Freitag, 17. April 2015
Dein Geruch ist deine Körpersprache.
aus nzz.ch, 17.4.2015, 05:30 Uhr
Düfte und ihre Bedeutung
Interview: Kathrin Klette
Auf der philippinischen Insel Bohol hat Reinheit eine besondere Bedeutung, vor allem die des Körpers. Laut der Forscherin Bettina Beer, die am Samstag an einer Basler Tagung über Gerüche auftritt, wird dort viel über Düfte kommuniziert.
Frau Beer, Sie betreiben seit über 20 Jahren ethnologische Feldforschung auf der philippinischen Insel Bohol, unter anderem über Gerüche. Wie riecht Bohol?
Sehr intensiv. Wenn ich dort aus dem Flugzeug steige, schlägt mir sofort ein Schwall warmer, tropischer Luft entgegen. Auf Bohol sind die Gerüche stärker als hier. Das liegt an der hohen Luftfeuchtigkeit, wodurch zum Beispiel Früchte schneller faulen. Auch tote Ratten oder Hunde, die am Wegesrand liegen und natürlich enorm stinken, gehören dort zum Alltag.
Bettina Beer, Ethnologin in Luzern.
Aber welche Erkenntnisse gewinnt man aus der Beschäftigung mit dem Geruch toter Ratten und fauliger Früchte?
Man lernt, dass die Sinne in anderen Kulturen eine andere Bedeutung haben können. Wenn wir über Düfte sprechen, vergleichen wir. Auf Bohol gibt es für viele Gerüche dagegen eigene Wörter: «angso» für den Geruch von Urin, «langsa» für den von Fisch. Das deutet darauf hin, dass generell mehr über Gerüche kommuniziert wird und deshalb auch deren genaue Benennung wichtiger ist. Im Westen steht ja das Sehen an erster Stelle; erst seit den frühen neunziger Jahren beschäftigen sich die Ethnologen mit dem Riechen.
Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Ich nehme am Alltag der Einwohner teil und beobachte. Seit Jahren habe ich Kontakt zu einer Familie, die ich immer wieder besuche. Oft verbringe ich Wochen, manchmal Monate mit ihnen: Ich schlafe in ihrer Hütte, esse mit ihnen, bin bei Festen dabei. Dabei ist mir aufgefallen, dass auf Bohol Gerüche dazu dienen, soziale Beziehungen und ethnische Unterschiede zu markieren.
Können Sie Beispiele dafür nennen?
Vor allem mit Weissen wird ein genuin unangenehmer Geruch assoziiert, und auch die Familie, die ich immer wieder besuche, gilt als übelriechend, weil sie den Ati angehört, einer ethnischen Minderheit. Sie bemühen sich gerade deshalb, besonders sauber zu erscheinen: Sie waschen sich morgens und abends und legen viel Wert darauf, jeden Tag ein frisches, oft sogar ein weisses T-Shirt anzuziehen. Dabei ist regelmässiges Wäschewaschen unter ihren Bedingungen wirklich schwierig. Ein Shampoo-Fläschchen ist für sie Luxus und gilt als modern. Viele benutzen auch Weichspüler – aber nicht, weil die Wäsche weich werden soll, sondern weil sie den Geruch so gerne mögen.
Warum hat der Geruch auf Bohol eine so grosse Bedeutung?
Ein übler Geruch wird mit einer schlechten Moral assoziiert. Wie jemand riecht, ist deshalb wichtiger als dessen Kleidung und Auftreten. Reinheit wird dort in einem sehr weiten Sinne verstanden: Auch der Haushalt muss sauber sein, und manche verbrennen täglich alte Blätter und Abfälle im Garten, damit alles aufgeräumt erscheint. Auf Bohol ist es völlig normal, jemanden auf seinen Geruch anzusprechen, sogar Fremde.
Bei uns wäre das ja ein Fauxpas.
Ja, das hat mich zuerst auch irritiert. Eine Weile habe ich auf Papua-Neuguinea geforscht, das noch nicht so verwestlicht ist. Dort habe ich tagelang mit einer Frau zusammengearbeitet, ohne dass wir uns waschen konnten. Irgendwann sagte sie: «Du riechst stark.» Das war mir sehr unangenehm. Sie aber sagte, sie würde mich nun erst richtig kennen lernen. Sie fand, dass Weisse durch Deodorants und Parfums ihre Persönlichkeit zurückhalten und gewissermassen unehrlich sind, indem sie ihren natürlichen Körpergeruch verstecken.
Am Freitag und Samstag findet im Museum Tinguely in Basel ein interdisziplinäres Symposium über Gerüche statt. Es ist öffentlich und der Besuch kostenlos.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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