Bergbau-Boom in der Bronzezeit
Die ersten Bewohner der Alpen wagten sich einst nur in die Berge, weil sie nach Bodenschätzen gierten. Was sie anrichteten, lässt sich im Montafon beobachten.
Von Sebastian Herrmann
Eine Landschaft wie eine Kitschpostkarte, als hätte das örtliche Fremdenverkehrsamt eine perfekte Alpenidylle inszeniert. Morgennebel verhüllt das Tal, Wolkenfetzen berühren an diesem Tag im frühen Herbst die Spitzen der Fichten, die oberhalb des Ortes Bartholomäberg im österreichischen Montafon die Almen umstehen. Buckel durchziehen die Hänge des Knappagruaba genannten Areals auf 1350 Metern Höhe, die wie groß geratene, grasbewachsene Maulwurfshügel wirken. Die vom nächtlichen Regenschauer benetzten Wiesen sind - natürlich! - von einer derart appetitlichen Saftigkeit, dass man den zwei Kühen auf der Weide zurufen möchte: "Hört auf, einander am Hals zu lecken, ihr dummen Viecher; verzehrt gefälligst dieses herrliche Gras!" Almhütten stehen hier, die Immobilienmaklern Wohlstand garantieren würden, kämen sie je auf den Markt. Meine Güte, ist das schön.
Unter der makellosen Kulisse schlummert ein
Geheimnis, eines, das der Szenerie abgründigen Zauber verleiht. Die
Wiesen verbergen menschliche Umweltsünden. Wie ein Tuch decken sie
Spuren von Zerstörung zu. "Über Jahrtausende wurde hier Bergbau
betrieben", sagt Rüdiger Krause, Archäologe von der Goethe-Universität
Frankfurt und deutet auf die Hänge. "Hier waren überall Stollen und
Abraumhalden." Die Beulen im Gras bestehen aus dem vom Erz befreiten
Taubgestein, das Arbeiter einst aus dem Berg gebrochen und aufgeschüttet
haben. Die von Brennnesseln und Kraut bewachsenen Einbuchtungen darüber
markieren die Stellen, wo Stollen tief in den Berg hineinführten. Die
Steine auf den Wegen sind rostrot, an der Luft oxidieren die Erze darin.
Wer diese Spuren nicht deuten kann, sieht nur Almen von alpenkitschiger Beliebigkeit. Wer sie aber zu entziffern weiß, der lernt, dass der Mensch seit jeher in seine Umwelt eingegriffen hat, dass er schon vor Jahrtausenden Landschaften zerwühlt, der Natur Rohstoffe entrissen und dabei so etwas wie kleine, frühzeitliche Industriebrachen hinterlassen hat. Gut möglich, dass der Mensch einst überhaupt nur in den unwirtlichen Alpenraum vorgedrungen ist, weil er dort metallische Rohstoffe erschließen konnte. Unter Archäologen findet diese These viele Anhänger - und hier am Bartholomäberg lässt sich erkunden, welche Auswirkungen diese frühe Gier nach Bodenschätzen hatte. Hier zeigt sich, dass selbst schönste Landschaftskulissen menschliche Zerstörung verbergen.
Siedlungsplätze am Bartholomäberg
Der Archäologe Krause will vor allem wissen, wann die Ausbeutung der sogenannten polymetallischen Vererzungen begonnen hat, die sich hier an der geologischen Grenze zwischen Nördlichen Kalkalpen und Zentralalpen in oberflächennahen Regionen befinden. Je älter die Bergbauspuren sind, die Krause und sein Team finden, umso besser - denn je älter etwas ist, desto größer die Magie, die davon ausgeht. "Wir suchen die Bronzezeit", ruft Krause enthusiastisch, "aber wir finden die Eisenzeit." Seit dem Jahr 2002 graben die Archäologen am Bartholomäberg. Gezeigt hat sich dabei, dass dieser Südhang wohl die Keimzelle menschlicher Besiedlung des Montafons war. Der Talboden war, wie anderswo in den Alpen, vor Jahrtausenden kein geeigneter Siedlungsplatz. Wo heute Ortschaften mit Namen wie Schruns oder Tschagguns liegen, mäanderten wilde Flüsse durch Schwemmland und überfluteten regelmäßig das Tal. Als bronzezeitlicher Siedler war es wohl eine ziemlich gute und lebensrettende Idee, sich in höher gelegenen Regionen niederzulassen.
