Die selbstgefälligen Jammerlappen und Klageweiber sollten sich darauf gefasst machen, dass sie mit dem noch eine ganze Weile rechnen müssen; und falls sie ihm nicht doch noch was Vertrauenswürdiges entgegenzusetzen finden, womöglich noch für eine zweite Amtszeit.
Seit 2006 erforscht das Deutsche Archäologische Institut eine neu
entdeckte Kulturlandschaft aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. im Hochgebirge
des Nordkaukasus. Mehr als 200 Siedlungsplätze und 60 weitere
Fundstellen konnten mittels moderner Fernerkundungsmethoden lokalisiert
und deren spektakuläre Steinarchitektur untersucht werden. Mehr zur
Entdeckungsgeschichte und den Forschungsergebnissen jetzt in der
aktuellen Publikation "Landschaftsarchäologie im Nordkaukasus"!
In der der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. kommt es
in vielen Regionen Eurasiens nach einer langen Periode weitgehend
mobiler Lebensweisen zu einer Reorganisation permanent sesshafter
Gesellschaften. Zeichen dieses Wandels sind Siedlungen mit komplexer
Steinarchitektur, deren spektakulärsten Beispiele seit 2006 zur
Entdeckung einer neuen Kulturlandschaft und einer neuen bronzezeitlichen
Kultur im Nordkaukasus geführt haben. Die nun vorliegende Monographie stellt die Entdeckungsgeschichte und die
ersten Schritte der Erforschung dieser Kulturlandschaft im Hochgebirge
vor. Mit einem hochmodernen, multidisziplinären Forschungsansatz wurden
nicht nur mehr als 260 Fundplätzen entdeckt und prospektiert. Durch eine
systematische Integration von Fernerkundungsdaten, geophysikalischer
und geoarchäologischer Prospektion sowie Ausgrabungen konnten die
Aktivitätsmuster ganzer Siedlungen rekonstruiert werden. Mit einem
innovativen Methodenspektrum ließ sich ein hoch effizientes soziales und
ökonomisches System rekonstruieren, das vom 17. bis 10. Jahrhundert v.
Chr. in einem heute unwirtlichen Teil des kaukasischen Hochgebirges eine
bis heute unerreichte Siedlungsdichte möglich machte. Der Band umfasst Beiträge zur Entdeckung, Fernerkundung und Prospektion
der Siedlungslandschaft, zu den Ausgrabungen an repräsentativen
Fundplätzen und deren archäologischer wie archäozoologischer Auswertung.
Ein umfangreiches Kapitel widmet sich den geoarchäologischen
Untersuchungen. Hier werden, unter anderem, neue mikrobakteriologische
Analysemethoden zum Nachweis von Vieh vorgestellt. Eine
typo-chronologische Klassifikation der Siedlung erlaubt im Zusammenspiel
mit den ökonomischen Analysen über ein skaliertes Analyseverfahren von
einzelnen Siedlungen über Siedlungskammern bis hin zur Gesamtregion die
Rekonstruktion eines alpinen Wirtschaftssystems, das wir heute als
Almwirtschaft kennen. Es ist das älteste bislang belegte System dieser
Art in Eurasien. Am Schluss steht die Einbindung in analoge
Entwicklungen in Kaukasien und den südlich angrenzenden Bergländern,
genauso aber auch in den eurasischen Steppenraum und die
Schwarzmeerregion.
S. Reinhold - D. D. Korobov - A. B. Belinskij, Landschaftsarchäologie im Nordkaukasus. Studien zu einer neu entdeckten
bronzezeitlichen Kulturlandschaft im Hochgebirge des Nordkaukasus Archäologie in Eurasien 38 Erschienen im: Verlag Philipp von Zabern GmbH Riedeselstraße 57 D-64283 Darmstadt +49 (0)6151 3308-350 www.zabern.de
Rembrandt 1640aus derStandard.at, 26. Jänner 2018, 06:00
Alterung senkt
Risikobereitschaft ganzer Gesellschaft Unternehmertum würde dadurch negativ beeinflusst. Die Risikoaversion
verschiebt auch das politische Spektrum
von Leopold Stefan
Wien – Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft
betreffen, lautet ein geflügeltes Wort. Bisherige Vorhersagen zum
demografischen Wandel in entwickelten Volkswirtschaften gelten hingegen
als ziemlich treffsicher: Mitteleuropäische Volkswirtschaften wie
Österreich und Deutschland sind besonders in den vergangenen zwei
Jahrzehnten schnell älter geworden und werden bis zur Mitte des
Jahrhunderts zwar langsamer, aber dennoch weiter altern. Im Jahr 2035
soll jeder zweite Österreicher über 47 Jahre alt sein.
Dieser Wandel hat potenziell weitreichende Folgen für die Wirtschaft.
