geldes
Schrecken, Schuld und Schlachtopfer
von Christoph Türcke
Woher kommt das Geld? Ein Blick in die Kulturgeschichte kann sich vom Wort «Geld» leiten lassen. Es verweist nicht etwa auf Gold, sondern auf Schuld – auf etwas, was Menschen einst höheren Mächten zu schulden und ihnen opfern zu müssen glaubten. Der archaische Ursprung lebt im modernen Geldpriestertum weiter.
Wenn ich mir Geld bei einer Bank leihe, hinterlege ich dort einen Schuldschein, auf dem der geliehene Betrag samt Rückzahlungsmodalitäten vermerkt ist. Aber niemand wird sagen: Die Bank hat eine Anleihe bei mir gekauft. Leihen ist nicht Kaufen. Doch auf dem Weltparkett heisst es: «Die Europäische Zentralbank wird in den nächsten Jahren Staatsanleihen in Höhe von ungefähr einer Billion Euro kaufen.» Als öffnete sie ein dickes Portemonnaie, aus dem sie nach und nach bei nationalen Finanzministerien für diese schwindelerregende Summe Wertpapiere ersteht. Welch eine Irreführung. Die Milliardenbeträge, die da von der EZB in Richtung Staat fliessen, quellen keineswegs aus einem Portemonnaie oder Guthaben; sie treten in dem Moment, in dem sie quellen, überhaupt erst ins Dasein.
Zentralbanken sind Priestergremien. Sie zaubern Papierscheinen oder Pixeln Kaufkraft an. Ob sie das selbst tun oder durch Geschäftsbanken innerhalb eines von ihnen diktierten Kreditrahmens tun lassen, ist eine scholastische Frage. Fest steht, dass Kaufkraft, die vorher nirgends war, durch ihren Beschluss in die Welt tritt. Und Kaufkraft schaffen ist älteste Priestertätigkeit.
Schrecken und Opfer
Das Wort «Geld» kommt nicht, wie viele meinen, von «Gold», sondern vom angelsächsischen «gilt»: Schuld, Geschuldetes. Damit waren zunächst keine privaten Schulden gemeint, sondern etwas, was archaische Kollektive höheren Mächten zu schulden glaubten: Opfer. «Gilde» heisst ursprünglich Opfergemeinde, nicht Handwerkerzunft. Und geopfert wurden nicht Gold- oder Silberstücke, sondern lebendige Wesen, und zwar gerade die unentbehrlichsten: eigene Stammesgenossen und gezähmte Grosstiere. Warum tat man so etwas? Warum versuchte man die schrecklichen Naturgewalten zu besänftigen, sich ihr Wohlwollen zu erkaufen, indem man selbst Schreckliches beging und ausgerechnet Lebewesen schlachtete, die einem am nächsten und liebsten waren?
Das ist anfangs, in der Altsteinzeit, schwerlich absichtsvoll kalkulierte Tat gewesen, eher ein Notwehrreflex. Man suchte den traumatischen Schrecken zu bewältigen, indem man das Schreckliche auf eigene Faust wieder und wieder tat und so das Unerträgliche allmählich erträglich, das Unfassliche fasslich machte. Und diese Wiederholung fiel umso leichter, je mehr sie ritualisiert und mit der Imagination überwölbt wurde, dass die Naturgewalt das schreckliche Schlachten selbst fordert, dass man es ihr schuldet. Dadurch bekam es einen Adressaten, einen Sinn. Es wurde als Begleichung von Schuld interpretierbar: als Zahlung.
Schlachtopfer sind Urwährungen gewesen: stets für ein ganzes Kollektiv verbindlich und repräsentativ. Und weil sie schreckliche Währungen waren, waren sie stets vom Wunsch nach weniger schrecklichen begleitet. Die Geschichte der Zahlungsmittel wird nur als Substitutionsgeschichte verständlich. Kann man nicht ein Menschenopfer durch eine gewisse Zahl von Rindern ersetzen? Ein Rind durch so und so viele Schafe, Ziegen oder Hühner? Lebendige Wesen durch Metallgebilde? Gold und Silber waren immerhin der irdische Widerschein zweier göttlicher Gestirne: Sonne und Mond. Konnte da ein goldenes Kalb nicht lebendige Rinder vertreten? Metallgebilde waren zudem wiederverwendbar. Warum sollten sie, einmal dargebracht, auf ewig im Tempel verharren? Konnten sie nicht, angereichert mit gottgefälligen Zutaten, erneut Opferwilligen zur Verfügung gestellt werden? So wurden sie zum Angelpunkt eines einträglichen Leihverkehrs und zum Kern des Tempelschatzes, der ersten Kapitalakkumulation.