"Insgesamt sind bisher fünf prähistorische Siedlungsplätze aus dem Montafon bekannt, deren Anfänge jeweils in der jüngeren Frühbronzezeit liegen", schreiben die Forscher um Krause, also ungefähr zwischen 2500 und 2000 vor Christus. Vier davon befinden sich auf dem Bartholomäberg. In Sichtweite der Barockkirche der gleichnamigen Ortschaft liegt ein Siedlungsplatz. Etwas tiefer gelegen haben die Archäologen Reste der Friagaburg ausgegraben, eine befestigte Siedlungsstelle aus der Bronzezeit und laut Krause eine der wohl ältesten Burganlagen der Alpen. "Das ist ein wunderbarer Siedlungskleinraum aus der Bronzezeit", kommentiert Thomas Stöllner, Montanarchäologe an der Ruhr-Universität Bochum, die Funde.
Auch auf der präindustriellen Bergbaubrache an der Knappagruaba finden sich Spuren aus jener Vorzeit, aus der Krause so gerne Beweise für Bergbautätigkeit finden möchte. Dort steht ein Baucontainer in Würfelform auf einer Wiese, der den Forschern als Büro dient. Daneben befindet sich eine Hütte, in der Besucher eine Tour in einen der erhaltenen Stollen aus dem Mittelalter buchen können. Die Grünfläche davor haben die Archäologen in einer vergangenen Grabungsphase geöffnet und dann wieder geschlossen. "Da steckt mittlere Bronzezeit drin", sagt Krause. In der Erde haben die Archäologen Keramikscherben aus jener Zeit gefunden. Holzkohle- stückchen aus Brandgruben konnten entsprechend datiert werden, zudem stießen die Forscher auf Reste von Steinkonstruktionen. Doch kein Fund lässt sich direkt in Zusammenhang mit Bergbau bringen.
Dabei befinden sich die alten Stollen direkt nebenan, das ganze Gebiet wurde durchbohrt, zerwühlt, zerklopft, bis der Bergbau nach einer Hochphase im Mittelalter im 17. Jahrhundert zum Erliegen kam. "Dass auch im Montafon schon in der Bronzezeit Erze abgebaut wurden, würde von der Siedlungsstruktur dort gut passen", sagt Philippe Della Casa, Archäologe an der Uni Zürich, der in Graubünden am Oberhalbstein an einem bronzezeitlichen Montanrevier forscht, "aber man würde das gern auch direkt nachweisen."
"Das ist hier wie ein Puzzlespiel"
Aus anderen Regionen der Alpen ist bekannt, dass Menschen grob um 3000 vor Christus begannen, Erze abzubauen. Am Mondsee im Salzkammergut etwa, später dann im Trentino, im Inntal oder am Mitterberg, der mächtigsten Kupfererzlagerstätte der Ostalpen, wo der Montanarchäologe Stöllner forscht. In dem Revier in der Nähe des Hochkönigs begann die großflächige Ausbeutung der Kupfererze um 1800 vor Christus. Die Minen bedienten große Teile Europas von Skandinavien bis zum Balkan. Zwischen dem 15. und 12. Jahrhundert vor Christus wurden dort etwa 19 000 Tonnen Rohkupfer produziert.
Die Lagerstätten auf dem Bartholomäberg waren wesentlich kleiner, aber was spricht dagegen, dass die Menschen hier zur gleichen Zeit begannen, die Erze aus dem Gestein zu hauen wie weiter im Osten? Die Siedlungen waren da, und nicht allzu weit entfernt am Oberhalbstein in Graubünden gab es doch auch prähistorischen Bergbau? Es ist sehr schwer, in einer völlig zerwühlten Landschaft festzustellen, wann und wo das erste Loch in den Berg gehauen wurde, welcher der erste Stein auf einer Halde war, auf der jahrhundertelang weitere Steine landeten.
Unter einem Zelt gräbt eine Gruppe Studenten der Frankfurter Uni in den Hang. Sie haben eine Fläche von vielleicht zwei Meter Breite und fünf Meter Länge freigelegt und davor einen Haufen Steine aufgeschüttet. In der Grabung stecken ein paar Felsbrocken, in manchen Abschnitten ist die Erde etwas dunkler. So unspektakulär kann Archäologie aussehen, aber hier wird eben keine Grabbeigabe eines strahlenden Herrschers gesucht, sondern ein Loch, das irgendwelche armen Teufel vor langer, langer Zeit in den Berg gehackt haben.
"Mit der Archäologie stoßen wir hier an Grenzen"
"Ein eindeutiger, schöner Bergbaubefund", schwärmt Krause, als er die Stelle inspiziert. Der Doktorand Rudolf Klopfer, Kopf des Grabungsteams, nickt und deutet auf eine kleine Steinhäufung: "Das wird der Schacht gewesen sein, der senkrecht in die Tiefe ging, sicher ein ordentliches Stück." Aber wann dieser Schacht in den Berg getrieben wurde? Kaum zu sagen, kaum zu datieren, wahrscheinlich irgendwann zwischen 40 vor und 400 nach Christus. "Das ist hier wie ein Puzzlespiel", sagt Klopfer. Dessen Teile bestehen aber nicht nur aus Steinen, sie sind wesentlich abstrakter, komplexer.