Ökonomen wie Uwe Sunde von der Ludwig-Maximilians-Universität München
sehen in dem demografischen Übergang eine klare Wachstumsbremse: Auch
konstante Produktivitätsgewinne aus technologischem Fortschritt würden
in Ländern wie Deutschland den "Ausfall" der flächendeckend gut
ausgebildeten Babyboomer nicht kompensieren. Der demografische Wandel
wirke aber auch über andere Kanäle. Zusammen mit Kollegen hat Sunde die
Risikobereitschaft im Altersverlauf in einer Studie untersucht. Dazu
dienten den Forschern umfassende Befragungen, die mit denselben
Individuen über viele Jahre hinweg durchgeführt wurden. Weniger Risiko
Ihr Fazit: Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, sinkt mit steigendem
Alter. Daraus folgt, dass die gesamte Gesellschaft umso risikoaverser
wird, je höher der Anteil der Älteren ist. Das habe Folgen etwa für
Investitionsmuster oder Unternehmertum. Der Effekt sei durchaus
signifikant: Steigt das Medianalter in einer Gesellschaft um zehn Jahre –
wie in Österreich seit 1975 -, entspreche die gesunkene
Risikobereitschaft 2,5 Prozent weniger Investitionen in Aktien oder um
sechs Prozentpunkte weniger selbstständig Beschäftigten, berechnen die
Ökonomen. Weniger Unternehmertum bedeute wiederum geringere
Innovationsbereitschaft, sagt Sunde.
"Die Alterung ist natürlich nur einer von vielen Einflüssen auf
ökonomische Entscheidungen", erklärt Mitautor Autor Thomas Dohmen von
der Universität Bonn. Eine Reihe von Einflussfaktoren, etwa das
historische Umfeld oder der Konjunkturzyklus, in den man hineingeboren
wurde, haben die Forscher jedoch "herausgerechnet". Sprich: Die im Alter steigende Risikoaversion ist über die Kohorten
hinweg zu beobachten – sei es die Nachkriegsgeneration, die der
Babyboomer oder die Generation X. Der Effekt sei wohl biologisch
begründet, vermuten die Forscher. "Mit höherem Alter lassen im Schnitt
auch die kognitiven Fähigkeit nach", sagt Dohmen. Frühere Studien hätten
gezeigt, dass ein geistiger Abbau mit abnehmender Risikobereitschaft
einhergehe.
Flacht nun der Trend zu weniger Risikobereitschaft mit der künftig
geringeren Alterung ab? Nicht so schnell, vermutet Dohmen, denn mit der
steigenden Lebenserwartung blieben wir auch kognitiv länger fit. Demnach
wäre zu erwarten, dass die sinkende Risikobereitschaft der
geburtenstarken Generationen erst in den kommenden Jahrzehnten wirke.
Ein Babyboomer setzt sich mit 65 eher auf ein Motorrad als seine
Großeltern im gleichen Alter davor. Konservative Kräfte
Neben den erwarteten wirtschaftlichen Veränderungen durch die abnehmende
Risikobereitschaft vermuten die Ökonomen auch politische Effekte. Wer
Risiken scheut, wolle eher keine großen Reformen angehen, gibt Dohmen
als Beispiel. Das politische Spektrum könnte daher künftig konservativer
werden.
Ob das bestimmten politischen Gruppen nutze oder die gesamte
Parteienlandschaft geschlossen konservativer werde, ließe sich derzeit
aber schwer abschätzen, meint der Ökonom. Link zur Studie
Nota. - Zu den Konstanten der chinesischen Zivilisation gehörte der konfuzianische Kult um das Greisenalter. Er gehört zum Bild einer jahrhundertelangen Stagnation. Der gegenwärtige Aufstieg Chinas wirft die Frage auf, ob und wie weit das System Xi Jinping den restaurativen Kurs seiner Vorgänger fortsetzt - und ob es in seiner Wahl frei ist. JE
Lohnschere zwischen Jung und Alt wird laut IWF immer größer
IWF-Chefin Lagarde drängt auf die Unterstützung von Jugendlichen mit geringem Einkommen
Washington
– In der Europäischen Union geht die Einkommensschere zwischen Jung und
Alt nach einer IWF-Studie immer weiter auseinander. "Besonders junge
Menschen im Arbeitsalter geraten in Rückstand", warnte die Chefin des
Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, am Mittwoch
anlässlich der Veröffentlichung der Studie. Es bestehe die Gefahr, dass
sich eine gesamte Generation niemals erholen werde.
Der Studie
zufolge stagnieren die Einkommen der 18- bis 24-Jährigen, nachdem die
Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe infolge der Weltwirtschaftskrise
2007 stark angestiegen sei. Noch immer ist demnach jeder Fünfte auf
Arbeitssuche, schrieb Lagarde in einem Blogbeitrag. EU-Bürger ab 65
Jahren hätten dagegen einen Einkommensanstieg von zehn Prozent
verzeichnen können, da die Pensionen erhalten worden seien.
Langfristige Lohnverluste
Eine
solche Einkommensschere könne zu langfristigen Lohnverlusten oder
"Narbenbildung" führen, warnte Lagarde. Denn jemand mit weniger
Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt
habe weniger Chancen, einen Job zu finden. Es könne "extrem schwierig,
wenn nicht so unmöglich sein, sich davon später in der Karriere zu
erholen".
Für mögliche Lösungsansätze verwies Lagarde unter
anderem auf Deutschland: Durch die Struktur der Berufsausbildungen
würden junge Menschen dauerhaft auf dem Arbeitsmarkt gehalten. Die
IWF-Chefin schlug vor, auch mithilfe der Vermögensteuer könnten
Programme für junge Menschen finanziert werden. Aktuell sei die Steuer,
inklusive der Erbschaftsteuer, niedriger als im Jahr 1970.
"Hier
geht es nicht darum, eine Altersgruppe gegen eine andere aufzuwiegen",
betonte Lagarde. "Der Aufbau einer Wirtschaft, von der junge Menschen
profitieren, schafft eine solidere Grundlage für alle."(APA, 24.1.2018)
Ja, nun wird das Ehepaar Lafontaine seine linke Sammlung wohl ganz unzeremoniell und ohne Pauken und Trom- peten schon dadurch bekommen, dass von nun an die bislang sozialdemokratischen Wähler von Wahl zu Wahl immer weiter an die Ränder sickern werden - nach dem rechten allerdings ebenso wie dem pp. linken.