Am Spiess
Münzen sind nicht etwa die Urform des Geld, sondern eine Spätform: das erste durchschlagende profane Zahlungsmittel, entstanden am Rande griechischer Tempel und von ihnen inspiriert. Bei den grossen sakralen Feierlichkeiten stand jedem Teilnehmer ein Anteil am Rinderopfer zu: so viel Fleisch, wie auf seinen Opferspiess («obelos») passte. Und als die Opfergemeinde zu gross wurde? Da bekamen die subalternen Teilnehmer am Opferfest statt ihrer Fleischportion nur noch eine Markierung am Opferspiess. So viel Fleisch, wie die Markierung anzeigte, durften sie sich bei Vorlage des «obelos» aus den Vorratskammern des Tempels holen. Sie kamen also an ihr Fleisch, aber vom festlichen Opferschmaus waren sie ausgeschlossen.
Das war ein Geniestreich des Outsourcings. Den nahmen sich Tyrannen griechischer Stadtstaaten alsbald zum Vorbild. Warum sollten sie selbst für ihre Leibgarde sorgen und sie ständig an ihrer Beute teilhaben lassen? Es war doch viel einfacher, ihr ein Selbstversorgungsmittel in die Hand zu drücken. Und so stellten sie aus ihrem zusammengeraubten Privatschatz, dem Gegenstück des Tempelschatzes, kleine handliche Gold- und Silberscheibchen zur Verfügung, einen Abglanz der Sonnen- und Mondgottheit, und liessen ihnen das Zeichen der Polis aufprägen. Damit wurden sie zu staatlich autorisierten Berechtigungsmarken für ein gewisses Quantum an Lebensmitteln. Mit ihnen konnte die Leibgarde einkaufen gehen.
Metall und Papier
Münzen begannen als Tyrannensold. Aber sobald sie kursierten, dienten sie jedem, der ihrer habhaft wurde, als Zahlungsmittel. Kein Tyrann konnte ihren Umlauf mehr steuern. So schnell, wie sie sich ausbreiteten, vergass sich ihre Entstehung. Ihr profaner Gebrauch liess ihren sakralen Ursprung nicht mehr erkennen; nur ihre Prägung erinnerte noch daran. Sie war zwar ein Staatsakt, aber sie blieb eine Tempelmethode. Sie versiegelte Metall, wie man zuvor schon im Tempel Allerheiligstes versiegelt hatte. Siegel sind Heiligungszeichen. Wer sie versehrt, profaniert geheiligte Autorität.
Kein Mensch, kein Tier, kein Edelmetall ist von Natur aus Geld. Sie mussten stets durch einen Ritus zu Geld gemacht werden. Durch Los-Werfen wurde der Stammesgenosse auserwählt, dessen blutige Darbringung die andern verschonte. Tiere wurden durch Schnitt- und Schmuckzeichen als Opfertiere markiert, Edelmetall wurde geprägt. Erst ein Ritus zaubert Naturdingen Kaufkraft an, und die dafür Zuständigen sind Priester. Das ist im Zeitalter des Papiergelds nicht anders geworden. Papier war jahrhundertelang bloss Anweisung auf Geld: Wechsel, die auf bestimmte Münzbeträge ausgestellt wurden. Geld selbst aber war nur die Münze.
Erst als Ende des 17. Jahrhunderts ein privates Konsortium von Kaufleuten die Bank von England gründete, die sich erbot, die Schulden des Königs zu bezahlen, wenn ihr dafür gestattet würde, diese Schulden in Papier darzustellen und unter königlichem Schutz als nationale Banknoten kursieren zu lassen, da entstand das Modell der modernen Zentralbank – mit dem Privileg, nationales Papiergeld zu drucken. Zunächst nur so viel, wie durch Münzen gedeckt war. Münzen blieben vorerst das «bessere» Geld. Ihre astrale Aura wirkte fort, auch wenn das Papiergeld überhandnahm, weil der globale Geldbedarf durch Münzen nicht mehr zu decken war.
Der lange Abschied vom Edelmetallgeld endete erst 1971, als die USA die Bindung des Dollars ans Gold aufgaben. Seither ist keine Währung mehr durch Edelmetall gedeckt. Währungen sind nur noch Papier oder Pixel – und Münzen nur noch Kleingeld. Zentralbanken sind nicht mehr durch ihre Goldbestände begrenzt. Allein ihr ökonomisches Ermessen entscheidet seither darüber, wie viel Geld sie in Umlauf bringen. Ist das Geld-Erzeugen damit rational geworden? Im Gegenteil; es ist mysteriöser denn je. Edelmetalle haben immerhin von Natur aus eine seltene Konsistenz und Ausstrahlung, die einst dazu einlud, schuldtilgende Kraft – Kaufkraft – in sie hineinzuprojizieren. Profanes Papier ist fast schrankenlos produzierbar und geduldig – bereit, alles aufzunehmen, was auf ihm vermerkt wird, auch Geldbeträge. Im Papier hat die Kaufkraft nur noch einen flüchtigen Erdenrest. Ihre Erschaffung nähert sich dem biblischen Modell der Weltschöpfung an. «Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.» Und die Zentralbank spricht: Es werde Geld! Und es wird Geld.