"Mit der Archäologie stoßen wir hier an Grenzen", sagt Krause, "da helfen uns nur mehr andere Techniken weiter." Grabungen haben die Forscher mit geomagnetischen Messungen vorbereitet. Wo die Daten Anomalien zeigten, lohnt es sich eher, die Schaufel anzusetzen. Noch wichtiger sind Methoden, mit denen sich Spuren menschlicher Aktivitäten finden lassen. Zarte Hinweise gibt eine unscheinbare Pflanze, die auf den Buckeln besonders häufig wächst, unter denen sich die alten Abraumhalden befinden. Silene vulgaris, auch bekannt als Taubenkropf-Leimkraut, ist eine Zeigerpflanze: Sie toleriert Böden, in denen hohe Schwermetallkonzentrationen stecken - und das ist hier in dem ehemaligen Bergbaugebiet am Bartholomäberg an vielen Stellen der Fall.
In einer Senke, nicht weit vom Zelt, unter dem Klopfer und seine Kollegen graben, wächst Schilf auf einer Fläche von der Größe eines Tennisplatzes; ein kleines Moor, dem die Forscher die Kennzeichnung HZL für Herbstzeitlose gegeben haben. Hier sammelte sich wohl einst Sickerwasser, das aus den Stollen floss. Dadurch entstand das Moor, das nun wie ein Archiv lesbar ist. Dort, sowie an weiteren Mooren auf dem Gelände, haben die Forscher Bohrkerne genommen und analysiert.
Verschieden hohe Konzentrationen von Schwermetallen - Kupfer und Blei - weisen indirekt auf menschliche Aktivitäten hin. "Einen Peak können wir für das 16. und 15. Jahrhundert vor Christus beobachten", sagt Krause. Das deckt sich mit der Datierung der Friagaburg. Auch im dritten und zweiten Jahrhundert vor Christus stecken hohe Schwermetallkonzentrationen im Torf der kleinen Moorflächen. Die Archäobotanikerin Astrid Stobbe hat in Bohrkernen weitere Hinweise auf menschliche Aktivitäten geborgen - konservierte Pflanzenpollen. Aus deren Verteilung lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie der Mensch die Vegetation verändert hat. Wann der Wald gerodet wurde, wie Baumarten verdrängt wurden, welche die Oberhand bekamen. Auch daran lässt sich ablesen, dass Menschen hier tief in die Umwelt eingegriffen haben. Und noch etwas steckt in den Bohrkernen: Um 1500 vor Christus muss es ein größeres Ereignis gegeben haben, eine Hangrutschung etwa, eventuell verursacht von den Eingriffen der Menschen in das Ökosystem am Bartholomäberg.
Um 1500 vor Christus muss ein Unglück geschehen sein. Rutschte der Hang ab, weil die Menschen den Berg zerwühlt hatten?
Die Forscher können Vegetationsveränderungen abbilden, sie haben die Daten zur Schwermetallkonzentration und datierbare Holzkohle aus Abraumhalden. "Die Indizienkette ist ziemlich dicht", sagt Stobbe. Nur die archäologischen Befunde selbst halten noch nicht Schritt: Was die anderen Daten nahelegen, hat sich in der Grabung noch nicht bestätigt. Immerhin: "Ab der Eisenzeit wurde hier Erz abgebaut, das scheint so gewesen zu sein", kommentiert Montanarchäologe Stöllner.
Rüdiger Krause marschiert vorbei an dem Zelt über der Grabung, weiter durch ein Waldstück. Dahinter öffnet sich eine weitere Almwiesenlandschaft. Einige Hütten stehen hier, grasbewachsene Buckel durchziehen die Hänge, an anderen Stellen befinden sich mit Brennnesseln und Kraut bewachsene Vertiefungen. Hier hat noch kein Forscher gegraben, aber vielleicht entdeckt ein Archäologe auf diesem Areal eines Tages, wonach Krause auf der anderen Seite des kleinen Waldes so fieberhaft sucht: Belege für bronzezeitlichen Bergbau, datierbare Stollen oder Verhüttungsplätze etwa, wo Erze verarbeitet wurden. "Hier gibt es archäologische Arbeit für kommende Generationen", sagt Krause und blickt auf die buckeligen Hänge, über die der Nebel gleitet. Eines werden Forscher sicher finden: weitere Belege, dass Menschen seit ewigen Zeiten die Berge zerwühlen, stets auf der Suche nach Rohstoffen; und dass selbst unter dem schönsten Wiesenteppich Dreck liegt.
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