Die AfD umwirbt die FDP, die pp. Linke saugt an SPD und Grünen. Die Neuformierung der deutschen Politik beginnt nicht, wie es der Sache nach angezeigt wäre, in der Mitte, sondern an den Flügeln, wo sich die Zurückge- bliebenen ansammeln.
Doch besser so als gar nicht. Dass sich die SPD vom Feld macht, ist nicht schlecht. Lafontaine und Genossen sind sowieso die echteren Sozialdemokraten. Und was haben die sogenannten Konservativen in CDU und CSU pro- grammatisch sonst vorzuweisen, als den Popanz "Sozialdemokratisierung" an die Wand zu malen? Das fällt dann weg, auf das gesellschaftliche Gleichgewicht achten wird als Politik der Mitte gelten; was es immer war und nur aus Reklamegründen von den Sozialdemokraten für ihr Eigenstes ausgegeben wurde. Sich nicht vom Zeitgeist mal hier- hin, mal dahin wehen lassen, das gebietet der gesunde Menschenverstand, das wiederum können die Rechten der Union nicht als ihre Besonderheit ausgeben. Mit andern Worten, eine entschlossene Politik der Mitte wird offensiv möglich und nicht nur immer nachträglich als Resultante Merkel'scher Mediation. Vielleicht hat sie davon ja immer geträumt? Doch vielleicht ist es wirklich nicht ihr Temperament. Dann kann sie immerhin von sich sagen, sie habe es möglich gemacht.
Nachtrag. - Nachbessern wollnse, sonst kriegense einen Koalitionsvertrag auf ihrem Parteitag nicht durch. Der geg- nerische Partner lehnt Nachverhandlungen ab: Erpressen lassen will er sich nicht, dann steht er als Verlierer da. Und wenn's daran scheitert? An Neuwahlen wäre unter diesen Umständen nur der AfD gelegen, aber Steinmeier nicht. Dann bliebe doch nur Merkels Alleinregierung übrig. Vielleicht hat sie ja davon immer geträumt und es sich nur nicht zu sagen getraut! Ist unwahrscheinlich, geb ich zu. Aber vielleicht läuft sie ja gerade darum zu ungeahnter Höchst- form auf!? Steigerungsfähig war sie bislang jedesmal; man muss sich auchmal was trauen.
aus Der Standard, Wien, 15. 1. 2018 Rätsel um historisches
Massensterben in Mexiko vermutlich gelöst Eine der verheerendsten Epidemien forderte um 1545 bis zu 15 Millionen
Menschenleben. Nun haben Forscher einen konkreten Verdacht, was daran
schuld war
Jena/Wien – Im Jahr 1519, als die Truppen des spanischen Eroberers
Hernando Cortés in Mexiko eintrafen, dürfte die einheimische Bevölkerung
Mexikos und Guatemalas rund 25 Millionen Menschen betragen haben. Ein
Jahrhundert später war sie auf gut eine Million gesunken. Verantwortlich
für diesen dramatischen Bevölkerungsschwund waren weniger der Fall von
Tenochtitlan und die Niederlage der Azteken. Als sehr viel tödlicher
gelten insbesondere drei Epidemien, die auf Nahuatl, der Sprache der
Azteken, als Cocoliztli bezeichnet wurden.
Unbestritten ist, dass unter den Bevölkerungsgruppen in allen Teilen
Amerikas nach dem Kontakt mit den Europäern Epidemien ausbrachen, weil
man auf die eingeschleppten Krankheitserreger nicht vorbereitet war.
Doch obwohl viele zeitgenössische Berichte über diese Seuchen vorliegen,
ist es schwierig, sie anhand der historischen Beschreibungen genau zu
bestimmen.
War es ein hämorrhagisches Fieber?
Nur bei der ersten Krankheitswelle, die 1520 geschätzte acht Millionen
Menschen in Mittelamerika dahinraffte, ist man sich ziemlich sicher,
dass es sich um die Pocken handelte. Doch über die Ursachen der beiden
späteren Epidemien, die 1545 und 1576 ausbrachen, gibt es nur
Vermutungen. Als die beste Hypothese galt bis vor kurzem ein virales
hämorrhagisches Fieber, das durch eine Dürre verschlimmert wurde, wie
mexikanische Forscher 2002 behaupteten.
Doch nun kommt ein Forscherteam um Johannes Krause (Max-Planck-Institut
für Menschheitsgeschichte in Jena) im Fachblatt "Nature Ecology &
Evolution" auf Basis von DNA-Analysen zu einer anderen Annahme. Die
Archäogenetiker konnten die DNA von 29 menschlichen Überresten aus
Gräbern der mixtekischen Stadt Teposcolula-Yucundaa in Oaxaca
analysieren, die in direktem Zusammenhang mit der Epidemie 1545 stehen.
foto: christina warinner / teposcolula-yucundaa archaeological project
Nahe bei Teposcolula-Yucundaa fanden sich Massengräber, die der Epidemie
1545 bis 1550 zugeordnet werden konnten. Hier abgebildet: die Grand
Plaza (siehe Grafik unten).