Seither ist das internationale Geldvolumen explosionsartig angeschwollen. Der Machtzuwachs der Zentralbanken ist enorm. Eigentlich sind sie ja bloss «Nichtregierungsorganisationen», die für eine stabile Währung sorgen sollen. Aber in dieser Rolle sind sie zu Global Players aufgestiegen und in ein ähnlich spannungsvolles Verhältnis zu den politischen Mächten geraten wie einst die mittelalterliche Kirche. Nur die Kirche gewährleistete stabile, streng ritualisierte, für alle Mitglieder der Gesellschaft verbindliche Vergebungsprozeduren: existenzielle Schuldtilgungsverhältnisse. Auf deren gemeinsamer Basis entwickelte der feudale Alltag seine gestaffelten Herrschaftsverhältnisse. Das Schuldtilgungsmonopol, das allein dem Seelenheil der Gläubigen zu dienen vorgab, diente immer auch der kirchlichen Vorrangstellung gegenüber den weltlichen Mächten.
Jonglierende Zentralbank
Ähnlich bei der Zentralbank. Nur sie ist befugt, Geld zu erschaffen. Dies Geld aber ist Schuld. Es geht als KREDIT an die Geschäftsbanken – und von denen als Kredit in den wirtschaftlichen Umlauf. Kredit freilich ist bloss geliehen und ist wieder zurückzuzahlen, und das an sie zurück überwiesene Geld lässt die Zentralbank wieder in das Nichts zergehen, aus dem sie es bei seiner Erschaffung hervorgezaubert hat. Niemand jongliert so mit Sein und Nichtsein wie die Zentralbank bei der Geldmengenregulierung. Mit dem Geld, das sie erschafft, macht sie alle Geldempfänger in ihrem Wirkungsbereich zu ihren Schuldnern. Die existenziellen Schuldtilgungsverhältnisse von heute verwaltet sie. Sie ist letzte und höchste Verleihinstanz («lender of last resort»).
In dieser Rolle «kauft» nun die EZB in Milliardenhöhe Staatsanleihen. Soll heissen, sie leiht den Staaten Geld. Das tut sie aber gar nicht direkt. Laut Gesetz darf das von ihr erschaffene Geld nur über Geschäftsbanken auf den Markt und in die Staatskasse fliessen. Faktisch schafft sie also Kredit für private Geldinstitute. Sie füttert den Finanzmarkt – jenes dezentrale globale Gebilde, das seit der Erschaffung ungedeckten Papiergelds in den 1970er Jahren wie ein Hefeteig aufgegangen ist. Die EZB «kauft» Staatsanleihen lediglich um die Ecke. Der Staat nimmt den von der Zentralbank in Aussicht gestellten Betrag bei Geschäftsbanken auf, die ihn dann sogleich von der Zentralbank ersetzt bekommen.
Menetekel Kirche
Das geht aber nur, wenn die Geschäftsbanken mitspielen. Das Geschäft muss lukrativ für sie sein. Von ihrem Wohlwollen wird die Zentralbank abhängig. Sie erschafft nicht mehr nur das Geld, das den wirtschaftlichen Umlauf ermöglicht; sie begibt sich eigens als Akteur auf den Markt und setzt sich selbst der Eigendynamik aus, die das von ihr geschaffene Geld dort gewinnt. Warum sie das tut? Nun, in der Not der Bankenkrise von 2008 war der Finanzmarkt unversehens zum Verleiher letzter Instanz geworden. Das aber ist der Job der Zentralbank. Sie will ihn exklusiv zurückgewinnen. Deswegen setzt sie ihr grosses Privileg der Geld-Erschaffung jetzt ein, um den Finanzmarkt zu steuern. Sie begibt sich unter die Marktmächte, um ihnen überlegen zu bleiben.
Hatte die mittelalterliche Kirche nicht etwas Ähnliches getan? Als ihr Aufstieg zur obersten Schuldtilgungsautorität nicht dazu führte, dass sich ihr die weltlichen Mächte dauerhaft fügten, suchte sie ihre geistliche Macht als oberste weltliche Macht zu etablieren. Damit aber leitete sie ihren Niedergang ein. Sie machte sich mit den weltlichen Mächten gemein, wurde eine unter ihnen und ruinierte so gerade ihren Sonderstatus: die priesterliche Autorität. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber man kann aus ihr lernen. Und manche ihrer Menetekel sind lesbar.
Prof. Dr. Christoph Türcke lehrte bis 2014 Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Soeben ist sein Buch «Mehr! Philosophie des Geld» (im Münchner Verlag C. H. Beck) erschienen.
Nota. - Das ist die Sorte von Feuilleton, auf die Karl Kraus Gift und Galle gespieen hat. Ohne die geschummelte Etymologie wäre der ganze geistreiche Schmarrn hinfällig und witzlos. Die Ableitung des dt. Geld von gelten, vergelten liegt viel näher, beinahe auf der Hand; das sakrale Opfer ist selbst bei engl. guilt an den Haaren herbeigezogen, denn allenfalls handelt es sich selbst da um eine okkasionelle Nebenbedeutung.
Dass das Feuilleton seinen schlechten Ruf behauptet, muss niemand jucken; höchstens, dass es in der NZZ geschehen musste. Dass aber der Philosophie ein schlechter Ruf angeplätschert wird, ist mehr als ärgerlich; zumal, wenn es in der NZZ geschieht.
JE
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