- Doch einige Archäologen bestreiten diese Theorie. Sie vermuten, dass der Handel schon in der Bronzezeit in den Händen von Kaufleuten war.
- Die Funde verraten viel über den Aufstieg der ersten Städte in Mesopotamien.
Nur wenige antike Texte berichten darüber, wie Güter transportiert wurden
Alizadeh und Archäologen wie Frank Hole von der Yale University behaupten, Hirten am Rande von Mesopotamien seien bereits 7000 vor Christus Hunderte Kilometer weit übers Land gezogen. Sie schließen das aus den Wanderungen moderner Hirten, die Schaf- und Ziegenherden die steilen Täler des Zagros-Gebirges hinauf- und hinuntertreiben. Auch gebe es Ausgrabungen, die auf saisonal genutzte Dörfer hinweisen.
Als die ersten Stadtgebiete entstanden, kamen wertvolle Steine, Metalle und Holz aus Afghanistan, Iran und Anatolien in das südliche Mesopotamien. Um 2000 vor Christus existierte ein organisiertes internationales Handelssystem, das Material von der Indus-Zivilisation wie auch aus der westlich gelegenen Levante in den reichen Stadtstaat Ur im heutigen Südirak lieferte. Doch nur wenige antike Texte berichten darüber, wer diese Güter transportiert hat. "Der Handel ist textlich fast unsichtbar", sagt Piotr Michalowski, ein Keilschriftspezialist der Universität von Michigan in Ann Arbor.
In der Bronzezeit entstanden wohl viel mehr Städte als gedacht
Neue Analysemethoden deuten nun darauf hin, dass die Hirten in Jordanien, Syrien, der Türkei und Iran vor 1000 vor Christus zu nahe an ihrem Heimatort blieben, um als Spediteure infrage zu kommen. So analysierte die Kieler Archäozoologin Cheryl Makarewicz die Isotopenzusammensetzung von 9000 Jahre altem Schaf- und Ziegenzahnschmelz aus der Gegend von Amman. Da Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotope auf örtliche Boden- und Wasserbeschaffenheit schließen lassen, zeigt das, wo ein Tier graste. Demnach wurden die Tiere eher in der Umgebung als in fernen Grasländern gefüttert. Ähnliches stellte ein Forscherteam in der osttürkischen Stadt Çatalhöyük fest.
Dung zeigte zudem, dass die Tiere mehr Heu als wildes Gras fraßen, ein Zeichen, dass sie kaum lange Strecken zurücklegten. Als die Städte entstanden, so argumentieren Hammer, Arbuckle und auch Dan Potts von der New York University, seien die Hirten größtenteils in der Umgebung geblieben, um die städtische Nachfrage nach Fleisch und Milch zu decken sowie Wolle für die mesopotamische Textilindustrie zu liefern. "Es gab Viehverarbeitungszentren", bemerkt Hammer. "Da brachte man die Tiere nicht weit weg."
Doch wenn Nomaden nicht die Fernhändler der antiken Welt waren, wer hat dann die Güter bewegt? Entdeckungen der letzten Jahre in der Türkei, in Iran, im Nordirak und in Syrien deuten auf eine Möglichkeit hin. Archäologen fanden heraus, dass im bronzezeitlichen Nahen Osten viel mehr Städte entstanden sind als ursprünglich angenommen. Der Handel könnte demnach durch soziale Netze, die durch königliche Ehen und wandernde Kaufleute geflochten wurden, in Schwung gehalten worden sein, sagt Potts.
"Es gab viele Unternehmer"
Texte aus der Zeit um 1900 vor Christus, die bei der anatolischen Stadt Kanesh gefunden wurden, enthalten Informationen darüber, wie Händlerfamilien Eselkarawanen organisierten, die tausend Kilometer weit reisten, um Assur, eine Stadt südlich des heutigen Mossul im Irak, zu erreichen. "Es gab viele Unternehmer, und der Handel scheint hauptsächlich in privaten Händen gewesen zu sein", sagt Michalowski.
Erst als domestizierte Dromedare im ersten Jahrtausend vor Christus auftauchten, begannen Nomaden lange saisonale Wanderungen, sagen Hammer, Arbuckle und Potts. "Wir bestreiten nicht, dass Hirten zuvor existierten", sagt Hammer, "nur dass sie lange Strecken zurücklegten und in Zelten lebten. Wir haben die Knochen, die Campingplätze und die Paläobotanik, um dies zu beweisen."
Viele ihrer Kollegen halten trotzdem an der ursprünglichen Sichtweise fest. "Wenn das stimmt, ist das revolutionär", sagt Guillermo Algaze, ein Archäologe an der Universität von Kalifornien, San Diego. Aber er denkt weiterhin, dass mobile Hirten der Kitt waren, der ausgedehnte Handelsnetzwerke in frühen städtischen Gesellschaften zusammenhielt. Steve Rosen, ein Archäologe an der Ben-Gurion-Universität im israelischen Beer Scheva lobt Hammer und Arbuckles Ansatz. Aber er hat eine Reihe archäologischer Stätten in der Negev-Wüste gefunden, die darauf hindeuten, dass Hirten dort schon von 3000 vor Christus an Esel benutzten, um mehr als hundert Kilometer durch eine unwirtliche Gegend zurückzulegen.
Weitere Daten aus Mesopotamien sowie Analysen von Tierknochen und Mist aus neuen Ausgrabungen in Ur, wo Hammer kürzlich gearbeitet hat, dürften helfen, den Streit zu klären. Dann würde sich zeigen, ob marodierende Nomadenstämme oder einheimische Räuber Zimri-Lims Albtraum inspirierten.
Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org
Nota. - Revolutionär ist das tatsächlich; aber weniger, was die Entwicklung des Handels, als was die Entwick- lung des Nomadentums anlangt. Schließlich hätten die Nomaden den Fernhandel ja doch übernommen - aber erst seit der Domestizierung der Dromedare! Und seither erst sei ein Nomadentum im "modernen", nämlich in unserem Verständnis entstanden. Das wirft tatsächlich ein neues Licht - nicht auf die Entwicklung des Welthan- dels, sondern auf die lokalen Geschichten der Länder am Rand der großen Wüsten. Und damit auf einige Aspekte des heutigen Nahen Ostens.
JE
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