Komplette Salmonellen-Genome Bei den aufwendigen Analysen konnte auch bakterielle DNA identifiziert
werden, und mittels weiterer technischer Tricks gelang es Erstautorin
Åshild Vågene und Kollegen, aus den DNA-Spuren komplette
Salmonella-enterica-Genome zu entschlüsseln. In der Folge konnte gezeigt
werden, dass die zehn Individuen mit einer Unterart des Bakteriums
Salmonella enterica infiziert waren.
Ort der Gräber in Mexikos Provinz Oaxaka.
Das wiederum verursacht sogenanntes enterisches Fieber, dessen
bekannteste Form Typhus ist. Die Krankheit ist nach wie vor gefährlich:
Auch heute gibt es immer wieder Ansteckungen, die zu Fieber,
Dehydrierung und Magen-Darm-Infektionen führen. Methodische Innovation
Besonders stolz sind die Forscher um Johannes Krause auf die
methodischen Innovationen ihrer Untersuchung: Sie konnten den
Salmonellenerreger identifizieren, ohne zu wissen, wonach sie suchen
sollten. Das sei ein entscheidender Fortschritt in den Methoden, die zur
Erforschung vergangener Krankheiten zur Verfügung stehen. (Klaus
Taschwer)
Moderne Nomaden: Angehörige des Tuareg-Volks in MaliDie ersten Händler der Menschheit
Lange Zeit wurden Nomaden als erste Fernhändler der Menschheit angesehen.
Doch einige Archäologen bestreiten diese Theorie. Sie vermuten,
dass der Handel schon in der Bronzezeit in den Händen von Kaufleuten
war.
Die Funde verraten viel über den Aufstieg der ersten Städte in Mesopotamien.
Von Andrew Lawler
Vor nahezu 4000 Jahren erwachte König
Zimri-Lim im Königspalast der mesopotamischen Stadt Mari aus einem
Albtraum. In diesem hatten Nomaden aus der umliegenden Wüste seine
geliebte Frau gefangen. Zimri-Lims Angst, in einem antiken
Keilschrifttext verewigt, zeige die Rolle der Nomaden im frühen
städtischen Leben, vermuten Archäologen seit Langem. Diese mobilen
Plünderer, mächtig genug, um den Schlaf der Herrscher zu stören, wurden
allenfalls geduldet, weil sie exotische Güter von weit entfernten Orten
heranschafften. Als Viehzüchter reisten sie Hunderte Kilometer weit auf
der Suche nach Weideland. Lange Zeit wurden sie als Architekten der
Fernhandelsnetze angesehen, die den Aufstieg der modernen Zivilisation
im heutigen Irak um 3000 vor Christus unterstützten.
Da die Spuren dieser Hirten heute kaum sichtbar sind, stützten
sich Forscher stark auf den Vergleich mit modernen Nomaden im Nahen
Osten des 20. Jahrhunderts. Doch nun kommen
Methoden hinzu, die Hinweise entschlüsseln, die von alten Nomaden
hinterlassen wurden. Aufgrund von Daten aus Tiermist, Knochen, Zahnstein
und Pflanzenresten schließen Forscher, dass die antiken Hirten
hauptsächlich in der Nähe von Stadtgebieten lebten, statt zwischen weit
entfernten Orten zu wandern. "Sie waren nicht lange unterwegs, also
konnten sie auch keine Fernhändler sein", sagt Emily Hammer, Archäologin
an der Universität von Pennsylvania.
Diese Behauptung, die Emily Hammer und der Archäologe Ben Arbuckle von der University of North Carolina in Chapel Hill im Journal of Archaeological Science
darlegen, hat eine intensive Debatte darüber ausgelöst, wie einst das
urbane Leben erblühte. Nach Ansicht von Abbas Alizadeh von der
Universität von Chicago, der seit Jahrzehnten Hirtenvölker wie die
Bachtiaren im Südwesten Irans studiert, liegen Hammer und Arbuckle
"völlig falsch - ich wette, sie haben noch nie einen Nomaden gesehen".
Einig sind die Archäologen, dass Hirten, kurz nachdem die ersten Menschen vor etwa 10 000
Jahren im Nahen Osten mit der Landwirtschaft begannen, sich um die erst
vor Kurzem domestizierten Schafe, Ziegen und Rinder kümmerten. Aber die
Forscher streiten, ob diese Gruppen saisonal weite Strecken
zurücklegten, um grünere Weiden zu suchen.
Nur wenige antike Texte berichten darüber, wie Güter transportiert wurden
Alizadeh und Archäologen wie Frank Hole von der Yale University behaupten, Hirten am Rande von Mesopotamien seien bereits 7000
vor Christus Hunderte Kilometer weit übers Land gezogen. Sie schließen
das aus den Wanderungen moderner Hirten, die Schaf- und Ziegenherden die
steilen Täler des Zagros-Gebirges hinauf- und hinuntertreiben. Auch
gebe es Ausgrabungen, die auf saisonal genutzte Dörfer hinweisen.
Als die ersten Stadtgebiete entstanden, kamen wertvolle Steine,
Metalle und Holz aus Afghanistan, Iran und Anatolien in das südliche
Mesopotamien. Um 2000 vor Christus
existierte ein organisiertes internationales Handelssystem, das Material
von der Indus-Zivilisation wie auch aus der westlich gelegenen Levante
in den reichen Stadtstaat Ur im heutigen Südirak lieferte. Doch nur
wenige antike Texte berichten darüber, wer diese Güter transportiert
hat. "Der Handel ist textlich fast unsichtbar", sagt Piotr Michalowski,
ein Keilschriftspezialist der Universität von Michigan in Ann Arbor.
In der Bronzezeit entstanden wohl viel mehr Städte als gedacht
Neue Analysemethoden deuten nun darauf hin, dass die Hirten in Jordanien, Syrien, der Türkei und Iran vor 1000
vor Christus zu nahe an ihrem Heimatort blieben, um als Spediteure
infrage zu kommen. So analysierte die Kieler Archäozoologin Cheryl
Makarewicz die Isotopenzusammensetzung von 9000
Jahre altem Schaf- und Ziegenzahnschmelz aus der Gegend von Amman. Da
Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotope auf örtliche Boden- und
Wasserbeschaffenheit schließen lassen, zeigt das, wo ein Tier graste.
Demnach wurden die Tiere eher in der Umgebung als in fernen Grasländern
gefüttert. Ähnliches stellte ein Forscherteam in der osttürkischen Stadt
Çatalhöyük fest.
Dung zeigte zudem, dass die Tiere mehr Heu als wildes Gras
fraßen, ein Zeichen, dass sie kaum lange Strecken zurücklegten. Als die
Städte entstanden, so argumentieren Hammer, Arbuckle und auch Dan Potts
von der New York University, seien die Hirten größtenteils in der
Umgebung geblieben, um die städtische Nachfrage nach Fleisch und Milch
zu decken sowie Wolle für die mesopotamische Textilindustrie zu liefern.
"Es gab Viehverarbeitungszentren", bemerkt Hammer. "Da brachte man die
Tiere nicht weit weg."
Doch wenn Nomaden nicht die Fernhändler der antiken
Welt waren, wer hat dann die Güter bewegt? Entdeckungen der letzten
Jahre in der Türkei, in Iran, im Nordirak und in Syrien deuten auf eine
Möglichkeit hin. Archäologen fanden heraus, dass im bronzezeitlichen
Nahen Osten viel mehr Städte entstanden sind als ursprünglich
angenommen. Der Handel könnte demnach durch soziale Netze, die durch
königliche Ehen und wandernde Kaufleute geflochten wurden, in Schwung
gehalten worden sein, sagt Potts.
"Es gab viele Unternehmer"
Texte aus der Zeit um 1900
vor Christus, die bei der anatolischen Stadt Kanesh gefunden wurden,
enthalten Informationen darüber, wie Händlerfamilien Eselkarawanen
organisierten, die tausend Kilometer weit reisten, um Assur, eine Stadt
südlich des heutigen Mossul im Irak, zu erreichen. "Es gab viele
Unternehmer, und der Handel scheint hauptsächlich in privaten Händen
gewesen zu sein", sagt Michalowski.
Erst als domestizierte Dromedare im ersten Jahrtausend vor
Christus auftauchten, begannen Nomaden lange saisonale Wanderungen,
sagen Hammer, Arbuckle und Potts. "Wir bestreiten nicht, dass Hirten
zuvor existierten", sagt Hammer, "nur dass sie lange Strecken
zurücklegten und in Zelten lebten. Wir haben die Knochen, die
Campingplätze und die Paläobotanik, um dies zu beweisen."
Viele ihrer Kollegen halten trotzdem an der ursprünglichen
Sichtweise fest. "Wenn das stimmt, ist das revolutionär", sagt Guillermo
Algaze, ein Archäologe an der Universität von Kalifornien, San Diego.
Aber er denkt weiterhin, dass mobile Hirten der Kitt waren, der
ausgedehnte Handelsnetzwerke in frühen städtischen Gesellschaften
zusammenhielt. Steve Rosen, ein Archäologe an der Ben-Gurion-Universität
im israelischen Beer Scheva lobt Hammer und Arbuckles Ansatz. Aber er
hat eine Reihe archäologischer Stätten in der Negev-Wüste gefunden, die
darauf hindeuten, dass Hirten dort schon von 3000 vor Christus an Esel benutzten, um mehr als hundert Kilometer durch eine unwirtliche Gegend zurückzulegen.
Weitere Daten aus Mesopotamien sowie Analysen von
Tierknochen und Mist aus neuen Ausgrabungen in Ur, wo Hammer kürzlich
gearbeitet hat, dürften helfen, den Streit zu klären. Dann würde sich
zeigen, ob marodierende Nomadenstämme oder einheimische Räuber
Zimri-Lims Albtraum inspirierten.
Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org
Nota. -Revolutionär ist das tatsächlich; aber weniger, was die Entwicklung des Handels, als was die Entwick- lung des Nomadentums anlangt. Schließlich hätten die Nomaden den Fernhandel ja doch übernommen - aber erst seit der Domestizierung der Dromedare! Und seither erst sei ein Nomadentum im "modernen", nämlich in unserem Verständnis entstanden. Das wirft tatsächlich ein neues Licht - nicht auf die Entwicklung des Welthan- dels, sondern auf die lokalen Geschichten der Länder am Rand der großen Wüsten. Und damit auf einige Aspekte des heutigen Nahen Ostens. JE
... In
der politischen Diskussion Europas taucht der Begriff «Europa» erstmals
um 1450 häufiger und gewichtiger auf, und zwar aus gegebenem Anlass. Zu
dieser Zeit rückte das Osmanische Imperium unaufhaltsam gegen die
Restbestände des Byzantinischen Reichs vor, um dessen Hauptstadt
Konstantinopel im Mai 1453 schliesslich zu erobern. Die Hilfegesuche des
letzten oströmischen Kaisers hatten trotz der dramatischen Eskalation
kaum ein Echo gefunden – «Europa» war trotz allen Appellen und
Beschwörungen der Gelehrtenwelt eben keine Einheit.
Die
griechische Kirche war von der römischen seit fast vierhundert Jahren
durch ein Schisma getrennt, und so machte der Papst seine Unterstützung
von der Unterwerfung unter die «Einheit» seiner kirchlichen Hoheit
abhängig. Als diese schliesslich notgedrungen vollzogen wurde, war es zu
spät. Doch auch das übrige Europa war weder vorher noch nachher
politisch oder religiös «einheitlich» – die Union im Glauben, Fühlen und
Denken, die Romantiker wie der deutsche Dichter Novalis um 1800 als
«Europa oder die Christenheit» beschworen, existierte nur in ihrer
nostalgisch erhitzten Phantasie.
Das
ganze Mittelalter hindurch wimmelt es nur so vor religiösen und
philosophischen Gegenbewegungen, die aus der Perspektive der
Möchtegern-Monopol-Instanz Rom als «Ketzereien» eingestuft wurden. Zur
Zeit der ersten Europa-Visionen, etwa aus der Feder des wortmächtigen
Humanisten Enea Silvio Piccolomini, der später als Pius II. (1458–1464)
den Papstthron bestieg, waren die böhmischen Hussiten mit ihrer
Forderung nach dem Laienkelch im Abendmahl der innere Hauptstörfaktor
und deshalb selbstverständlich aus der angeblichen Wertegemeinschaft
«Europa» ausgeschlossen. «Europa» war also wenig mehr als ein diffuser
Kampfbegriff gegen die Anderen, gegen innere und äussere «Ungläubige».
Christus kam nur bis Eboli
Sich
selbst verstand Piccolomini primär als Italiener und damit als
Vertreter der Nation, die den Barbaren der übrigen europäischen Länder
die Schätze der Zivilisation brachte und dafür nichts als Undank erntete
– zum Beispiel von den trunksüchtigen und instinktgeleiteten Deutschen.
Das historische Europa, das Europa ohne Anführungsstriche, wuchs und
entwickelte sich nicht im Zeichen der «Einheit», sondern der Konkurrenz,
der Rivalität, des Ringens um den Vorrang an Ehre, Kultur und Geltung.
Dieser
Wettstreit wurde auf allen Ebenen, nicht zuletzt im Bereich der
Religion, ausgetragen. Dies macht auch das Schwärmen vom «christlichen
Abendland» hinfällig, ganz abgesehen davon, dass für die grosse Mehrheit
der Menschen auf dem Land der Übergang von der heidnischen zur
christlichen Religion kein Einschnitt, sondern ein gleitender Wandel war
– Christus kam bekanntlich nur bis Eboli. Und wie formulierte Michel de
Montaigne, Zeuge der ab 1562 sein Frankreich verwüstenden
Religionskriege, so treffend: Kein Hader ist so erbarmungslos wie der
christliche.
Der
daraus resultierenden Konkurrenzsituation zweier Konfessionen, des
majoritären Katholizismus und des minoritären Calvinismus, machte König
Ludwig XIV. 1685 zugunsten der katholischen Monopol-Staatskirche ein
Ende – wofür diese in der Revolution ab 1789 durch ersatzlose Enteignung
ihrer Güter die späte Quittung erhielt. Um dieselbe Zeit entwarf der
deutsche Geschichtstheologe Johann Gottfried Herder ein gegen die
Nivellierungstendenzen der Aufklärung gerichtetes visionäres Tableau,
das den Lauf der Geschichte aus der schier überquellenden Fülle der
Vielheit, aus dem Mit- und Gegeneinander von Zivilisationen und
Kulturen, bestimmt sieht, die sich alle wechselseitig beeinflussen – und
doch sich selbst eifersüchtig als beste aller möglichen Welten
betrachten.
...
Die
vermeintliche «Einheitlichkeit» des Westens ist pure Fiktion: Zwischen
den calvinistischen Eliten der republikanischen Niederlande und der
französischen Monarchie, die vor 1789 keinen zentralisierten
Nationalstaat, sondern einen fast unüberschaubaren Flickenteppich
regionaler und ständischer Privilegien bildet, sticht nicht Homogenität,
sondern Alterität hervor. Sie verbindet sich mit einer Konkurrenz der
Werte und Ansprüche. Für den grossen Aufklärer Voltaire waren deshalb
die «Ketzer» die Fortschrittsbringer und wahren Helden der Geschichte ...
Dass
die umfassende Konkurrenz, die Europa geformt hat, heute friedlich und
nicht mehr als Kampf um politische und militärische Hegemonie
ausgetragen wird, ist eine grosse Errungenschaft des 20. Jahrhunderts.
Ob es für diese Friedensgarantie die EU braucht, ist Anschauungssache.
Dessen ungeachtet ist im Namen der Geschichte zu wünschen, dass das
lebendige Prinzip Europas, das der Vielheit, nicht dem Bürokratentraum
der totalen Gleichförmigkeit zum Opfer fällt. Das nach der Einschätzung
der heutigen Medien «grösste Genie der Menschheitsgeschichte», der
Maler-Naturforscher Leonardo da Vinci, war ein absoluter Aussenseiter in
seiner Zeit: des höheren Lateins nicht mächtig, von humanistischen
Edelfedern deshalb verachtet und überdies kein Christ. Gerade damit
steht Leonardo für das wahre Europa – das Europa der kulturellen
Gegenläufigkeiten und der produktiven Subversivität.
Volker Reinhardt ist
Professor für allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der
Universität Freiburg i. Ü. 2017 ist bei C. H. Beck sein Buch «Pontifex.
Die Geschichte der Päpste» erschienen.
... Wie kriminell sind die Menschen aus Syrien, Afghanistan oder vom Balkan? Was ist belegbar und was sind Scheinwahrheiten?
In ihrer Untersuchung zur Gewaltkriminalität präsentieren die
Kriminologen Dirk Baier, Christian Pfeiffer und Sören Kliem dazu einige
Antworten. Fest steht demnach: Durch Flüchtlinge ist es seit dem Jahr 2014
zu einem spürbaren Anstieg von Gewalttaten in Deutschland gekommen,
dies überschattet den eigentlich positiven Trend hin zu weniger Mord,
Totschlag oder Raubdelikten. Die Studie im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie und Jugend hatte hierzu die Lage in
Niedersachsen analysiert, und zwar mit einem genaueren Blick auf
Menschen, die entweder Asyl beantragt haben, irgendeine Art von Schutz
erhalten haben, zum Beispiel Asylberechtigte, die als Schutzsuchende
abgelehnt wurden oder zur Gruppe mit "unerlaubtem Aufenthalt" zählen.
Fast jede achte Gewalttat in dem Land rechnet die Polizei einem
Migranten aus einer dieser Gruppen zu. Dabei handelt es sich lediglich
um Verdachtsfälle, allerdings um solche, welche die Polizei als
aufgeklärt einstuft und als solche an die Staatsanwaltschaften abgibt.
Flüchtlinge fallen damit deutlich häufiger als Verdächtige einer
Gewalttat auf, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht.
Das Urteil, Flüchtlinge seien pauschal krimineller, lässt sich
dennoch nicht fällen. Zum einen unterscheiden sich die Zahlen stark nach
Herkunftsländern, zum anderen lässt sich einiges - wenn auch nicht
alles - durch kriminologische Hintergründe erklären. So ist in den
Jahren von 2014 bis 2016
auch die Zahl der Flüchtlinge stark gestiegen, nämlich auf mehr als das
Doppelte. Dies kann allerdings nur eine Teilantwort geben, denn die
Zahl der Tatverdächtigen unter ihnen ist fast um das Dreieinhalbfache
gewachsen. Hinzu kommt, dass im Zuge der Flüchtlingskrise besonders
viele Jugendliche und junge Männer nach Deutschland kamen. Wer beim
kriminellen Verhalten nicht Greise mit Pubertierenden gleichsetzen will,
der muss dies berücksichtigen. 14- bis 30-Jährige fallen stets durch
besonders viele Gewalt- und Sexualstraftaten auf, unabhängig von Land
oder Herkunft.
Darüber hinaus werden Flüchtlinge schneller einer Gewalttat
verdächtigt, weil sie häufiger angezeigt werden. Dies lässt sich
jedenfalls aus früheren Untersuchungen der Studienautoren folgern.
Besonders oft gehen Opfer zur Polizei, wenn der Tatverdächtige anderer
Nationalität ist, also etwa ein Serbe einen Deutschen verprügelt oder
ein Iraner auf einen Kroaten trifft. Mutmaßliche Opfer von gewalttätigen
Flüchtlingen aber sind laut Polizeidaten zu einem Drittel Deutsche oder
Menschen anderer Nationalität als der Verdächtige, das heißt, es
handelt sich um eine Konstellation, die erfahrungsgemäß besonders häufig
eine Anzeige nach sich zieht - und damit überhaupt erst in der
Statistik auftaucht.
Die Kriminologen vermuten allerdings, dass die Taten auch etwas
mit der Machokultur in den Heimatländern vieler Flüchtlinge zu tun hat;
dies habe sich in früheren Befragungen insbesondere bei Jugendlichen aus
dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und anderen muslimischen Ländern
gezeigt. Sie stimmten besonders häufig Aussagen zu wie: "Ein Mann, der
nicht bereit ist, sich gegen Beleidigungen mit Gewalt zu wehren, ist
ein Schwächling."
Nota. -Grad noch rechtzeitig fällt mir ein: Dass man bei statistischen Befunden relativieren und differenzieren muss, ändert selbstverständlich nichts an den Sachverhalten. JE
aus Süddeutsche.de,Blick in den Innenhof der Jugendstrafanstalt Arnstadt in Thüringen.
Studie zur Jugendkriminalität
"Mehr Liebe, weniger Hiebe"
Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts
Niedersachsen ist die Jugendkriminalität in Deutschland von 2007 bis
2015 um die Hälfte zurückgegangen.
Auch die Brutalität bei Straftaten nimmt laut einer Studie aus Bayern ab.
Als Ursache für den Trend sehen die Forscher den Rückgang der Gewalt in Familien und geringere Arbeitslosigkeit.
Von Ronen Steinke
Jede zweite Zelle stand leer, als der Hamburger Senat im Jahr 2015 durchzählen ließ. Nur noch jeder zweite der 3000
Hafträume war belegt im ältesten Jugendgefängnis der Republik, der
Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand, idyllisch gelegen auf einer
Elbinsel. Seither versuchen Hamburgs Haushälter fieberhaft, die
verbliebenen Häftlinge von dort weg zu verlegen. Sie wollen das Anwesen
verkaufen und vielleicht ein Hotel daraus machen.
In Jugendgefängnissen lässt sich derzeit Erstaunliches
beobachten. Noch um die Jahrtausendwende waren die Anstalten landauf,
landab heillos überfüllt. Fast alle Bundesländer mussten kräftig
ausbauen. Inzwischen gehen, wie in Hamburg, vielerorts die Lichter aus.
In Wuppertal-Ronsdorf steht das größte Jugendgefängnis
Nordrhein-Westfalens, es ist noch keine sieben Jahre alt. Schon stehen
Teile leer. Einige Flure, geschaffen für je dreißig Gefangene, bleiben
in diesem Winter dunkel und unbeheizt. In Essen ist eine komplette
Jugendarrestanstalt stillgelegt worden. Geschlossen wegen
mangelnder Nachfrage.
An der Arbeit der Polizei kann es nicht liegen. Die
Aufklärungsquote bei Jugenddelikten steigt. Auch an den Richtern dürfte
es kaum liegen. Seit 2013 gibt es einen
neuen, zusätzlichen Haftgrund für junge Straftäter, den sogenannten
Warnschussarrest, und auch beim Strafmaß geht der Trend wieder zu mehr
Härte. Es scheint wirklich so zu sein: Die Kriminalität junger Menschen ist rückläufig hierzulande, sogar sehr deutlich. Zwischen 2007 und 2015 hat sich der Anteil der Tatverdächtigen pro 100 000 Jugendlichen um 50,4
Prozent reduziert, sprich: halbiert. "Auf Basis der Polizeilichen
Kriminalstatistik ist damit ein historisch einzigartiger Rückgang der
Jugendkriminalität zu konstatieren", schreiben die Verfasser einer neuen
Langzeitstudie, die Kriminologen Dirk Baier, Christian Pfeiffer und
Sören Kliem.
Pfeiffer leitete lange das Kriminologische Forschungsinstitut
Niedersachsen. Seine beiden Kollegen waren seine Schüler dort, heute
leiten sie selbst Lehrstühle in Zürich und Braunschweig. Alle drei
stehen nicht für kriminalpolitische Härte. Eher für Konzilianz und
Resozialisierung. Über die Daten, die sie zusammentragen, lässt sich
zunächst aber kaum streiten. Wenn sich mancherorts die Zellen wieder
gefüllt haben in den vergangenen Monaten, dann eher mit Flüchtlingen;
ein Sondereffekt, der nicht für die angestammten Jugendlichen gilt.
Ist die Entwicklung eine Art Friedensdividende für gewaltfreie Erziehung?
Oft heißt es: Es könne ja sein, dass die Zahlen zurückgingen.
Dafür nehme aber die Brutalität zu. Früher habe man sich auch geprügelt,
aber nicht nachgetreten. Deshalb ist zur Abrundung auch noch ein Blick
auf eine Untersuchung des Landeskriminalamts Bayern interessant, die 2017 veröffentlicht wurde. Wie stark Gewalt ausgeübt werde, so deren Ergebnis, nimmt ebenfalls beständig ab.
Woher also kommt der so klare, erfreuliche Trend? Das ist die
eigentliche Frage an die drei Kriminologen, und als Antwort stellen sie
eine These auf, über die sich diskutieren lässt. Sie stellen einen
Zusammenhang her zu einem zweiten, ebenfalls erfreulichen Großtrend: dem
allmählichen Rückgang der Gewalt in den Familien. Jugendliche in
Deutschland bekommen im Elternhaus heute weniger Gewalt angetan als noch
vor zwanzig Jahren. 1998 berichteten 57 Prozent der repräsentativ befragten Schüler, dass ihre Eltern sie gelegentlich schlügen. 2015 waren es noch 39 Prozent.
Man könnte das als Erfolg einer neuen Politik betrachten, denn seitdem im Jahr 2000
das sogenannte Züchtigungsrecht der Eltern aus dem Bürgerlichen
Gesetzbuch gestrichen wurde, rückt die Polizei verstärkt aus, um etwa
prügelnde Väter aus Wohnungen zu verweisen. Die drei Verfasser der
Studie sehen stattdessen einen noch längerfristigen Trend wirken.
Nämlich, "dass es in Deutschland vor allem seit den Siebzigerjahren
einen starken Wandel der elterlichen Erziehungskultur in Richtung auf
mehr Liebe und weniger Hiebe gegeben hat". Die These der Forscher:
Nachdem Rute und Rohrstock durch die 68er geächtet wurden, ernte die
Gesellschaft jetzt eine Art Friedensdividende. ...
Nota. - Erst das Ei, dann die Henne? Was ist Ursache, was ist Folge? Weniger Jugendgewalt, weil weniger Prügel zuhaus? Oder sind es die zwei Seiten derselben Medaille? Sind beides Symptome einer einzigen soziokulturellen Entwicklung? Das würde sogar die paradoxe Umkehrung in der öffentlichen Wahrnehmung erklären: Weil Brutalität immer ungehöriger wird, wird sie auch immer lauter beklagt -? JE
„Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle
Polizeiseite aus NRW auf Arabisch. Meinen Sie, die barbarischen,
muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“
Das gefällt mir nicht, schon gar nicht die Männerhorden; arabischen Frauen wurde da auch zu Neujahr gratuliert. Aber ungesetzlich ist es nicht, es zu löschen war ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.
Frau von Storch und Herr Gauland reiben sich die Hände. Die politisch Korrekten bringen es so weit, dass die Freunde des Rechtsstaats eines Tages für die Rechte der AfD eintreten müssen. Täten wir's nicht, könnte es passieren, dass wir eines Morgens mit einem Trump als Kanzler aufwachen.